Peking - Nordkorea - Südkorea August 2014

Reisezeit: August 2014  |  von Christian T

Nordkorea : Tag 7 Doom Monster

Der nächste Tag begann mit einer kuriosen Situation. Ich saß bereits gefrühstückt, ausgeschissen und ausgecheckt im Bus, als ich auf einmal zurückgerufen wurde. In der Lobby stand aufgelöst die kleine Maus und alarmierte mich, dass ich meine Badehose im Zimmer vergessen hätte. Und obwohl mein Zimmergenosse bereits auf dem Weg nach oben war, das gute Stück zu holen, wich der Ausdruck von Fassungslosigkeit nicht aus ihrem Gesicht. In ihren Augen habe ich offensichtlich grob verantwortungslos gehandelt. Ob das was mit dem Amerikaner zu tun hat, der in Nordkorea angeblich nur deswegen einsitzt, weil er eine Bibel auf dem Zimmer vergessen hat?

Heute standen wie immer mehrere Programmpunkte an: eine Kooperative Farm, ein internationales Kinderferienlager und ein erst 2001 entdeckter Wasserfall.

Auf der Fahrt durch Wonsan und andere, mir namentlich nicht bekannte, Orte konnte man sehen, dass es außerhalb der Hauptstadt ziemlich ärmlich zugeht. Verrostete Kräne, verfallene Fabrikgebäude und Häuser an denen seit Errichtung vor Jahrzehnten nichts gemacht wurde. Im Vergleich mit armen Ländern in Südostasien absolut nicht dramatisch, entspricht aber wohl nicht der Propaganda. Jeden Tag wird hier nämlich der Dicke (früher natürlich der Krepel) auf Seite eins der Zeitung abgebildet, wie er die nächste Superfabrik besichtigt und schlaue - von den begleitenden Subalternen gefälligst mitzuschreibende - Ratschläge gibt.

Weil es sich bei dem Internationalen Kinderferienlager wohl um ein Prestige-Projekt des Dicken handelt (er hat es schließlich erst vor kurzem nach umfangreicher Renovierung mit viel Tamtam eröffnet), reichte die Hierarchiestufe unserer Reiseleiter offensichtlich nicht mehr aus und so stieg ein älterer Herr im üblichen Geheimdienst-Outfit zu uns in den Bus und markierte auch gleich den Chef. Die übliche Geheimdienstuniform bestand aus Anzughose, schwarzen Lederschuhen und einem kurzen Hemd. Zwar liefen wie ausgeführt alle Nordkoreaner ähnlich rum - trotzdem konnte man nach ein paar Tagen anhand der dann auffälliger werdenden, kleinen Unterschiede schon sagen, wer von diesen Jungs beim "Außenministerium" arbeitete und wer nicht.

Auf der Kooperativen Farm angekommen herrschte rege Betriebsamkeit. An jeder Ecke hämmerte und klopfte es. Zunächst wurden wir vor eine gigantische mindestens 10 m breite und 3 m hohe Natursteintafel geführt, auf der die weisen Ratschläge des GRÖBAZ' und des Krepels in güldenen Lettern nebst ihrer feisten Konterfeie für die Nachwelt festgehalten waren. Vom GRÖBAZ stammte unter anderem der Ratschlag, die Landwirtschaft zu maschinisieren ("Müsst Ihr Traktoren kaufen!") - ja potztausend, da wäre man nicht selbst darauf gekommen. Das ist natürlich gleich eine Gedenktafel wert, die allein schon drei (zumindest gebrauchte aber funktionsfähige) Traktoren gekostet hat. Auf die zustimmend-nickend vorgetragene Frage unseres Mitreisenden, ob es denn hier auf der Farm sicherlich auch entsprechend viele Traktoren gebe, wurde mit "ja" geantwortet - und tatsächlich: Minuten später fuhr wie auf Bestellung auch ein etwas älterer Traktor vorbei, auf dessen Ladefläche drei abgerissene Gestalten Platz gefunden haben. Ich merke an: Dieser Traktor war die einzige funktionierende landwirtschaftliche Maschine, die ich in sieben Tagen gesehen habe. Dass sie ausgerechnet zum Einsatz kommt, um drei Bauern zu transportieren, wo hier doch alle so gut zu Fuß sind ...

"Traktoren? Mach Sachen!"

"Traktoren? Mach Sachen!"

Am hernach passierten Kulturhaus wurde genauso gewerkelt wie vor dem Schwimmbad - wobei, halt: Die Arbeiter vor dem Schwimmbad nahmen die Hacke (sie huben einen Graben aus) erst in die Hand, als wir um die Ecke bogen. Als wir wieder aus dem Schwimmbad kamen, hatten sie sie schon weggelegt, um sie, durch unsere schnelle Rückkehr überrascht, schnell wieder aufzunehmen und weiterzuhacken. Das erinnerte mich an die Monster aus dem alten Ego-Shooter 'Doom', die still in der Ecke warteten und sich erst in Bewegung setzten, wenn sich die Spielfigur näherte. Überhaupt: es wurde zwar an allen Ecken gearbeitet, aber alle waren nur mit Ausbesserungs- und Reparaturarbeiten beschäftigt; keiner betrieb wirklich Ackerbau oder Fischzucht. Geschweige denn, dass einer der Bauern, die angeblich dort wohnen, am freien Sonntag mal auf die Idee gekommen wäre, das Schwimmbad zu benutzen. Richtig niedlich war dann eine Gruppe Kleinkinder, die unter Anleitung der Kindergärtnerin im Kreis stehend Lieder sang.

Irgendwann nehme ich in Asien mal so eine kleine Maus hoch und knuddel sie einfach - wahrscheinlich muss ich sie dann aber auch kaufen ...

Irgendwann nehme ich in Asien mal so eine kleine Maus hoch und knuddel sie einfach - wahrscheinlich muss ich sie dann aber auch kaufen ...

Dann ging es ab ins Ferienlager, wofür man schon auf der Straße hinzu mehrere Kontrollen passieren musste; aber wir hatten ja unseren Oberchef dabei (vor dem hier richtig gespurt wurde, wie ich bald bemerken konnte). Das war wirklich eine schöne Anlage mit Wasserlandschaft, Sportplatz, Schwimmhalle und sonstigen Annehmlichkeiten. Alles war Disney-bunt und neu gemacht. Zwar haben zunächst die Kinder gefehlt, aber dafür standen an jeder Ecke Doom-Monster mit Besen bereit, um urplötzlich loszufegen. Für die Potemkin-These sprachen auch die Volleyball- und Basketball-Markierungen, die in der Turnhalle nur mit Klebestreifen auf den Boden aufgebracht waren (hält das?) und die Speedrutsche im Außenbereich, die bei einer Neigung von ca. 80 Grad nur eine Auslaufzone von etwa 5 m hatte ("huuiii ...").

Man beachte den Volleyball.

Man beachte den Volleyball.

Das Wasser war recht kalt - aber es schwimmt ja auch keiner.

Das Wasser war recht kalt - aber es schwimmt ja auch keiner.

Im Schlafgebäude sah alles topmodern aber irgendwie unbenutzt aus: Es gab einen Empfang, einen Riesen-Flachbildschirm am Eingang, nicht lizensierte Winnie-Pooh-Bilder an den Wänden und eine Rolltreppe. Letztere ist anscheinend nicht so oft in Benutzung (damit sie lange zum Vorführen hält?), denn sie wurde extra vor uns an- und nach uns wieder ausgeschaltet. Das Spülwasser der Toilette im Erdgeschoss war braun; auch sie hatte wohl lange niemand benutzt. Zwar sahen wir dann doch noch ein paar Kinder - trotzdem: der Eindruck blieb.

Als nächstes stand ein Wasserfall auf dem Plan, den die Volksarmee erst 2001 entdeckt haben will. Ein Riesenwasserfall in einem Tal, das mit anderen (bebauten) Tälern verbunden ist, bleibt in einem so kleinen und verhältnismäßig dicht besiedelten Land so lange unentdeckt? No way compadre! Ich vermute eher, dass er zuvor Privilegierten vorbehalten war und man ihn erst 2001 für die Öffentlichkeit (also für den Teil der Öffentlichkeit, der an den auch hier vorhandenen Kontrollen vorbeikommt) freigegeben hat. Verbunden mit einer schnell und schlecht erfundenen Heldengeschichte über die Armee, die schließlich ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts auffrisst und Imagepflege vielleicht gebrauchen kann.

Schwer zu finden.

Schwer zu finden.

Nachdem unserer Frage nach einem Arzt für den zwischenzeitlich angeschwollenen Fuß ausgewichen wurde, organisierte unsere Reiseleiterin immerhin etwas Antibiotika. Bei der schlechten medizinischen Versorgung, die hier herrschen soll, war das wahrscheinlich schon mit mächtig Strippen-Ziehen verbunden. Am Ende bin ich auf die beiden Reiseleiter nicht unbedingt böse. Sie waren ja stets um unser Wohlergehen bemüht und vor allem die kleine Maus war wirklich lieb und freundlich dazu. Sie hätten wahrscheinlich mächtig Ärger gekriegt, hätten sie unseren Mitreisenden in irgendein erbärmlich ausgestattetes Krankenhaus geschleppt. Also haben sie sich lieber weggeduckt und uns umso kräftiger hinterhergewunken, als wir am nächsten Morgen endlich durch die Passkontrolle am Flughafen waren.

Die Ignoranz, die beide gegenüber der Verletzung zur Schau gestellt haben, katalysierte aber meine Verarbeitung der Eindrücke. Die Zurschaustellung des nächsten Vorzeigeprojekts hat mich einfach angekotzt, wenn nicht einmal ein Arzt zur Verfügung steht.

Aber scheiß auf den Fuß, das Volk muss darunter leiden. Das Geld fließt in teure Projekte, die nur dazu dienen, dass der Dicke mal mit ein paar Kameras vorbeikommt und signalisiert, wie spitze alles läuft, während die Landbevölkerung Ackerbau mit der Hand betreibt, in Unwissenheit gehalten wird und dazu von einer privilegierten Schicht von Geheimdienstlern und Armeeangehörigen ständig gegängelt und zu sinnlosen Arbeiten angehalten wird. Natürlich ist auch für Statuen, deren Erhalt und nächtliche Beleuchtung immer ausreichend Geld da - dabei war der GRÖBAZ im Befreiungskrieg und Krieg gegen die USA höchstens einer von mehreren Anführern, der sich dann - von den Russen gestützt - zum alleinigen Volkshelden, ja Gott, hochsterilisieren () ließ. Sein Sohn Kim Jong Il war ein nichtswürdiger Krepel, den die Nomenklatura dem Volk als Nachfolger präsentierte, weil man es sich halt selbst so schön eingerichtet hatte. Da wäre es doch schade, wenn man stattdessen mit einer Führung weitergemacht hätte, die nicht unbedingten Gehorsam wie ein Gott hätte verlangen können und sich vielleicht kritischen Nachfragen ausgesetzt gesehen hätte.

Das gleiche Spiel läuft gerade mit dem Dicken. Die ursprüngliche Idee, der Juche-Ideologie (Unabhängigkeit Nordkoreas von jeglichem äußeren Einfluss und Marxismus bei Wahrung der koreanischen Traditionen) ist längst zum bloßen Tool der Elite verkommen.

Fazit: Fahrt hin! Es ist ein Urlaub, der Euch so schnell nicht wieder loslässt - und das macht doch eine gute Reise aus, oder?

© Christian T, 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach zweieinhalb Tagen Peking haben wir uns acht Tage Nordkorea angeschaut und nach einem Tag Zwischenstop in wiederum Peking noch Seoul und Busan in Südkorea.
Details:
Aufbruch: August 2014
Dauer: unbekannt
Heimkehr: August 2014
Reiseziele: China
Nordkorea
Südkorea
Der Autor
 
Christian T berichtet seit 10 Jahren auf umdiewelt.