Stephan in Lateinamerika

Reisezeit: März - August 2008  |  von Stephan Lass

San Cristóbal de las Casas III

Andere Braeuche kommen dem unschuldigen Deutschen auch ein wenig Spanisch vor. Ich hatte das Glueck, rechtzeitig zur Semana Santa, der Osterwoche, in San Cristobal anzukommen und zwar am Karfreitag. Da werden haufenweise Prozessionen abgehalten, etwa der Leidensweg Jesu nachgestellt, inklusive Live-Kreuzigung mit Roemersoldaten auf Pferden und fliessendem Blut.

Kreuzigungsprozession

Kreuzigungsprozession

Unfreiwillig komisch war es immer, wenn der fuer die musikalische Beschallung Zustaendige vergass, rechtzeitig die Wiederholungstaste des CD-Players zu druecken, was zur Folge hatte, dass man mitten im Kreuzigungsgeschehen eine sehr beschwingt-lustige Bach-Fuge zu hoeren bekam, anstatt der vorgesehenen Endlosschleife einer getragen-traurigen Bach-Fuge. Die Mexikaner hat's nicht im geringsten gestoert.

Um Mitreden zu koennen und weil es ein wichtiger Teil lateinamerikanisch-spanischer Kultur ist, bin ich waehrend der Feria, dem auf die Semana Santa folgenden Stadtfest, zu einem Stierkampf gegangen. Der beginnt mit einem Duell zwischen Stier und Reiter, was recht spektakulaer war, da dem Stier immer nur so 20 cm fehlten, um das Pferd auf die Hoerner zu nehmen. Es war recht schockierend, den ersten Stier sterben zu sehen. Es dauert ziemlich lange und ist auch ziemlich unfair (aus meiner Sicht). Wenn der Stier den Stierkaempfer in die Eck treibt, huepft der mal schnell ueber die Absperrung, was ein Stier nun mal nicht kann. Der Torero wird vom Publikum - darunter viele Kinder mit ihren Eltern - ausgepfiffen, wenn er den entscheidenden toedlichen Schwertstich zwischen die Schulterblaetter nicht sauber setzt, was leider bei einem der Stiere mehrfach der Fall war. Es ist allerdings auch verwunderlich, wie schnell man als Zuschauer abstumpft. Nach dem fuenften Stierkampf hatten wir erstens genug von dem blutigen Treiben und waren zweitens fast schon gelangweilt. Wir haben uns deshalb den letzten Stierkampf nicht mehr angeschaut, sondern sind nach Hause gegangen.

Einer der Stiere zu Beginn des "Kampfes"

Einer der Stiere zu Beginn des "Kampfes"

Ich habe waehrend meines Aufenthaltes in San Cristobal einen Tagesausflug in den Norden gemacht, dabei einen Wasserfall und die "agua azul" besucht, beides nicht so spektakulaer wie man mir erzaehlt hatte. Hoehepunkt des Ausflugs war aber Palenque, Ort der schoensten Majaruinen, die ich bisher gesehen habe. Sie sind mitten im Urwald gelegen, mit Howler-monkeys in den Baeumen, die einen Hoellenlaerm veranstalten koennen. Das war wirklich atemberaubend, diese steinalten Ruinen, mitten im saftig-gruenen, unglaublich lebendigen Dschungel.

Einer der zahlreichen Tempel in Palenque

Einer der zahlreichen Tempel in Palenque

San Cristobal war definitiv einer der Highlights meiner Reise. Bin dort auch sehr viel laenger als geplant geblieben. Die Stadt ist ziemlich schoen, es gibt Parks, in denen man sich locker einen halben Tag faulenzend aufhalten kann, mein Hostel (Los Camellos) hatte einen sehr schoenen Innenhof, mit Haengematten und netten Menschen darin. Komischerweise scheinen manche Hostels fast ausschliesslich freundliche und entspannte Menschen anzuziehen. Da war ein franzoesisches Paar, das mal fuer mich gekocht hat, einer der Hostelbetreiber, mit dem ich immer mal wieder einen Kaffee getrunken habe oder Jenny aus Australien, mit der ich dann zum Beispiel in die Bar Revolución gegangen bin, wo ausgezeichnete Reggae-Bands mit minimaler Ausstattung einen Bombensound abgeliefert haben. Das Ganze war gratis und auch das Bier war nicht so teuer. Reggae, Ska und Salsa koennen die Bands hier wirklich spielen; vom Jazz sollten sie besser die Finger lassen - die Jazzkneipe war zwar recht huebsch, aber die Bands ziemlich bescheiden. Ich habe mir waehrend der Feria noch Molotov, eine bekannte exikanische Band, angeschaut. War gratis, gut und ich einen wunderbar freien Blick auf die Buehne, weil die Mexikaner generell recht klein sind. Ich fuehlte mich dementsprechend ueberlegen

Eine Kirche, so kitschig, dass es fast schon wieder cool ist

Eine Kirche, so kitschig, dass es fast schon wieder cool ist

Was war noch bemerkenswert? Dass es hier auf 2000m Hoehe nachts saukalt wurde, so gefuehlte 5-10 Grad. Tagsueber aber meist strahlender Sonnenschein und 26 Grad. Sehr cool, weil man dann nachts wenigstens schlafen kann. Ziemlich cool kamen sich wohl auch einige westliche Super-Alternative-Hippie-Touristen vor, die offenbar seit ihrem Aufenthalt in San Cristobal die Politik fuer sich entdeckt hatten. Will heissen, sie waren wegen den Zapatisten auf einmal alle schrecklich links uns zeigten das durch eine entsprechende Aufmachung udn Kleidung. Wer nicht wie sie aussah, nicht zu ihrem elitaeren Kreise mit moechtegern-marxistischer Gesinnung gehoerte, wurde als gewoehnlicher "Gringo"-Tourist belaechelt. Diese Freizeit-Marxisten verbrachten aber sicherlich mehr Zeit vor dem Spiegel als ich, um sich diese kunstvoll-zerzausten Frisuren zu verpassen und sich in zerrissene Jeans und Batiktuecher zu huellen. Hoechstwahrscheinlich wartet auf diese Huschies daheim der von Papa spendierte Porsche. Die Einheimischen zumindest koennen keinen tieferen Sinn darin entdecken, dass diese westlichen, offenbar reichen Touris barfuss durch die Stadt eiern, statt sich - wie fast alle Mexikaner - moeglichst sauber und ordentlich anzuziehen.

© Stephan Lass, 2008
Du bist hier : Startseite Amerika Mexiko San Cristóbal de las Casas III
Die Reise
 
Worum geht's?:
Abgesehen von den ersten vier Tagen in Mexiko-City ist nichts geplant - nur die Freiheit, mich treiben zu lassen ...
Details:
Aufbruch: 05.03.2008
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 19.08.2008
Reiseziele: Mexiko
Der Autor
 
Stephan Lass berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors