Marokko

Reisezeit: April 2008  |  von Udo Pagga

Schrille Triller in Ouarzazate

Ouarzazate ist das Mollywood von Marokko, die Stadt mit der größten Filmproduktion für Orient- und Wüstenschinken. Man sieht außerhalb der Stadt die großen Hallen der Filmstudios. Vor einer stand ein riesiger vergoldeter Plastikpharao und ließ ahnen, welche Film hier gedreht werden.

Die Kasba Ait ben Haddou, eine der südmarokkanischen Wohnburgen aus Lehm, wurde für die Filme und die Touristen rekonstruiert und renoviert. Sie liegt sehr schön und malerisch an einem Fluss, wenn auch eine deutliche Spur zu perfekt und es ist nicht verwunderlich, dass sie ausschließlich von Touristen und Souvenierhändlern bevölkert wird. Geführt wurden wir durch dieses maghrebinische Neuschwanstein von dem fast neunzigjährigen, fast zahnlosen Mohammed, der in fast fehlerfreiem Deutsch seine Späßchen machte und seine Erklärungen ablieferte. Er hüpfte wie eine Gazelle umher und spurtete den Berg hinauf.

In der Mittagspause verzichtete ich einmal mehr auf das Touristenhotel und bestellte mir in einem winzigen Restaurant eine Pizza. Achmed der Chefkoch und Oberkellner zeigte mir stolz seine Sammlung von Fotos, die er von zufriedenen Kunden aus aller Welt zugeschickt bekommen hat, darunter auch ein T-Shirt mit einer lustigen Gruppe und er in der Mitte. Er will unbedingt, dass ich auch ein Bild mache, sogar ohne dass ich bezahlen muss. Er stellt sich in Positur, stramm und mit unbewegtem Gesicht, wie ein königlicher Gardesoldat. Der Versuch ihn zum Lächeln zu bringen ist selbst ein Lachen wert.

Auch die Kasba im Zentrum von Ouarzazate ist schön renoviert, sie wirkt aber irgendwie authentischer. Die Fenster im ersten Stock befinden sich auf Fußbodenhöhe, damit die 4 Frauen des Paschas Tahmi El Glaoui bequem das Geschehen auf der Straße verfolgen konnten. Wir sahen vor der Kasba eine große Bühne und auf der gegenüberliegenden Tribüne warteten schon die ersten Besucher des großen Folklorefestivals auf die Vorstellung am Abend. Das Festival ist nach der bekanntesten lokalen Volkstanzgruppe Ahwach benannt, für mich als Eselsbrücke und weil es sich von der Aussprache so anhörte Abwasch. Was die dann aber am späten Abend vor mehreren tausend Besuchern boten, war kein Abwasch, sondern eine mitreißende Schau. Der Platz war proppenvoll, es gab kaum ein vor oder zurück. Genervt verließ ich den Hexenkessel, um in aller Ruhe ein ausführliches Kaufgespräch mit einem jungen Schmuckhändler zu beginnen, das auch ohne den üblichen Tee zur beiderseitigen Zufriedenheit endete. In der Zwischenzeit war es fast Mitternacht, das Gedränge hatte nachgelassen und ich ergatterte einen ganz passablen Stehplatz.

Dieser wurde allerdings am nächsten Abend von einem 1-A Logenplatz übertroffen. Mit dem Touristenbonus und unter Umgehung einiger Sperren gelangten ich und meine Begleitung in die erste Reihe und konnten, auf einem Teppich sitzend, das Geschehen auf der Bühne hautnah miterleben. Neben verschiedenen Berbergruppen trat auch eine moderne Popband aus Agadir auf. Ein älterer Mann mit Brille und zebragestreiftem Umhang hampelte auf der Bühne umher und heizte die Stimmung mächtig an. Am beeindruckendsten war aber die Abwaschgruppe. Etwa 40 Frauen wurden von einer Leadsängerin, die ohne Pause ein Stück nach dem anderen anstimmte, angetrieben. Sie umrundeten in einer Art Sprungschritt etwa ein Dutzend Männern, die mit Pauken und Tamburinen den Rhythmus vorgaben. Die Frauen stießen von Zeit zu Zeit schrille Triller aus und die Masse der Zuschauer stimmte immer wieder ein. Die Masse riss die Arme hoch, tanzte, drehte sich und war am Schluss, als eine Art Supersong oder Ohrwurm angestimmt wurde, nicht mehr zu bremsen. Außer Rand und Band stiegen viele auf die Stühle, andere stürmten auf die Bühne. Die Sängerinnen und die Trommler hatten ihrerseits die Bühne verlassen und alle lagen sich in den Armen und schunkelten auf marokkanisch. Unsere Logenplätze waren nichts mehr wert und wir tauchten ebenfalls ein, in diesen großartigen Showdown, mit dem der Abend endete.

© Udo Pagga, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Rundreise Marokko
Details:
Aufbruch: 07.04.2008
Dauer: 12 Tage
Heimkehr: 18.04.2008
Reiseziele: Marokko
Der Autor
 
Udo Pagga berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.