Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg

Reisezeit: Juni - August 2009  |  von Timo Eckhardt

Europeans only

"Democracy", "Equality", "Reconciliation", "Diversity", "Responsibility", "Respect" und "Freedom". Auf gewaltigen Betonpfeilern stehen die sieben Grundsätze der südafrikanischen Verfassung vor dem Apartheid-Museum geschrieben. Sie sehen dabei irgendwie stolz aus, wo sie doch eigentlich eher steril und roh gestaltet sind. Ob die Reihenfolge der Aufzählung bzw. Aufstellung irgendeine Rolle spielt, weiß ich nicht, bezweifele ich eigentlich. Ob die räumliche Positionierung der Türme von Bedeutung ist, sei dahin gestellt und kann beliebig gedeutet werden. Mir fällt lediglich auf, dass "Equality" im Hintergrund steht, "Respect" und "Freedom" etwas abseits von den anderen positioniert sind... Ob das auf die heutige südafrikanische Gesellschaft zutreffen mag?

Schon der Eingang des Museums macht die Idee und das Prinzip der Apartheid-Politik auf beklemmende Art ansatzweise fühlbar - es gibt einen Eingang für Schwarze, einen für Weiße. Innen geht es weiter, die Decke ist bestückt mit Hinweisschildern wie "Net blankes - Net nie blankes" ("Europeans only - Non-europeans only") und "Pretoria - Suburban station for non-whites". Der Gang ist eine Art Käfig, wo hinter Gittern Pässe von schwarzen und farbigen Südafrikanern vergrößert dargestellt sind. Die Installation spielt - zumindest nach meiner Interpretation - an auf die Passgesetze, die durch die weiße Minderheitsherrschaft 1919 eingeführt worden waren und eine Basis des Apartheidsystems darstellten. Die Gesetze, die unter der vom damaligen Präsidenten Hendrik Verwoerd angestoßenen "Grand Apartheid" in den 50er Jahren noch verschärft wurden, verpflichteten jeden schwarzen Südafrikaner, zu jeder Zeit an jedem Ort einen Pass bei sich zu führen. In dem war notiert, wo, wann und für wie lange eine Person bleiben konnte, beinhaltete Fingerabdrücke, ein Photo, wo und wie lange die Person bereits angestellt war, usw. Die Gesetze verbannten die schwarze Bevölkerung in die Townships am Rande der Großstädte. Wurde ein schwarzer Südafrikaner dabei erwischt, dass er/sie keinen Pass bei sich trug, wurde er/sie festgenommen und inhaftiert. Das passierte jedes Jahr rund 250.000 Mal. Die Pässe wurden so zu einem der meist verachteten Symbole der rassistischen Apartheidpolitik. Der ANC (Afrikanischer Nationalkongress), die Partei von Nelson Mandela, organisierte in den 50er Jahren eine Reihe von landesweiten Aktionen, bei denen mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen diese Gesetze protestiert wurde. Tausende schwarze Südafrikaner ließen sich gezielt ohne Pass kontrollieren und gingen freiwillig ins Gefängnis. Eine dieser Aktionen mündete in das Massaker von Sharpeville, bei dem die südafrikanische Polizei im März 1960 auf eine friedlich versammelte Menge schoss und sie wie wildes Vieh abschlachtete. 69 Menschen wurden getötet und 180 Weitere verletzt.

Die Apartheidpolitik und ihre strikte Rassentrennung basierten auf der Voraussetzung, dass jede Person einer bestimmten "Rasse" zugeordnet werden konnte. Wie eine Tafel im Museum zeigt, geschah diese behördliche "Kennzeichnung" oft völlig willkürlich, meist nur anhand äußerlicher Merkmale. In einer so multi-kulturellen Gesellschaft wie Südafrika führte das aber automatisch zu Fehlern. So wurden im Jahr 1962 etwa 250 Farbige zu Schwarzen und 56 Schwarze zu Farbigen. Andere Farbige wieder hatten die "Ehre", fortan als Weiße leben zu dürfen. Einige wenige Weiße traf ein besonders schweres Schicksal - sie wurden als Farbige "deklassiert" und folglich ihrer Privilegien beraubt. Dass ein Schwarzer den Quantensprung zum Weißen schaffte, ist offenbar nicht vorgekommen... Bei soviel Willkür und Absurdität kann ich mir, trotz der Ernsthaftigkeit, ja Grauenhaftigkeit des Themas, ein kopfschüttelndes Schmunzeln nicht verwehren. Das Ganze wirkt fast wie bitterböse Real-Satire.

Von dem eigentlichen Museum, in dem die Apartheid-Ära facettenreich und anschaulich dokumentiert wird, bekomme ich leider gar nicht viel mit. Ich verliere mich in der "Madiba"-Ausstellung. Madiba ist Nelson Mandela's Clan-Name, die Südafrikaner benutzen ihn als respektvollen Spitznamen für ihr großes Idol. Beim Lesen seiner Autobiographie frage ich mich oft, welche Art von Autorität Mandela eigentlich besitzt, und wo diese herkommt. Hat er sie sich "erarbeitet", oder wurde sie ihm in die Wiege gelegt? Wenn ersteres, wodurch bekommt ein solcher Mensch dann Autorität? Denn in seinen Memoiren gibt sich Mandela an vielen Stellen so bescheiden, so sensibel, so selbstkritisch, so demütig, dass man sich fast kaum vorstellen kann, dass ein solcher Mann so offensiv gegen ein faschistisches System aufbegehrt und Südafrika zur Freiheit geführt hat. Dass er also durchaus eine immense Autorität besitzen muss. In seinem Buch erwähnt er zwar immer wieder seine Kämpfernatur, aber das in mein Gedächtnis eingebrannte Bild von dem netten Opa, der immerzu freundlich lacht, passt nicht ganz dazu (trotz Gandhi...). Wie wirkt es, wenn Mandela spricht? In einer Videoaufzeichnung höre ich ihn dann zum ersten Mal reden, sie zeigt ihn zu jener Zeit, in der er als "schwarze Pimpernell" im Untergrund ist und von einem weißen Journalisten zu den geplanten Massenstreiks geheim interviewt wird. In der er sich also in einer Lebensphase befindet, wo er, seinem Alter und den äußerlichen Umständen entsprechend, am ehesten dem männlichen Archetyp "Krieger" zugeordnet werden kann. Und was ich da höre und sehe, strahlt tatsächlich die Aura eines Kämpfers, eines Kriegers aus. Eben den Eindruck hatte ich, nur seiner Autobiographie nach, so nicht. Während Mandela später, als er aus dem Gefängnis entlassen wird, als Mann in den 70ern, mit grauen Haaren und einem morschen Gang, irgendwo auf der Grenze zwischen den Archetypen König und weisem Magier wandert, ist er zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich Krieger, mit Hang zur königlichen Figur. Er strahlt Stärke, Entschlossenheit, Risikofreudigkeit aus, aber auch Würde und Lebenserfahrung. Und eben Autorität, die so verinnerlicht erscheint, als sei sie mit dieser Person untrennbar verbunden. Walter Sisulu, sein enger Weggefährte, der mehr als zwanzig Jahre mit ihm im Gefängnis saß, sagt in einer anderen Videoaufzeichnung der Ausstellung: "Nelson besaß eine natürliche Autorität, die es ihm leicht machte, eine Führungsrolle im Freiheitskampf zu übernehmen."

Während der Großteil der Ausstellung ein Loblied auf Mandela singt (zu Recht!), befasst sich der letzte Teil auch mit Kritik, die an ihm geübt wurde. So haben radikale Gruppen bemängelt, dass sich unter seiner Präsidentschaft in manchen Bereichen nur geringe Verbesserungen ergeben hätten. Seine Regierung habe zum Beispiel das Thema Aids unterschätzt und vernachlässigt. Als solle er durch eine höhere Kraft dafür bestraft werden, wird Mandela das Ausmaß des Aids-Problems auf zynische Weise deutlich gemacht: Sein zweiter Sohn stirbt 2005 mit 54 Jahren am Aids-Virus. Heute widmet sich die Nelson Mandela Foundation schwerpunktmäßig der Aids-Prävention.

© Timo Eckhardt, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eindrücke, Erzählungen, Stimmungen und Begegnungen aus Johannesburg, die etwas vom Alltag in Südafrika und seiner Kultur, Geschichte und Politik erzählen. Der Reisebericht basiert auf einem 11-wöchigen Forschungsaufenthalt in Gauteng, Südafrika und dokumentiert, was mir außerhalb der Recherche begegnet ist.
Details:
Aufbruch: 10.06.2009
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 29.08.2009
Reiseziele: Südafrika
Der Autor
 
Timo Eckhardt berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.