Reisebericht nach Kabul Afghanistan November 2005

Reisezeit: November 2005  |  von Andreas Timmler

Fotosession in Kabul und Umgebung

:: Sonntag, 6. November 2005

Heute war unser Ausflug geplant, der von Sadeq organisiert worden war. So hatte er für uns einen eigenen Taxi organisiert, der mit Falk, Alex, Andreas und Fatima einige besondere Stellen anfahren sollte. Der Kofferraum wurde wieder mit kleinen Spielsachen für die Straßenkinder beladen und dann ging es los. Außerdem hatte Sadeq uns einen Dolmetscher zur Verfügung gestellt, so dass auch die Verständigung kein Problem werden sollte. Als wichtigsten Punkt hatten wir Sadeq gesagt, dass er unseren Ausflug nur an solche Stellen organisiert, an denen keine Gefahr durch terroristische Anschläge befürchtet werden müssten, da wir doch alle eigene Familien und eigene Kinder in Deutschland haben, die sich über unsere Rückkehr sicherlich sehr freuen würden.

Begonnen haben wir unseren Ausflug zu einem kleinen Berg im Bezirk Wazir-Akhbar-Khan, dem Diplomaten- und Bonzen-Viertel von Kabul. Dieser Berg liegt inmitten der Stadt und wenn es der Staub erlaubt, hat man eine herrliche Sicht auf alle Stadtteile Kabuls. Unser Fahrer hielt am Rande dieses Hügels und wir begannen mit dem Aufstieg, der bei dieser Luft und in dieser Höhe (Kabul selbst liegt auf ca. 1800 m ü. NN) recht schwierig war.

Der Hügel im Bezirk Wazir-Akhbar-Khan

Der Hügel im Bezirk Wazir-Akhbar-Khan

In früheren Zeiten beherbergte dieser Hügel das Freibad von Kabul. Heutzutage ist von diesem einst herrlichen Freibad nicht mehr viel übrig geblieben. Von den diversen Sprungtürmen stehen nur noch Ruinen, die ehemaligen Schwimmbecken sind übersäht von Einschusslöchern, so dass man durchaus schnell den Eindruck gewinnt, man sei mitten im Krieg.

ehemaliges Freibad von Kabul

ehemaliges Freibad von Kabul

Auf dem Plateau des Berges finden sich noch sehr viele ausgebombte Panzerwracks, die Schützengräben sind überall noch vorhanden und viele nun rostende Raketen-Abschussrampen säumen diesen Berg.

Kriegsschrott

Kriegsschrott

Unser Weg führte uns an einem Friedhof vorbei, auf dem gerade ein Mensch zu Grabe getragen wurde. Eine wahrlich skurrile Szene... Dieser Berg wird von sehr vielen Kindern dazu genutzt, dort Ihre selbstgebauten Drachen steigen zu lassen. An diesem Tag jedoch waren nicht viele Kinder unterwegs, lediglich einige Kinder von der anderen Seite des Berges, wo sich eines der Ärmsten Slumviertel von Kabul befindet, suchten auf dem Berg nach Verwertbarem. Wir hatten vorsorglich einige Give-Aways für Kinder mitgenommen. Zwei kleine Mädchen sammelten auf dem Hügel Brennmaterial. Ihr Alter schätzten wir auf maximal 5-7 Jahre.

Kinder suchen nach Brennmaterial für den Winter

Kinder suchen nach Brennmaterial für den Winter

Reichlich zottelig und staubig leuchteten Ihre Augen umso mehr, als Sie von uns ein Kuscheltier geschenkt bekamen. Es sprach sich sehr schnell herum, dass auf dem Berg ausländische Leute seien, die Geschenke an Kinder verteilten.

leuchtende Augen bei den Kindern, als sie Geschenke erhalten

leuchtende Augen bei den Kindern, als sie Geschenke erhalten

Von dort ging die Fahrt in einen Randbezirk von Kabul unterhalb einer alten Festung. Diese Festung, so wurde uns erklärt, sei über 1500 Jahre alt und habe die großen Kriege mehr oder weniger gut überstanden. Englische Besatzer hatten nach Aussagen unseres Dolmetschers die von dieser Festung ausgehende Stadtmauer gebaut. Dabei haben sie afghanische Männer versklavt und sie mit schweren Züchtigungen zu dieser Arbeit gezwungen. Viele Afghanen seien dabei ums Leben gekommen. Für uns ist es ein eigenartiges Gefühl, inmitten einer sehr geschichtsträchtigen Umgebung zu stehen und zu bedenken, was diese Steine schon alles erlebt haben.

Festung Kabul

Festung Kabul

Am Rande eines Friedhofes machten wir halt. Schnell wurden wir von einigen Männern angesprochen, woher wir kommen. Nachdem wir sagten, dass wir aus Deutschland kommen, strahlte uns eine richtig positive Stimmung der anwesenden Männer entgegen. Deutsche Staatsbürger sind in Afghanistan sehr gern gesehene Gäste und das spürten wir immer wieder. Der Grund liegt wohl darin begründet, dass die Deutschen in der Vergangenheit nie als Besatzer oder als Kriegspartei nach Afghanistan gekommen sind, sondern immer mit aktiver Hilfe zur Seite gestanden haben. Was die Männer am Rande dieses Friedhofes machten, ist uns bis heute ein Rätsel. Sie saßen einfach auf einer Mauer und tranken Tee. Sofort wurden wir gebeten, einen Tee mit ihnen zusammen zu trinken.

... afghan way of life ...

... afghan way of life ...

Zum Abschluss unseres Ausfluges fuhren wir zu einem Stausee außerhalb von Kabul in Richtung Baghlan. Dieses Gebiet dient primär als Erholungsgebiet für reichere Afghanen. Für die Zufahrt zu dem Stausee mussten wir eine Straßenbenutzungsgebühr von 20 Afghani (ca. 40 Cent) bezahlen. Ehrlich gesagt, tat uns diese Summe nicht wirklich weh, teilten wir uns doch die Kosten durch drei Parteien... Dieser See liegt in einer sehr idyllischen Landschaft. Rings um den See bis an das Ufer gibt es nur Staub und Felsen. Auf dem See fuhren sogar einige Motorboote, ein irreales Bild, wenn man vorher andere Gebiete besucht hat.

Ein Ausflugsgebiet in der Nähe von Kabul

Ein Ausflugsgebiet in der Nähe von Kabul

Am Ufer des Sees wuschen einige Afghanen fleißig ihr Fahrrad oder ihr Auto. Es gab etliche Möglichkeiten, sich gemütlich hinzusetzen oder sogar zu grillen, was von etlichen Männern genutzt wurde. Frauen konnten wir auch hier nur sehr wenige beobachten. Einige Afghanen schienen diesen idyllischen Fleck auch zum Feiern zu benutzen. Ein für uns allerdings sehr ungewohntes und bisher nicht begegnetes Bild war, dass die meisten dieser feiernden Männer betrunken waren. Obwohl der Islam Alkohol verbietet, schienen sich diese Männer über dieses Verbot hinwegzusetzen. Da es in Afghanistan keine Verkehrsregeln oder Anweisungen gibt, störte es diese Männer dann auch nicht, in ihrem Zustand in ihr Auto zu steigen uns wegzufahren.

feiernde afghanische Männer

feiernde afghanische Männer

Zurück ging die ca. 80-minütige Fahrt dann zum Deutschen Hof. Markus hatte in der Zwischenzeit alle offiziellen Besuche erfolgreich beendet, so auch bei Ariana-Afghan-Airlines, wo er die Bestätigung unserer Rückflüge am 09.11. abgeholt hatte.

Alle zusammen fuhren wir nachmittags zu einem letzten Familienbesuch. Die Fahrt ging wie gewohnt durch das Chaos von Kabul auf einen kleinen Hügel. Die Schotterpiste endete an einem steilen Hügel, von wo wir dann zu Fuß einen weiteren steilen Berg hinauf zwischen den Lehmhäusern hindurch unseren Weg suchten. Gemeinsam erklommen wir den Weg hinauf zu dem Haus der Familie, deren Tochter erst vor kurzer Zeit wieder nach Afghanistan zurückgekehrt war. Das Mädchen litt an einer speziellen Blutkrankheit. Durch eine Knochenmarktransplantation ihrer kleineren Schwester konnte ihr Leben gerettet werden. Wir freuten uns sehr, beide im Kreis ihrer Geschwister und ihrer Mutter wieder zu treffen und zu sehen, dass es ihr so gut geht.

Nach dieser Station fuhren wir wieder zurück zu unserem Hotel in der Hoffnung, dass Fatimas Eltern nun angekommen seien. Wir gingen in den Deutschen Hof. Kurze Zeit später kam ein Wachmann des Hotels zu uns der uns mitteilte, dass drei Tanten und ein Onkel von Fatima auf der Straße stehen und Fatima abholen möchten. Wir hofften natürlich, dass es sich bei den Personen vielleicht doch um die Eltern von Fatima handeln würde, so dass wir den Wachmann baten, die Personen zu uns in den Aufenthaltsraum zu bringen. Natürlich handelte es sich wieder nicht um die Eltern, sondern um denselben alten unbekannten Onkel, der bereits schon bei uns gewesen ist, sowie um drei Frauen, die in Burkas verhüllt den Raum betraten. Nachdem der Schleier gelüftet wurde, wurde Fatima mit Küssen und Herzlichkeiten der Tanten überhäuft. Fatima erkannte sogar eine der Frauen und identifizierte sie als eine Tante.

Fatima mit ihren Tanten

Fatima mit ihren Tanten

Allerdings war die Situation für sie wiederum schwierig, da alle in ihrer Muttersprache auf sie einsprachen und sie kein Wort verstand. Wir machten den Vieren dann mit Hilfe von Sadeq sehr deutlich, dass sie Fatima nicht mitnehmen können und dass sie umgehend dafür zu sorgen haben, dass sich die Eltern von Shebar nach Kabul aufmachen müssen, um ihre Tochter in Empfang zu nehmen. Nachdem Fatima ihr geheiltes Bein vorgeführt hatte, was sehr zur Verwunderung der Verwandten wahrgenommen wurde, machten die Vier sich wieder auf den Weg. Uns blieb zu hoffen, dass wir morgen endlich die Eltern antreffen würden. So verbrachten wir einen weiteren Abend zusammen im Deutschen Hof und gingen zeitig schlafen, da der morgige Tag sehr stressig werden würde.

© Andreas Timmler, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Erfahrungen aus Afghanistan anlässlich eines humanitären Hilfseinsatzes für kranke und verletzte Kinder
Details:
Aufbruch: 02.11.2005
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 09.11.2005
Reiseziele: Afghanistan
Der Autor
 
Andreas Timmler berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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