Altes Land – neue Staaten: Slowenien – Kroatien – Bosnien-Herzegowina

Reisezeit: Mai / Juni 2018  |  von Angelika Gutsche

Bosnien-Herzegowina: Sarajevo - Stadtbesichtigung

Doch zurück in die Gegenwart. Neben dem Eingang zu einem Markt namens Sirano heißt es auf einem Spruchband: „EU ROPE Wasn't it enough??? 1992 – 1995 WASN'T IT?!“ Tatsächlich liegt in Bosnien immer noch und immer wieder Spannung in der Luft.

Sarajevo - Transparent gegen neuen Krieg

Sarajevo - Transparent gegen neuen Krieg

Dies hält uns aber nicht von einer Stadtbesichtigung ab und schon bald erreichen wir die serbisch-orthodoxe Kirche aus dem Jahre 1869, die über sehr schöne Ikonen verfügt (Eintritt 1 €). Gleich in der Nähe machen wir in dem kleinen Stadtpark eine Pause. Wir bewundern die Statue von Mak Dizdar (1917 bis 1971), ein bedeutender bosnischer Dichter, zu dessen wichtigsten Werken „Der blaue Fluss“ und „Stein Schläfer“ zählen. Ganz in der Nähe erhebt sich die katholische Herz-Jesu-Kathedrale mit ihren zwei Glockentürmen. Nicht weit davon befindet sich die wunderbare kleine Ferhadija-Moschee mit Friedhof. Das Osmanische Reich hat wunderbare Bauwerke hinterlassen, seine Moscheen sind Oasen der Ruhe und Besinnung.

Sarajevo Stadtpark Büste Mak Dizdar

Sarajevo Stadtpark Büste Mak Dizdar

In einem Straßencafé gönnen wir uns einen Kaffee. Amerikanische Ketten, Parfümerien und italienische Edelboutiquen haben in den Läden der Ferhadija-Straße Einzug gehalten. Wer sich wohl hier das Einkaufen leisten kann? Unser Taxifahrer bestimmt nicht. Und auch nicht die etwa 25 Prozent Arbeitslosen. Und auch von den Berufstätigen dürften es nicht viele sein, denn das monatliche Durchschnittseinkommen beträgt 400,00 Euro. Neben den Hauseingängen noch die Einschusslöcher der Kämpfe. In seinem Buch beschreibt Teer Sandmann seine Eindrücke bei einem Besuch Sarajevos kurz nach Kriegsende: „In den Parks von Sarajevo roch es nach Verwesung. Gleichzeitig schossen Boutiquen wie Pilze aus dem Boden. Neben durchlöcherten Hausfassaden öffneten Restaurants und Bars ihre Tore und junge Leute, kaum zwanzig, saßen da, lachten, tranken süßes Bier und Cola und rauchten. Die Kleidung der Mädchen war so knapp und spärlich, wie Golo es nirgendwo sonst gesehen hatte. Es musste dem Krieg entrissen werden, was er sich genommen hatte. Vielleicht war die nackte Haut ein Denkmal. Gewidmet den toten Kameradinnen und Kameraden, mit denen man als Acht- oder Zehnjährige noch gemeinsam in den Bänken der Grundschule gesessen hatte und die nun unweit der Boutiquen und Bars in der Erde der städtischen Parks verfaulten.“

Sarajevo Herz-Jesu-Kathedrale

Sarajevo Herz-Jesu-Kathedrale

Wie es scheint, wird in Sarajevo großer Wert darauf gelegt, dass der Bürgerkrieg nicht vergessen wird. Große Tafeln weisen auf eine „Exhibition Crime against Humanity and Genozid“ und auf eine Ausstellung „Srebrenica“. So wird in den Köpfen der Besucher der Gedanke betoniert, dass hier ein „Freiheitskampf“ der Bosnier gegen die bösen Serben stattgefunden hat. Offiziell bemüht sich eine sogenannte internationale Gemeinschaft, den Gesamtstaat zu stärken. Tatsächlich geht Versöhnung anders. Der Westen wies die gesamte Schuld für die Eskalation, die zu dem grausamen Bürgerkrieg führte, Serbien zu. Doch schaut man sich die Vorgänge genauer an, lässt sich diese einseitige Schuldzuweisung nicht aufrechterhalten. Peter Handke schrieb 1996: „Allzu schnell nämlich waren für die sogenannte Weltöffentlichkeit auch in diesem Krieg die Rollen des Angreifers und des Angegriffenen, der einen Opfer und der nackten Bösewichte, festgelegt und fixgeschrieben worden.“ Er weist darauf hin, dass die Ethnien und Religionen der drei Völkerschaften „von Dorf zu Dorf, und in den Dörfern selber von Haus zu Hütte, neben- und durcheinander lebten“. An anderer Stelle benennt Handke den französischen Philosophen Bernard Henri-Lévy als denjenigen, der sofort nach dem Anschlag auf den Markt von Sarajevo sagte: „Es wird sich zweifelsfrei herausstellen, dass die Serben die Schuldigen sind.“ Es handelt sich dabei übrigens um den gleichen Henri-Lévy, der sich auch bei der Kriegshetze gegen Libyen und später Syrien hervortat. Ein Philosoph in Sachen Krieg und Tod.

Sarajevo - Friedhof der Ferhaidija-Moschee

Sarajevo - Friedhof der Ferhaidija-Moschee

Weiter entlang der Hauptstraße erreichen wir den alten Basar. Gassen mit niedrigen Häuschen, darin Läden, die Schmuck, Gegenstände aus Emaille und Kupfer, Souvenirs und vieles mehr anbieten. Dazwischen Cafés, kleine Restaurants und Imbissstände.

Sarajevo - Basarviertel: Schaufensterpuppe in Tracht

Sarajevo - Basarviertel: Schaufensterpuppe in Tracht

Sarajevo - Markthalle

Sarajevo - Markthalle

Die Gazi-Husrev-Beg-Moschee von 1531 ist eine der größten und ältesten Moscheen in Bosnien (Eintritt 1,50 €). Im Hof der Moschee befinden sich neben dem Brunnen für die rituellen Waschungen das Grabmal von von Gazi Husrev Beg, dem Namensgeber und Stifter der Moschee, und das etwas kleinere Grabmal seines Verwalters. Daneben liegt die Medresa, die Koranschule mit Stalaktiten verziertem Portal (http://begovadzamija.ba). Nicht weit davon erhebt sich der osmanische Uhrturm. In einem Warenhaus aus osmanischer Zeit kann heute noch eingekauft werden.

Grabmal von von Gazi Husrev Beg

Grabmal von von Gazi Husrev Beg

Nun erreichen wir die große Baščaršija-Moschee aus dem Jahre 1528. Um das Innere der Moschee besichtigen zu dürfen, muss ich mir ein Kopftuch leihen. Als das Osmanische Reich zerfiel, wurde 1878 beim Berliner Kongress vereinbart, dass Bosnien-Herzegowina weiterhin zum Osmanischen Reich gehören, allerdings von Österreich-Ungarn verwaltet werden soll. Zu Beginn der 1970er Jahre sprach Tito den Bosniaken, d.h. den Slawen, die zum Islam konvertierten und etwa 48 Prozent der Bosnier ausmachen, den Status einer bosnischen Nation zu; damit waren sie den bosnischen Serben und Kroaten gleichgestellt.
In der Sarači-Gasse bewundern wir die ehemalige Karawanserei, die 300 Gästen Platz bot.

Sarajevo - Baščaršija-Moschee

Sarajevo - Baščaršija-Moschee

Dann erreichen wir den Hauptplatz mit dem berühmten türkischen Sebilj-Brunnen, ein Wahrzeichen der Stadt. In einem kleinen Gemüseladen kaufen wir köstlich schmeckende Kirschen, das Kilo zu 5 KM. Wir bummeln durch die Gasse der Kupferschmiede, wo neben Platten und Tellern aus Patronenhülsen gefertigte Kugelschreiber und andere „Kriegssouvenirs“ zum Verkauf angeboten werden.

Sarajevo - Sebilj-Brunnen

Sarajevo - Sebilj-Brunnen

Sarajevo - Gasse der Kupferschmiede

Sarajevo - Gasse der Kupferschmiede

Nun noch ein Blick auf das frisch renovierte, alte Rathaus aus der Zeit der k.u.k.-Monarchie im pseudo-maurischen Stil, das die Nationalbibliothek beherbergte, bis es 1992 durch Granatbeschuss in Flammen aufging.

Sarajevo - Altes Rathaus

Sarajevo - Altes Rathaus

Nun überqueren wir eine Brücke über die Miljacka. Auf der anderen Seite des Flusses befindet sich die mehrfach restaurierte Kaisermoschee aus dem Jahre 1462. Weiter geht es zur Lateiner Brücke, in deren unmittelbarer Nähe am 28. Juni 1914 das Attentat auf den österreichischen Thronfolger erfolgte.

Lateiner Brücke über die Miljacka

Lateiner Brücke über die Miljacka

Touristisch ist gerade nicht viel los, wenige kleine Grüppchen durchstreifen wie wir Sarajevos Altstadt. In einer Cevapciceria werden wir mit den üblichen Cevapcici abgespeist. Diese Cevapcici-Orgien nehmen einfach kein Ende. Ein alter Mann kommt mit einer großen Tasche vorbei, aus der er Honig verkauft. Ein großes Glas kommt mit.
Außerhalb der Altstadt befinden sich Sarajevos moderne Stadtviertel mit großen Hotels, Banken, Einkaufszentren. Am Stadtrand Wohnviertel mit ihren Mietskasernen.
Es gäbe noch vieles zu besichtigen, aber wir müssen zurück zu unseren Hunden, die am Campingplatz auf uns warten.

© Angelika Gutsche, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Reise durch drei ehemalige jugoslawische Republiken, in denen sich noch viele Spuren des Bürgerkriegs finden, dessen Wunden noch nicht verheilt sind.
Details:
Aufbruch: 26.05.2018
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 15.06.2018
Reiseziele: Slowenien
Kroatien
Bosnien und Herzegowina
Österreich
Deutschland
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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