den Altweibersommer im Osten suchen

Reisezeit: September / Oktober 2001  |  von Manfred Sürig

Grenzslalom über das Sudetengebirge

Am nächsten Morgen, Montag, 1.Oktober 2001, scheint mir die Sonne mitten ins Gesicht, Zeit, schnell aufzustehen, das reichliche Frühstück zu genießen und Pläne für den neuen Tag zu machen. Zum Altvatergebirge soll es gehen, teils auf schlesischer, teils auf tschechischer Seite. Wir suchen eine Slalomstrecke um den Grenzverlauf aus und überwinden den ersten Paß übers Riesengebirge gleich östlich der Schneekoppe. Es könnte stimmen, was ich befürchtet hatte: die Sonne in Karpacz war eine Föhnerscheinung auf der Nordseite des Riesengebirges, auf der Südseite schieben sich dichte Wolken an die Berge, aber es regnet wenigstens nicht. Natur pur sehen wir rechts und links der Straße, die immer an einem Bach entlang führt, der nach unten immer wasserreicher wird. Tschechien scheint hier dichter besiedelt zu sein, wir kommen durch zahlreiche Orte mit verwinkelten Ortsdurchfahrten und in Nachod stehen wir plötzlich wieder an der Grenze nach Polen. Wieder geht es über einen Paß ins Glatzer Bergland, und etwa 9 km hinter der Grenze biegen wir rechts auf eine Nebenstraße ab, die ungefähr auf dem Gebrigskamm auf polnischer Seite an der Grenze nach Südosten führt. Kein Auto begegnet uns, nur Wald und Bergwiesen und ein weiter Blick nach Norden. Wir kommen durch Skiorte, die im Winter überlaufen sein müssen, jetzt liegt alles verlassen, sogar die Hotels haben geschlossen. Fast 50 km fahren wir auf dem Kamm, dann fällt es ab nach Miedzylesie, einer Kleinstadt, die wohl nur von der umliegenden Landwirtschaft lebt. Ein letztes Tanken auf polnischem Gebiet, dann geht es wieder nach Tschechien, dieses Mal in schönste Ferienlandschaft, sogar die Straße ist besser ausgebaut. Für Radfahrer wäre dieser Weg eine Herausforderung: Es geht richtig steil bergauf und bergab, sogar in Serpentinen. Wie leicht ist da doch der Tritt aufs Gas- oder Bremspedal! Dann geht es runter nach Sumperk, der ersten größeren Stadt, wo wir uns erst einmal mit Tschechischen Kronen versorgen wollen. Die Suche nach einem Bankautomaten wird zu einem zeitaufwendigen Problem, bis uns eine freundliche Dame sagt, dass Geldautomaten "sporitelna" heißen und einer erst geradeaus und dann links sei. Edzard und ich schwärmen getrennt aus und tatsächlich gelingt es uns, an zwei verschiedenen Geldautomaten Geld zu bekommen. Ich gerate an einen geizigen: Mehr als 2000 Kronen rückt er nicht heraus. Und welchen Kurs wir rechnen müssen, wissen wir immer noch nicht, ob unser Imbißeinkauf also teuer oder billig ist, werden wir erst nach der Reise feststellen können. Ins Altvatergebirge gibt es von hier aus zwei Wege: Einen gleich nach Nordosten, ein anderer erst nach Südosten und dann nach Norden, direkt auf den Praded, den Altvatergipfel zu, über Karlova Studanka. Wir wählen den südlichen Weg, denn dort stoßen wir auf meine Fahrradroute vom September 2000, die ich meine, wie meine Westentasche zu kennen. Prompt fahren wir an der Mautstraße auf den Praded zunächst vorbei, im Auto geht eben alles viel schneller als auf dem Rad. Der Aufstieg auf den Praded macht sogar dem Auto zu schaffen, die Geschwindigkeitsbeschränkung wird auch vom 2.Gang gefordert. Oben empfängt uns eine herbe Enttäuschung: Nebelschwaden, Sturm, und, was das übelste ist, der Wind kommt aus Nordwesten. Sollte der Altweibersommer so zuende gehen ? In der Baborka, der großen Holzhütte unterhalb des Gipfels, trinken wir ein Bierchen, Übernachten geht hier zur Zeit nicht, auf Sonne warten fällt auch dem überzeugtesten Optimisten nicht ein. Also wieder abwärts im Nebel, ich erzähle Edzard etwas von dem herrlichen Wanderrevier, in dem wir uns befinden und was man "eigentlich" hier alles unternehmen könnte, aber außer einem Nippen an der Heilquelle in Karlova studanka kann ich nicht viel vorzeigen. Da wollen wir doch wenigstens in einem guten Hotel mit guter Küche übernachten, das ich in Slate Hory kenne. Dorthin fahren wir extra einen Umweg von 22 Kilometern, und dann hat die "blaue Glocke" ausgerechnet vom 30.9. bis 3.10. geschlossen! Wir nehmen das benachbarte Hotel Mineral für 65 DM plus Frühstück, das Zimmer sagt uns zu, das Essen nicht ganz so sehr, vielleicht liegt es aber auch am einsetzenden Regen. Nur ein weiteres Bier oder zwei kann die Stimmung retten.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Statt einem herbstlichen Sturmtief entgegenzusegeln, machen wir zu zweit eine spontane Autofahrt nach Osten, dem Altweibersommer 2001 nachzueilen. Den Kern des spätsommerlichen Hochdruckgebietes vermuten wir in der Hohen Tatra in der Slowakei und erleben traumhafte Tage...
Details:
Aufbruch: 29.09.2001
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 06.10.2001
Reiseziele: Polen
Tschechische Republik
Slowakei
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.