Reisebericht nach Kabul Afghanistan November 2005

Reisezeit: November 2005  |  von Andreas Timmler

Untersuchungsmarathon und eine Hochzeit

:: Dienstag, 8. November 2005

Schon früh fuhren wir wieder mit unserem üblichen Gepäck ins Krankenhaus, um die Untersuchungen der Kinder fortzusetzen. Ähnlich wie gestern wartete wieder eine große Menschenmenge darauf, in unser Untersuchungszimmer zu gelangen.

Mittags kamen Fatima und ihr Vater in das Krankenhaus. Fatima lief sofort zu Falk und brach in fürchterliche Tränen aus. Der gestrige Abend sei sehr schrecklich gewesen, da mindestens 25 Personen um sie herum gestanden haben, die alle wild in Dari auf sie eingesprochen hätten und sie nichts verstanden habe. Sie rief laut, sie wolle wieder mit Falk zurück nach Deutschland. Für ihren Vater muss diese Situation schrecklich gewesen sein, zu sehen, wie sich seine eigene Tochter in die Arme eines "fremden" Mannes rettet und sich dort ausweint. Auch der Vater brach in Tränen aus und für uns alle war diese Situation sehr unangenehm. Wir versuchten Fatima zu erklären, dass sich die Situation bald verbessern würde, wenn sie erst wieder einige Wörter ihrer Muttersprache verstehen würde. Zum Glück verstand sie unsere Erklärungs- und Tröstversuche und hörte recht bald auf zu weinen. Der Vater wurde ebenfalls untersucht und es wurde ein Herzfehler diagnostiziert. Ihm wurde geraten, aus Shebar in tiefer gelegene Gebiete Afghanistans umzuziehen, was sein Befinden verbessern würde. Es wurde ein erneuter und schwieriger Abschied zwischen Falk und Fatima. Letztlich gelang dieser Abschied jedoch, es sollte aber noch nicht der Letzte gewesen sein.

Markus und Sadeq fuhren anschließend mit dem Taxi zurück zum Deutschen Hof. Falk, Alex und ich wollten jedoch noch einige Fotos in dem Krankenhaus machen, um die allgemeine Situation dort zu dokumentieren, was uns am Vortag nicht möglich war, da sich Alex dort auf die medizinischen Fotos beschränkt hatte.

erneuter Abschied von Fatima

erneuter Abschied von Fatima

Als kleines Dankeschön für ihre Mühe hatten wir sowohl Dr. Sharif als auch Dr. Zubaida jeweils 100,- Euro gegeben. Dr. Sharif bat uns, mit ihm zusammen in die Stadt zu fahren um zu sehen, was er von diesem Geld kaufen würde. Wir stimmten dem zu und so saßen wir kurze Zeit später im krankenhauseigenen Bus zusammen mit dem Fahrer und Dr. Sharif und waren auf dem Weg in die Stadt. Der Bus hatte ringsherum alte und dreckige Gardinen, mit denen die Fenster zugehängt waren. Den Weg in die Stadt benutzten wir auch dazu, einige Eindrücke auf Fotos festzuhalten. Plötzlich hörten wir laute Schreie: "Stopp, Stopp, Stopp!!!" und unser Bus hielt recht unsanft an. Vor unserem Bus positionierten sich zwei bewaffnetet Soldaten und wir sahen durch die Frontscheibe in den Lauf eines Maschinengewehres. Sofort stürmten zwei weitere Soldaten durch die offene Tür in unseren Bus und schrieen: "You took a picture, give me the camera, show me the picture!". Falk, der offensichtlich ein Foto hinter der Gardine geschossen hatte, wurde aufgefordert, den Soldaten sofort das geschossene Bild zu zeigen. Nach einigen Erklärungsversuchen, dass es sich bei dem Fotoapparat nicht um eine Digitalkamera handele und das Bild nicht angesehen werden könne, führte der Soldat hektisch einige Gespräche über Walky-Talky. Wir wurden gefragt, woher wir kämen und in welcher Mission wir in Kabul unterwegs seien. Es war sehr schwierig, den Soldaten zu erklären, dass wir in humanitärer Mission unterwegs sind und dass das Foto nur zu privaten Zwecken aufgenommen worden sei. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem fotografierten Objekt um ein sehr wichtiges Hochsicherheitsgebäude der internationalen Schutztruppe ISAF, das auf keinen Fall fotografiert werden dürfe. Nachdem wir die Soldaten von unserer friedlichen Mission überzeugt hatten und Andreas den Soldaten seine Visitenkarte überreicht hatte, durften wir unsere Fahrt fortsetzen.

Wir kamen in einer Einkaufsstraße an und stiegen zusammen mit Dr. Sharif und dem Fahrer aus und wunderten uns nicht schlecht als wir sahen, was eingekauft werden sollte: Besen, Schrubber, Ata und große Putzeimer. Dr. Sharif bat uns, nach der Rückkehr im Krankenhaus die hygienischen Zustände am heutigen Tag zu dokumentieren und morgen wiederzukommen, um die Veränderung der Situation zu beurteilen. Welch eine groteske Situation? Da fährt der Chefarzt persönlich in die Stadt, um Gegenstände zur Reinigung des Krankenhauses zu besorgen.

Dr. Sharif beim Einkauf von Reinigungsmaterial

Dr. Sharif beim Einkauf von Reinigungsmaterial

Diese kleine Geschichte verdeutlicht vielleicht am Besten, wie weit der Zustand der Krankenhäuser von westlichen Standards entfernt ist.

Wieder zurück im Krankenhaus konnte Alex daraufhin die Situation des Krankenhauses auf Fotos festhalten. Wir hoffen sehr, dass diese Fotos dazu beitragen, dass vielleicht deutsche Krankenhäuser bereit sind, eine Patenschaft für dieses Kinderkrankenhaus zu übernehmen und es mit dem Nötigsten zu versorgen.

Verabschiedet wurden wir von Dr. Sharif mit einer Einladung zu einer Hochzeit, die am Abend in der Kabuler "Wedding-Hall" stattfinden würde. Die Tochter eines Chefarzt-Kollegen würde heiraten und es wäre ihm eine besondere Ehre, wenn wir mit ihm zu dieser Hochzeit fahren würden. So verabredeten wir uns für den Abend um 18:00 Uhr am Deutschen Hof.

Bewusst nahmen wir für den Rückweg zum Hotel kein Taxi, da Alex noch weitere Bilder vom Kabuler Alltag brauchte. So gingen wir zu Fuß und versuchten uns zu orientieren. Wir hielten uns an den fast immer sichtbaren Berg im Bezirk Wazir-Akhbar-Khan. Dort im Viertel der Reichen wurde sehr viel gebaut, prachtvolle Villen mit glänzenden Fassaden aber wenig Bausubstanz. Zumindest äußerlich schienen diese Häuser den Eindruck von viel Geld zu vermitteln.

Wazir-Akhbar-Khan

Wazir-Akhbar-Khan

Sehr skurril wirkten auch die Hinterlassenschaften des Krieges, wie zerbombte Panzer, die mitten in den Straßen dieser Villen nach wie vor herumliegen und nicht entfernt werden.

Krigesschrott und Villen in Kabul

Krigesschrott und Villen in Kabul

Gegen 17:00 Uhr kamen wir an unserem Ziel, dem deutschen Hof an.

Auf uns wartete ein Bus voller Leute. Fatima und ihre Familie waren erneut zu uns gekommen, um sich von uns zu verabschieden. Nach weiteren Tränen und einigen Gesprächen mit Fatima und dem Vater verabschiedeten sie sich dann endgültig von uns, stapelten sich in ihren Leihbus und verschwanden in der dunklen, staubigen Kabuler Nacht...

endgültiger Abschied von Fatima

endgültiger Abschied von Fatima

Pünktlich um 18:00 Uhr fuhr Dr. Sharif vor. Zusammen mit Ihm und Sadeq fuhren wir mit zwei Autos zur Kabuler "Wedding-Hall". Uns begleiteten unterschiedliche Gefühle bei dem Gedanken, gleich einer afghanischen Hochzeit beizuwohnen. Erstens hatten wir noch sehr viel für den morgigen Abflug vorzubereiten, zweitens waren wir müde von dem anstrengenden Tag, drittens fragten wir uns, ob wir auf solch einer Hochzeit am richtigen Platz wären. Es überwog jedoch die Überzeugung, dass es sehr unhöflich gewesen wäre, diese Ehrerbietende Einladung abzulehnen und so fuhren wir auch schon an der bunt beleuchteten Halle vor. Alle zusammen passierten die bewaffneten Wachmänner, die den Zutritt zur Halle regelten. Es ging eine Treppe hinauf, wobei uns schon ohrenbetäubende Musik entgegegenschlug. Offensichtlich gab es in dieser Halle mehrere kleinere Hallen, in denen überall Hochzeiten gefeiert wurden. Aus jeder Halle kam unterschiedliche, aber durchweg sehr laute Musik, was das Durcheinander perfekt machte. Dr. Sharif führte uns dann in eine Halle, in der an runden Tischen ca. 300 - 400 Männer saßen, die der Musik der afghanischen Band zuhörten. Frauen gab es keine in diesem Raum. Wie uns später erklärt wurde, feiern Männer und Frauen getrennt Hochzeit, die Männer in dem großen Festsaal, die Frauen in dem kleinen.

Wir setzten uns an einen der vielen Tische und "feierten" Hochzeit. Für europäische Ohren war die laute sehr monoton klingende Musik der Band nicht wirklich geeignet, einige der afghanischen jüngeren Männer schien es jedoch sehr zu gefallen und so wurde ausgelassen zu den Rhythmen getanzt. Von Zeit zu Zeit wurden Geldscheine in die Luft geschleudert, die dann von afghanischen Kindern, natürlich Jungen, eingesammelt wurden.

Diese Show zog sich über 1,5 Stunden hin, wobei die einzige Möglichkeit, sich zu unterhalten, in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Musikstücken war. Einige ältere afghanische Männer schien diese Show auch nicht zu interessieren und sie schliefen zusammengesunken auf ihrem Stuhl ein, was für uns wegen des Lärms wie ein echtes Wunder wirkte. Plötzlich hörte die Band auf Musik zu machen und es wurden Plastikdecken auf die Tische gelegt. Ein Redner kündigte in der Landessprache Dari an, dass nun das Essen gereicht würde. Auf riesigen Tabletts wurde das Hochzeitsmahl auf den Tischen verteilt, das aus drei verschiedenen Reissorten, Hähnchen, Lammfleisch und Rindfleisch, rohem Gemüse und viel Obst bestand.

Besuch einer Hochzeit

Besuch einer Hochzeit

Wir hatten auch Hunger und waren froh, am letzten Abend noch solch ein delikates Essen zu bekommen. Am meisten freute uns jedoch die Ruhe beim Essen, denn die Band hatte nun auch Pause. Nach dem ausgiebigen Mal setzte sich die Show unverändert fort: die Band machte Krach, einige junge Männer tanzten, die Kinder sammelten die geworfenen Geldscheine auf, ältere Männer schliefen wieder ein...

nach dem Hochzeitsmahl

nach dem Hochzeitsmahl

Wir entschlossen uns, die Feierlichkeit zu verlassen. Wir fuhren zusammen mit Dr. Sharif zurück und verabschiedeten ihn vor seinem Haus. Am deutschen Hof angekommen gönnten wir uns in der Hotelbar noch ein Bier und fingen gegen 23:00 Uhr an, unser Gepäck zu packen, was sich als nicht ganz einfach herausstellen sollte.

Bei unseren Besuchen bei den Familien wurden uns fast immer Geschenke für uns mitgegeben, die aus vielen Tüten mit Pistazien, Nüssen, getrockneten Rosinen, Kichererbsen, Obst und vielem mehr bestand. Diese Geschenke hatten wir immer in unsere Zimmer gestellt und wunderten uns nun über die enormen Mengen, die es zu verpacken galt. Zum Glück hatten wir noch drei leere Umzugskartons, in denen wir das Spielzeug transportiert hatten. So machten sich Alex und Andreas daran, diese Geschenke in die Kartons zu verpacken. Um 01:00 Uhr nachts war dann alles mehr oder weniger transportsicher verpackt und wir legten uns ein letztes Mal in unser staubiges Bett.

auch eine Burka gab es als Geschenk für uns

auch eine Burka gab es als Geschenk für uns

© Andreas Timmler, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Erfahrungen aus Afghanistan anlässlich eines humanitären Hilfseinsatzes für kranke und verletzte Kinder
Details:
Aufbruch: 02.11.2005
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 09.11.2005
Reiseziele: Afghanistan
Der Autor
 
Andreas Timmler berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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