Stephan in Lateinamerika

Reisezeit: März - August 2008  |  von Stephan Lass

San Cristóbal de las Casas

Nach einer 14-stuendigen Nachtfahrt, die ich aufgrund allgemeiner Erschoepfung weitestgehend verschlafen habe, bin ich dann in San Cristóbal de las Casas angekommen. San Cristóbal gelangte 1994 in den Fokus der Weltoeffentlichkeit, als eine bewaffnete Guerillatruppe die Stadt fuer 30 Stunden besetzte. Sie hatten sich - im Rueckgriff auf den Freiheitskaempfer Emiliano Zapata - den Namen "Zapatisten" gegeben. Mit kommunistisch angehauchter Theorie wollten sie in der Praxis die Ungerechtigkeiten bekaempfen, die von grossen Haciendabesitzern und Geschaeftsleuten an der indigenen Bevoelkerung begangen wurden und immer noch werden. Wie im Feudalismus werden die kleinen Grundstuecke der Landbevoelkerung einfach einkassiert und die Besitzer rausgeschmissen, etwa um einen Golfplatz zu bauen. Die Zapatisten-Kaempfer kamen aus dem Dschungel, z.T. zu zweit auf einem Pferd (was mittlerweile in die Folklore eingegangen ist) und trugen alle Wollmuetzen mit Augenschlitzen. Ihr Anfuehrer ist Subcommandante Marcos, der Pfeife rauchend und mit klugen Zitaten versehene Aufrufe verfasste. Es kam nicht zum anvisierten Aufstand in ganz Mexiko, aber die Welt schaute zumindest nach Chiapas, dieser aermsten Region Mexikos.

Subcommandante Marcos mit Zapatisten

Subcommandante Marcos mit Zapatisten

Das war auch noetig, denn Menschenrechtsverletzungen kommen hier ab und zu vor. In einem Fall haben von grossen Farmern bezahlte paramilitaerische Gruppen oder sogar regulaere Polizei und Militaers mal eben ueber 40 "Indigenas", Frauen und Kinder, ermordet. Die Zapatisten dagegen sind eine Bauernmiliz, die sich dann schnell wieder aufs Land zurueckzog. Von ihnen gehen zumindest keine Gewalttaten aus. Subcommandante Marcos sagte nach der Erstuermung von San Cristóbal zu den erstaunten Touristen: "Entschuldigung fuer die Unannehmlichkeiten, aber das ist eine Revolution!" (Den Wortlaut kenn ich nicht genau).
Nach einer Art Waffenstillstand gibt es heute ein paar "unabhaengige" Ortschaften, die von den Zapatisten geleitet werden. Ich bin mir nicht so sicher, wie die Situation heute ist und was ich davon halten soll. Ihr grundsaetzliches Anliegen ist sicher gerechtfertigt. Es heisst allerdings auch, dass einige Zapatistas mittlerweile mit gespendetem Geld auf und davon sind. Ich habe mir aber als Andenken eine kleine Zapatistenpuppe gekauft, in der Hoffnung, dass mich jetzt nicht der Verfassungsschutz oder die CIA ueberwachen.
Die USA hatten tatsaechlich einige Millionen Dollar an Militaerhilfe nach Mexiko gesandt, um die Zapatisten zu erledigen. Und das in den 90-ern!!! Kaum zu glauben und deshalb auch kaum verwunderlich, dass die US-Amerikaner hier und eigentlich in ganz Mittelamerika sehr unbeliebt sind. Wenn ich allerdings sage, "Ich bin aus Deutschland" - dann bekommt man als Antwort ueberall "ahh, de alemania". Wir Deutschen haben in Mittelamerika noch nichts Boeses angestellt und stehen eher fuer gute Autos (ganz Mexiko ist voll von Kaefern), fuer guten Fussball und hoefliche, wenn auch etwas ernste Menschen. Schoen - mit diesen positiven Vorurteilen empfangen zu werden passiert einem in Europa ja bekanntermassen eher selten.

Stoff-Zapatist mit einem wenig furchteinfloessenden Holzgewehr

Stoff-Zapatist mit einem wenig furchteinfloessenden Holzgewehr

© Stephan Lass, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Abgesehen von den ersten vier Tagen in Mexiko-City ist nichts geplant - nur die Freiheit, mich treiben zu lassen ...
Details:
Aufbruch: 05.03.2008
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 19.08.2008
Reiseziele: Mexiko
Der Autor
 
Stephan Lass berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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