Heißer Sand...

Reisezeit: Juli 2003  |  von Laila Vanwinkle

Wie man Freunde gewinnt

Kein Mensch weiß, was er morgen verdienen wird und kein Mensch weiß, in welchem Land er sterben wird
(Der heilige Koran)

Auf dem Platz, an dem ich in den Bus mit den begeisterten Leuten umgestiegen war, hatte ich überraschend einen alten Bekannten gesehen. Natürlich, der Hauptumsteigeplatz für Busse war ja oft im Zenrum einer Stadt zu finden, und das Gebilde, das ich schon oft zu vor gesehen hatte, stand jetzt in ca. 5 metern Höhe über mir. Es war auf den 150 und 250er Banknoten abgedruckt, die es hier in Päckchen per Gewicht umzutauschen galt-auch mal einer mit etwas daran, das wie getrocknetes Blut aussah, die meisten wie frisch gedruckt.
"Was glaubst du wohl, wo die sich das geholt haben, es ist brandneu." sagte James. Er bezog sich auf die Plünderungen. Die Banken, wie alle staatlichen Einrichtungen, und auch viele private Geschäfte, deren Besitzer ins Ausland geflüchtet waren, waren ja immer noch "geschlossen", und so konnte ich vor den großen Hotels an jeder Ecke des Platzes Geldwechsler sehen, die dort Schreibtische mit Waagen aufgebaut hatten, an manchen saßen Kinder. Für 250 irakische Lira bekam man eine Dose Cola, oder eine Taxifahrt für 1500. Viel mehr habe ich dort nicht gekauft - ich wurde ständig beschenkt, selbst wenn ich versuchte, mein Essen oder meinen Reiseproviant selbst zu bezahlen. Ich wollte das gar nicht - ich fand es schwer zu ertragen, dass die Leute dort so nett zu mir waren, weil sie doch so viel Schlimmes erlebt hatten und jene gewiss nicht reich waren und sie auch nichts dafür verlangten. Die meisten traf ich nur kurz bei eben diesen Beschenkungen. Warum machten die das? Ich hatte dem so wenig entgegenzusetzen, fand ich.

Ein Restaurantbesitzer in Baghdad besorgte mir sogar etwas Vegetarisches aus einem anderen Imbiss einen Straßenzug weiter, da er selbst nur Brathähnchen verkaufte, und servierte mir in seinem Lokal dann den Tee dazu. Er wollte kein Geld, und auch sonst nichts. Er war so gastfreundlich, dass ich misstrauisch wurde. Ich wurde in den Ländern der Region oft eingeladen, wenn Leute sich zum Mittagessen setzten, von Hotelangestellten , sogar Fremden; Ich wusste auch, ich müsste nie auf der Straße schlafen, falls ich mein Geld verlor oder im Dreck liegenbleiben, wenn ich mir das Bein brach. Einmal brach mir in Syrien mein Absatz ab, und sofort waren 2 Ladenbesitzer zur Stelle um ihn mir mit Paketklebebad wieder anzukleben. Ein älterer gutmütiger Mann in Ägypten machte einmal seinen Laden dicht, weil er mich zum Busbahnhof führen wollte, da ich kein Wort seiner Wegbeschreibungen verstand, dann "übersetzte" er noch für mich vom Pantomimischen ins Arabische, damit ich mein Ticket bekam und besorgte mir das günstigste Taxi, das ich dort je bestieg.

Aber der Restaurantbesitzer hier war zu freundlich um wahr zu sein... Nachdem er mir den Tee serviert hatte, setzte er sich wieder an die Theke und redete mit seinen Bekannten, ließ mich in Ruhe essen. Er wollte mir nichts verkaufen, oder mich ausfragen. Der Tee hatte eindeutig einen Beigeschmack. Konnte es Bittermandel sein...? Nachher kam ich darauf, und ich erinnerte mich daran, dass ein irakischer Bekannter mir davon erzählt hatte: im Irak würden dem Tee Gewürze beigemengt. Es waren keine K.O. Tropfen, wie sie angeblich schon in Luxor Touristinnen beigemengt wurden, oder Arsen - es war Cardamon, und echte irakische Gastfreundlichkeit.

Der Irak ist wohl das gastfreundlichste Land in der Region - und überhaupt - in dem ich je gewesen bin. Mein letzter Urlaub in einem Gebiet mit Pauschaltourismus dagegen war ein absoluter Horrortrip gegen meinen Aufenthalt in Baghdad - so seltsam das auch klingen mag. "Wenn Sie kein Geld haben, dann kommen Sie nicht hierher" sagte mir dort ein besonders gehässiger Mensch, und ich dachte an die Menschen in Baghdad, die das wenige, was sie besaßen, mit mir geteilt hatten - zum Teil völlig Fremde, bevor wir Freunde wurden. Und das bei ihren letzten Erfahrungen mit Fremden...

Auch sexuelle Belästigung erfuhr ich in Baghdad genau Null Mal. Es fragte mich in dieser Stadt, in der im Gegensatz zu anderen Regionen derlei noch nicht etabliert ist, auch niemand, ob ich eine russische Prostituierte sei - etwas, dass ich auch nur eine begrenzte Anzahl oft hören kann ohne Schreikrämpfe zu bekommen - und es war für mich insbesondere im Vergleich zu "Deutschland im Frühlingserwachen" direkt erholsam. Die Leute waren einfach nur enorm hilfsbereit. Dass frau an so einem Ort landen muss, um einmal ihre Ruhe zu haben...

Ich war an jenem Tag im Sommer 2003 auf diesem Plat angekommen, weil ich auf dem Weg war, mir eine Busfahrkarte für meine Rückfahrt nach Amman auszuhandeln, und nicht einfach zu kaufen, denn alles ist im Nahen Osten ja Verhandlungssache, vom Klopapier bis zu den Visagebühren. Ich war überrascht, nun diesen riesigen Stein- und Metallflor in Natura entdeckt zu haben, auf dem in Eisen Figuren in verschiedenen Körperposen angebracht waren. Er erinnerte mich ein bisschen an diese "Hart wie Kruppstahl" Nazi-Sportlerfiguren. Auf der anderen Seite des Platzes fand ein lebhafter Markt statt, ein dichtes Gedränge von Männern flanierte zwischen den Ständen.

Ein anderes mir vom Geldschein ebenfalls gut bekanntes Gebilde auf diesem Platz war das riesige, zerschossene, aber noch erkennbare Konterfei von Saddam Hussein, gemalt an einer Häuserwand. "Kindisch", hatte ich alteuropäisch-politsch korrekt dem Amerikaner gegenüber gemäkelt, als wir die ersten dieser Riesenwandgemälde in kleinerer Version, die überall in der Stadt verteilt sind, von einem Taxi aus erblickten.
"Damit meinen sie, sind die Probleme hier erledigt?"
"Das waren doch auch noch Kinder, 19, 20 Jahre alt" antwortete der, nicht kleinlaut zu bekommen. Er beharrte immer darauf, er habe damit ja nichts mit dem Krieg zu tun. Aber wenn sogar ICH mich irgendwie schuldig fühlte, versagt zu haben, weil das Bombardement nicht zu verhindern war, hätte ich von ihm so gerne einmal ein "es tut mir leid, dass wegen meiner Regierung Menschen sterben mussten " gehört.

Das, und ein peinliches Foto, das ich von ihm und den US-Soldaten mit seiner Kamera machen musste, obwohl ich ihn vorher gewarnt hatte, dass ich dies auf gar keinen Fall tun würde. Aber sicher würden ihn dann alle irakischen Mitreisenden hassen, bestätigte ich sadistisch seine besorgten Fragen, um ihn richtig abzuschrecken. Es wirkte dann leider doch nicht - ich hatte nicht bedacht, wie scharf James auf ein "Beweisphoto" für daheim war. Außerdem war er überraschend beredsam den Grenzsposten gegenüber. Die ihn gar nichts fragten, aber er erzählte ihnen trotzdem weswegen er in den Irak fuhr. Insgeheim hatte ich gehofft, sie hätten irgendein Gesetz, durch das sie ihn nicht einlassen würden, denn er hatte berechtigterweise Angst und ich fand, er war zu jung um mit seiner Staatsangehörigkeit in so ein Gebiet zu fahren, egal welche Gründe er hatte und wie "unter Kontrolle" die Situation zu dem Zeitpunkt schien.

Ich dachte daran, wie aufgeregt er vor der Grenze gewesen war, und was er sich einfallen lassen hatte, falls sie ihn verhören würden. Doch kaum erschienen die beiden amerikanischen Grenzposten in der Nähe unseres Busses, wurde mir abrupt die Kamera in die Hand gedrückt und ich knipste James umrahmt von zwei Soldaten der Grenzpatroullie, während hinter uns in gebührender Entfernung ein Duzend irakische Zivilisten standen, die es sicher nicht gewagt hätten, ihre wie auch immer gearteten Gedanken dazu dort laut preiszugeben. Einzig eine ältere Irakerin lachte gutmütig "Alle Gut, Amerika gut!" , als ich meinte, ich müsse jetzt aber "zum Ausgleich" auch ein Bild von ihr machen.

Nach noch mehr Zetteln mit arabischen Adressen fand ich endlich den Busbahnhof: eine Straße mit einem Büro neben dem anderen. Endlich hielt ich meine "Fahrkarte", eine Visitenkarte, die ich mir hatte geben lassen, in der Hand, teurer als die Hinfahrt, ich hatte sie aber auf 12 Dollar heruntergehandelt, und damit nur 2 Dollar mehr als die anderen Mitreisenden bezahlt. Als ich über die Brücke zurück zum Busstop auf einer riesigen Brücke den Tigris überqueren wollte, fuhr ein amerikanischer Panzer in diese Geschäftsstraße. Es war nichts geschehen, kein Aufruhr, die Leute standen und spazierten herum und redeteten und saßen vor ihren Geschäften, die den Busbahnhof bildeten, auch ein paar Knaben, wie der, der mich zu einem Geschäft geführt hatte. Ich hätte den Panzer vielleicht gar nicht mehr bemerkt, wenn sie nicht plötzlich angefangen hätten zu schießen - hinein in das geschäftige Treiben ballerten die Soldaten, in die Luft - einfach so, Leute erschrecken.

Das funktionierte aber nur bei mir, und irgendwie war auch mir dafür zu heiß und bah. Man kann sich tatsächlich an so einen Lärm, der ja den Tod bedeuten kann und auch ganz anders klingt als im Fernsehen, irgendwie knalliger, wie Sylvesterböller - gewöhnen, jedenfalls, wenn man wie ich selbst noch nie etwas abgekriegt hat. Ich guckte, ob die Leute in der viel bevölkerten Geschäftstraße sich jetzt auf den Boden warfen - nein, keiner brachte sich in Sicherheit, oder duckte sich, außer ein paar, die hinter Säulen standen, und hälsereckend zum Busbahnhof zurückschauten. Ein Mann, den ich ansprach, ob es gefährlich sei, zuckte nur abwinkend mit den Schultern. Die Männer schauten sich auf der Straße nur um, abwartend. In den Gesichtern las ich keine Besorgnis, aber Bitterkeit und unterdrückte Wut, befriedigt schauten einige mir zu, wie ich von dem Ereignis ein nutzloses unscharfes Foto machte.

Am Vortag hatte ich einen jungen Soldaten auf Patroullie angeprochen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das jemand war, der zum Spaß Iraker erschrecken, oder, jetzt, nach Abu Ghraib, Leute foltern würde oder dieses gutheißen würde. Diese sonst zumeist klimanlagen- und eiswürfelbedürftigen amerikanischen uniformierten behelmten "Kinder" Anfang 20 mit Waffen standen manchmal furchtbar schwitzend in Helm und voller kiloschwerer Ausstattung ca. eine halbe Stunde neben einem Panzer unter der sengenden Sonne an einer Straßenecke, sahen, wie der vom Vortag, aus wie ehemalige Klassenkameraden, und sagten nickend "Thank you Mam" wenn man wünschte "Get home safe". Sehr viel mehr als "Wir sind hier, weil wir es für die Leute besser machen sollen" konnte derjenige dann auch gar nicht sagen, weil der Vorgesetzte auch hinter dem Panzer stand und sofort wissen wollte, mit wem der vor Schweiß triefende Knabe, einem offenen Hydranten nicht unähnlich, da so lange redete.

Was ja ziemlich mutig war, denn nur weil bei mir nicht "Selbsmordattentäterin" draufsteht, musste es ja nicht so drin sein, wie ein Ladenbesitzer im Libanon bestätigen würde: Dort wurde ich einmal wegen meines Wasserflaschenvorrates in einer dunklen Plastiktüte, die ich ständig neben Regalen abstellte, um Lebensmittelbeschriftungen genauer zu untersuchen, für eine Terroristin gehalten. (falls jemand mal dringend Bockwurst in Gläsern essen muss, die gibt es dort auch, sogar vom Schwein (!) importiert aus Deutschland)

Dieser amerikanische Knabe, blond, Stubsnase und mit Brille, aus den Südstaaten und nicht älter als 20, war erst nach den schwersten US-Angriffen zu Anfang des Krieges im Land stationiert worden, wie er mir sagte, wie übrigens alle Soldaten, mit denen ich in Baghdad sprach. Ich hatte ein wenig Angst, dass jemand versuchen könnte, mich mit Handschlag zu begrüßen, obwohl das in den modernen Ecken der USA eigentlich auch passee ist - ich mag niemanden anfassen, der jemanden umgebracht hat, aber eben auch nicht jeden von vornherein beleidigen. Das versuchte zum Glück auch niemand, zumal es ja auch in einem islamischen Land unüblich ist, dass Männer und Frauen sich berühren. Kulturelle Instruktionen hatten die GIs erhalten. Auch falsche: Der aufgerichtete Daumen ist im moderneren säkulären Irak längst keine obszöne Geste mehr, sondern bedeutet ebenfalls "Thumbs up".

Aber auch der schwarze Vorgesetzte des Soldaten sagte nur "We appreciate it", sicher auch kein fanatisch-patriotischer (Selbst)mordkandidat, der immer noch nicht körperlich bis ins tiefste Mark begriffen hat, was ihm und anderen alles zustoßen könnte. Auch wer bis zu einem Jahr vor dem Krieg die Armee verlassen hat, wurde übrigens (legal) zurückgerufen, erzählte mir ein anderer Amerikaner im Nahen Osten von einem Freund, der aus diesem Grund auf einem Tanker im Golf stationiert war.

Es gibt eine Webseite für die gefallenen US-Soldaten, mit Fotos und Namen, und eine für den "Iraqi-Deathcount", ohne Fotos, die allerdings nicht sehr vollständig ist.

Es wird wohl niemanden überraschen: Bekennende Saddam Hussein-Fans habe ich während meines gesamten Aufenthaltes keine getroffen, zumindest sagte mir niemand so etwas, außer einer Bekannten in Jordanien, die zugab, als kleines Mädchen den Fernseher geküsst zu haben, wenn Hussein auf der Mttscheibe erschien. "Er war sehr beliebt, er galt nicht immer als der Böse im Nahen Osten und ich fand ihn schön." erinnerte sie sich.

"Es ist gut, dass er weg ist" sagte mir ein armenischer Christ, der mir von den Verhaftungen in Basra erzählte, die die Konsequenz waren, wenn sich dort 3 Männer zusammen zum Reden auf die Straße setzten. Als ich ihn traf, rief ihm ein Passant etwas zu: Es sickerte gerade das Gerücht durch, Hussein sei gefasst worden. Die Methode Krieg hieß er, wie so viele, trotzdem nicht gut, obwohl er niemanden in seiner Familie durch den Krieg verloren hatte. Aber auch über die Besatzer mochte sich zuerst niemand negativ äußern, am allerwenigsten nach so einer Meinungsäußerung fotografieren lassen.
"Sind Sie verrückt, jemand könnte es sehen, das kennen wir doch von vorher, wie das läuft, jetzt sitzen nur andere am Hebel" sagte ein Mann auf der Geschäftsstraße in der Nähe der großen Hotels, der relativ schnell offen mit mir sprach. Zuerst waren alle Leute immer sehr vorsichtig und vage, dann sagten sie doch, oft emotional, was sie vom Krieg hielten, wie der Vater des zerschossenen Mädchens. Er fand die Demonstationen im Westen nett aber nutzlos, da es für ihn das Unheil nicht aufgehalten hatte. In seinen 4 Wänden allerdings rief er händeringend "Warum haben Sie uns das angetan?", obwohl er ein paar Stunden zuvor, an einem öffentlichen Ort, nur ausweichend lächelnd etwas von "großen Veränderungen" gesagt hatte.

Leider gab es auch in dem Hotel, in dem ich wohnte, mittlerweile "große Veränderungen", nämlich einen Bombenanschlag, und ca. 1 Dutzend Menschen starben dabei. Das geht einem dann schon eher an die Innereien. Gründe: Angeblich politische, da Mitglieder einer bestimmten Richtung sich dort aufhielten. Es waren wohl die Männer, die in der Lobby immer Fernsehen schauten, Bei den Geräten auf den Zimmern handelte es sich nämlich um grauen Schnee sendende Attrappen. Vielleicht ein Racheakt? Ich erninnerte mich, wie ich den Portier fragte, was denn in meinem Zimmer los gewesen sei, ich hätte dort solche Alpträume gehabt. "Wir haben immer bezahlt, gar nichts!" , versicherte er mir eine Spur zu eifrig...Wofür bezahlt? Von einem Vorkriegs-Irak-erfahrenen Journalisten weiß ich zumindest, dass die Hotelzimmer zu Saddams Zeiten alle verwanzt waren. Die CPA (US Streitkräfte) dagegen hatten gleich Mobitelefone "zum praktischen Mithören"` wie mir eine freiwillige Helferin sarkastisch erzählte, an die Hilfsorganisationen vor Ort verteilt.

© Laila Vanwinkle, 2005
Du bist hier : Startseite Asien Irak Wie man Freunde gewinnt
Die Reise
 
Worum geht's?:
Baghdad, Irak
Details:
Aufbruch: Juli 2003
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Juli 2003
Reiseziele: Irak
Der Autor
 
Laila Vanwinkle berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.