Heißer Sand...

Reisezeit: Juli 2003  |  von Laila Vanwinkle

Horch was kommt von draußen rein

If Jacb hangs for witch he forfeits up his property - that's law! And there is none but Putnam with the coin to buy so great a pie. This man is killing his neighbors for their land.
Wenn Jacob als Hexer hängt, verwirkt er seinen Besitz - das ist das Gesetz! Und es gibt niemanden außer Putnam mit der Münze, die einen so großen Kuchen kaufen könnte. Der Mann tötet seine Nachbarn für ihr Land.

(Arthur Miller, Die Hexenjagd)

Sie kennen sicher den Spruch "Was werden die Leute denken?". Ich hatte mich an den Grenzen Jordaniens und des Iraks auch immer ein bisschen sadistisch über James, einen Amerikaner lustig gemacht, weil er ständig behauptete, man mache es ihm bestimmt absichtlich schwer und sei gegen ihn und ich solle mal eben kommen und mit den Leuten reden (da ich ja drei Worte Arabisch mehr sprach!) sonst, sonst... würde jemand seinen Pass klauen oder warum dauerte das jetzt so lange! So ähnlich wie er klingen viele Ausländer, die die Sprache, Prozeduren und sozialen Codes im Nahen Osten noch nicht kennen. Ich hatte allerdings gut reden - meine Mitbürger hatten ja auch keine Bomben über den Köpfen der Leute abgeworfen, die neben uns saßen und hinter der Theke unsere Pässe studierten. In der 5 meter langen iraksichen Schlange wurde ich als einzige Frau sofort nach vorne gerufen, auf der Rückfahrt wurde mir Tee von den obersten Grenzbeamten angeboten, den ich nur wegen des "schlimmsten Frauenklos der Welt" ablehnte. Das Klo in "Trainspotting" war NICHTS dagegen... Wahrscheinlich wegen der vielen irakischen Flüchtlinge in den Vormonaten, die diese Grenze passierten um dem schlimmste US-Bombardement und Straßenkämpfen zu entgehen.

Aber einmal fühlte ich mich tatsächlich etwas unsicher. An diesem Tag trottete ich neben ihm zum Fort-artigen Sheraton-Palestine Hotelkomplex. Die Gebäude an der breiten Straße vor dem Kreisel, an dem sich diese Festung befand, warfen schon Schatten, aber die Sonne hatte die Straßen aufgeheizt wie jeden Tag im Sommer, seit ich dort war. Ich sah nicht besonders europäisch aus - als Frau hat man ja den Vorteil, mit Kopftuch so gut wie unsichtbar zu sein, in der Masse unter zu gehen. Aber es gab hier keine Massen auf den Bürgersteigen. Es gab nur Autos, die an uns ab und zu vorüber fuhren und mich nicht fragen konnten, wer ich war, was ich dachte und warum ich hier neben James die Straße entlang gind. Ich sah nicht, wer drin saß - aber sie sahen mich--und James mit seinem 100% amerikanischem Gesicht.

Der arme Kerl hatte tatsächlich seine Nationalität wie unsichtbar in seinem Gesicht tätowiert stehen, und zu allem Überfluss hatte ich schon in einem anderen arabischen Land - wir liefen uns ständig wie in einer Sitcom über den Weg und waren nur zufällig zusammen angereist - die Bemerkung fallen gelassen, er sähe irgendwie aus wie ein Soldat und damit seine Unsicherheit verstärkt.
"Das sagen so viele" sagte er damals seufzend.
"Entweder ihr seid gegen und oder mit uns" sagte dereinst ein berüchtigter amerikanischer Politiker mit mindestens genausoviel dyslexischen Problemen in seiner Mutterprache wie ich. Ich fragte mich, ob der eine oder andere Iraker, der uns jetzt zusammen sah, jetzt vielleicht auch so engstirnig-einfältig denken würde: Dass ich, da ich ja neben ihm ging, eindeutig James' Regierung und ihren militärischen Entscheidungen zuzuordnen war, obwohl sie ihn auch nicht begeisterte. Ich merkte, wie ich mal wieder wütend auf ihn wurde. Weil ich nun selber Angst bekam und weil er keinen männlichen Schutz bot, sondern eher einer Art blinkendem Pfeil mit roten und weißen Streifen und Sternen auf blauem Grund glich. Es war also wieder an der Zeit, ihn damit aufzuziehen, dass alle hinter ihm her waren, um mich etwas abzulenken, und ich machte ihn während des Weges freundlich darauf aufmerksam, was die Autofahrer jetzt vielleicht von ihm dachten.

Die Hotelanlage war mit Stacheldraht dekoriert und als I-Tüpfelchen mit einem Panzer verziert, der auf den Kreisel davor zielte. Ich hatte das Gefühl, dass diese Militärpräsenz und das Prestige dieser Gebäude gerade provozieren würde. Um es genau zu sagen: Einmal dort angekommen war mir kein bisschen wohler zumute-ich rechnete jederzeit mit einem Angriff von Leuten, die die Besetzung erheblich persönlicher betroffen hatte, und die nachtragend, wütend, und bewaffnet waren. Die Ausländer, die es sich leisten konnte, dort zu wohnen, verdienten im Monat sicher ein Vielfaches des derzeitigen irakischen Jahresgehaltes, und viele von ihnen auch noch dadurch, dass es den Irakern schlecht ergangen war: Sie waren natürlich wegen des Krieges hier.

Dort befand sich auch das Palestine-Hotel, in dem die Reporter während des Krieges und auch in dem Sommer noch untergebracht waren. Im Sheraton gab es neben amerikanischen "Beratern" und Leuten, die ich für Medienvertreter hielt, nun auch noch Militärs. In den vollen Fahrstuhl nach oben, in dem James und ich zuerst allein standen, drängen noch mehr zivil aussehende westliche Passagiere dazu, dann trat aus einer Etage ein riesenhafter Soldat höheren Ranges herein, wie ein leibhaftiges Klischee aus einer amerikanischen Armeeparodie entstiegen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es solche Menschen in Wirklichkeit gab. Er sah aus, also ob er jeden Tag...nein, das schreib ich wohl lieber doch nicht, was ich dachte, was er so isst und mit den Händen erwürgt. Jedenfalls sah er nicht unbedingt aus wie jemand, der deswegen im Irak war, weil er wegen seiner sensiblen Art zwischen verfeindeten Kulturen zu vermitteln verstehen würde. Wahrscheinlich ware er zu seinen Kindern richtig goldig, wenn er nicht gerade ...aber das wollte ich ja nicht schreiben.

"Wir wissen wirklich zu schätzen, was Sie für uns tun" quietschte eine Amerikanerin im Revival-Meeting-Tonfall ("Ja, lobet den Herrn, Halleluja!") ohne offensichtlichen Anlass in die Stille der gedrängt stehenden Leute hinein. Mir fiel ihr einzig durch Klimanalagenkühle erhaltenes Makeup, die perfekt sitzende eingedrehte Frisur (Wer nimmt schon sonst einen Lockenstab in ein Wüstenland?) und Kostüm auf. So etwas hatte ich lange nicht mehr gesehen. Vielleicht war es mein Kopftuch, dass sie dazu verleitete, ihre Solidarität mit "ihrer Seite" bekannt zu geben, quasi als Warnung, falls mir selbst ein spontanes anarchischeres Statement dazu einfallen sollte. Vielleicht hielt sie mich und James für Miglieder von einer dieser "Iraqi Peace-Team" Gruppen, und sah uns als stillen Vorwurf. Vielleicht fuhren sonst derartige Gestalten wie der Soldat auch selten in dem Fahrstuhl dieses Hotels auf und ab und dies war eine seltene Gelegenheit für sie, sich als Kriegs-Fan zu outen, wenn sie schon nicht selber mitschwitzen und schießen musste. Oder durfte.

Tatsächlich waren alle in der Kabine Westler, wie aus dem Ei gepellt in Kleidern, die den Temparaturen auf der Straße kaum lange standhalten würden, aber diese Leute machten nicht den Eindruck, als würden sie viel draußen herumlaufen müssen. Alle sahen so perfekt aus, alle - außer dem stiernackigen Soldaten und uns zweien, die wir von direkt aus der Hitze, Mittags ca.-50 Grad, kamen. Aber selbst wenn ich nicht im Hochsommer herumrenne, kann ich sicher sein, es kleben mir doch immer Fussel irgendwo am Revers und selbst das durch Gepäckverlust bei Airlines erschnorrte Marken-Makeup rinnt mir umgehend in Bächen unter die Augenfalte. Dies hier war amerikanisches Business-Geld. Die transpirierten oder staubten nicht.

Ich habe aber einmal vor Jahren einer ebensolchen Person gleicher Herkunft gegenüber gestanden, und die furzte laut und deutlich, also weiß ich, dass sie es doch auch tun. Diese spezielle Art hat , stellte ich fest, noch eine andere Fähigkeit: Völlig unberührt - ich lachte damals lauthals raus und zeigte dadurch meine gesellschaftliche oder kulturelle Unreife (oder mein gutes Gehör) redete diese Person distinguiert weiter mit mir über intellektuelle Diskurse der Veranstaltung, auf der wir mingelten. Diese Art von Leuten ist sehr gut darin, unangenehme Dinge eigener Machart einfach zu ignorieren.

Ich konnte aber kaum ignorieren, dass ich immer noch an meiner Hose und meiner Bluse festklebte, das Tuch rutschte mir mal wieder fühlbar den halben Hinterkopf hinunter und jedesmal, wenn ich es wieder nach vorne zog, glitt damit eine Ladung Haare mit nach vorne, so dass am Ende immer mehr Haare vorne am Haaransatz büschelartig hochstanden als hinten waren, wo sie eigentlich hingehörten. Der Kontrast konnte nicht größer sein.

Abgesehen davon hatte ich diesen Leuten nichts zu sagen. Noch dazu wohnten weder James noch ich in diesem Hotel und wir waren dementsprechend kleinlaut, aber zum Glück war niemand auf die Idee gekommen, uns den Einlass zu verwehren, am allerwenigsten die gutmütig wirkenden irakischen Sicherheitskräfte am Eingang.

Als ich an jenem Tag in dieser seltsamen Menschenansammlung hinauffuhr, dachte ich auch an eine befreundete irakische Familie, und ihre kranke Tochter, die wir gerade besucht hatten. Die alle jetzt immer noch gleichzeitig in ihrer Wohnung schwitzten und den Rest warmer Cola, den wir übriggelassen hatten oder fragwürdiges Leitungswasser tranken. Obwohl ich Klimaanlagen nicht ausstehen kann und es mir deswegen eigentlich egal sein kann, ob andere Leute welche haben oder nicht, machte es mich wütend, wenn ich an diese Famile in ihrer stickigen Wohnung dachte, denn es war ihr Land, ihre Stadt, und doch waren die Bedingungen dieser Familie ungleich schlechter, zum großen Teil verursacht durch Eindringlinge, die so dachten wie diese Leute, die mir jetzt, so schien es mir, großkotzig und selbstverständlich gegenüberstanden. Was ich am meisten überraschte, war, dass bis jetzt alles in Baghdad meinen Vorstellungen entsprochen hatte: Iraker = gute sympathische Opfer - Amerikaner = arrogante Täter, mit wenigen Ausnahmen bei letzteren. Aber vielleicht sind es ja gerade die herausragenden Ausnahmen, die man betonen und schätzen muss, damit man sich nicht im gleichen Klischeetopf einölt wie die, die solche Ausnahmen einfach ignorieren, um alle zusammen eingennützig in die hauseigene Pfanne zu hauen.

"Es ist behandelt" hatte mir Zuheila, die jüngste Tochter der Famile gesagt, als ich ihr Wasser zum ersten Mal ablehnte. Ich tranke es nachher doch, denn ich mochte nicht wiederholt sagen, dass nach meinen Informationen und hygienischen Ansprüchen das "Behandeln" nicht ausreichte, wenn sie für sich selbst auch nichts anderes hatten. Sie konnten nicht mal eben "zum Laden gehen" ohne wieder mit dem Auto loszufahren und vorher eine peinliche Diskussion mit mir darüber zu haben, dass ich es ja bezahlen würde - Die Preie waren nicht mehr als 50 cent pro Liter - eine Menge Geld bei einem Monatsverdienst von 50 - 100 $, und erheblich weniger bis Null während des vorangegangnden Bombardements. Sie konnten es auch wohl kaum in den nötigen Mengen abkochen oder mit UV bestrahlen, um Parasiten abzutöten, die unter anderem durch die vom Krieg beschädigten Leitungen in das Trinkwasser gelangen konnten. Die durch den Krieg geschädigte Stromvsorgung wäre bei ihnen auch eher einem Leuchtturm dienlich gewesen: An-Aus, An-aus. Ebensowenig ließe sich der möglichen Verseuchung des Trinkwassers mit abgreichertem Uran aus Munition und Kriegsgerät, auch aus dem 1. Golfkrieg, beikommen. Ich war mir sicher, bei diesen Leuten hier im Fahrstuhl war Evian Standart, und solche Effekte wie Amöbenruhr mussten sie wohl gar nicht erst ignorieren oder überspielen, weil sie sie nicht bekamen. (Aus Erfahrung weiß ich, dass es schon einen Unterschied macht, in was für einer Kategorie Hotel man absteigt, und wo man isst und sich die Zähne putzt, da in bestimmten Vierteln die Leitungen eher auf dem neuesten Stand sind als in anderen. Ich rede also hier von dem Vermischen dessen, was aus dem Körper unten austrittmit dem was man ihm oben zuführt durch defekte Rohre. Hmmmm, da schmeckt der Salat!)

Der Riese nickte nur stumm als Antwort auf den pathetischen Auftritt der Amerikanerin und verzog keine Miene: Ich hatte das Gefühl, es war auch ihm zu dämlich - wenn auch der Tonfall in den USA nicht ungewöhnlich war, so konnte der krasse Unterschied zwischen ihm selbst zu den aufgedonnerten Leuten, die sicher auch mehr verdienten, ihm auch nicht entgangen sein - vor allem der finanzielle, denn ich glaube, die, die die blutige Arbeit ferledigten, verdienten um einiges weniger daran als Leute ihres Gewerbes, Berater, Investoren, Pressesprecher oder was sie gewesen sein mag. Sie erinnerte mich an Nicole Kidman in "Zum Sterben schön" - in dem ihre Figur Teenager dazu anstiftet, ihren Mann umzubringen, damit ihre Karriere keinen Schaden nimmt und weiterhin zuckersüß hochmoralisch korrekte Interviews gibt und leugnet, was das Zeug hält.
Ich hätte gerne gewusst, was er dachte.

"Musste sie so schleimen" murmelte sogar James, als wir endlich aus dem Fahrstuhl ausstiegen, um vom letzten erreichbaren Stockwerk auf das Dach zu gelangen, von dem aus man den besten Blick über Baghdad haben sollte. Bei mir hatte er sich allerdings zu dem Zeitpunkt bereits alle Sympathien verscherzt, weil er sich bei der irakischen Famile einige Stunden zuvor daneben benommen hatte.

"Hat er es nicht verstanden?" fragte mich Zuheila, Mariams Schwester, als wir bei ihr am Nachmittag zu Wassermelone und Cola im Wohnzimmer saßen. Die Wohnung hatte 3 Zimmer, Küche und wenn es ein Bad gab, dann weiß ich nicht mehr, ob ich mich mal wieder in die Nesseln setzte, weil ich darauf bestand, meine Tasche ( mit dem Klopapier) mit zunehmen oder dannach zu fragen, ob welches da wäre. Sie hätten es wie viele Moslems sicher ekelhaft gefunden, ich dagegen weiß gut über Hefepilzinfektionen von Reisenden bescheid, die diese schauch und Kännchen methode übernahmen, aber sich dabei nicht noch abtrockneten. In der Küche, wo ich mir einmal die Hände wusch, tropfte ein Wasserhahn in einen Kanister - Wasser bunkern, falls wieder keines aus der Leitung fließt.

Zuheila wohnte dort mit ihrer Mutter, 2 Schwestern, dem Schwager und ihrem Vater. Ihr Englisch war recht gut, sie studierte an der Baghdader Universität. Ich hatte sie kennengelernt, nachdem ihr Vater sie dort abgeholt hatte. Sonst ging sie nicht aus dem Haus--es was zu riskant. Sogar die Studenten aus dem Ausland, wie der afrikanische Student, der in meinem Bus nach Baghdad hinter mir saß, waren schon wieder nach Baghdad an die Uni zurückgekehrt, doch Leute, die auf der Straße zu ihrem Vergnügen herumliefen, sah man selten: Die Gefahr eines bewaffneten Angriffs oder Schlagabtausches mit den Amerikanern auf dem Weg war zu unvorhersehbar.

Ich hatte den Amerikaner aus "pädagogischen Gründen" mitgeschleppt zu dieser Familie. Er hatte bis jetzt nur Taxifahrer und Hotelangestellte getroffen, und obwohl er ein offener, humorvoller und unarroganter Mensch war, wie die meisten Amerikaner, die ich kenne, stießen mir einige seiner Bemerkungen sauer auf.
"Klasse, so viele Geldscheine mit Saddam Hussein drauf, die kann ich bei E-Bay für 40 Dollar das Stück versteigern" freute er sich zum Beispiel. Aber jetzt habe ich selber so viele dieser Geldscheine herumliegen, dass ich eine Wohnung damit tapezieren könnte: Wahrscheinlich wären sie bei E-Bay wirklich besser aufgehoben. Abgesehen davon fand er, der Krieg und seine Folgen für die Menschen im Irak gingen ihn im Grund gar nichts an und ziemlich am A... vorbei.

Wegen des männlichen Besuchs war Zuheila an jenem Nachmittag verschleiert. Sie erzählte James bereits zum zweiten Mal, was mit ihrer Schwester geschehen war. James guckte trotzig in die Luft und schwieg dazu, als habe sie so etwas Profanes wie "Das Sofa haben wir auch neu beziehen lassen" gesagt.

"Soll ich jetzt etwa sagen, mir tut es leid, oder was" zischte er mir übellaunig zu, als sie ihm zum zweiten Mal erklärte, welche Verletzungen ihre Schwester davon getragen hatte, und ich ihn gereizt angestarrt hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich sogar hier so benehmen würde.
Es stellte sich nachher heraus, dass er viel zu beschäftigt damit war, sich selber leid zu tun. Seine ganzen "Die sind alle gegen mich, hilf mir gefälligst, wo du bleibst, interessiert mich nicht" Aktionen an der Grenze waren nur ein Zug eines Charakterzuges, den ich gar nicht ausstehen kann. Er dagegen war der Meinung, Selbstsucht in allen Lebenslagen sei das einzig Richtige - für ihn. Ich würde kurz darauf noch einmal eine Dosis davon bei einer Schießerei abbekommen - denn dieses Verhalten, so James, hatte ihm einmal das Leben gerettet. An dem Abend erzählte er mir eine Geschichte, nach der ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte, obohl mein Repertoire an Scheußlichkeiten ziemlich groß ist. Diese Geschichte ist aus James Leben, also gehört sie ihm und ich werde sie hier nicht wiedergeben. Nur dies: Manchmal gibt es eben keine noble Lösung für eine gefährliche Situation, wenn man das eigene Überleben als Priorität sieht. Das war eine Erklärung für seinen Spleen.
Aber keine Rechtfertigung, fand ich, wenn es um so harmlose und einfache aber nachhaltige Dinge wie das Empfinden und Bekunden von Mitgefühl ging - schließlich hatte hier im Gegensatz zu ihm jemand wirklich etwas abbekommen, egal, ob es jetzt seine Sippe war oder nicht. Ich glaube, wenn ich angeschossen worden wäre, und jemand würde mir mit dieser gleichgültigen Art kommen, bei all den Schmerzen, die ich dabei hatte, als wäre es gar nichts, würde ich ziemlich wütend werden.Völlig daneben. Ich wurde auch so wütend, aber überspielte seine Trotzphase bei der Familie, die Verletzte war zum Glück nicht dabei.

Im Gegensatz dazu reagierten die Iraker, mit denen ich sprach, zum Beispiel auf die 11. September-Morde erstaunlich sensibel und sehr emotional - echt, nicht aufgesetzt, soweit ich das beurteilen kann, sie fanden sie auch fürchterlich, waren allerdings, wen überrascht es hierzulande, erstaunt über die Verbindung mit dem Krieg. Die meisten Leute, mit denen ich sprach, waren überhaupt in der gesamten Region erstaunlich gut informiert und wohlwollend dem westlichen Ausland gegenüber - außer dem roten Tuch Israel - und neigten nicht zum aggressiven Verallgemeinern von Menschen für die Entscheidungen ihrer Regierungen. Ich hätte gedacht, dass es ihnen durch ihr eigenes Unglück egal wäre, was anderen Schreckliches geschehe, aber im Gegensatz zu James waren diese Leute, denen ich im Nahen Osten begegnete, gerade dann besonders mitfühlend. Und das, obwohl sie ja unter den Folgen litten und selbst bestimmt keine Genanalyse bekamen um bei Bedarf die Leichenteile ihrer Angehörigen identifizieren zu können. Es fehlte sozusagen die Opfer-Neid-Hierarchie.

Ich musste später auch daran denken, als bei einer Friedensgruppe in Deutschland spöttisch über eine Gedenkminute im Bundestag für die Tsunamiopfer gelacht wurde - ich glaube zumindest nicht, dass im Irak jemand über so einen Zusammenhang gelacht hätte, dass andere Menschen so jemanden verloren, und stellte fest, dass Zynismus, eine der unsympathischsten Eigenschaften, die ich kenne, nicht nur arrogante, sondern auch noch unreife und kindische Wesenszüge in sich vereint. Die Leute, denen ich im Irak begegnete waren ungewohnt sensibel und warmherzig insbesondere dem Leid anderer Menschen gegenüber - wohl, weil sie durch Lebenserfahrung wussten, wie schlimm es wirklich war, jemanden durch Gewalt zu verlieren oder selber so etwas zu erleben, oder andere Auffassungen von der Intensität menschlicher Beziehungen hatten. Oder was waren sonst die Gründe? Zumal es für Moslems auch sehr wichtig ist, eine vollständige Leiche zu haben-die Seele hält sich nach ihren Vorstellungen dort auf, wo der Körper ruht und wird vor der Bestattung rituell gewaschen.

Einige sagten mir , wie viele auch im restlichen Nahen Osten (und auch in den USA) : "Das waren die doch selbst." In einem Nachbarland hätten ihre Kollegen allerdings gejubelt, gestand mir eine Bekannte, eine andere erzählte dagegen, es habe in ihrer Wohngegend, wo Tag und Nacht die Türen offenstanden und das Leben sich auf der Straße abspielte, Entsetzen ausgelöst. Nur ein einziges Mal so etwas, in einem anderen Land der Region: "Du musst verstehen, sie sehen es auch als etwas Symbolhaftes" versuchte jemand meinen Wutanfall zu dämpfen, als ein Teenager Bin Laden lobte und ich ihm anbot, ihn mal eben "symbolhaft" von der Brüstung zu schmeißen, wenn er solch eine Todesart anderen gönnte. Wahrscheinlich ebenso symbolhaft wie die Videospiel-artigen Bombardementübertragungen auf CNN auf einige Amerikaner gewirkt haben mochten.

Aber nicht auf alle. In Jordanien, Syrien und Libanon traf ich einige wenige Amerikaner, vor denen ich nur den Hut ziehen kann: Ich glaube nicht, dass ich mich mit ihrer Nationalität und dem, was sie durch die Medien eingelöffelt bekommen in die Region getraut hätte, so wie auch vor James, bis meine gute Meinung etwas umkippte. Diese Sorte war weder Medien- noch Bushhörig, die meisten sprachen mindestens eine Fremdsprache und hatten also gelernt, wie es ist, selber der radebrechende hilflose Fremde zu sein und wollten sehen, wie die Menschen dort wirklich waren: Eine Amerikanerin, die ich traf, setzte auf eigene Kosten ihr Studium in Ägypten fort, nachdem ihr aus Sicherheitsgründen das Stipendium wieder abgesprochen wurde, ein andere Amerikaner erzähte mir, da er Arabisch gelernt habe und oft und gerne in die Region reise, sei ihm schon eine Geheindienststätigkeit (der ich ihn offen verdächtigte) nahegelegt worden, aber er habe kein Interesse daran.

Selbst zum Irakkrieg gab es im angrenzenden Ausland ja die verschiedensten Haltungen. Ein Freund aus Jordanien sagte mir im Vertrauen, obwohl viele Leute nach außen hin gegen die Invasion seien, freuten sich einige seiner Bekannten jetzt auf das viele Geld, das so in die Region fließen würde. Auch einige Iraker, die im Ausland auf eine mögliche Rückkehr in den Saddam- und Bomben-freien, Irak warteten, sagten mir etwas Ähnliches. (Aber nicht alle) Big Business für viele, wie immer im Krieg. Und dann gab es natürlich den zum Teil blutigen Kampf um die Vormachtstellung der verschiedenen Gruppierungen untereinander, da nun die Spitze nicht mehr da war, um alle an ihrem Platz zu halten, und da nun alte Rechnungen beglichen werden konnten.

Es gab in Baghdad damals noch keine Entführungen von Ausländern oder Autobombenanschläge auf Hotels, humanitäre Einrichtungen oder Moscheen, bei denen später vor allem irakische Zivilisten die Opfer waren - mal abgesehen von den Luftangriffen durch die Amerikaner ein paar Monate zuvor. Obwohl mir der Gedanke auch vor dem Aufenthalt kam und ich entsprechende Anweisungen zurückließ: Ich dachte, die Leute im Irak müssten alle ziemlich wütend sein, egal, wer man ist, einfach weil man es zur Zeit der Bombardements und Kampfhandlungen um einiges gemütlicher hatte als sie.

Ich war auch deswegen auf bittere Reaktionen der Einheimischen gefasst gewesen, weil verschiedene Leute, die im Irak gewesen waren, mir erzählt hatten, dass die Haltung von Frankreich zum Krieg von manchen so aufgefasst worden war, als seien sie für Saddam gewesen. Denn wie gewisse Dinge in den Medien im Irak verbraten worden waren, kann man sich vielleicht denken - nach Saddam Hussein's Belieben! Das einzige Beispiel dafür, das ich erlebte, aber war nur das der Kinder am Straßenrand, die mich und den Amerikaner im Taxi sahen, als wir in die Stadt hinein fuhren. Sie winkten allen vorbeifahrenden Autos zu, aber als sie James auf dem Vordersitz sahen, der ebenfalls winkte, hörten sie abrupt auf, und sahen uns böse an.

Als der Taxifahrer ihn auf dieser Fahrt in die Stadt hinein fragte, aus welchem Land er denn sei, entstand eine lange unangenehme Pause. James tat so, als habe er es nicht gehört und drehte sich zu mir um. Wir hatten darüber gesprochen, dass er ja niemand von der Armee war, und sich darum nicht zu verstellen brauchte. Die Menschen im Nahen Osten waren den Amerikanern, den ich kannte, immer offen und ohne Vorurteile begegnet - aber wer wusste schon, wer der Mann hier war, oder was er im Krieg erlebt hatte, was er spontan für Rachegelüste haben mochte?

Ich lüge nur sehr ungern. Ich war aber einmal vor Jahren bei einem netten jungen jüdischen Arzt im Ausland, der mir einen Splitter aus dem Auge holte, sich dabei mit mir unterhielt, anfing zu flirten und dann sein Erstaunen darüber äußerte, dass ich, wie ich ihm erzählte, mit einer bekannten Familie Weihnachten feiern wollte. Während er da an meinem Auge herumfummelte, dachte ich an jenem Abend, es sei besser, ihn zumindest in diesem Moment noch nicht damit zu überraschen, dass ich nicht jüdisch, wie er ohne Grund annahm, sondern Deutsche war...so ähnlich fühlte ich jetzt auch. Wer wusste denn, wen der Mann durch die Angriffe verloren hatte, und was für ein Waffenarsenal er aus dem Krieg vielleicht unter dem Sitz hatte und wie er auf James' Staatangehörigkeit reagieren mochte.
"äh, Du bist doch Kanadier, stimmt's?" sagte ich zu James, und fühlte mich in etwa so, als habe mir ein Lehrer eine Eins gegeben und ihm nur eine 4, obwohl wir den gleichen Spickzettel hatten.

Die Leute, die ich alleine traf, waren aber gar nicht aggressiv, sondern zum großen Teil einfach nur müde und kaputt, und sehr, sehr freundlich und hilfsbereit. Einer hatte ein Stück von seinem Bein verloren und wollte mich nicht erschießen, sondern Geld dafür, dass er in mein Photo latschte. Das Überleben stand zu diesem Zeitpunkt noch an erster Stelle der meisten Menschen. Denn nach wie vor brauchten die Iraker Geld, um sich Lebensmittel zu kaufen - das musste verdient werden - schwieriges Unterfangen im Krieg, wenn viele ihre Geschäfte verbarrikadieren und im nahen Ausland Zuflucht suchen, wenn niemand unnötiges Geld ausgibt in einer unsicheren Zeit und niemand weiß, ob Papa von der Arbeit lebendig nach Hause zurückkehren wird.

Wahrscheinlich weiß dieser Invalide jetzt nicht, dass ein amerikanischer Anwalt, Stanley Hilton, mittlerweile Klienten wie ihn sucht, um gegen die amerikanische Regierung zu klagen. Aber wenn die "Gegenpartei" noch bewaffnet durch die Straßen läuft, würde ich ihm auch nicht dazu raten, auffällig zu werden, ebensowenig wie der irakischen Familie, die ich dort kennenlernte. Ihre Tochter wurde "collateral" beschädigt, wie es so schön heißt, und ist damit Zeugin und Beweisstück in einem.

© Laila Vanwinkle, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Baghdad, Irak
Details:
Aufbruch: Juli 2003
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Juli 2003
Reiseziele: Irak
Der Autor
 
Laila Vanwinkle berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.