Ostsee-Tournee

Reisezeit: Mai - August 2018  |  von Jörn Tietje

Die letzten Kilometer durch Südschweden

Die Probleme mit meinem Rad nerven. Auch wenn ich auf der Reise immer nur die nötigsten Reparaturen und Pflegemaßnahme aufwende, wird es nach jeder Reise komplett zerlegt, gründlich gereinigt und alles, was irgendwie verschlissen aussieht, ersetzt. Aber inzwischen hat das Rad ca. 40.000 km auf dem Kilometerzähler, davon die meisten mit schwerem Gepäck und sehr viele auf übelsten Schotterpisten. Scheinbar ist damit die Grenze des sorglosen Radelns erreicht und ich werde mich nach der Tour mal nach etwas Neuem umsehen. Ich habe da schon so eine Idee, was es werden könnte... Und eines ist sicher: einen Elektromotor wird es nicht haben!

Ein ziemlich trauriger Anblick, dieser Trümmerhaufen, den ich in der Werkstatt hinterlassen habe in der Hoffnung, 24 Stunden später ein neues Hinterrad zu bekommen

Ein ziemlich trauriger Anblick, dieser Trümmerhaufen, den ich in der Werkstatt hinterlassen habe in der Hoffnung, 24 Stunden später ein neues Hinterrad zu bekommen

Das ist das Problem - der Freilaufkörper hat nicht nur einen Lagerschaden, sondern ist komplett gerissen. Ich habe nach wie vor die Flensburger Werkstatt im Verdacht, dass dort etwas falsch gemacht wurde, zumal die Reparatur im ersten Anlauf falsch ausgeführt wurde

Das ist das Problem - der Freilaufkörper hat nicht nur einen Lagerschaden, sondern ist komplett gerissen. Ich habe nach wie vor die Flensburger Werkstatt im Verdacht, dass dort etwas falsch gemacht wurde, zumal die Reparatur im ersten Anlauf falsch ausgeführt wurde

Einen Tag zum Ausruhen und Entspannen ist ja ganz schön, aber wenn man wie auf Kohlen sitzt, ob der erlösende Anruf kommt, dass das Ersatzrad angekommen ist, will sich die keine echte Ruhephase einstellen. Das Problem ist nämlich, dass das Rad am Freitag kommen soll. Sonnabends stellt die Post nicht zu und dann wäre ich hier ein ganzes Wochenende hier festgenagelt. Aber gegen 12.30 Uhr kommt der erlösende Anruf, dass das Ersatzteil da ist und 20 Minuten später steht der Junior des Hauses Halling auf dem Campingplatz und holt mich ab. Der Mechaniker ist auch heute nicht da und so lege ich wieder selbst Hand an und in einer halben Stunde ist das Rad wieder komplett. Es gibt noch einen Kaffee und Keks, ich bezahle nur den Preis für das Hinterrad und um 14.00 Uhr trete mich meine 110 km-Etappe bis in die Nacht an.

Sieht doch gut aus, das neue Hinterrad und läuft wie geschmiert - ohne störende Nebengeräusche

Sieht doch gut aus, das neue Hinterrad und läuft wie geschmiert - ohne störende Nebengeräusche

Es ist in Schweden erlaubt, dass man überall zelten darf. Nicht nur wegen der Dusche nach einer langen Tour, sondern auch weil die Brandgefahr durch die Dürre hier inzwischen so extrem ist, dass jegliches offene Feuer im Freien verboten ist - ausdrücklich auch Gas- und Benzinkocher. Wie soll ich da zu meinem Kaffee am Morgen kommen, ohne den nicht viel geht. Und nicht nur aus Prinzip, sondern besonders in diesem Fall aus Überzeugung setze ich mich über dieses Verbot nicht hinweg.

Allerdings ist es in der Nacht in einer Gegend, in der es ohnehin wenige Campingplätze gibt, nicht so einfach einen zu finden. Ich habe Glück und lande um 22.30 Uhr bei fast vollständiger Dunkelheit - es ist die Nacht der Mondfinsternis - auf einem kleine "Naturcampingplatz". Woran erkennt man, dass ein Campingplatz in Schweden von Deutschen geführt wird? Alles besonders ordentlich und korrekt? Weit gefehlt. Sauberkeit sieht anders aus und der Preis von umgerechnet 20 Euro liegt am oberen Ende der Skala dessen, was bisher auf der Tour üblich war, wobei die Gegenleistung in einem krassen Missverhältnis steht. Nein, man erkennt es daran, dass man gefragt wird, ob man nicht bar bezahlen könne - bei Kartenzahlung gibt es einen Aufschlag von 10%! Einmalig auf der ganzen Tour! Und das in Skandinavien, wo auch kleinste Beträge ganz selbstverständlich mit Karte bezahlt werden und es Geschäfte gibt, die kein Bargeld mehr annehmen. Ich habe nicht genug Bargeld bei mir, weil auch mich inzwischen auf die Kartenzahlung eingestellt habe. Aber um diese Uhrzeit und in dieser Gegend ist man in einer ganz schlechten Verhandlungsposition.

Andererseits hat es auch seinen Reiz, in der Dämmerung oder Dunkelheit über Schotterpisten durch den Wald zu fahren. Endlich gekomme ich auch einmal Tiere zu sehen. Rothirsche, einen Dachs und andere - natürlich nur keinen Elch.

Sommerstimmung in Südschweden

Sommerstimmung in Südschweden

Der selbst auferlegte Zeitdruck ist inzwischen ziemlich groß und so komme ich kaum dazu, mir Landschaft, Sehenswürdigkeiten oder Orte anzusehen. Oft fahre ich einfach nur durch oder esse etwas und dann geht's auch schon weiter. Nach wie vor ist es entweder extrem heiß oder so schwül, dass alles am Leib klebt.

Die Freude über das neue Hinterrad hat dabei ganze zwei Tage angedauert. Ich war wegen einer sehr angeregten Unterhaltung beim Frühstück auf einem dieser sehr großen und turbulenten Campingplätze hier im Süden erst spät losgekommen. Also Gas geben und Kilometer wett machen. Nach 30 km ein leises, metallische "Ping" am Hinterrad. Mir war irgendwie gleich klar, was passiert war, weil ich die ganze Zeit genau diese Befrüchtung hatte: eine Speiche an dem neuen Hinterrad war gerissen. Ich hatte beim Kauf nun einmal keine Wahl und musste nehmen, was schnell lieferbar war und bei nicht so hochwertigen Rädern sind nun einmal die Speichen ein Schwachpunkt, gerade bei der Belastung, die mein Rad aushalten muss. Und natürlich auf der Seite, auf der das Ritzelpaket sitzt. Speichen reißen immer am Hinterrad und immer am Ritzelpaket. Alles andere wäre ja viel zu einfach. Das Rad lief noch ganz gut im Kurs und weil ich keine Lust hatte, es auf der Straße zu zerlegen und meine Sachen auszubreiten, habe ich die Speiche erst einmal abgekniffen und die Reparatur auf den Abend verschoben. Ging auch ganz gut - bis Kilometer 100, dann der zweite Speichenbruch. 10 Jahre bin ich dieses Rad ohne einen einzigen Speichenbruch gefahren und jetzt gleich zwei auf ebener Piste an einem Tag. Jetzt also doch auf der Straße reparieren. Glücklicherweise passten Speichen aus meinem Sortiment, das ich seit 10 Jahren durch die Welt fahre und auch mein kleiner aber feiner Ritzelpaketabzieher hat sich hervorragend bewährt - ein Teil, das ich einmal für viel Geld auf Empfehlung eines Amerikaners gekauft, aber noch nie eingesetzt hatte.

Und so wird es wieder sehr spät. Um 20.00 Uhr kann ich meine Fahrt fortsetzen. Glücklicherweise haben hier einige Supermärkte auch am Sonntag bis 22.00 Uhr geöffnet und so bekomme ich noch etwas zu Essen und finde in Ronneby Hamn auch einen kleinen, tollen Campingplatz, der vom örtlichen Handballverein betrieben wird und an dem sich die großen, kommerziellen in Sachen Sauberkeit, Komfort und Freundlichkeit sehr viel abgucken könnten.

Drei Hochleistungsgeräte im schwedischen Wäldern. Von links: Forwarder, Fahrrad, Harwester

Drei Hochleistungsgeräte im schwedischen Wäldern. Von links: Forwarder, Fahrrad, Harwester

Heute dann endlich mal wieder ein Tag ohne Pleiten, Pech und Pannen. Von Ronneby Hamn fahre ich jetzt auf geradem Weg in Richtung Helsingborg, um von dort mit der Fähre nach Dänemark überzusetzen. Ein kleines Stück der Südspitze Schwedens muss ich abschneiden, will aber von Ystad aus nicht wieder so weit Richtung Norden fahren. Nach einer inzwischen fast üblichen Tagesetappe von 140 km und 1000 Höhenmetern komme ich nahe Hässleholm unter. Hässleholm hat für mich deswegen einen besonderen Reiz, weil es die Partnerstadt von Eckernförde ist und ich als Jungendlicher hier zweimal mit den Wasserfreunden Eckernförde zu Schwimmwettkämpfen beim örtlichen Schwimmverein war. Bis auf die Schwimmhalle habe ich allerdings nichts wiedererkannt - ist ja schließlich auch schon mehr als 40 Jahre her. Und die Interessen waren damals auch andere - sie waren ein paar Jahre älter als ich / wir und interessierten sich für uns damals überhaupt nicht, da wir aus deren Sicht viel zu jung waren. Wenn sie mir heute wieder über den Weg gelaufen wären (niemand hätte den anderen erkannt), sähe es vermutlich aus meiner Sicht genau anders herum aus.

Liegt auf meinem Weg nach Helsingborg und weckt alte Erinnerungen

Liegt auf meinem Weg nach Helsingborg und weckt alte Erinnerungen

Der Ort meiner ersten und einzigen "internationalen Schwimmwettkämpfe", die Schwimmhalle von Hässleholm. Auch schon reichlich in die Jahre gekommen und wird zz. saniert

Der Ort meiner ersten und einzigen "internationalen Schwimmwettkämpfe", die Schwimmhalle von Hässleholm. Auch schon reichlich in die Jahre gekommen und wird zz. saniert

Der Routenplaner von Google Maps sagt, dass ich Schweden nach weiteren 77 km von Helsingborg in Richtung Helsingör in Dänemark verlassen werde.

Schweden war für mich über weite Strecken ein Wettlauf gegen den Kalender, denn in sechs Tagen soll ich gern wieder am westlichsten Zipfel der Ostsee, in der Nähe der Flensburger Hafenspitze, in meinem Büro sitzen und der sportliche Ehrgeiz lässt es nun einmal nich zu, öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen oder weite Strecken abzukürzen - jetzt will ich auch tatsächlich ganz um die Ostsee fahren. Deswegen habe ich vieles von den Orten und der Natur nicht gesehen, obwohl ich direkt daran vorbei- oder durchgefahren bin. Dazu sind zehn Wochen für so ein Tour einfach zu wenig Zeit.

Auch wenn ich gern behaupte, dass dort, wo ich im Urlaub bin, gutes Wetter ist, möchte ich für die Hitze und die damit verbundene Dürre in weiten Gebieten dieser Reise nicht verantwortlich gemacht werden. Sonst kommt noch einer auf die Idee und behauptet, ich hinterlasse in Schweden verbrannte Erde. Waldbrände habe ich nicht gesehen, aber eine derartige Dürre in diesen oder unseren Breitengraden auch noch nicht. Waren es erst noch einzelne, kleine Bäume, die vertrocknet waren, sind es hier gerade in Smaland ganze Landstriche und auch alte Bäume, die komplett braun und vertrocknet sind. Und noch immer ist kein Regen in Sicht. Das ist nicht mehr schön!

Ab morgen gehe ich dann auf die Zielgerade in Dänemark. Die neunte Grenze, das neunte Land auf dieser Reise - und auch darüber werde ich hier berichten.

Es gäbe hier mit Sicherheit noch so viel Schönes zu sehen, wofür ich keine Zeit hatte

Es gäbe hier mit Sicherheit noch so viel Schönes zu sehen, wofür ich keine Zeit hatte

Dafür möchte ich nicht verantwortlich gemacht werden - ich selbst leide streckenweise auch unter diesem extremen Sommer

Dafür möchte ich nicht verantwortlich gemacht werden - ich selbst leide streckenweise auch unter diesem extremen Sommer

© Jörn Tietje, 2018
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zwei Jahre lange Abstinenz, zwei Jahre ohne Urlaub neigen sich dem Ende entgegen. Das Fahrrad ist vorbereitet und erstmals starte ich direkt vor der Haustür, um nach drei Kilometern die Schlei, einen Arm der Ostsee, zu erreichen. Die Ostsee immer zur Linken ist der grobe Orientierungsrahmen für die kommende Tour, auf der ich in zehn Wochen die neun Länder rund um das Baltische Meer erkunden möchte. Wie immer seid ihr herzlich eingeladen, mich hier zu begleiten.
Details:
Aufbruch: 26.05.2018
Dauer: 10 Wochen
Heimkehr: 05.08.2018
Reiseziele: Deutschland
Polen
Estland
Lettland
Russland / Russische Föderation
Finnland
Schweden
Dänemark
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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