Burkina Faso im Schnelldurchgang - ein westafrikanisches Tagebuch

Reisezeit: November 2001  |  von Uwe Decker

Nach Bobo-Dioulasso

Donnerstag, 22.11.

Zweieinhalb Tage Ouaga reichen. Ouaga ist nicht schön, aber interessant, man kann unbehelligt durch viele interessante Viertel streifen. Ouaga ist aber zu hektisch, irgendwie eine typische Metropole in der Dritten Welt. Ich kann nun aber sagen, ich war schon mal in Ouagadougou. Wer sonst kann das schon ?
Einzig das Nachtleben am Wochenende hätte ich gerne noch erlebt. Am Wochenende bin ich aber in Bobo. Oder im Busch. Mal sehen.

Ich checke früh um 7.00 Uhr aus und freue mich, meine Lieblingsrezeptionistin noch zu sehen. Sie rät mir noch einmal davon ab, mit dem Zug nach Bobo zu fahren, viel zu langsam, zu teuer, zu anstrengend. Weiß ich selber, aber ich will nun mal mit einem der wenigen funktionierenden Züge in Afrika fahren, auch wenn es beschwerlich wird. Die Fahrt an sich ist ja schon ein Abenteuer. Zurück kann ich ja den Expreßbus nehmen. Sie sieht ein, daß ich ein hoffnungsloser Fall bin, hat sich aber trotzdem ein paar Geschenke verdient.

Das Fahrkartenkaufen hätte ich mir schwerer vorgestellt. Es ist noch früh, der Fahrkartenschalter ist schon geöffnet, und es gibt keine Warteschlange davor. Ich nehme ein Ticket 1. Klasse für 7.100 CFA, einfach, nach Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, ca. 300.000 Einwohner und 350 km entfernt von Ouaga, Richtung Südwesten, Elfenbeinküste, da, wo es langsam grüner wird. Der Zug fährt weiter bis nach Abidjan, am Atlantik, Fahrzeit ca. 24 Stunden, das weiß man in Afrika nie so genau.

Lange Zeit bin ich der einzige Weiße unter den vielen schwarzen Reisenden, die auf die Abfahrt des Zuges warten. Dann taucht noch ein Holländer auf und schließlich noch ein französisch/marokkanisches Päarchen. Zusammen mit einigen wenigen Einheimischen teilen wir uns einen ganzen Waggon. Die 2. Klasse ist besser ausgebucht, trotzdem scheint der Bus oder das Buschtaxi doch das beliebtere Verkehrsmittel zu sein. Die Einrichtung der 1. Klasse- Wagen ist ziemlich verschlissen, trotzdem kann man es sich hier ganz gemütlich machen, wir haben ja viel Platz. Über die Toiletten möchte ich keine Worte verlieren, immerhin gibt es aber welche. Angenehm ist, daß die Türen nicht zugehen, so kann man sich während der Fahrt -zumindest wenn der Zug etwas langsamer fährt- auf die Trittbretter stellen und wunderbar die vorüberziehende Landschaft genießen.

Die Landschaft ändert sich im Laufe der Fahrt, ist sie zu Beginn bei Ouaga noch recht öde und karg, savannenartig, wird sie, je weiter südlicher wir gelangen, immer vegetationsreicher, grüner, dazwischen immer wieder Baumwollfelder. Auch unzählige kleine Dörfer und kleine Gehöfte kann man sehen, fast immer in der typischen Lehmbauweise und rund angelegt mit einem kleinen Dorfplatz in der Mitte. Viele Menschen sind auf den Feldern bei der Ernte, Kinder kommen angerannt, wenn sie den Zug sehen und versuchen, ein Stück mitzuhalten, fast alle winken, wenn sie uns sehen, wir winken zurück.

Die Dörfer sind fast immer in der typischen Lehmbauweise gebaut und rund angelegt mit einem kleinen Dorfplatz in der Mitte.

Die Dörfer sind fast immer in der typischen Lehmbauweise gebaut und rund angelegt mit einem kleinen Dorfplatz in der Mitte.

Genau so habe ich mir Afrika vorgestellt, ich bin begeistert. Auch von den kleinen Bahnhöfen, an denen wir manchmal halten und wo die Essensverkäuferinnen schon auf uns warten. Sie tragen ihre Waren in großen Schüsseln auf dem Kopf, so wie jeder alles auf dem Kopf trägt. Taschen sind hier völlig unbekannt. Dann beginnt jedes Mal ein großes Palaver um die besten Hähnchen oder die besten Teigtaschen und ihren angemessenen Preis.

Als wir in den Bahnhof von Koudougou, der größten Stadt auf der Strecke einfahren, stelle ich mich aufs Trittbrett draußen und lasse die Kamera mitlaufen. Aus dem Abteilfenster heraus mache ich auch eine Reihe von Fotos. Da warnt mich Henk, der Holländer, ein "monkey in uniform" würde gleich Ärger machen. Ich packe noch schnell meinen Fotoapparat und Filmkamera weg, da steht auch schon ein bärtiger, grimmig dreinschauender Schwarzer mittleren Alters in schneidiger Uniform vor mir und möchte meine "Fotografiererlaubnis" sehen! Ja, so etwas gibt es wirklich, ist aber laut Info im Lonely Planet nun nicht mehr erforderlich. Als ich langsam und genüßlich mein Portemonnaie hervorhole und ihm meine Erlaubnis gebe, fällt ihm fast die Kinnlade herunter. Tatsächlich habe ich mir diese Erlaubnis abgeholt, als ich zufällig auf einem meiner Spaziergänge am Tourist Office in Ouaga vorbeikam. Sie ist kostenlos und völlig schwachsinnig, denn auch mit einem solchen Wisch darf man Flughäfen, Brücken, Bahnhöfe, Regierungsgebäude, Hochspannungsleitungen, Armeeeinrichtungen, Polizeigebäude und, und, und nicht fotografieren. Wo das allerdings steht und wer das einmal festgelegt hat, ist mir nicht bekannt. Ist halt oft Ermessenssache.

Mein neuer Bekannter von der Polizei scheint dermaßen erstaunt von meinem Überraschungscoup mit der Erlaubsnis, daß er Zeit gewinnen will und sagt, ich solle warten, er kommt wieder. Kurz vor Abfahrt des Zuges sehe ich ihn noch auf dem Bahnhof sitzen und ein Hähnchen mampfen. Ich gehe zu ihm und frage nach meiner Bescheinigung. Er schickt mich aber mit einer unwirschen Handbewegung weg, will beim Essen nicht gestört werden. Ich wechsele schnell die Filme, falls er die Filme oder Apparate konfiszieren will. Sicher ist sicher.

Später kommt er dann, dieses Mal in Begleitung des obersten Zugchefs, und teilt mir mit, daß die Fotoerlaubnis nur für Ouagadougou, nicht aber für hier gilt und verlangt meinen Pass, auch den meiner Mitreisenden, da auch sie fotografiert hätten. Mitgehangen, mitgefangen. Dazu hätte er kein Recht, sagen wir ihm. Er aber deutet auf die zahlreichen Streifen auf seiner Uniform, erzählt, er sei schließlich ranghoher Commissaire de Police und hätte zu allem ein Recht. Unser Fall würde auf dem Polizeikommissariat in Bobo-Dioulasso verhandelt, das liegt gleich neben dem Bahnhof, dort würden wir dann auch unsere Pässe zurückbekommen. Die ganze Farce sollte wohl auf die Zahlung eines Schmiergeldes hinauslaufen, das war uns allen klar. Ist in Westafrika, und nicht nur dort, auch durchaus üblich und eine allseits beliebte Methode, um das kärgliche Gehalt aufzubessern.

Ich genieße den Rest der Fahrt trotzdem, schränke aber meine Filmaktivitäten etwas ein. Mit zunehmender Fahrtdauer wird es immer heißer im Zug, der Schweiß läuft mittlerweile in Strömen. Durch die geöffneten Türen dringt immer mehr Staub in die Wagen. Ganz vorne im ersten Wagen, wo man auch etwas zu Trinken bekommt und die Fenster ganz geöffnet sind, fühle ich mich teilweise wie mitten in einem Sandsturm. Am Ende der Fahrt in Bobo, um 15.00 Uhr nach 6,5 Stunden, ist die gesamte Zugeinrichtung samt Insassen und Gepäck mit einer dicken Staub-/Sandschicht überzogen.

Bei Ankunft in Bobo wird es doch nicht so dramatisch bezüglich unserer bevorstehenden Verhandlung, der diensthabende Polizeivorsteher gibt uns anstandslos unsere Pässe zurück, sagt, die Fotoerlaubnis wäre hier nicht gültig. Wir müßten uns alle eine neue holen beim Tourismusamt hier in Bobo. Ich finde, für so viel Freundlichkeit hat er sich eine Tüte Haribo verdient, er nimmt sie dankend an, und wir ziehen von dannen.

Über Bobo-Dioulasso habe ich bisher nur Positives gehört, Ouaga im Kleinformat, aber nicht so hektisch, schöne Umgebung. Zunächst aber empfängt mich die Stadt mit der Tatsache, daß hier gerade irgendein Kongreß stattfindet und die guten Hotels alle ausgebucht sind. Mit Mühe finde ich gerade noch ein Zimmer in einer besseren Absteige bzw. lasse finden, denn jeder von uns Neuankömmlingen hat ein Heer von Schleppern im Gefolge, die alle sofort durch die Stadt führen, etwas verkaufen und für den nächsten Tag diverse Touren durchführen wollen.

Mein Zimmer im ziemlich herunter gekommenen Hotel Soba ist groß und schlecht, Toilette auf dem Gang, keine AC, nur manchmal funktionierender Ventilator, mit 30 DM noch nicht einmal besonders billig.

Henk, den Holländer, treffe ich gleich wieder auf der Straße. Er muß sich beeilen, Geld tauschen, Busticket besorgen, da er morgen um 10 Uhr wieder zurück nach Ouaga fahren will, Bobo im Schnelldurchgang, sein Flieger nach Europa geht schon morgen abend. Tröstlich, daß auch er als Weitgereister es nicht schafft, seine Verfolger abzuschütteln und eine Reihe von Jungs folgt ihm auf Schritt und Tritt. Erinnert mich irgendwie an den Rattenfänger von Hameln.

Ich verschaffe mir noch schnell vor dem Dunkelwerden einen Überblick über das Zentrum der Stadt, natürlich auch mit Gefolge. Nach einer ausgiebigen und nach den Strapazen des Tages herrlichen warmen Dusche sehe ich mich dann nach etwas Eßbarem um und treffe sofort wieder auf Henk. Ein Glücksfall. Gemeinsam suchen wir ein Restaurant, essen Spaghetti, Hähnchen, Couscous wild durcheinander, alles spottbilig, trinken einige Bier und tauschen unsere Reiseerlebnisse aus. Henk hat schon 138 Länder besucht, er erzählt, seine Arbeitskollegen stellen ihm immer nur zwei Fragen: woher kommst du - wo willst du hin ? Ganz kann ich da nicht mithalten, aber wir liegen auf derselben Wellenlänge, und es wird ein richtig netter Abend. Vor allem tut es gut, sich mal wieder ohne große Anstrengungen richtig zu unterhalten, wir tun das auf Englisch, bestimmt nicht fehlerfrei, aber es geht doch recht fließend. Später wechseln wir in eines der vielen Straßencafes, unseres mit Livemusik, Trommeln, Reggae, auch Weiße mischen da mit, alles wild durcheinander.

War es schon bisher nicht gerade leer auf den Straßen, trauen wir später unseren Augen kaum. Nach Mitternacht tauchen immer mehr Menschen auf, meist junge, Frauen vor allem, schick angezogen, auch hier meist mit dem Mofa unterwegs, und flanieren oder fahren auf den Straßen auf und ab, mustern dabei die in den Lokalen Sitzenden. Wo kommen die alle her ? Sollten das alles ... ? Und so junge ! Interessant ist es aber schon, die Szene zu beobachten. Wir haben ja heute einen normalen Wochentag. Wie wird das dann erst am Wochenende hier aussehen ? Henk bedauert schon heftig, morgen wieder wegfahren zu müssen. Was er nicht weiß, ich auch nicht, erst später erfahre, ist, daß heute abend ein Rockkonzert mit einer bekannten Band aus Ouagadougou im hiesigen Stadion stattfand und die Besucher offensichtlich anschließend noch hier im Stadtzentrum Station machen. Morgen wird hier wieder relativ tote Hose sein. Und trotzdem, ein Typ kommt zu uns, deutet auf zwei Mädel in langen schwarzen Kleidern ein paar Tische weiter und erzählt uns, daß die beiden gerne mit uns ins Hotel kommen würden. Will der uns verarschen ? Ich schaue mir beide an, beide hübsch, -überhaupt sind die Menschen, die Frauen natürlich auch, hier in der Gegend, meist vom Stamm der Bobo, noch hübscher als in Ouaga- aber sehr jung, ich schätze 16,17 Jahre alt, sie gucken etwas verschämt zu uns, lächeln dann. Ich schüttele den Kopf, und beide stehen sofort auf und gehen davon.
Es stimmte also wirklich. Ist auch diese Gesellschaft hier schon so dekadent, daß bereits Schulmädchen Jagd auf Touristen machen ? Nun, ganz so schlimm ist es wohl doch noch nicht, es bleibt ein Einzelfall, kommt nicht wieder vor.

Ich verabschiede mich von Henk, er muß morgen früh raus, eigentlich braucht er gar nicht mehr ins Bett zu gehen. Sein Bus geht um 10 Uhr, bis dahin will er ganz Bobo besichtigt haben. Auf dem Weg ins Hotel fällt mir ein Mädchen auf, das etwas anders aussieht, andere Gesichtszüge, andere Frisur, größer. Sie wird mir knapp vier Tage später die bedrückendste Geschichte erzählen, die ich je gehört habe. Vorerst aber widme ich mich dem Kampf mit den Moskitos. Ich werde ihn besonders diese Nacht jämmerlich verlieren.

© Uwe Decker, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Reise durch Burkina Faso im November 2001.
Details:
Aufbruch: 19.11.2001
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 29.11.2001
Reiseziele: Burkina Faso
Der Autor
 
Uwe Decker berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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