Nordkorea - Oktober 2016

Reisezeit: Oktober 2016  |  von Nick H.

Achttägige Rundreise durch die Demokratische Volksrepublik Korea im Oktober 2016

Vorwort

"Aus all den möglichen Reiseländern...!"

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Bei einem Reisebericht über Nordkorea ist es schwierig, den richtigen Ton zu treffen. Er soll unterhaltsam, aber nicht unangebracht lustig sein. Er soll erklären, aber nicht belehrend wirken. Er soll mahnen und doch Lust auf das Land machen. Hinzu kommt, dass jeder eine eigene, vorgefertigte Meinung über Nordkorea zu besitzen scheint und meinen Text unterschiedlich auffasst... Ich gebe mir Mühe und bitte um Nachsicht!

Der eigentliche Bericht soll sich primär auf die Beschreibung und Darstellung des Gesehenen sowie einige Anekdoten konzentrieren. Trotz des speziellen Reiseziels sollen die dahinterstehenden komplexen politischen Zusammenhänge nicht seitenlang diskutiert werden. Ich versuche daher, die Gründe für den Antritt meiner Reise hier im Vorwort "abzufrühstücken", um die folgenden Kapitel weniger davon unterbrechen zu müssen. Wer sich also nur für den reinen Reisebericht interessiert, kann diesen - für manche sicher etwas zähen - Part überspringen. Danach ist es nicht immer so bierernst, versprochen!
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Eine Reise nach Nordkorea:
'Kann man das machen..?'
...und...
"...will man das überhaupt machen?!"

Die erste Frage ist zwar rechtlich und organisatorisch schnell beantwortet ("Ja, recht einfach sogar."), ethisch jedoch etwas komplizierter. Natürlich unterstütze ich das nordkoreanische Regime finanziell mit meiner Reise. Wahrscheinlich fließt mein Geld nicht in die Ernährung der Bevölkerung. Vielleicht sogar in die Entwicklung von Nuklearwaffen.
Das ist schon einmal ein guter Grund, der gegen die Reise spricht. Experten gehen allerdings davon aus, dass Nordkorea bereits jetzt rund 20 Nuklearwaffen besitzt. Ob 19, 20 oder 21...jede ist eine zu viel. Stabiler oder instabiler wird die Region durch eine mehr oder weniger wahrscheinlich aber nicht (als Relation: USA und Russland besitzen jeweils >7.000 Nuklearwaffen). Außerdem hat die Bundesrepublik Deutschland ein Handelsvolumen von ca. 11 Mio. Euro pro Jahr mit Nordkorea und China von rund 5,5 Milliarden(!) US-Dollar (Stand 2016). Der deutsch-nordkoreanische Tourismus ist somit wohl nicht der treibende Faktor in der Erhaltung und Ausrüstung eines Regimes.

Ist es dennoch das falsche Zeichen, in ein solches Land zu reisen? Ich glaube nicht. Der Tourismus öffnet das Land ein kleines Stück gegenüber der restlichen Welt. Natürlich bekommt man nur bestimmte Regionen, Personen und Dinge zu sehen. Teilweise sind es Potemkinsche Dörfer. Marmor soweit das Auge reicht, aber die Klospülung funktioniert nicht. Mehrfach erlebt. Und trotzdem... Jeder "normale" Kontakt zur Außenwelt bzw. zu Personen aus der "Außenwelt" hilft hier meines Erachtens mehr, als dass er schadet. Wenn sich Nordkorea in naher Zukunft wandeln soll, muss dies wahrscheinlich von innen heraus initiiert werden. Per Gewalt von außen würden jedenfalls die Leben vieler Millionen Menschen gefährdet werden. Der Tourismus könnte eine kleine Hilfe für diesen Wandel darstellen. Und - ob man es glaubt oder nicht - in den letzten zehn Jahren haben sich schon einige Dinge in Nordkorea geändert. Es fahren etwas mehr Autos auf den Straßen, es eröffnen "italienische" Restaurants, es gibt kleine Straßenmärkte und die Leute besitzen zum Teil Smartphones...ja, momentan primär in Pjöngjang, aber Wandel benötigt Zeit. Angeblich entwickelt sich langsam so etwas wie eine neue Mittelschicht.

Selbstverständlich ist dies nur meine Meinung und jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er eine solche Reise vertreten kann. In dem Land geschieht viel Unrecht, ganz klar. Aber wenn man so an die Sache herangeht, wird die Liste der ethisch vertretbaren Urlaubsländer inzwischen ziemlich kurz.

Zur Frage, ob man nach Nordkorea reisen will...
Im Vorfeld wurde mir diese Frage des Öfteren von Freunden und Familie gestellt, oftmals gefolgt von einem "Für mich wäre das ja nichts".

Die Frage war für mich sehr leicht zu beantworten: Unbedingt!
Warum? Was erwarte ich mir von der Reise?

Ich reise primär, um etwas Neues kennenzulernen. Dinge, die "anders" oder "fremd" sind. Menschen, Kulturen, Natur, Architektur.
Ich kann in 118 Ländern (Stand 2014) zu McDonalds gehen. Warum sollte ich das in anderen Ländern unbedingt tun wollen? Um den thailändischen Big Mac im Vergleich zum deutschen zu bewerten?
Nordkorea ist jedenfalls mit kaum einem anderen Land der Erde vergleichbar. Die Mischung aus koreanischer Tradition, Sozialismus inklusive - in unseren Augen bizarren - Führerkult und recht strikter Isolation ist einzigartig. Alltägliche Dinge wie U-Bahn fahren, Essen gehen oder ein Spaziergang durch die Stadt - Tätigkeiten, die hier kaum der Rede wert sind - haben in Nordkorea das Potential, zu unvergesslichen Ereignissen zu werden. Auch wenn man die Welt nie als Ganzes "verstehen" wird, hilft jedes Mosaiksteinchen für ein paar neue Erkenntnisse.

Selbsternannte Experten berichten seit Ende der 80er Jahre jährlich darüber, dass der nordkoreanische Staat ganz, ganz kurz vor dem Zusammenbruch steht. Bislang weigert er sich aber beharrlich...ähnlich wie ein bekanntes gallisches Dorf bei den Römern. "Ganz Asien ist von den Kapitalisten besetzt. Ganz Asien? Nein, ein von unbeugsamen Nordkoreanern bevölkerter Staat hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten". Sollte einer der Experten doch irgendwann einmal Recht behalten... Wer weiß, was danach kommt? Daher war Nordkorea für mich ein Reiseziel, das ich lieber sofort als in ferner Zukunft besuchen möchte.

Ist es "Sensationslust", dorthin zu reisen? Oder "Katastrophentourismus", wie es inzwischen so schön heißt? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich war es schlicht die Möglichkeit, Einblicke in ein sonst vollkommen verschlossenes Land zu erhalten. Ein Land, das man nur aus den Nachrichten kennt: Atombombentests, Hungerkatastrophen, Folter. Aber dort leben, lieben und - ja - lachen viele Millionen Menschen, es muss also noch mehr geben!

Natürlich ist es wichtig, dass man das in Nordkorea Erlebte in die richtige Perspektive setzen kann. Dass man weiß, was einem gezeigt wird und insbesondere was eben nicht. Es hat seine Gründe, dass man sich nicht frei im Land bewegen oder offen mit den Einwohnern reden darf. Das Phänomen Nordkorea wird niemand nach einer - wie auf Schienen geführten - achttägigen Touristen-Rundreise erklären können. Ein paar Fragen werden beantwortet, viele neue aufgeworfen. Unbefriedigend fühlt sich das dennoch nicht an. Mehr Fakten und Einblicke sind nie verkehrt, um sich am Ende das eigene Urteil zu bilden. Selbst wenn das persönliche Fazit viele "Möglicherweise" und "Kann ich nicht sagen" beinhaltet.

Noch ein paar Worte zur Isolation Nordkoreas: Ohne die folgenden Sätze wertend zu meinen, ist der Hang der Nordkoreaner zur Isolation und Selbstversorgung historisch zu einem gewissen Grad nachvollziehbar.
Jahrhundertelang war Korea ein Spielball zwischen den Mongolen, Chinesen und Japanern. Vasallenstaat, Protektorat, Kolonie. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Korea schließlich zur Kolonie Japans. Die koreanische Sprache, die Namen und die traditionelle Kleidung wurden verboten, Rohstoffe ausgebeutet. Die komplette koreanische Identität sollte ausgelöscht werden. Es gab Zwangsarbeiter in den Minen und bis zu 200.000 Frauen, mehrheitlich aus Korea, wurden von den Japanern verschleppt und dienten als Zwangsprostituierte für die kaiserliche Armee.

Gerade als es wieder zur koreanischen Selbstverwaltung hätte kommen können, kam der Beginn des Kalten Krieges und schließlich der Koreakrieg dazwischen. Im Koreakrieg wurden 450.000 Tonnen(!) an Bomben durch die US Air Force abgeworfen. Über Pjöngjang mehr als eine Bombe pro Einwohner! 18 der 22 größten Städte Nordkoreas wurden komplett dem Erdboden gleichgemacht und es fielen mehr Bomben als im gesamten asiatischen Raum während des zweiten Weltkriegs.
Es wurde mehr Napalm als im Vietnamkrieg eingesetzt und die Folgen waren schlimmer, da es größere Ballungszentren gab. Der Einsatz von Atombomben stand ebenfalls auf der Kippe. Das gesamte Ausmaß kann man sich kaum vorstellen.

Apropos Atombomben: Mir ist schon klar, wie gefährlich Atombomben in den Händen eines solchen Regimes sind und dass dieser Schritt extrem problematisch ist. Dass jedoch bei jedem Atomwaffentest von einer internationalen Provokation gesprochen wird, ist - wenn man sich in die nordkoreanische Denkweise hineinversetzt - schwierig zu verstehen. Während dort bis heute 5-6 Kernwaffentests durchgeführt wurden (Stand 2016), hat die USA zu diesem Zeitpunkt bereits 1.039(!) solcher Tests absolviert. Gab es dort jedes Mal einen Aufschrei und wurden Sanktionen verhängt? Wie gesagt...ich weiß, warum mit allen Mitteln versucht wird, diese Entwicklungen aufzuhalten. Aber dass sich Nordkorea nicht von einer Nation, die aus ihrer Sicht in ihr Heimatland eingefallen ist, sagen lässt, wer solche Waffen besitzen darf und wer nicht, muss ebenfalls klar sein. Stellt man sich vor, Nordkorea hätte die US-amerikanischen Atomwaffentests auf dem Bikini-Atoll durchgeführt, bei denen radioaktiver Niederschlag auf bewohnte Atolle abregnete, die Besatzung eines japanischen Fischerbootes verstrahlt wurde und ein Matrose starb...was wäre da los gewesen?

Ja, es ist ein Privileg, dass wir Pressefreiheit genießen, dennoch muss man vorsichtig mit der auch hier etwas einseitigen Berichterstattung sein. Ich möchte ganz sicher nicht die nordkoreanischen Verbrechen gegen die Menschenrechte wie Folter oder die Sippenhaft klein reden. Oder sagen, dass Nordkorea nur Opfer und nicht Täter im Koreakrieg war. Dennoch ist es aus nordkoreanischer Weltanschauung vor diesem geschichtlichen Hintergrund vielleicht etwas verständlicher, warum nach all den "Invasoren" auf der koreanischen Halbinsel der Drang besteht, sich dank Nuklearwaffen "unangreifbar" zu machen und sich das Land abschottet [Sŏn'gun-Politik (sŏn = zuerst; gun = Militär); "Militär zuerst!"].

Zitat eines ranghohen nordkoreanischen Diplomaten:
[k]"Die ganze Welt kann nun sehen, welche Konsequenzen die Aufgabe seines Atomprogramms für Libyen hat. Libyens nukleare Demontage, die in der Vergangenheit von den USA so hoch gelobt wurde, war nichts anderes als ein Wegbereiter für die Aggression. Damit haben die USA mit solch süßen Worten wie 'Sicherheitsgarantie' und 'Verbesserung der Beziehungen' Libyen dazu gebracht, sich selbst zu entwaffnen, nur um es anschließend aufzufressen."[/k]

Die Sŏn'gun-Politik geht so weit, dass die Landesverteidigung über die Lebensmittelversorgung gestellt wird. Eine Konsequenz war der "Schwere Marsch" in den 1990er Jahren. Eine Hungersnot, bei der geschätzt 600.000 - 1.000.000 Menschen starben. Die Gründe hierfür waren neben der Sŏn'gun-Politik jedoch vor allem auch die begrenzte Anbaufläche (sehr bergige Landschaft), Missernten dank Dürren im Frühjahr und Überschwemmungen im Sommer, das fast komplette Erliegen des Außenhandels nach dem Zusammenbruch des "Ostblocks", die chronisch ineffektive Planwirtschaft, die Fertigstellung eines Dammes (Überschwemmung von Ackerfläche), die Entscheidung keine ausländischen Helfer ins Land zu lassen sowie der Tod des Ewigen Präsidenten Kim Il Sungs 1994.

Hier kam wahrlich vieles zusammen! Hausgemachte Probleme, von außen beeinflusste Faktoren sowie höhere Gewalt.

Südkorea zeigt zwar, dass es nach dem Koreakrieg einen anderen Weg aus der Situation gegeben hätte, allerdings waren die Rahmenbedingungen und Bündnisse hier auch andere.

Aber genug zum politischen Geschwafel! Halten wir fest: Nichts ist nur schwarz oder nur weiß in der Welt.

Kommen wir lieber zur Reise selbst!

© Nick H., 2017
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: Oktober 2016
Dauer: unbekannt
Heimkehr: Oktober 2016
Reiseziele: Nordkorea
Der Autor
 
Nick H. berichtet seit 7 Jahren auf umdiewelt.