Mit unseren Kindern um die Welt

Reisezeit: Juni 2015 - Juni 2016  |  von Anja Nemitz

Russland: Baikalsee

Am Baikalsee

Noch immer knarren die schweren Eisenketten von der kunterbunten Schaukel in unseren Ohren. In der Luft schwebt der typische "Baikalgeruch" nach geräuchertem Fisch, der uns täglich begleitet, in unseren Sachen, in unseren Haaren, ja selbst die Bettwäsche riecht ohne Zweifel - geräuchert. Unendlich ist der Blick von "unserer" Schaukel - weit in Land hinaus - ins riesige, unendlich erscheinende Sibirien - hinweg über Wiesen, Wälder und dem majestätisch vor uns liegendem Baikalsee.
Schon die Anreise war spektakulär. Mit einem Minibus ging es Richtung Norden am Baikalsee entlang. Etwa bis zur Hälfte des Sees wollten wir fahren, ca. 300 km in die "Wildnis", in ein Camp direkt am Wasser. Kein Geldautomat, kein Supermarkt, nichts, einfach nur Natur pur. Über 4 Stunden dauerte unsere rasante "russische" Fahrt über Sandwege, Huckelpiste und scheinbar selbst angelegte Straßen. Wir wurden ordentlich durchgeschüttelt. Unerklärlich, dass Fine und Willi während dieser Strapazen auch noch schlafen konnten. Hätten wir vorher gewusst, was auf uns zukommt, dann wären wir wohl im touristischen Listvyanka geblieben.

Listvyanka

Ein Ort, der nicht unbedingt auf der Reiseliste stehen muss, aber für uns "Baikal-Neulinge" zum Schnuppern ganz ok war. Listvyanka ist recht teuer und alles kostet auch noch extra. Selbst eine Bank am Strand ist nur gegen Bares zum Ausruhen nutzbar. Von Deutschland aus buchten wir schon eine Unterkunft. Sie sollte nah am Wasser sein, englisch sprechendes Personal haben, sowie besonders für Kinder geeignet sein. Alles Punkte, die bei booking.com wunderbar zu recherchieren waren. Das Problem an der Sache war nur, dass russische Unterkünfte es nicht ganz so genau mit der Wahrheit nehmen. Zu unserer Pension, die 50 m vom Baikalsee entfernt sein sollte, liefen wir jeden Tag 2 km!!! den Berg hinauf (an allen Häusern vorbei, bis der Schotterweg beginnt, in einem Waldweg übergeht, vorbei an Wiesen, bis der Wald beginnt und keine Häuser mehr zu sehen sind - DA steht unsere Pension). Und, wer hätte es gedacht - kein englisch sprechendes Personal, nicht wirklich für Kinder geeignet, Diskussionen auf russisch über die Bettenanzahl (obwohl wir ein Bett für Fine und ein Doppelbett für uns und Willi gebucht hatten). Dafür gab es dann nur abgezähltes Frühstück für drei, was aber beim Kellner zu bestellen war, nix mit Selbstbedienung. Ach ja, und der Preis, der bei booking.com angegeben und bestätigt wurde, wurde einfach mal so erhöht vor Ort. Vielleicht sollten wir an dieser Stelle noch erwähnen, dass direkt unter unserem Fenster (das nachts offen war) die Raucherbank der Angestellten stand, abends um elf eine Feuerwerksbatterie gezündet wurde (vor unserem Fenster), bis nachts um halb drei laute Musik aus Autos (neben unserem Fenster) lief und betrunkende Russen (inkl. Angestellten) eine wilde Party feierten (vor unserem Fenster Wir fühlten uns dort nicht sehr wohl, haben aber die 4 Tage dennoch viel erlebt.
Die Landschaft ist einzigartig und wunderschön. Fine und Willi liebten den Strand mit den Steinen. Selbst unsere Wanderungen begeisterten die beiden.
Auf unserem langen Anmarsch nach oben zur Pension stand ein alter, abgesessener, schmutziger Sessel am Wegrand. Jeden Abend saß dort eine Omi mit einem langen geflochtenen Zopf und einer Fellmütze. Sie hielt ein altes Teeglas (mindestens 1 Monat nicht gespült) mit Schwarztee und eine dicke gedrehte Zigarette in der Hand. Jeden Abend auf unserem Heimweg standen Fine und Willi mit großen Augen vor ihr und ließen sich durch ihre lieblichen russischen Worte betüddeln.

Kurma

Die quälende Fahrt lohnte sich. Uns fehlten die Worte. Jeder schaute mit offenen Mund vor sich hin. Eine spektakuläre Landschaft so weit das Auge sehen kann. Berge, Wiesen, Wälder und der Baikalsee (ein über 600km langer See, über 1600m tief). Und das alles ohne Zäune. Querfeldein liefen wir, einfach so, wie wir wollten. Kuh- und Pferdeherden grasten völlig frei. Einzelne Kühe liefen durchs Camp, standen plötzlich neben den Zelten der Russen und keiner störte sich daran. Jeder machte was er wollte. Einige Russen rasten mit ihren Quads ohne Helm herum, die ganze Familie (5 Pers.) mit drauf, gern auch im stehen. Und hier erlebten wir auch die stinknormalen russischen Leute. Unglaublich freundlich, hilfsbereit und neugierig. Fine und Willi waren die Exoten in der Gegend. Sie fanden schnell Freunde und waren jeden Tag umringt von russischen Kindern. Es fielen sogar ein paar Worte deutsch, da einige Kinder hier in der Schule unsere Sprache lernen. Aber auch die russischen Sätze klangen nun nicht mehr ganz so fremd. Selbst für Willi waren "poka poka" und "bye bye" schon selbstverständlich. Die Kinder hatten ihre eigene Sprache und spielten stundenlang zusammen. Es wurden sogar kleine Vokabellisten für die Schule mit Fines Hilfe angelegt. Der Spielplatz war aber nicht nur für die Kinder, denn in Russland sind die "Klettergerüste" meist so gebaut, dass Erwachsene ihr Work Out machen können (Dips, Klimmzüge, Bauchübungen, ...) und das wird auch rege genutzt, in Stadt und Land etwas völlig normales.
Unsere Unterkunft war klein aber ok. Das Bad hatte nicht mal 2 m², aber bot alles was man brauchte - außer Platz. Das ganze Lager hier schien "russischer Eigenbau", aber war dennoch schön. Die Details machten den Unterschied (schiefe Türen die klemmen, alles nicht ganz so stabil...). Für die Kinder war es das Paradies. Sie spielten wo sie wollten, liefen allein umher, hatten immer viele Freunde um sich herum, waren den ganzen Tag draußen und hatten viel viel Platz zum Toben. Hände, Gesicht und Füße waren "dauer-schmutzig" und es war einfach nur herrlich sie so zu sehen.
Ab und zu gab es mal eine Auszeit von der Kinderschar und wir erkundeten gemeinsam die Gegend. Jeder Spaziergang war ein Abenteuer. Baden im 15°C kalten See, Steine werfen, Pferdeherden mit ihren Fohlen aus nächster Nähe beobachten, Berge besteigen, durchs knietiefe Wasser auf eine Insel laufen, Picknick, spontane Gespräche mit Einheimischen und Händen und Füßen und vieles, vieles mehr.
Wir sind erst 3 Wochen unterwegs, haben aber das Gefühl schon ewig zu reisen. Wir sind angekommen auf unserer Weltreise, genießen die Zeit und freuen und auf das was kommt. Eine Sache, die uns aber jetzt schon auffällt ist, dass Fine und Willi unterwegs sehr viel Freiheit und kaum Regeln haben. Sie gehen mit uns zur gleichen Zeit ins Bett, essen, wenn sie hungrig sind, schlafen, wenn sie müde sind. Die einzigen Regeln unterwegs dienen dazu gesund zu bleiben (Hände waschen, kein Wasser aus dem Wasserhahn trinken, usw.) Schon jetzt gibt es aus Kindersicht keinen Grund auf ein "Nein" von Mama und Papa zu hören. Daran müssen wir noch arbeiten

Irkutsk

Zurück in Irkutsk verbrachten wir dort noch eine Nacht, bevor uns die Transsibirische Eisenbahn am nächsten Morgen Richtung Mongolei fährt. Fines Laune sank bis in den Keller als sie das große, schäbige Mietshaus sah. Nach über einer Woche Camp in der Natur hatte sie sich auf die Stadt gefreut. Wir ließen uns nichts anmerken und hofften auf ein Wunder. Das Wunder kam. So, wie wir es schon oft gelesen hatten. In diesen äußerlich recht heruntergekommenen Häusern mit dreckigen Hinterhöfen verbergen sich hinter schweren Stahltüren mit mind. 2 Schlössern hochmoderne, luxuriöse Wohnungen.

© Anja Nemitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ein Jahr Familienzeit - wir schauen uns die Welt an. Mit zwei großen Rucksäcken bepackt, reisen wir so günstig und einfach wie möglich, wollen die Menschen kennen lernen und andere Kulturen hautnah erleben.
Details:
Aufbruch: 29.06.2015
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: Juni 2016
Reiseziele: Russland / Russische Föderation
Mongolei
Hongkong
Vietnam
Kambodscha
Thailand
Australien
Neuseeland
Indonesien
Nepal
Der Autor
 
Anja Nemitz berichtet seit 9 Jahren auf umdiewelt.
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