Ladakh 2005

Reisezeit: August / September 2005  |  von Annette W.

Leh und seine gefährdete Kultur

Am nächsten Tag geht's weiter nach Leh. Wenige Kilometer nach der bizarren Felslandschaft des Klosters verlässt die Straße das Hochplateau und steigt in einer atemberaubenden Fahrt in das tiefer liegende Tal hinab. Die vielen Kurven, die einer Schlange gleich langsam und bedächtig die Anhöhe verlassen, machen diesen Abschnitt zum spektakulärsten Teil der von Indern und Ladakhis im Jahre 1960 gebauten Militärstraße. Nach einigen Kilometern stoßen wir auf den Löwenfluss, den Indus, der nun ständiger Begleiter sein wird und ich genieße es, diesem berühmten Fluss so nahe zu sein. .

In einem nördlichen Seitental des Indus liegt Leh. Wurden bis vor 30 Jahren die Hauptstraßen dieses ehemals blühenden Handelszentrums vom bunten Bild der vorbeiziehenden Karawanen geprägt, galt es zu jener Zeit als Treffpunkt unzähliger Rassen und Nationen, die hier mit dem Warenangebot ihrer Länder Handel trieben, sind es nach der jahrelangen Isolation heute indische Soldaten, Horden von Touristen und Geschäftsleute der benachbarten Provinz Kaschmir, die in den Sommermonaten das Straßenbild beherrschen. Lediglich vor Winterbeginn tauchen vereinzelt verwegen aussehende Nomaden auf, um mitgeführte Wolle, Yakbutter oder getrockeneten Käse gegen die für sie verlockenden Produkte indischer Herkunft einzutauschen.

Aussichtspunkt oberhalb von Leh, 3500 m hoch

Aussichtspunkt oberhalb von Leh, 3500 m hoch

Leh von oben

Leh von oben

Wenn ich auch nicht das Leh meines letzten Besuches im September 1998 erwartet hatte, so dachte ich doch nicht, dass ich zunächst einmal sooo enttäuscht werden würde.
Der Horror eines jeden Backpackers: Touristen vertreiben sich gruppenweise die Zeit und verderben die Preise der Unterkünfte und aller angebotenen Artikel, weil sie einfach alles zahlen.
Man tummelt sich auf den Straßen und ich stelle mir die Frage: Ist das hier Mallorca geworden? Ich bin entsetzt. Wie kommt es, dass sich Gruppen von Menschen, egal welcher Nationalität im Ausland oft negativ auffallend verhalten?
Diese Horden, leider muss ich es sagen, bestehen oft aus jungen Israelis. Sie sind am härtesten drauf, kommen in Jeeps, brüllen sich auf der Straße an, missachten sämtliche Anstandsregeln in Klöstern, fotografieren jegliche Situation, Mädchen kleiden sich wie am Strand von Ibiza, Männer protzen mit den geliehenen Enfield-Motorrädern. Eine ganze Generation muss in Indien sein. Ich spreche mit einigen Backpackern über dieses negative Phänomen. Alle unterstreichen dieses Bild, in mehr und mehr Ländern fallen diese jungen Leute negativ auf. Wir überlegen, warum das wohl so sein könnte. Nach ihrem Armeedienst zieht es die jungen Leute alle außer Landes. Sie sind froh, dem Druck entronnen zu sein, fliegen in ein Land, egal welches, Hauptsache billig und meinen dann, sie sind die Kings.
Ich bin froh, irgendwann auch eine alleinreisende, junge Israelin zu treffen, die glücklicherweise sehr nett, hilfsbereit und interessiert ist an Land und Leuten und mein Bild wird wieder ein bisschen gerade gerückt.

Dennoch frage ich mich: Wo bleibt die Kultur der Ladakhis bei dieser Überschwemmung von Touristen? Besteht der zukünftige Lebensinhalt eines Ladakhi nur noch aus Anbieten von Trekkingtouren und Mopeds, Verramschen von Kulturgut, Übersohrhauen von Touristen? Ich erkenne den Ort nicht mehr wieder, alles zugebaut mit Verkaufsbuden, trekking agencies; in vielen Zelten werden von Tibetern Musik, Schmuck, Schals etc. angeboten und es wird gehandelt ohne Ende. Verliert dieses Volk seine Seele? Traurig, ratlos und bedrückt sitze ich am 2. Tag in einem Cafe und schaue dem Treiben zu. Als ob es so sein soll, lerne ich eine Frau aus Australien kennen, die mein Befinden erkennt und die mir rät, ein anderes Guesthouse zu suchen, außerhalb von Leh, hoch oben über dem Ort. Sie weist auch auf einen täglich gezeigten Film über Ladakh hin, in einem Treffpunkt, genannt "Women's Alliance of Ladakh", gegründet Anfang der 90er Jahre, um die negativen Folgen der Moderne aufzufangen. Hauptziele sind die Erhaltung der traditionellen landwirtschaftlichen Anbaumethoden, die Sensibiliserung der Ladakhis für ihre Kultur im Allgemeinen und Diskussionen über die Rolle der Frau in der zukünftigen Gesellschaft. Ein Haus, gegründet von d e r Frau in Ladakh schlechthin: Helena Norberg-Hodge, Trägerin des alternativen Nobelpreises.
[Mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt werden Personen und Initiativen, die vorbildhafte Lösungen für die drängendsten Probleme der Menschheit erarbeiten und hoffnungsvolle Wege in eine bessere Zukunft aufzeigen.][/k]

© Annette W., 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Über die höchste befahrbare Straße der Welt in Ladakh bis zur Seidenstraße
Details:
Aufbruch: August 2005
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: September 2005
Reiseziele: Indien
Der Autor
 
Annette W. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Annette sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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