Altes Land – neue Staaten: Slowenien – Kroatien – Bosnien-Herzegowina

Reisezeit: Mai / Juni 2018  |  von Angelika Gutsche

Bosnien-Herzegowina: Sarajevo und der Bürgerkrieg

Bei den Kämpfen um Bosnien hat auch die EU schwere Schuld auf sich geladen. Sie forderte ein Referendum über die Unabhängigkeit Bosniens, obwohl klar war, dass die Serben, die ein Drittel der Bevölkerung stellten, diese Unabhängigkeit strikt ablehnten. Anfang 1992 fand das Referendum statt, das von den Serben boykottiert wurde. Es stimmte zwar eine Mehrheit von 62 Prozent für „Ja“, dies war aber angesichts des Boykotts keine überwältigende Mehrheit. Nur einen Monat später wurde Bosnien von der EU und von den USA anerkannt.
Bereits am 1. März 1992 wurde im Basarviertel von Sarajevo bei einer Hochzeit in der orthodoxen Kirche der Bräutigam von einem Moslem erschossen und der Priester schwer verletzt. Am 6. April 1992, genau an jenem Tag, an dem die EU Bosnien-Herzegowina als eigenständigen Staat anerkannte, fielen in Sarajevo weitere Schüsse, abgegeben von Heckenschützen auf Demonstranten, die für die multikulturelle Einheit Bosniens auf die Straße gegangen waren. Während zunächst behauptet wurde, es seien „die Serben“ gewesen, konnten später Paramilitärs des Moslemführers Izetbegović als Schützen ausgemacht werden.
Izetbegović kann durchaus als Hardcore-Islamist bezeichnet werden, dem in Bosnien die Errichtung einer islamischen Republik, gewürzt mit nationalen Inhalten, vorschwebte. In der bosnischen Stadt Višegrad sprengten seine Anhänger das Denkmal des größten bosnischen Dichters Ivo Andrić. So verwundert es nicht, dass sich 90 Prozent der Bewohner der serbischen Gebiete im Falle einer Sezession Bosniens von Jugoslawien für eine eigene serbische Republik aussprachen. Auch die Kroaten wollten sich aus Bosnien verabschieden und riefen den Staat Herceg-Bosna mit Mostar als Hauptstadt aus. Der serbische Nationalismus radikalisierte sich immer mehr und fand seinen Ausdruck in der Führerschaft von Radovan Karadžić, dem Jahre später in Den Haag der Prozess gemacht wurde. „Dort enden Kriegsverbrecher, wenn sie der falschen Seite angehören“, wie es in „Golo spaziert“ von Teer Sandmann heißt.

Sarajevo wurde von 1992 bis 1996 von der jugoslawischen Armee belagert, die die Sezession Bosnien-Herzegowinas und die Vertreibung der Serben aus der Stadt nicht hinnehmen wollten. Die Frontlinie zwischen den Izetbegović- und den Karadžić-Kämpfern verlief zunächst mitten durch das Zentrum, bis der Ring durch die serbischen Kräfte immer enger gezogen und Sarajevo brutal belagert wurde. Die UN organisierten eine Luftbrücke und ein heute zu besichtigender Versorgungstunnel wurde gegraben. Es gab Granat- und Mörserbeschuss, Heckenschützen zielten auf Zivilisten. Im Laufe der Kriegshandlungen kam es zu ethnischen Säuberungen. Über zwei Millionen Menschen wurden vertrieben, Kulturdenkmäler zerstört. Alle Beteiligten verübten Gräueltaten wie Massaker, Folterungen und Vergewaltigungen. Wunden wurden geschlagen, die bis heute nicht geheilt sind. Die Aufsätze der aus Kroatien stammenden und sich als „Post-Jugoslawin“ begreifende Autorin Dubravka Ugrěsić wurden unter dem Titel „Die Kultur der Lüge“ veröffentlicht. Sie schreibt: „Die Quantität des Bösen, das Unschuldigen in Sarajevo angetan wurde, bereite sich aus wie ein radioaktives Gift, jeder empfing nichtsahnend seine Strahlendosis.“ Und sie weiß: „Europa ist in Sarajevo gestorben“.
Es gab in Sarajevo zwei Attentate mit weitreichenden Folgen. Das erste fand am 5. Februar 1994 am Marktplatz statt und forderte 68 Tote und 200 Verletzte. Die Serben, die dafür verantwortlich gemacht wurden, stritten jede Beteiligung an der schrecklichen Tat ab. Trotzdem wurde das Attentat zum Anlass genommen, Serbien mit Luftschlägen zu drohen und ein Flugverbot über Bosnien zu verhängen. Die Nato griff erstmals in den Jugoslawien-Krieg ein und schoss vier Cessna-Maschinen der bosnischen Serben ab. Wie die New York Times später recherchierte, war eine serbische Urheberschaft des Attentats sehr fraglich und vieles sprach für eine Täterschaft von moslemischer Seite.

Das zweite Attentat in Sarajevo traf am 28. August 1995 wieder den Marktplatz und forderte 41 Tote und 80 Verwundete. Auch für diesen Einschlag einer Mörsergranate wurden die Serben verantwortlich gemacht. Der Vorwand für die militärische Nato-Intervention auf dem Balkan war gegeben. 60 Nato-Kampfjets bombardierten Stellungen der Serben und die bosnisch-serbischen Ortschaften Pale und Lukavica, was schon in den ersten Tagen 100 Todesopfer forderte. Der Sonderbeauftragte der USA für Bosnien, Richard Holbrooke schrieb darüber in seinem Buch „Meine Mission“, dass „die Nato Luftangriffe gegen die bosnischen Serben aufnehmen [sollte], und zwar keine bloßen Nadelstiche, sondern einen schweren und wenn möglich nachhaltigen Luftkrieg … Dies sei, fuhr ich fort, seit dem Ende des Kalten Krieges der wichtigste Test für den amerikanischen Führungsanspruch nicht nur in Bosnien, sondern in ganz Europa.“ Die Luftschläge waren erfolgreich, die bosnischen Serben besiegt, als ein UN-Untersuchungsbericht zu dem Ergebnis kam, dass die Mörsergranate, die auf dem Markt so viele Tote gefordert hatte, von bosnischen Regierungstruppen und nicht von den Serben abgefeuert worden war. Egal, wer heute hier dank Bombardierung das Sagen hat, manifestiert sich in dem monströsen Bauwerk der US-Botschaft: ein gewaltiger Klotz, umzäunt wie ein Hochsicherheitstrakt.
So von der EU und den USA in die Enge getrieben, erklärten sich die Serben zur Unterzeichnung des Dayton-Vertrages bereit, der weder eine Aussöhnung der Ethnien, noch eine politische Einigung vorsah. Dagegen wird im Dayton-Vertrag die Einführung der Marktwirtschaft und Privatisierung der Staatsbetriebe festgeschrieben. Nach in Kraft treten des Dayton-Abkommens 1996 gaben die Serben ihre Stellungen um Sarajevo auf. Seitdem zählen nur noch fünf Prozent der Bevölkerung Sarajevos zu den bosnischen Serben. Insgesamt kamen im Bosnienkrieg etwa 200.000 Menschen ums Leben, davon waren mindestens 85 Prozent Zivilisten, so die Time am 20. Juli 1994; über zwei Millionen Menschen flüchteten, die Hälfte davon ins Ausland. Nach dem Eingreifen der Nato und dem Ende des Bürgerkriegs wurde Bosnien zu einem von Weltbank und Währungsfonds verwalteten Protektorat, das es bis heute blieb. Die höchste Staatsautorität ist der Hohe Repräsentant, der von den Vereinten Nationen eingesetzt wird und sogar berechtigt ist, gewählte Amtsträger abzusetzen. Die Nato, die zunächst die militärische Macht in Bosnien-Herzegowina bildete, wurde von einer EU-Friedenstruppe namens EURFOR abgelöst.
Jedem, der sich für die Geschichte Jugoslawiens und die daraus hervorgegangenen Staaten interessiert, sei das Werk von Johannes Hofbauer „Balkankrieg. Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens“ empfohlen. Hofbauer sieht die Balkankriege als Ergebnis des militärischen Eingreifens der Großmächte und beschreibt die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervor gegangenen Republiken als „Tummelplatz ausländischer Militärs, Politiker und NGO-Vertreter“.

© Angelika Gutsche, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Reise durch drei ehemalige jugoslawische Republiken, in denen sich noch viele Spuren des Bürgerkriegs finden, dessen Wunden noch nicht verheilt sind.
Details:
Aufbruch: 26.05.2018
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 15.06.2018
Reiseziele: Slowenien
Kroatien
Bosnien und Herzegowina
Österreich
Deutschland
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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