Von Schlangenbeschwörern, Textilhändlern und unvergänglicher Liebe

Reisezeit: Oktober / November 2008  |  von Peter Belina

My home is my castle

Im Hazrat-Nizam-ud-din-Aulia.

Im Hazrat-Nizam-ud-din-Aulia.

01.11.2008

Heute morgen wechsle ich von diesem etwas trostlosen "Palace-Hotel" in mein Bed & Breakfast in der Link Road 1. Der Hotelmanager will mich noch davon überzeugen, bei ihm wohnen zu bleiben. Zum Ashok Hotel, wo die Tagung stattfindet, seien es mit dem Auto nur 10 Minuten. Mein Taxi braucht dann etwas über 90 Minuten, um zu meinem Bed & Breakfast zu kommen, von wo aus man noch rund eine halbe Stunde zum Ashok braucht (6 km).

Werde sehr freundlich aufgenommen. Mein Zimmer ist schön groß mit großem französischem Bett. Auf dem Schreibtisch stehen ein Fernseher mit Sateliten-Receiver sowie ein Notebook mit schnellem Internetzugang. Hinzu kommen eine Klimaanlage, ein Balkon sowie ein grosses Bad/WC mit Dusche und Power-Spülung. D.h., ich muss nicht mehr länger das benutzte Toilettenpapier in den Mülleimer werfen.

Außerdem habe ich noch zwei Angestellte, die mir Frühstück oder auch anderes Essen machen und das Zimmer reinigen. O.k., die kümmern sich nicht nur um mich, sondern auch (und vor allem) um die vierköpfige Gastgeberfamilie. Dazu kommt, dass dieses B&B nur ein Fünftel dessen kostet, was die Mitglieder der deutschen Delegation beim JCI-Weltkongress (Junior Chamber International) im Interconti bezahlen (wenn sie nicht in Karol Bahg wohnen und taeglich 3-4 Stunden im Bus unterwegs sind). Und der allergrösste Knaller: Niemend wohnt näher am Indian Habitat Center dran wie ich, wo die meisten Veranstaltungen stattfinden: 15 Minuten zu Fuss oder 5 Minuten in der Auto-Riksha, umgebauten Piaggio-Dreirädern, wo vorne der Fahrer und hinten bis zu zwei Gaste sitzen.

Ein Abenteuer gehe ich am 1.11. noch ein. Ich lasse mich in den Ortsteil Nizamuddin fahren zum Hazrat-Nizam-ud-din-Aulia. In meinem Reiseführer steht nur etwas drin, dass es sich hier um die Gräber mehrerer verehrter muslimischer Heiliger handelt. Hört sich eigentlich harmlos an. Haha! Selten so gelacht!

Tatsächlich tauche ich in eine andere Welt ein. Mein Fahrrad-Rikscha-Fahrer fühlt sich offensichtlich zusehends unwohl, verliert die Orientierung. Nach mehrmaligem Nachfragen kommen wir schliesslich in die Nähe dieses Heiligtums. Hier spricht - unüblich fuer Indien - fast niemand mehr englisch. Ich stehe in einer engen Gasse. Mein Rikschafahrer wartet kaum ab, dass er mein Geld bekommt, so eilig hat er es.

An mir huschen tiefschwarz verschleierte Frauen vorbei. Irgendwo höre ich das Murmeln von Koranschülern. Der Muezzin ruft zum Gebet. Und ein Händler drückt mir zwei Plastiktaschen mit je einer grünen Tischdecke in die Hand, dazu zwei Ketten mit Tagetes und einer Familienpackung Räucherstaebchen und will 500 Rupien. Mit dem Händler ist leider keine Verständigung möglich, mein wohl etwas zu verhaltenes "nein" akzeptiert er nicht. Verhalten deswegen, weil diese Utensilien vielleicht unabdingbar fuer einen Besuch sind. Was weiss denn ich? Nach 10 Minuten Diskussion und einem kleinen Menschenauflauf findet sich endlich jemand, der ansatzweise englisch kann und mir sagt, dass ich die Sachen natürlich nicht benötige, damit aber die beiden heiligen Männer ehren kann. Er sagt mir auch, wo ich in das Labyrinth eintauchen muss.

Alleine hätte ich mein Ziel wohl sicherlich nie gefunden. Immer wenn ich falsch abbiegen will, zupft mich einer der Bettler, die mich begleiten und bringt mich wieder auf den richtigen Weg. Als Dank bekommt derjenige immer 5 Rupien in die Hand gedrückt. Alle 20 Meter will mir einer eine "Tischdecke" verkaufen. Damit ich Ruhe habe, kaufe ich schliesslich 2 Tagetesketten fuer 100 Rupien.

Heilige Stätten des Islam dürfen nicht mit Schuhen betreten werden, also denke ich mir nichts weiter dabei, als man mich auffordert, diese auszuziehen und abzustellen. Ein Mitnehmen ist nicht erwünscht. Natürlich sagt mir keiner, dass es noch 300 Meter bis zum Heiligtum sind und wie schwierig es sein wird, meine Schuhe in diesem Gassengewirr wieder zu finden.

Schliesslich erreiche ich die Moschee mit dem Grab des Heiligen Shaik-ud-din-Chisti, seiner Tochter Jahanara und anderen wichtigen Leuten. Dort nimmt mich der Vorsteher in Empfang, zeigt mir, wo ich meinen Blumenkranz ablegen soll und bedeutet mir, sich neben ihn im Vorraum des Heiligtums zu setzen. Er nimmt ein dickes Buch heraus, mit der Bitte, mich einzutragen - Gästebuecher sind in Indien sehr beliebt. Stutzig werde ich, als er meine genaue Adresse haben möchte. Hier habe ich meiner Fantasie dann doch etwas Spielraum gelassen. Als nächtes erfahre ich, dass es sich um ein Spendenbuch handelt. Ah ja. O.k., aufgrund der individuellen Betreuung und im Sinne der christlich-muslimischen Freundschaft trage ich halt mal 200 Rupien ein. Als nächtes wird mir der Zweck der fünf Spalten klar gemacht. Man erwartet fünf Spenden von mir. Oh! Also gut, ich trage in den anderen vier Spalten jeweils einen Betrag von 100 Rupien ein. Als nächstes werde ich darüber aufgeklärt, dass es nicht ginge, dass ich für die Erhaltung des Grabmahls der Tochter des Heiligen 200, für ihn selbst aber nur 100 spende. Als gut, machen wir aus den 100 eben 200 Rupien. Ob mir die Bildung und die Zukunftschancen der jungen Menschen nichts Wert sind, dass ich für die nur 100 Rupien übrig habe. Gaga! Also gut, machen wir auch hier 200 daraus. Kreditkarte wird nicht akzeptiert, Cash wird erbeten. Hoffe, dass das Geld wenigstens dorthin fliesst, wohin es fliessen soll und ich nicht bei meiner nächsten Einreise in die USA Probleme bekomme...

Immerhin: Für meine Grosszügigkeit bekomme ich eine individuelle Führung mit vielen Erklärungen. Meine Schuhe finde ich schließlich auch wieder, mein Zimmer ebenso. Puh!

Meine Vermieterin hat gerade Besuch von einer Freundlin, ich werde zu einer Tasse Tee eingeladen. Wir kommen ins Gespräch, ich erfahre vieles über die Denke der indischen Mittelschicht. Das Viertel, in dem ich wohne, wird von der oberen Mittelschicht dominiert, trotzdem wechseln sich hier schöne Villen mit Baracken ab, viel Grün gibt es hier. Faszinierend ist, dass hier Hindus, Sikhs und Moslems leben.

Die beiden wollen mir gar nicht glauben, dass ich gerade im Ortsteil Nizzamuddin war.

Gehe noch Getränke einkaufen und laufe prompt in eine Musikkapelle hinein. Auf meine Frage, was gefeiert wird, erfahre ich, dass eine Sikh-Hochzeit ansteht. Und schon bin ich wieder mitten im Geschehen, werde eingeladen, mal reinzuschauen. So sind die Inder: Einerseits lassen sie einen kaum mal in Ruhe, andererseits freuen sie sich aber auch, wenn Du sie nicht in Ruhe lässt...

© Peter Belina, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Incredible India - Einen besseren Werbeslogan haette sich das indische Fremdenverkehrsamt wirklich nicht ausdenken können. Gerade, weil dieser Slogan so doppeldeutig ist. In Indien gibt es nicht schwarz oder weiß, schön oder scheußlich, freundlich oder lästig, faszinierend oder erschreckend - sondern immer alles gleich auf einmal. Indien fordert heraus, strengt an - aber es lohnt sich.
Details:
Aufbruch: Oktober 2008
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: November 2008
Reiseziele: Indien
Der Autor
 
Peter Belina berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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