Von GOETZEN bis LIEMBA

Reisezeit: Dezember 2013  |  von Sarah Paulus

Made in Germany

Alles und jeder findet Platz an Bord der 67 m langen und 10 m breiten Liemba. "600 Passagiere und 200 t Fracht", sagt Kapitän Titus Benjamin Mnyanyi, während wir in der Kantine, hier liebevoll Bordrestaurant genannt, auf das Frühstück warten. Um uns herum scharen sich andere Frühaufsteher an wackligen Tischen mit Blümchendecken und löffeln eine milchige Suppe mit vereinsamten Nudeln. Unter den Augen von Staatspräsident Jakaya Kikwete, dessen Abbild über der Durchreiche hängt. Gegenüber befindet sich der wichtigste Ort des Schiffs: Der Tresen für den Durst, wo das Bier niemals ausgeht und immer eiskalt ist.

"Sie ist ein starkes Schiff", lobt Kapitän Titus die alte Dame Liemba, seine Liebe, seine Leben seit 20 Jahren. Neben Frau und Kindern, versteht sich. Mittlerweile jedoch seien die Maschinen alt, der Dieselverbrauch mit 12.500 l für die Hin- und Rückfahrt viel zu hoch und eine Generalüberholung dringend notwendig. Jenseits der altersbedingten Wehwehchen jedoch stampft das alte Schlachtross wacker über den See, stoisch und scheinbar unverwüstlich wie ein Panzer auf Schienen. "MAN Dieselaggregate. Robust seit 15 Jahren. Die von Caterpillar hielten nur kurze Zeit", ergänzt der Kapitän bedeutungsvoll und winkt Kellner Ronaldo herbei.

Der eilt mit großen Thermoskannen herbei und schüttet hellbraune Flüssigkeit in schmuddelige Tassen. Tee mit Milch. Ein Viertelstündchen später bringt er Rühreier, ein Schälchen weiße Bohnen in unbestimmbarer Sauce, dazu bräunliche Buns, eine Art Krapfen, die in Öl ausgebacken werden. "Momentan haben wir jede Menge Fracht an Bord. Tonnenweise Trockenfisch, Mais und Zement", erzählt der Kapitän. Gut für die Liemba, die sich, wenn überhaupt über das Frachtgeschäft rechnet.

Am Nachbartisch sitzt der 29jährige Anderson Nkwayu aus Lubumbashi und tippt auf seinem Smartphone herum. Er wurde im ruandischen Kigali als Sohn eines Kongolesen und einer Tutsi geboren und verbrachte den Großteil seiner Kindheit zwischen Bürgerkriegen, Vertreibung und Verwüstung. "Ich habe vier Jahre in Flüchtlingslagern in Mosambik verbracht und 80% meiner Familie verloren", erzählt er, als sei es das Normalste der Welt, während sein Gesicht nicht die Spur einer seelischen Narbe offenbart sondern Offenheit und Lebensfreude ausstrahlt. Anderson spricht fünf Sprachen und arbeitet als Rechtsanwalt bei einer amerikanischen NGO. Immer wieder schwärmt er von Deutschland und beschwört, dass er "Made in Germany" ungesehen kaufen würde. Mit der Liemba reist er öfter, meist in einer Kabine der 2. Klasse, für die er als Non-Resident 90 USD berappen muss, während Einheimische für die gleiche Unterbringung umgerechnet etwa 30 EUR zahlen.

Im Gegensatz zu Anderson und mir können sich die meisten Passagiere keine Kabine leisten und verbringen die Fahrt in der 3. Klasse, wo das Bordleben jenseits von Tageslicht, im todmüden Schein einiger matter Deckenleuchten, stattfindet. In den Gängen und Aufenthaltsräumen im Haupt- und Unterdeck campieren hunderte Menschen auf Bänken, Planken und in jedem Winkel, zwischen Auslagen mit Seife, Zahnpasta, Keksen, Flipflops und Mangos, die von mitreisenden Händlern feilgeboten werden. Wie eine Begleitmusik stampfen die Schiffsmotoren. Stunde um Stunde, unentwegt. Die Luft ist getränkt von Feuchtigkeit, Schweiß und strengen Gerüchen.

© Sarah Paulus, 2013
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf Reisen mit einem Jahrhundertschiff tief im Herzen Afrikas.
Details:
Aufbruch: 08.12.2013
Dauer: 3 Tage
Heimkehr: 10.12.2013
Reiseziele: Sambia
Tansania
Kongo / Demokratische Republik Kongo
Burundi
Der Autor
 
Sarah Paulus berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.