Mali: Email aus Timbuktu

Reisezeit: Oktober / November 2000  |  von EvaLea Baby

In der Wüste

So hoch oben sieht die Welt ganz anders aus.... (Eva auf dem Kamel)

So hoch oben sieht die Welt ganz anders aus.... (Eva auf dem Kamel)

Ritt in die Wüste bei Indigo Light - Samstag, 06.00 Uhr:

Ich sitze im Schlafsack, Wollpelzjacke und grünem Turban in der Wüste, soeben erwacht, es windet und ist kühl. Schafe blöken nahbei und Boujouma hat ein Feuer entfacht. Ich habe mein Gesicht "gewaschen", d.h. mit einem Schluck Wasser die Augen ausgerieben. Wir sind auf einer kleinen Anhöhe und überblicken ein Feld aus Sand, übersät mit vielen niedrigen Büschen. Im Osten steigt die Sonne auf, es duftet nach Kaffee und schon bringt mir Boujouma eine riesige Tasse Kaffee. Herrlich! In solchen Momenten braucht man nichts anderes, um mit sich und der Welt zufrieden zu sein! Es ist 07.30 Uhr, der Himmel ist blassrosa vermischt mit etwas hellblau - und ganz wenig verdünntem Nachtblau - Indigo light - nenne ich es! Eine einmalig mystische Stimmung! Boujouma wickelt mir den Turban frisch, Kira und Mohamed suchen die Kamele, welche man über Nacht freigelassen hat, damit sie sich Futter suchen können. Der Turban, ist ein langes Stoffstück, bis zu 15 m lang, meist schwarz, indigo oder grün, oder auch weiss, sogar rote und gelbe gibt es, das sich der Wüstenreisende, zum Schutz gegen Wind, Sonne und Sand, um den Kopf wickelt. Es gibt verschiedene Arten, wie man das machen kann, das hängt von der Gegend oder vom Stamm ab, oder vom Geschmack und Geldbeutel des Turbanträgers. Normalerweise wickelt man das letzte Stück dann um die untere Gesichtshälfte, so, dass man ein Stück Stoff bis über die Nase auf die untere Augenhöhe ziehen kann. Viel ist bereits über dieses Stoffstück geschrieben worden. Die Tuareg sind die bekanntesten Turbanträger, auch die Mauren tragen ihn, sowie andere Ethnien (z.B. Sonrai, Bella, Peul) - eigentlich alle, wenn sie in der Wüste unterwegs sind. Es sieht sehr malerisch aus, und ein vermummter Nomade hat einen besonderen Charme - vielleicht auch, weil man dann seine schlechten Zähne nicht sieht. Frauen tragen diese Kopfbekleidung nicht, abgesehen von Touristinnen. Eine Targia hat ein anderes Kopftuch, namens Aleshu bei den Tuareg, und den Howli bei den Hassanyia, schwarz oder auch farbig, das oft so gross ist, dass er den ganzen Körper verhüllen kann. Bei der Targia wird hinten als Gegengewicht zum Schleier ein Tuaregschlüssel angebracht, ein schönes Schmuckstück, bis zu 15 cm lang, welches in diversen Variationen und Bedeutungen existiert.

Kamelsprache

Kamelsprache

Ich sitze auf der Wolldecke und trinke Wasser, während mich ein Nomadenjunge anstarrt. Hier ist es umgekehrt wie bei uns, hier sind wir die "Exoten". Habe als Sonnenschutz für meine Arme die dünne Windjacke angezogen. Es marschieren ganze Heere von Raupen und schwarzen Käfern auf meine Wolldecke los - Raupen mit vielen langen Haaren. Sie sehen lustig aus wie kleine "Punker", weil die Haare geradeauf und zur Seite abstehen. Ich versuche, sie mit einer Postkarte wegzuschaufeln. Aber sie kommen immer wieder, magisch angezogen! Es ist schier unglaublich, wie unbeirrbar sie sich zeigen und alle auf die Wolldecke, d.h. auf mich losmarschieren. Sie müssen von dem nahe gelegenen Gebüsch kommen - andere Nahrungsquellen sehe ich nicht! Ich kann nichts dafür, ich muss laut lachen! Ich sitze in der einsamsten Sandwüste und werde von einem Heer dichtbehaarter Raupen überfallen! Müsste ich eine Zahl nennen, ca. 60 Raupen verübten den Ueberfall! Die Situation ist zu bizarr!

Wir sind gestern abend aus Timbuktu-Abaradjou losgezogen und dem Abend entgegengeritten. Nach ein paar Stunden haben wir unser Nachtlager aufgeschlagen: Decke auf den Sand, Schlafsack ausgerollt, und eine Kochstelle, wo Boujouma Nudeln zubereitet hat. Nach dem Essen haben wir etwas geplaudert, Tee getrunken, es war schon dunkel, und uns früh zum Schlafen gelegt. In der Wüste lebt man mit der Natur - bei Sonnaufgang steht man auf, bei Sonnuntergang legt man sich schlafen - oder zumindest setzt man sich nieder und macht ein Feuer. Ich liebe dieses einfache Leben, das so eng mit der Natur verbunden ist. Ob ich es für längere Zeit auch lieben würde - ich bin vermutlich von der Zivilisation zu verdorben.

Nomadenfrau mit Zelt - in der Weite nördlich von Timbuktu

Nomadenfrau mit Zelt - in der Weite nördlich von Timbuktu

Am andern Tag, als das Lager abgebrochen, das Feuer gelöscht, alles gepackt, die Kamele gesattelt waren, sind wir weitergeritten - auf sandigem Boden, bedeckt mit einzelnen Grasbüscheln, brennender Sonne und pfeifendem Wind. Boujouma hält mein Kamel manchmal an der Leine und geht zu Fuss, und hat hinten noch sein Kamel an meines angebunden, oder er reitet und bindet mein Kamel an seines. Wir reiten immer hintereinander. Man spricht nicht, es ist eine grosse Stille. Ich denke an allerlei, an Seydou, an Timbuktu, aber meistens denke ich nichts. Damit die Kamele schneller laufen - manchmal verlangsamen sie ihren Gang - wird ihnen mit einem Stöckchen auf die Flanken geklopft, oder mit den Beinen einen Klaps gegen den Körper versetzt. Die Stunden verrinnen wie von selbst. Ich singe leise ein paar Lieder, danach ist es wieder still. Ich fühle mich so frei - der Ballast der Zivilisation ist abgeworfen! Es ist die Einsamkeit und die Kargheit der Wüste, welche die Seele reinigt! Wir reiten über sandige Steppen mit Büscheln von Halmagras, auf und ab über wellenartige Dünen. Nichts hat es ausser Sand, die Weite, und der Wind - eine Atmosphäre mit Heilungseffekt. Meine Seele fliegt davon. Sie singt, sie tanzt, sie jubelt, sie heilt. Ich werde von der Ewigkeit berührt. Ich fühle Freiheit, Leichtigkeit, ich bin nicht mehr von dieser Welt. Ich fühle allumfassende Liebe. Glückseligkeit fällt auf meine Schultern wie ein schützender Mantel. Ich spüre nichts mehr, ausser dass ich BIN. Meine Seele wird zum Schmetterling, sie tanzt im Wind mit der Ewigkeit - sie trifft Gott.

Nun sitze ich zu Hause in der Schweiz und schreibe diese Zeilen aus meinem Tagebuch ab. Einen Monat nach meiner Rückkehr erwachte ich um 2 Uhr morgens und eine innere Stimme zwang mich, meinen Computer sofort anzustellen, halb in Trance. Es war unerklärlich - noch nie habe ich das getan! Was fand ich? Ein Email aus Timbuktu von Boujouma, er habe Seydou gefunden. Gibt es Telepathie? Ich muss so etwas gespürt haben. Am selben Tag telefonierte mir dann Seydou! Ich bin nach einigen Monaten nach Mali geflogen und habe ihn wieder getroffen. Wir sind heute seit vier Jahren verheiratet. Inzwischen war ich mehrmals in Mali und habe noch viele längere Reisen gemacht. Doch oft denk ich an die Sternschnuppe zurück - ohne sie, da bin ich sicher, wäre alles im endlosen Sand von Timbuktu verlaufen.

Der Mann links tauchte auf aus dem Nichts, setzte sich zu uns und trank Tee, und dann verschwand er wieder, wie er gekommen war, zu Fuss, allein, im Nichts

Der Mann links tauchte auf aus dem Nichts, setzte sich zu uns und trank Tee, und dann verschwand er wieder, wie er gekommen war, zu Fuss, allein, im Nichts

© EvaLea Baby, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Dies war meine erste Reise nach Mali, drei weitere folgten, wovon eine in den Südosten. Die Dritte führte mich ein paar tausend Kilometer durchs Land nach Gao über Mopti, Djenné, Douentza und schliesslich zurück nach Koutiala übers Dogonland. Im Januar 2005 machte ich ein 12-tägiges Wüstentrekking. Ich bin mit einem Malier aus Timbuktu verheiratet und reise ohne Reisebüro und lebe fast immer bei Einheimischen. Um die Personen zu schützen, hab ich fast alle Namen, ausser meinem, abgeändert.
Details:
Aufbruch: 20.10.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 18.11.2000
Reiseziele: Mali
Der Autor
 
EvaLea Baby berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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