2005 - Türkische Riviera

Reisezeit: Februar 2005  |  von Peter S.

Perge: Atatürk - der Vater der Türken

Den nachfolgenden Text habe ich aus "Dumont, richtig reisen - Türkei; Westtürkei und Zentralanatolien" entommen.
Das Bild "unserer" Türkei ist sehr oft geprägt durch unsere Sicht aus Westeuropa!

Das Gesicht mit den stechenden Augen fällt schon am Flughafen auf, da hängt sein Bild nämlich über jedem Passbeamten, in jedem Bankbüro - und fortan wird man ihm überall begegnen. Wohl selten hat ein Politiker ein Land so sehr geprägt und so einen nachhaltigen Einfluss hinterlassen wie dieser Mustafa Kemal Atatürk - Gründungsvater und 1923 - 38 Präsident der Türkischen Republik.
Als er am 10. November 1938 an einer durch Alkohol und Kokain zerstörten Leber starb, hatte er mehr bewirkt, als jeder andere im 20.JH. (Lenin eingeschlossen); hatte einen verlorenen Weltkrieg doch noch gewonnen und aus dem Nichts einen Nationalstaat gegründet.
1881 in Saloniki (Thessaloniki) geboren, begann Mustafa Kemal seine Karriere beim Militär und schloss sich dort der modernistisch und zugleich pantürkisch orientierten "Jungtürkischen Bewegung" gegen Sultan Abdühlhamit II. an, deren Führer 1909 die Regierung übernahmen. Nach seiner ebenso glänzenden wie brutalen Verteidigung der Gallipoli-Höhlen wurde er General, seine grosse Stunde kam aber erst, als das Osmanische Reich nach Ende des Ersten Weltkriegs unter den Siegermächten und Griechenland aufgeteilt werden sollte. Die Jungtürken waren aufgrund der Niederlage politisch desavouiert, doch Kemal, der seinen Beinamen Atatürk erst 1934 erhielt, setzte nun auf den "kleintürkischen" Nationalismus.
1919 und 1920 bewahrte er die Armee in Ost- und Mittelanatolien vor der Entwaffnung und organiserte auf den Kongressen von Erzurum und Sivas sowie dann auf der ersten Nationalversammlung in Ankara ab dem 23. April 1920 die Verteidigung des Landes.

Betrachtet man nur die militärischen Erfolge (Sieg über die Armenier bis Ende 1919, über die Griechen bis 1922) verliert man leicht die tatsächliche Leistung aus den Augen: Ausgehend von den Organisatiotionsstrukturen des von Perspektivlosigkeit bedrohten Offizierskorps gelang es ihm zunächst, die türkischen Grossgrundbesitzer, die begehrlich auf die Ländereien der zu osmanischer Zeit besonders erfolgreichen Griechen und Armenier blickten, für seine Nationalbewegung zu gewinnen. Die türkischen Bauern hingegen waren kriegsmüde; sie konnten erst mobilisiert werden, als die griechische Okkupation Westkleinasiens begann.
Das, was der Republikgründung am 28. Oktorber 1923 folgte, war denn programmatisch durchaus vergleichbar mit der Umstrukturierung und Entfeudalisierung Russlands. Als tragende Kräfte agierten in der "neuen" Türkei jedoch das Grossbürgertum und die Armee, jene Kräfte also, die heute noch die politische Entwicklung fest im Griff halten. Vollzog sich die Umverteilung des Landbesitzes nahezu geräuschlos, so entfachte die anti-islamische Politik Kemals um so grösseren Widerstand. Die Abschaffung des Kalifats 1924, mit der die gesamte islamische Welt ihres geistigen Führers beraubt wurde (vergleichbar also mit der Abschaffung des Papsttums), war Auslöser zahlreicher Aufstände in Ostanatolien, die vor allem von Kurden getragen wurden.
Deren blutige Niederschlagung legte den Grundstein jenes Konflikts, der die Türkei bis heute nicht zur Ruhe kommen lässt.
Auch wenn die "sechs Prinzipien des Kemalismus" (*1) immer noch durch die Verfassung geschützt sind, wurde das idologische Konzept Atatürks doch inzwischen nahezu vollständig ausgehölt. Der Staat hat sich fast ganz aus der Wirtschaft zurückgezogen, die Kluft zwischen Volk und Regierenden wächst, der Islam erhält als "Rettungsbewegung" wachsenden Zulauf. Die Liberalisierung wird zunehmend verdächtig. Geblieben ist ein ausgeprägter Nationalismus, den man in der Türkei vor dem Dreisatz lernt: "Atatrüks Diktum: Ne mutlu Türküm diyene!" (Glücklich ist, wer sich Türke nennen darf) skandieren die Schulkinder vor jeder Unterrichtsstunde, und darin bleiben sich Rechte und Linke, Islamisten und Bürgerliche auch später einig - was auch der Grund ist, warum die in Deutschland aufgewachsenen Türken so enorme Anpassungsschwierigkeiten bei der Rückkehr haben. Atatürks Vermächtnis wiegt also schwer. Wer den Modernisierer der Türkei modernisieren kann, ist leider nicht erkennbar.

(*1) Die "sechs Prinzipien des Kemalismus"
Republikanismus - Nationalismus - Populismus (gemeint Volkstümlichkeit) - Etatismus (gemeint staatliche Wirtschaftslenkung) - Reformismus - Laizismus

*Ab 1924 setzte er die Abschaffung des Kalifats, der islamistischen Seriat-Gesetze und die Auflösung der Derwisch-Orden auch gegen den Widerstand vor allem kurdischer Stammesführer aus dem Osten durch. Verboten wurde auch der Fez (als Symbol des Osmanentums) und die Mehrehe, dazu kam die Einführung des Gregorianischen Kalenders und der lateinischen Schrift, 1934 erhielten die Frauen das Wahlrecht.

Aus "Dumont, richtig reisen"

Dieser Ausschnitt soll dazu beitragen, die Türkei, sowie die Türkinnen und Türken in ihrem Verhalten etwas besser kennnzulernen und zu verstehen.

© Peter S., 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Für einmal ohne Leomobil, einfach so, mal wieder an die warme Sonne, genug von Winter, Schnee und Kälte! Eine organisierte Rundfahrt - eigentlich nicht meinem *Reisegusto* entsprechend; aber man kann's ja wieder mal probieren!!
Details:
Aufbruch: 16.02.2005
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 23.02.2005
Reiseziele: Türkei
Hierapolis
Perge
Der Autor
 
Peter S. berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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