Kailash - Eine Reise zum Mittelpunkt der Welt

Reisezeit: Mai / Juni 1996  |  von Udo Pagga

Reise nach Westtibet mit Umrundung des Kailash. Ich bin erst jetzt dazu gekommen, den Bericht zu schreiben.

Im Zelt

Das Zelt ist klein und eng. Die dünne Isomatte und der Schlafsack verhindern nicht, dass ich alle Unebenheiten des Untergrundes spüre und das weiche Bett zu Hause schmerzhaft vermisse. Ich liege mal auf der linken, mal auf der rechten Seite und zur Abwechslung auch auf dem Rücken, ziehe die Beine an oder strecke sie aus und habe damit meinen Bewegungsspielraum voll ausgeschöpft. Es ist bitterkalt, die gefühlten Temperaturen sind in dieser Höhe von 4000 Metern deutlich niedriger als die real gemessenen. Aber weder das ungewohnte Lager noch die Kälte sind das Problem. An das eine gewöhnt man sich, die andere lässt sich mit Hilfe der anbehaltenen Kleider, der mitgebrachten Thermounterwäsche und der auf einem Markt gekauften Zusatzdecke ganz gut überstehen. Viel ärgerlicher ist die permanente Schlaflosigkeit. Der geringe Sauerstoffgehalt der Luft führt dazu, dass ich einmal mehr als sonst bewusst Atem holen muss und das hält mich wach. Wenn ich zur Abwechslung oder wegen eines natürlichen Bedürfnisses hinaus in die Kälte krieche, fesselt mich zwar der phantastische Sternenhimmel, den man nirgends intensiver erleben kann als in dieser Höhe und bei dieser klaren, eisigen Luft, aber dann zieht es mich doch schnell wieder zurück in die Wärme des Zeltes. Und da dehnt und dehnt sich die Zeit aufs Neue. Diese Nächte sind ungewohnt lang, bis der heiß ersehnte Ruf "Good morning - tea time" kommt. Ich, dessen Tage früher in aufgedrückter, inzwischen in selbstgewählter Hektik nur so dahinfliegen, mache die erstaunliche und ungewohnte Erfahrung, dass Zeit einfach nicht vergehen will. Was tun? Radio hören mit dem kleinen Sony Weltempfänger. Radio India auf Englisch kann man verstehen, aber alle anderen Sprachen sind unverständlich. Was bleibt ist grübeln, nachdenken. Ich habe Zeit, viel Zeit.

Die Gedanken kreisen, wandern hin und her, wie die weißen Wolken am tiefblauen, wei-ten Himmel und kehren immer wieder zu einem fixen Punkt zurück - zu Tibet, dem Land meiner Träume. Nun bin ich also hier. Schon als Kind galt mein Interesse diesem mystischen, geheimnisvollen Land am Rande der Welt, wie sie uns vertraut ist, wie wir sie kennen. Die Randlage ist keine geographische. Zentraler kann ein Land gar nicht liegen, mitten in Asien, auf dem höchsten Plateau dieser Erde, dem Dach der Welt. Aber für uns im Westen ist es so weit weg, so unendlich fern und immer noch schwer zu erreichen, selbst heute, im Zeitalter der unbegrenzten Reiselust und Reisemöglichkeiten. Es war für Ausländer, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, über Jahrhunderte nicht möglich nach Tibet einzureisen und die verfügbaren Informationen waren spärlich und kryptisch. So entstand der Mythos des Geheimnisvollen, des Unerreichbaren. Bedeutende Forscher, wie der Schwede Sven Hedin, sind bei ihrem Versuch Lhasa zu erreichen gescheitert. Was für ein Triumph musste es für die französische Schriftstellerin und buddhistische Gelehrte Alexandra David-Neel gewesen sein, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts nach unendlichen Mühen als Pilgerin verkleidet Lhasa zu betreten. Selbst noch in den 40er Jahren war es eine große Ausnahme, dass Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter 7 Jahre in Tibet bleiben durften. Die Zeit der selbst gewählten Isolation ging fast nahtlos über in die der fremdbestimmten. Die chinesischen Kommunisten besetzten 1950 das Land und unterdrücken seitdem gnadenlos die einheimi-sche Bevölkerung. Erst zu Beginn der 80er ließen die ungeliebten Machthaber eine vorsichtige Öffnung zu und die ersten Normalsterblichen konnten daran denken, eine Reise nach Tibet zu unternehmen. Und so ging auch für mich ein Lebenstraum in Erfüllung.

Kailash am frühen Morgen

Kailash am frühen Morgen

Kailash am frühen Morgen

Kailash am frühen Morgen

Westtibet

Westtibet

Manasarovar See

Manasarovar See

Parikrama

Parikrama

Dölma La Pass

Dölma La Pass

Tsaparang

Tsaparang

Mauer mit Manisteinen

Mauer mit Manisteinen

Landschaft in Westtibet

Landschaft in Westtibet

© Udo Pagga, 2009
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: Mai 1996
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Juni 1996
Reiseziele: Tibet
Der Autor
 
Udo Pagga berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.