Buddha kichert leise

Reisezeit: Januar / Februar 2008  |  von Norbert Wallner

Xin Chao

Eine Volksrepublik blinzelt über den Kontinent

Wien erwacht aus der Eisstarre der letzten Wochen. Acht Grad plus, lieblicher Sonnenschein, ich sehe es als Einladung, mich am 8. Jänner 2008 auf den Weg zur vietnamesischen Botschaft zu begeben. Wie immer wenn ich einer Staatsmacht gegenübertrete, kleide ich mich in feines Tuch. Sprich, ich nehme meinen warmen Nadelstreifanzug aus dem Kasten, dezente blaue Krawatte. Rot finde ich übertrieben, das sollte der Fahne vor der Botschaft vorbehalten bleiben.
Die letzten Wochen war ich nächtelang damit beschäftigt, übers Internet Hotels, Busabfahrts-pläne, befahrbare Routen und 1000 wohlmeinende Tipps zu recherchieren. Wo es das Programm zuließ, habe ich vorgebucht, in der Hoffnung, das Geld würde nicht im World Wide Web versickern und wir als einzige Gegenleistung ein verlegenes Lächeln erhalten.
Gestern Abend gingen Elfi, Renate und ich noch einmal alles durch, was wir für unsere Reise benötigen würden. Hundert wichtige kleine Dinge fielen uns ein, die zusammen mit den Dutzenden Geschenken, die wir unseren Patenkindern mitbringen wollten, mindestens sechs unserer drei Rucksäcke füllen würden. To Mong hat uns noch schnell drei zukünftige Paten-kinder auferlegt, die wir bitte besuchen dürfen, hiermit ist die Schar bereits auf zehn ange-wachsen. Zusätzlich gilt es meine Freundinnen und die lieben Studentinnen zu beschenken, die Geschwister, die Eltern... gut, Onkeln und Tanten lassen wir aus, ebenso wie diverse Cousins und Cousinen. Trotzdem komme ich rund gerechnet auf ca. dreißig Leute. Durch drei dividiert heißt das also, dass jede/r von uns für ca. zehn Leute zusätzlich zu den eigenen Klamotten Geschenke im Rucksack verstauen muss. Ich habe daher beschlossen, anlässlich des Tet-Festes vorwiegend "Glücksgeld" in "Lixi-Kuverts" zu verteilen.

In vorauseilendem Gehorsam habe ich bereits die Visaanträge übers Internet ausgedruckt, feinsäuberlich alles nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt, Fotos aufgeklebt, sicherheitshalber Kopien angefertigt. Krawatte ordentlich gebunden und hinaus in den Zwischenfrühling.
Die vietnamesische Botschaft liegt in einem vornehmen Viertel im 19. Wiener Gemeinde-bezirk. Eine dieser wunderschönen herrschaftlichen Villen, die gerne von ausländischen Botschaften adaptiert werden, leuchtet in bravem schönbrunngelb verziertem Backstein aus dem Garten, davor ein standesgemäßer Audi mit CD-Kennzeichen. Ich bin überzeugt, das richtige Outfit gewählt zu haben und mache mich auf prunkvolle Räumlichkeiten gefasst. Das Gartentor steht offen, von Polizei im weiten Umkreis keine Spur zu sehen. So viel Vertrauen entfacht liebevolle Gefühle in meinem Inneren. Kurzes Zucken vor dem Haustor, ein Schild verweist einen für Konsularangelegenheiten auf den Seiteneingang. Etwas verunsichert, was der Unterschied zwischen Botschaft beim Haupteingang und Konsulat am Seiteneingang sein könnte, entschließe ich mich instinktmäßig, als untertäniger Bürger ums Eck zu gehen. Ein liebloser kleiner Vorbau im Souterrain lässt meine Unsicherheit wieder wachsen. Vielleicht doch eher Botschaft? Ach was, alles hat mal klein begonnen, also öffne ich die Tür in den winzigen Vorbau, um nach der nächsten Tür fast abzustürzen. Einige Stufen führen in einen finsteren Kellervorraum, in dem sich zwei weitere Türen befinden, eine davon führt in die Toilette, die zweite hat keine Beschriftung. Daneben ein Pförtnerbullauge, hinter dem ein älterer Vietnamese, proper in Anzug gekleidet, in irgendwelche Papiere vertieft ist. Nicht einmal eine Augenbraue zuckt. Ich probiere es mit einem "Guten Tag". Mein Gegenüber hinter dem Bullauge blickt kurz auf und erwidert meinen Gruß ebenso. Spricht also deutsch. Ich nehme mir vor, ihm einige Fragen zu stellen, auch wenn er nur der Pförtner sein sollte.

"Bin ich hier richtig für Visaanträge?"
"How many?" Sein Deutsch beschränkt sich also auf zwei Wörter. Egal. "Three" antworte ich beflissen. Er beginnt hektisch in einer Mappe zu suchen, während ich meine Anträge aus der Tasche hole. Fast gleichzeitig halten wir einander die Anträge entgegen - er die Blanko-, ich die ausgefüllten. Stirnrunzelnd schielt er durch die Scheibe.
"I've got them."
"You have....?"
"Yes, I've got them"
Soeben beschließe ich, ihm keine weiteren Fragen zu stellen. Ärger könnte der Kontrast zwischen dem geschäftigen lauten Hanoi und dieser finsteren Gruft in einem Wiener Nobelviertel nicht sein, aber ich kann schließlich nichts dafür, dass er sich seinen Arbeitsplatz in der Walzerstadt Wien vielleicht anders vorgestellt hatte. Angewidert zieht er meine Anträge und Reisepässe durch den Scheibenschlitz.
Den Blick hält er - bestens in jahrzehntelangem Beamtenleben geschult - gesenkt.
Er arbeitet sich durch meine Angaben auf dem Formular. Plötzlich reißt er den Kopf nach oben und bellt mir eine Frage entgegen, die etwa wie "ba" klingt. Mein Vietnamesisch reicht nicht einmal, um bis drei zu zählen, ich trage auch eindeutig meine lange Nase zur Schau, also gebe zur Abwechslung ich mich irritiert. In plötzlicher Erkenntnis, dass ich ihn offensichtlich nicht verstehe, klopft er mit dem Finger auf Punkt 12, einmaliges oder mehrmaliges Visum. Sehr brav habe ich hier dazugeschrieben "2 Mal", da die Visabeschaffungsagentur, von der ich das Formular im Internet heruntergeladen hatte, bei den Visakosten exakt unterschieden hatte in einmal, zweimal (selber Preis) und Multy Entry (höherer Preis).
"Two times", meine ich also. Er schleudert mir wieder ein vietnamesisches Wort entgegen.
"Two times!"
"All the same!" kann er auf einmal wieder Englisch, und streicht meinen Punkt 12 ebenso durch wie meinen Punkt 11. Na, ich sehe schwarz für unsere zweite Einreise, aber ich werde es für mich behalten! Nur Buddha, Karl Marx und Ho Chi Minh wissen, was in einem vietnamesischen Beamtenhirn vor sich geht. Ich vertraue darauf, dass die Grenzbeamten in Tay Trang zu müde sein werden, um die Sache zu durchblicken, und dass ein 5-Dollarzuschlag vor Ort reichen sollte.
Mit steinernem Gesicht durchackert die Sozialistische Volksrepublik Vietnam in Vertretung meine Anträge weiter. Punkt 11 und 12 werden überall durchgestrichen. Nachdem alles feinsäuberlich erledigt ist, füllt der gute Mann mit einigen Denkpausen einen Kassazettel aus, mit 216 Euro.
"On Friday. Afternoon", sind seine einzigen Worte und er hält mir einen Zettel mit den Öffnungszeiten entgegen. Da ich die Inflation in Vietnam zwar hoch einschätze, aber noch nicht galoppierend, gehe ich davon aus, dass der Betrag von 216 Euro für alle drei Visa gilt. Ich erspare mir jedoch die Frage, die mir auf der Zunge liegt, und will nur wissen, ob ich gleich zahlen soll oder bei Abholung.
Offensichtlich versteht er meine Frage auf Englisch nicht und antwortet mit "Cash!" während er mir den Kassazettel durchschiebt.
"On Friday?"
"Cash"
Ich resigniere.
Und freue mich auf den Frühling in Hanoi. Hong will mir die Blumen zeigen.

© Norbert Wallner, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Paten- und Erlebnisreise, die knapp 4 Wochen durch Vietnam und Laos geführt hat, teils abseits der Touristenströme. Im Zentrum des Interesses stand der Kontakt zu den Menschen und Völkern dieser Region.
Details:
Aufbruch: 31.01.2008
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.02.2008
Reiseziele: Vietnam
Laos
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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