Libanon

Reisezeit: September 2005 - Februar 2006  |  von Karolin S

Ramadan Karim

1.11.

In den ersten Wochen hat Yamina hier gewohnt, eine Französin mit algerischen Wurzeln. Wir sprechen arabisch oder französisch und sie sagt, ich kann beides gleich gut. Leider ist das kein Kompliment für mein arabisch, sondern eher ein Hinweis, wie eingerostet mein französisch doch ist! Yamina fastet konsequent, was sie aber nicht davon anhält, auf jeden Ausflug mitzugehen. Die Frau ist ein Phänomen: Den ganzen Tag nichts trinken, aber zu den Zedern wandern, und zum Iftar (Fastenbrechen) waren wir lange noch nicht zu Hause, sondern im Auto.

Das Wochenende darauf fand das Iftar auf dem Rückweg von Tyros im Süden statt. Immerhin nicht mehr im Auto, sondern in einem Bus.

Der Wochenendausflug danach sollte eigentlich eine richtige Wanderung im Chouf-Gebirge werden, aber Hassan hat Yamina erzählt, wir würden Sightseeing machen und danach ans Meer... wir bestanden aber auf wandern, trotz Flipflops und fasten. Joe und ich wollten ihr auch nach der Wanderung, aber vorm Iftar, nichts voressen, aber man starb vor Hunger: Also haben wir, sobald sie sich im Gespräch mal zu Andre gedreht hat, immer Brotstücke abgerissen und ab in den Schlund damit. Selten fand ich trockenes Fladenbrot so lecker. Dann gabs Sandwich-Iftar, wobei wir uns per Handy den Muezzin aus Beirut haben übertragen lassen, um nicht zu spät und nicht zu früh zu essen.
Auf dem gleichen Ausflug haben wir im Bus von Beirut zufällig einen Freund getroffen, der uns in den Bergen durch die Gegend kutschiert hat. So konnten wir problemlos in ein Naturreservat und sind dort solange bei nächtlichen Zedern umhergelatscht, bis jemandem einfiel, dass vielleicht nicht ewig Busse zurück nach Beirut fahren. Also ab ins nächste Dorf. Gibt hier keinen Bus. Im nächsten auch nicht. Im nächsten war der Bus vor fünf Minuten abgefahren - nicht wie hinterher! Aber für den Busfahrer ist ein Auto mit Warnblinker, was ihn ausbremsen will, noch lange kein Grund zum anhalten - aber dann stand zum Glück ein Passagier am Straßenrand, der Bus hielt und wir vier von der Rückbank sowie die zwei vom Beifahrersitz konnten den Bus entern.

In der Woche danach habe ich mich dann so oft von Yamina und ihrer libanesischen Kollegin Wafa zu einem stilvolleren Iftar außerhalb von Fahrzeugen und Sandwichlöchern mitnehmen lassen, dass man mutmaßte, ich würde wohl bald konvertieren!
Bei der Familie in Shatila haben wir uns schön alle auf den Boden um das Zeitungspapier mit Bergen von essen drauf hingesetzt und obwohl ich selten so hungrige, gierige Augen wie von allen meinen Tischgenossen gesehen hatte, haben die sich erst mal drum gekümmert, dass ich auch genug und von allem was habe. Auf meinen Hinweis, die sollen sich ruhig nehmen, ich bin nicht besonders hungrig, habe den ganzen Tag gefuttert, wurde ich ausgelacht. Wenn ich schon nicht faste, soll ich das bitte nicht ausgerechnet beim Iftar rumschreien.
Also habe ich das nächste Mal auch gefastet; um mich zu benehmen, aus Solidarität und wegen der Erfahrung. War gar nicht so schwer. Wenn Essen einfach nicht drin ist, dann halt nicht. Aber den Uni-Freunden, die mit mir Mittagessen wollten, habe ich erst am nächsten Tag von fasten erzählt, weil die glühend säkular sind. Und nichts zu trinken war eine saublöde Idee, denn eigentlich weiß ich genau, dass ich schnell dehydriere und dann wirklich schlimme Kopfschmerzen bekomme. Ende vom Lied: Erfahrung gemacht, lecker und viel gegessen, vor Hunger kaum mehr arabisch verstanden, und mit dröhnender Birne früh ins Bett...
Außerdem habe ich an dem Abend einen großen Vorteil von Hizbullah-Führer Hassan Nasrallah entdeckt: Er spricht im Fernsehen wunderbares Arabisch, klar und langsam.
Diese meine Entdeckung teilte ich denn in der Uni mit, als ich auch von meinen Fasten-Erfahrungen berichtet habe, und habe damit die Besorgnis, ich könnte mich zu sehr für den Islam interessieren, noch angeheizt: Ständig zum Iftar rennen, fasten und Nasrallah lauschen, das sei echt zuviel des Guten.

Da musste ich die Guten ein bisschen schocken, indem ich ihnen ein paar Tage später mein Halloween-Kostüm präsentiert habe: Das Kostüm "reiches libanesisches Mädchen" besteht aus schickem Oberteil, Kopftuch, Nasenpflaster und blutunterlaufenen Augen (Achtung: letzteres hat nichts mit prügelnden Brüdern zu tun, sondern bedeutet NOSE JOB, PLASTIC SURGERY, SCHÖNHEITSOPERATION.)

Krass ist, dass der eine oder andere (z.B. Taxifahrer) mich für echt gehalten haben!

© Karolin S, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ich studiere Arabistik in Leipzig, verlege jetzt aber meinen Studienort für ein Semester nach Beirut.
Details:
Aufbruch: 15.09.2005
Dauer: 5 Monate
Heimkehr: Februar 2006
Reiseziele: Libanon
Der Autor
 
Karolin S berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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