Bhutan - mit dem Fahrrad durch das Land des Donnerdrachens

Reisezeit: Oktober 2014  |  von Jörn Tietje

Vom Rad fahren und Nichtstun im Himalaya

Zum Nichtstun verdammt

Über Nacht, ohne sich zu verabschieden, ist mir Tenzin, mein bisheriger Begleiter in Paro abhanden gekommen. Am Morgen stehen als Fahrer sein Bruder Tshering und mein Fahrradbegleiter Nima mit dem Auto und zwei passablen Mountainbikes vor der Tür. An dem für mich vorgesehen Rad werden noch meine Pedalen und mein Sattel montiert, die ich mitgebracht habe und nach einem gemeinsamen Frühstück soll es dann in Richtung Thimphu losgehen. Leider passt meine Lenkertasche für die Kamera nicht an das Rad und ich muss mir eine andere Lösung überlegen. Eigentlich kein Problem, denn ab jetzt bin ich fast zur Tatenlosigkeit verdammt und ich könnte mir die Kamera auch für jedes Foto anreichen lassen. Alles was ich tun möchte, nehmen die beiden mir sofort aus der Hand. Keine Tasche darf ich tragen, bei einer Pause wird mir sofort eine geöffnete Wasserflasche gereicht und das Fahrrad abgenommen, bevor ich es irgendwo anlehnen kann. Und nicht nur Nima ist wie ein ständiger Schatten in meiner Nähe, auch Tshering bleibt mit dem Fahrzeug immer in Sichtweite. Was für ein Unterschied zu meinen bisherigen Reisen, wo ich von der Orientierung über Zeltauf- und -abbau bis hin zum Kochen alles selbst machen musste und auch wollte. An diese neue Situation muss ich mich erst gewöhnen. So müssen sich Promis mit Bodyguards vorkommen und zahlreichen dienstbeflissenen Menschen um sich herum. Ich vermute, als gute Buddhisten wollen Tshering und Nima mit allem was sie für mich tun, nur an ihrem Karma arbeiten, damit es ihnen in einem nächsten Leben vergolten wird. Und ich fürchte auch, dass ich für alles was ich mir hier jetzt von ihnen abnehmen lasse, in einem nächsten Leben teuer bezahlen muss...

Nima ist als ständiger Schatten ständig in meiner Nähe und bemüht, mir alles nur erdenkliche abzunehmen - nur treten muss ich noch allein

Nima ist als ständiger Schatten ständig in meiner Nähe und bemüht, mir alles nur erdenkliche abzunehmen - nur treten muss ich noch allein

Thimphu kündigt sich mit einem aufwändigen Tor an und vom Plakat lächelt einem das allgegenwärtige Königspaar entgegen

Thimphu kündigt sich mit einem aufwändigen Tor an und vom Plakat lächelt einem das allgegenwärtige Königspaar entgegen

Die ersten Tage auf dem Rad

In Paro starten wir nach dem Frühstück in Richtung Thimphu, der Hauptstadt von Bhutan. Erwartungsgemäß ist zwischen den beiden ¨Großstädten¨ reger Verkehr - es kommen schon einige Autos vorbei. Die Strecke ist sehr flach und so geht es sehr zügig voran und die 50km sind eigentlich nur ein kleines Aufwärmprogramm. Ist aber ganz gut, um mich an das Rad zu gewöhnen. In Thimphu wird der Verkehr dann doch deutlich dichter und vor ein paar Jahren ist tatsächlich eine vierspurige Straße in die Stadt gebaut worden. Ampeln gibt es aber in Bhutan als einzigem Land auf der Welt nicht. An der Hauptkreuzung in der Stadt regelt ein Verkehrspolizist den Verkehr. Ansonsten läuft sich der Verkehr irgendwie zurecht.
An der Hauptstraße liegt auch Karmas Geschäft, das wir anfahren. Danach bringt Tshering mich mit dem Auto ans andere Ende der Stadt in das sehr ruhig gelegene Peaceful Resort, wo ich die nächste Nacht verbringen werde. Am Nachmittag steht dann Sightseeing in Thimpu auf dem Programm. Zuerst in den ¨Zoo¨ - Eintritt frei und es gibt eigentlich nur eine Tierart zu sehen, das Takin, Bhutans Nationaltier, eine Mischung aus Ziege und Antilope, das in den Anden lebt.

Das Takin - ein ziemlich dickköpfiges Nationaltier

Das Takin - ein ziemlich dickköpfiges Nationaltier

Nächste Station ist die nationale Schule für Kunsthandwerk. Hier erlernen jungen Männer und Frauen die tradionellen Muster und Handwerkstechniken des Landes. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Geduld hier Kunstwerke entstehen - sie sind so überhaupt nicht mein Geschmack, aber die Fingerfertigkeit und die Ausdauer verdienen höchsten Respekt! Sechs Jahre dauert die Ausbildung, bevor die Absolventen sich selbständig machen dürfen, ein langer mühsamer Weg, auf dem geschnitzt, gemalt, modelliert, gestickt, gewebt, genäht... wird.

Zwei Monate Arbeit stecken in dieser Figur, die dann für kleines Geld im Schulladen an die Besucher verkauft wird.

Zwei Monate Arbeit stecken in dieser Figur, die dann für kleines Geld im Schulladen an die Besucher verkauft wird.

Dazu gehört eine unglaubliche Fingerfertigkeit und noch mehr Geduld

Dazu gehört eine unglaubliche Fingerfertigkeit und noch mehr Geduld

Alle malen dasselbe Motiv - nur die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich

Alle malen dasselbe Motiv - nur die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich

Ist doch alles ganz einfach und auch schnell erklärt...

Ist doch alles ganz einfach und auch schnell erklärt...

Genug mit Kunsthandwerk. Auf dem Programm stand noch ein Besuch bei dem größten sitzenden Buddha der Welt, der auf einem Berg oberhalb der Stadt entsteht, danach treibt mich der Regen zurück ins Hotel. Thimphu hat viele sehenswerte Gebäude, Paläste und Tempel. Und auch die Profanbauten sind mit ihren reichen Verziehrungen etwas für das Auge. Aber auch diese Stadt verändert sich, denn im glücklichsten Land der Welt gibt es eine Landflucht und die Stadt dehnt sich in die Seitentäler ringsum mit vier- bis fünfstöckigen Wohnhäusern aus, wo die Menschen vom Land ihr ganz irdisches Glück versuchen.

Der Buddhismus bestimmt das Leben der Bhutaner durch und durch. Und so passt es denn, das über Thimphu gerade der größte sitzende Bhudda der Welt errichtet wird

Der Buddhismus bestimmt das Leben der Bhutaner durch und durch. Und so passt es denn, das über Thimphu gerade der größte sitzende Bhudda der Welt errichtet wird

Der Plan ist das eine und Zeit ist relativ

Am folgenden Tag ist geplant, mit dem Fahrrad nach Punakha, der Winterhauptstadt von Bhutan zu fahren. Die Strecke führt über einen 3050m hohen Pass und dann 1800m abwärts ins deutlich tiefer gelegene Nachbartal, das damit auch wesentliche höhere Temperaturen als Thimphu aufweist.
Soweit der Plan. Aber an der Strecke wird auf der gesamten Länge gebaut und sie ist tagsüber voll gesperrt und wird erst am Nachmittag um 16.30 Uhr für den Verkehr wieder frei gegeben. Zu spät, um mit dem Rad noch aufzubrechen, denn um 18.00 Uhr ist es schon dunkel.
Also Planänderung, noch ein bisschen in der Umgebung von Thimphu radeln und ein Kloster besichtigen, danach noch einmal Sightseeing in Thimphu, weil es ja so schade wäre, wenn mir die vielen Sehenswürdigkeiten entgingen.
Soweit der Plan. Doch dann dauert er mit dem Abholen im Hotel etwas länger, dann verzögert sich der Start, dann ist die Strecke doch länger als erwartet und schon wird es Zeit, die Fahrt mit dem Auto nach Thimphu anzutreten. Was bedeutet Zeit in einem Land, in dem man auch noch nicht unpünktlich oder unhöflich ist, wenn man eine Stunde später als verabredet erscheint.

Das Ziel unserer Tour ist nicht mit dem Rad zu erreichen. Ca. eine halbe Stunde Fußmarsch schließen sich an, um das hoch über Thimphu gelegene Cheri-Kloster zu erreichen

Das Ziel unserer Tour ist nicht mit dem Rad zu erreichen. Ca. eine halbe Stunde Fußmarsch schließen sich an, um das hoch über Thimphu gelegene Cheri-Kloster zu erreichen

Nur keinen Stress. Beten und Meditieren führen zur höheren Einsicht und zur vollkommenen Reinheit

Nur keinen Stress. Beten und Meditieren führen zur höheren Einsicht und zur vollkommenen Reinheit

Bei allem Streben nach innerer Reinheit. Auch im Kloster hilft gegen den alltäglich weltlichen Schmutz nur die gewöhnliche Wäsche

Bei allem Streben nach innerer Reinheit. Auch im Kloster hilft gegen den alltäglich weltlichen Schmutz nur die gewöhnliche Wäsche

Autofahren für Fortgeschrittene

Karma erklärte mir, die größten Probleme nach seinem 16jährigen Aufenthalt in Deutschland hatte er in Bhutan mit der Unpünktlichkeit bei Verabredungen und die Disziplinlosigkeit seiner Landsleute, z. B. wenn man irgendwo ansteht. Letzteres konnte ich dann am eigenen Leib auf dem Weg nach Punakha erleben. Etwa um 16.15 h erreichten wir die Straßensperre. Es hatte sich eine Fahrzeugschlange gebildet und alle warteten geduldig. Dann kam Bewegung in die Kolonne. Wer glaubt, dass sich so ein Konvoi geordnet in der Reihenfolge, in der man gekommen ist, wieder in Bewegung setzt, wird hier eines Besseren belehrt. Le mans-Start nennt man so etwas im Sport. Alle springen so schnell es geht in ihr Auto und fahren schnell los, um noch möglichst viele Fahrzeuge beim Start hinter sich zu lassen. Auch danach gleicht die Fahrt auf der engen, kurvigen und unübersichtlichen Straße - wohlgemerkt: Baustelle - einem einzigen Rennen. Keine Sicht reicht, um zum Überholen anzusetzen, man kann ja mal hupen. Auf halbem Weg dann eine Kontrollstelle, wo sich Ausländer ausweisen müssen - und alle Überholten ziehen wieder vorbei. Aber wir kriegen sie doch wieder...
Auf der Passhöhe dann - wie könnte es anders sein, ein Tempel und mitten auf der Straße eine Anlage aus 108 Chorten, die von der Mutter des vorherigen Königs erreichtet wurde als dieser vor einigen Jahren mit der Armee wohlbehalten aus einem Zweitagekrieg gegen indische Seperatisten im Süden des Landes zurückkehrte. Leider setzte die Dämmerung schon ein und der Himmel war bewölkt. So konnte man in der Ferne die schneebedeckten Gipfel des Himalaya nur vereinzelt erkennen. Bei guten Wetter muss die Aussicht hier oben grandios sein.

Ein Hügel mit 108 Chorten teilt die Straße auf der Passhöhe - und immer schön im Uhrzeigersinn drum herum

Ein Hügel mit 108 Chorten teilt die Straße auf der Passhöhe - und immer schön im Uhrzeigersinn drum herum

Im Hintergrund lässt sich das Bergpanorama nur erahnen

Im Hintergrund lässt sich das Bergpanorama nur erahnen

Wenn Dauergebete und Meditieren nicht weiterhelfen, greift man eben zum Smartphone

Wenn Dauergebete und Meditieren nicht weiterhelfen, greift man eben zum Smartphone

Schnell wird es dunkel und die nun folgende Abfahrt war wirklich kein Spaß. Dass die Fahrer hier alle irgendwie suizidale Neigungen haben zeigte sich ja schon auf der Fahrt hinauf. Die Fahrt ins Tal stellte aber alles Bisherige in den Schatten. Ich bin in Bolivien die berüchtigte ¨Death Road¨ gefahren, über die ich an anderer Stelle hier auf umdiewelt.de berichtet habe. Das war hiergegen Kindergarten. Dort fand die Fahrt am Tag, mit dem Fahrrad, fast unter Ausschluss von Fahrzeugverkehr auf einer ordentlichen Schotterpiste statt. Hier: Gegenverkehr, Überholen, Dunkelheit und eine Straße, die diesen Namen nur in wenigen Abschnitten verdient. Noch nie habe ich eine Strecke gesehen, die von so vielen Erdrutschen teilweise verschüttet war. Und links immer der Abgrund - den ich wegen der Dunkelheit gnädigerweise nur erahnen, nicht aber sehen konnte.
Die schweißtreibende Afbahrt dauerte ca. 1,5 Stunden, in denen ich auf einer kulinarischen Spezialität des Landes herumkaute: Getrockneter Käse, so hart, dass das Stück in meinem Mund am Ziel angekommen scheinbar noch kein bisschen kleiner geworden war.
An dieser Stelle noch ein Wort zur Mentalität der Bhutaner. Ein Nein gilt als unhöflich und wird deswegen möglichst vermieden. Das macht die Kommunikation für einen Ungeübten nicht gerade leichter und verschiedene Tests mit geschlossenen Fragen haben mir gezeigt, dass lieber ein falsches Ja als Antwort gegeben wird als ein Nein. Alles nur eine Frage der Fragetechnik. Und es ist dem Bhutaner offenbar auch sehr unangenehm seinem Gegenüber einzugestehen, etwas nicht zu wissen. Test: Wieviele Meter sind es von der Passhöhe bis nach Punakha? 400! Kann nicht sein - müssen viel mehr sein! Vielleicht 700 Meter?!
Naja, tatsächlich sind es 1800m - man muss es nur wissen und darf nicht jede Antwort für bare Münze nehmen.

© Jörn Tietje, 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Bhutan? Wo ist das denn? Das ist die häufigste Reaktion auf die Frage nach meinem nächsten Reiseziel. Zugegeben: Ein bisschen abseits der Haupttouritenströme liegt das kleine Königreich zwischen Indien und China im Himlaya schon und auch die Bedingungen, in dieses Land zu kommen sind nicht so ganz ohne. Allerdings hoffe ich auf weitgehend unverfälsche Eindrücke aus dem wohl letzten ursprünglichen buddhistischen Land der Erde.
Details:
Aufbruch: 06.10.2014
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 26.10.2014
Reiseziele: Bhutan
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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