Von den Kims und anderen Katastrophen

Reisezeit: April 2016  |  von Heribert Fassbender

Tag 3 - Das Geheimnis der weißen Steine

Mittwoch

Am Vorabend stand ich noch am Fenster meines Hotelzimmers und genoss den Blick auf das nächtliche und erleuchtete Pyongyang. Ich hatte es mir nachts hier viel dunkler vorgestellt.

Nun, am frühen Morgen des dritten Tages in Nordkorea, stehe ich wieder am Fenster und bin einer Sensation auf der Spur. Ich schaue herunter auf den Hof zwischen den gegenüberliegenden Wohnblocks und sehe einen Armeewagen mit einer Art Tank vorfahren. Eine Luke wird geöffnet und die Menschen kommen mit Eimern aus den Häusern und gehen zum Laster.

Mein Puls steigt. Aha, die kommen und holen Wasser mit ihren Eimern. Obwohl doch angeblich alles funktionieren soll in den Wohnblocks. Ich mache subversive Fotos von dem Geschehen und überlege, wie ich diese am besten außer Landes schmuggeln kann.

Ich betrachte das Treiben dort unten weiter und bemerke nun Merkwürdiges. Die Leute lassen sich nicht etwas aus dem Tankbehälter geben sondern die Soldaten, die die Eimer oben in Empfang nehmen, schütten etwas hinein ! Nanu ? Ich schaue genauer. Ferngläser mitzubringen ist ja leider nicht erlaubt. Tatsächlich. Ich überlege und komme zu dem sehr frustrierenden Schluss: Das ist wohl so etwas wie die staatliche Müllabfuhr. Die Menschen bringen ihren Mülleimer hinaus und gehen mit leerem wieder in die Häuser. Möglicherweise müssen sie die 30 Stockwerke auch gar nicht zu Fuß laufen sondern können mit dem tadellos funktionierenden Aufzug fahren.

Mist. Also keine Sensationsfotos aus Nordkorea. Schlecht gelaunt mache ich mich heute Morgen auf den Weg zum Frühstücksraum ...

Gestern gings nach Westen, heute gen Süden. Zur DMZ (demilitarisierte Zone) am 38. Breitengrad, der am strengsten bewachten Grenze der Welt.

Wieder auf leeren Straßen, vorbei an Hand anlegenden Landarbeitern, Menschen, die, ohne dass weit und breit irgendeine menschliche Behausung zu sehen ist, am Rande der Autobahn zu Fuß laufen (woher ? wohin ?), vorbei an weißen Steinen.

Weiße Steine. Ja das fiel mir schon gestern auf beim Blick aus dem Busfenster. Eingepflanzte Bäume und Sträucher am Wegesrand werden stets durch Holzlatten abgestützt. Und drum herum werden kreisförmig weiße Steine gelegt. Immer. Und überall. Manchmal liegen bereits die Steinkreise dort noch bevor ein Baum gesetzt wurde. Und nicht nur das. Überall dort wo es am Straßenrand irgend geht, wo Platz ist, wo sich also keine Mauer, kein Graben oder anderes als Begrenzung befinden, sieht man ebenfalls weiße Steine. Akkurat in geraden Linien, immer parallel zwei Reihen nebeneinander, im Abstand von ca. 20 bis 30 Zentimeter bei größeren Steinen, in geringerem Abstand bei kleineren Steinchen.

Auch die Steinchen selbst haben immer denselben Abstand. Die Reihen befinden sich nicht etwa nur am Beginn oder Ende von Ortschaften. Oder auf der Strecke zwischen zwei nahegelegenen. Nein, sie befinden sich auch im nordkoreanischen Nirwana, da wo sonst nichts ist. Zweierreihen von weißen Steinchen. Kilometerlange Reihen von weißen Steinchen ! Wer hat die dort hingelegt ? Und warum ? Gibt es überhaupt im Staate Nordkorea derart viele weiße Steine ? Wo findet man die ? Oder werden große Felsbrocken aus Steinbrüchen gesprengt, kleine zarte nordkoreanische Kinderhände zertrümmern diese mit primitivsten Werkzeugen und ihre Mütter malen die Steinbrocken anschließend weiß an ? Und jede Weigerung oder zu langsames Arbeitstempo wird mit verschärftem Arbeitslager bestraft. Beim Anblick dieser Steinreihen geht meine Phantasie langsam mit mir durch. Ich traue den Nordkoreanern schon am dritten Besuchstag alles zu.

Rechtzeitig vor der Grenze hören die weißen Steine auf. Da wo ich eigentlich erwartet hätte, dass die Straße besonders breit wäre, um im Ernstfall als Landebahn für Flugzeuge oder Rollweg für Panzer zu dienen, wird sie für nordkoreanische Verhältnisse unerklärlich schmal.

Und plötzlich sind wir in der DMZ, der demilitarisierten Zone, die Korea seit dem Ende des Koreakrieges 1953 in zwei Teile teilt. Uihh, das ging fix. Drei Jahre zuvor war ich hier schon einmal, nein, besser gesagt im südlichen Teil der DMZ, die vier Kilometer breit ist. Damals hatte ich einen Tagesausflug von Seoul aus gebucht und war verblüfft, was sich die Schutzmächte im Süden alles für Sicherheitschecks ausgedacht hatten. Die hatten wirklich Spaß am Kriegsspiel. Besonders die Amis taten sich dabei hervor. Was haben die für einen Zirkus aufgeführt.

Dagegen sind die Sicherheitsmaßnahmen vom Norden her ein Witz. Ein Offizier nebst bewaffneter Begleitung steigt in unseren Bus und führt uns zu den historischen Orten, die nur vom Norden her zugänglich sind, die Gebäude, in denen der Waffenstillstand verhandelt und unterzeichnet wurde, nebst Originaldokumenten, danach dürfen wir einen Blick werfen auf die Baracken, die genau auf der Grenze zwischen Nord und Süd stehen. Leider nur einen Blick.

Die blauen Baracken haben je eine Tür auf nord- und südkoreanischer Seite. In ihrer Mitte verläuft die militärische Demarkationslinie, de facto die Grenze zwischen Nord- und Südkorea. In diesen Hütten fanden und finden vielleicht auch irgendwann mal wieder Verhandlungen zwischen beiden Parteien statt.

Die mittlere Baracke ist Besuchergruppen von beiden Seiten abwechselnd zugänglich. Zwei Soldaten des einen Teils von Korea, von dem aus der Raum betreten wird, bewachen dann die Tür zum jeweilig anderen Landesteil. Das ist auch gut so. Nicht dass Besucher nach dem Schabernack, den sie drinnen veranstaltet haben, die Tür verwechseln und sich plötzlich im falschen Teil Koreas wiederfinden.

In dem kleinen Verhandlungsraum kann man sich nämlich völlig frei bewegen und somit auch die Grenze übertreten. Ich selbst war also genau genommen schon einmal in Nordkorea, wenn auch nur 10 Meter. Warum wir heute nicht in die Baracke dürfen wird uns leider nicht gesagt.

Nach der jüngeren Zeitgeschichte geht es ins Koryo-Museum. Tausend Jahre alte Zeitgeschichte wird in 20 Minuten durchgepeitscht, für drei spezielle Jahre nimmt man sich stundenlang Zeit.

Aber der Magen knurrt. Zum Essen geht es nach Kaesong, der mit ca. 300.000 Einwohnern fünftgrößten Stadt Nordkoreas. Sauber ist es hier genauso wie in Pyongyang. Was aber auffällt sind die Fahrradfahrer. In Pyongyang gibt es kaum welche. Hier treten Fahrradfahrer in Massen auf.

Videoclip Strassenszene in Kaesong:

in Kaesong

Essen. In Nordkorea. Man tischt gewaltig auf für uns. Von Hungersnöten keine Spur. Zumindest nicht für Touristen. Ich bin kein Fan von Kimchi, dem Grundnahrungsmittel aller Koreaner, vom Rest schon. Heute Mittag z.B. erwarten jeden von uns 11 Schüsselchen mit allerlei Köstlichkeiten. Dazu Suppe.

An anderen Tagen gibt es eine Art koreanische Barbeque, koreanisches Fondue, Hot Pot, oder die verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten nebst Reis und Suppe werden, wie vom Chinalokal daheim bekannt, auf eine drehbare Glasscheibe in die Mitte eines großen Tisches gestellt und jeder kann sich bedienen.

Der einzige Programmpunkt für den heutigen Nachmittag ist Zirkus. Der findet aber in der Hauptstadt statt und die ist weit. Zumindest dauert es auf den hiesigen Straßen eine gefühlte Ewigkeit bis wir zurück sind.

Ob diese Zirkusveranstaltungen regelmäßig stattfinden weiß ich nicht. Sie sind aber nicht nur für Touristen gemacht, sondern scheinen auch eine Art Incentive-Maßnahme für verdiente Bürger zu sein. Jedenfalls sind in der gut besuchten Halle reichlich Einheimische vertreten, die Männer durchweg im gut sitzenden Anzug nebst Krawatte, die Gemahlinnen im Sonntagskleid. Ich hatte ja schon erwähnt, dass Nordkoreaner stets gut angezogen sind. Auch unsere Guides machen da keine Ausnahme. Die Herren laufen immer im Anzug auf, Madame Li im schwarzen Business-Kostüm.

Heute Abend fällt das Absackerbier aus. Zumindest oben im Drehrestaurant des Hotels. Ich nehme mir eine Flasche mit aufs Zimmer -übrigens ist das Bier durchaus trinkbar, die 0,6 Liter Flasche für gut 1 Euro- und schaue eine Ewigkeit nordkoreanisches TV.

Das ist sehr, sehr harte Kost. Nach einem klassischen Konzert gibt es etwas Telekolleg über die richtige Platzierung von (Musik)Noten auf einem Notenblatt. Ein Herr hält einen Vortrag über dieses Thema, vier hübsche junge Damen hängen an seinen Lippen und notieren fleißig alles, was er von sich gibt. Erinnert mich etwas an die Herren Kim auf Besuch im Lande. Danach –endlich- ein Propagandafilm über den Koreakrieg.

Eigentlicher Zweck meines abendlichen TV-Konsums ist aber die Hoffnung, diese hässliche, polternde Nachrichtensprecherin mal zu sehen. Die soll es wirklich geben, also durchaus keine Comic-Figur sein, ein Mitfahrer hat sie gestern Abend in den Abendnachrichten erlebt. Ich habe heute weniger Glück. Die nordkoreanische Tagesschau wird von zwei anderen Sprecherinnen verlesen. Auch keine Augenweiden, aber mit der heute offensichtlich bildschirmfrei habenden Furie nicht zu vergleichen.

Auf unserer Touristenetage werden auch ausländische Sender eingespeist, chinesische Kanäle, ein russischer Nachrichtensender sowie BBC. Nordkoreanern bleibt so etwas vorenthalten. Die breite Masse hat keinen Zugang zu dem, was außerhalb ihres Landes passiert.

Stolz erzählt mir Herr Kim, dass wöchentlich auch zwei Stunden Auslandsnachrichten von Nordkorea-TV ausgestrahlt werden. Objektive Berichterstattung ist aber selbstverständlich nicht zu erwarten.
Was da draußen in der großen, weiten Welt vor sich geht, davon haben die Nordkoreaner keinen blassen Schimmer. Am ehesten noch diejenigen, die oft mit Ausländern zu tun haben, wie die Guides von Touristengruppen, sollte man vermuten. Unsere Drei waren selbstverständlich noch nie im Ausland. Wer ist Bill Gates ? Kennst Du Madonna ? Lionel Messi ? Wer ist besser, Barca, Real oder Bayern ? Unsere Reiseleiter können mit solchen Namen nichts anfangen.

© Heribert Fassbender, 2016
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fünf Tage Ferien in einem der geheimnisvollsten und bizarrsten Länder der Erde
Details:
Aufbruch: April 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: April 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Heribert Fassbender berichtet seit 8 Jahren auf umdiewelt.