DATELINE - "Über das Wünschen hinaus"

Reisezeit: November / Dezember 1986  |  von Wolfgang Baum

USA - SFO / LA

SAN FRANCISCO

San Francisco aus der Vogelperspektive ist wie eine Einladung zur Ballettpremiere - ja, wie eine Liebeserklärung. Die Gewichtung von Urbanität und naturbelassener Peripherie bilden eine ästhetische Symbiose, die -verbunden durch die weit gespannte GOLDEN GATE BRIDGE philosophischen Interpretationen Raum läßt.

Golden Gate

Golden Gate

Die Stadt vermittelt ein prickelndes Lebensgefühl, wie man es nach einer gut durchschlafenen Nacht beim Picknick im Grünen empfindet. Aus einer niemals beengenden City, mit charmanten Vierteln und großzügig angelegten Stadtparks, eröffnen sich von den vielen Hügeln aus weitreichende Blicke auf die umliegende -BAY- und das Meer. Da gibt es Chinatown und Financial District; Salcaleto und Muir Woods; Fishermens Wharf und Oakland Bay Bridge; Schiffe, die mit einem letzten Gruß unter der GOLDEN GATE BRIDGE in die unermessliche Weite des Pazifiks hinausfahren; da sind die GABLE CARS, die mit Ihrer Poesie dem Fortschritt zu trotzen scheinen; da sind Menschen, die noch heute den Geist der FLOWER POWER GENERATION ausstrahlen und der Stadt die Leichtfüßigkeit einer Ballerina verleihen.
San Francisco ist die Kulisse, vor der sich die Komparsen als Hauptdarsteller fühlen können und Regieanweisungen überflüssig werden.
Die Stadtrundfahrt im Kleinbus hat internationale Besetzung. Ein Pärchen aus Maryland, zwei Kanadier, ein Singaporianer, ein Australier aus Brisbane und er, der Deutsche. Auf einer gewundenen Strasse führt es durch das fast mediterrane Hügelland, vorbei an Steilabbrüchen an denen die schäumende Pazifikbrandung aufrollt, und durch einen Pinienhain erhascht sein Blick die zinnoberrot im Dunst auftauchende GOLDEN GATE BRIDGE, die der Bus wenig später in Richtung SALCALETO und MUIR WOODS überquert. Grandios und verspielt zugleich liegt San Francisco aus der Ferne betrachtet auf den vielen Hügeln und die markante Architektur der "Bank of America" deutet mit seiner Spitze gen Himmel. Dieses einzigartige Panorama, die scheinbar in blindem Einverständnis von Natur und Menschenhand geschaffene Symbiose lässt ihn innehalten, stimmt ihn zutiefst nachdenklich und er gönnt sich die wenigen Minuten innerer Einkehr. Wie schön ist doch diese Welt, unser Planet, den er jetzt zu zwei Dritteln umrundet hat. Wie greifbar ist die Wirklichkeit, seine erfüllten Träume und Wünsche, und wie schrecklich ist die Vision, die alles Spalten und in seine kleinsten Teile auflösen könnte. Momente wie dieser sind ihm Anstoß für ein gedachtes Gebet, bei dem er sich als Person neutralisieren kann und Psyche und Materie als von Gott geschaffene Substanz erfährt. Er spürt in der Tiefe seines Herzens, wie dieses brüchige Leben zwischen Geburt und Tod doch eine Erfüllung sein kann, wenn es eine Zwiesprache ist. Erlebend ist er Angeredeter und sehend, denkend, handelnd - ja auch schreibend - vermag er Antwortender zu werden. Nach einem Sandwich am Ufer der San Francisco Bay konzentriert sich die Fahrt auf den Stadtkern und führt über die unvorstellbar steil emporstrebenden Strassen, durch Parks, victorianische Häuserzellen, herrschaftliche Paläste und Künstlervillen, in deren Architektur sich die Einflüsse Spaniens und Englands spiegeln. San Francisco ist keine Stadt für Nachtschwärmer. Ihre Verführungskünste lässt sie in den hellen Stunden am wirkungsvollsten spielen, wenn ihre "natürliche Klimaanlage", der pazifische Morgennebel sich auflöst und die "Bay-Bridge" aus dem Dunst emportaucht. Es ist jetzt gerade die Zeit, als die Wolkenkratzer beim EMBARCADERO und Financial District - dort, wo sich sein YMCA-Haus schutzsuchend einfügt - die Dunstmützen übermütig abwerfen, um die abstrakte Ästhetik ihrer Zweckgebundenheit vor einem samtblauen Himmel zu entblößen. Für den Abend ist er mit dem Singaporianer zum Stadtbummel verabredet, nachdem er in einem 1-stündigen Mittagschlaf seine Aufnahmebereitschaft wiederhergestellt hat. Treffpunkt ist das Foyer des San Francisco Hilton Hotels. Die Fahrt mit dem Cable-Car führt auf die Kuppen der Hügel, von denen man bei Nacht auf die feenhaft beleuchtete Metropolis hinabsieht. Er streift durch die Stände am FISHERMEN'S WHARF, die sich unter der Last der üppigen Meeresfrüchte durchbiegen. Ihn umgibt eine Duftglocke von salinem Millieu, den die Frischfische aus der Tiefe des Meeres mitbringen. Zu FUSS geht es dann zurück durch Chinatown, vorbei an der "Bank of Amerika" zur Market Street. Auf den restlichen 2 Kilometern zum EMBARCADERO stillt er seinen "Entdecker-Hunger" noch mit einem saftig-triefenden Hamburger.

Am folgenden Tag sieht er die einzigartige Kulisse aus dem Flugzeugfenster unter sich entschwinden, ehe sie sich im Dunst der Höhenwolken vollends verliert. In ca. l Stunde Wird er auf dem Los Angeles International Airport landen.

LOS ANGELES

Der Landeanflug auf L.A. bietet nach einem erweichend schönen Flug entlang der sonnengetränkten kalifornischen Coastline von San Francisco kommend, ein Bild von erschreckender Groesse, das jedoch aus dem Flugzeug heraus noch überschaubar, nach Himmelsrichtungen grob einzuteilen ist. Schachbrettartig angelegt, von scheinbar endlosen Highways in eine logische Symmetrie eingefasst, die sich jedoch in den dichten Verknotungen der Straßenführung verliert. Die Betriebsamkeit des Flughafens gleicht dem Verwirrspiel einer perfekt funktionierenden Maschinerie, deren Technik und Wirkungsweise einem unverständlich bleiben.
Entlang der überfüllten achtspurigen Highways, bewegt er sich im Berufsverkehr eines Freitagnachmittags nur langsam auf die größer und abstoßender werdende Silhouette von Downtown L.A. zu. Einer nach unten führenden Spirale gleich schnürt er sich mehr und mehr in das Dickicht der protzigen Unantastbarkeit der Wolkenkratzer ein, die bei einbrechender Dunkelheit eine furchteinflössende Starre annehmen. Reduziert auf seine Kreatürlichkeit und Fehlbarkeit sucht er Schutz vor dem Leben, der Unaufhaltsamkeit und verkriecht sich in der Bescheidenheit seines kleinen Zimmers und beginnt wieder, sich zu spüren. In nur zwei Stunden hat er es geschafft, in der mit über 3 Millionen Einwohnern drittgrößten Stadt der USA - diesem Moloch aus Asphalt und Beton -ein Bett, eine Bleibe, eine Daseinsberechtigung zu finden. Jetzt fühlt er den immensen Stress, der abendlichen Suche nach einem Dach im Wettlauf mit der Zeit.. Die Nervenkraft und Konzentration, die ihm das Telefonat vom Münzfernsprecher abforderte, während in unmittelbarer Nähe Überlandbusse der GREYHOUND-Linie ihre 320 PS-Diesel aufheulen ließen und die gerade zustande gekommene Verbindung erstickten. Lange hatte er bis dahin vergeblich versucht, das System des amerikanischen Selbstwähl-Dienstes zu durchschauen und dabei seine zwei Reisetaschen zur Diebstahlsicherung zwischen die Beine geklemmt, den Notizblock auf die zur Hälfte bespuckte Ablagefläche gelegt und den Kuli zwischen den Zähnen gehalten. Adresse, 2 Buslinien, Ein- und Aussteigestation, sowie Namen des Hotels gab man ihm im Telegrammstil und kalifornischen Akzent durch. Für Wiederholungen oder Rückfragen blieb keine Zeit. Zum ersten Mal musste er Leute bei weiteren Auskünften bitten, langsam zu sprechen und darauf hinweisen, dass er Deutscher sei und nicht viel Englisch spreche. Dies war ihm völlig ungewohnt und brachte ihn an die Grenze seiner Frustrationstoleranz. Im Bus dann das schon bekannte Problem. Die Bitte an den Fahrer, ihn doch beim Erreichen "seiner" Station aufzurufen, schlug man ihm zwar nicht aus. Wer aber gab ihm die Garantie, dass dies auch wirklich geschehen würde und wie lange mochte die Fahrt wohl dauern 15 Minuten, 45 Minuten, vielleicht mehr als eine Stunde ? Sollte er bei steigender Nervosität den Fahrer noch mal ansprechen und sich damit eventuell alle Chancen verderben ? Eben noch ein von zarter Hand umsorgter Passagier der TRANS WORLD AIRLINES, dem man die Wünsche von den Augen ablas, war er jetzt ein Rohr im Wind, in dem Bemühen, Zufall und Absicht in ein tragbares Verhältnis zu rücken.

Das Rainbow-Hotel gehört einer caricativen Organisation an und bildet inmitten der nackten Hässlichkeit der Wolkenkratzer von Downtown L.A. eine schützende Oase. Nur noch ein weiteres Gebäude hebt sich in dieser Gegend von der Nüchternheit ab. Es ist die "Central Library of Southern California, Los Angeles. Um 20:30 verlässt er noch mal für einen kleinen "Schnuppergang" sein Zimmer und tritt hinaus in die Dunkelheit der ausgestorbenen City. Nur noch vereinzelt streifen Menschen, meist Schwarze und andere Stadtstreicher umher, umgeben von der rüden amerikanischen Hamburger - u. Pizzakultur. Doch auch die Schnellrestaurants lassen gerade überhastet ihre Rollgitter runter und nehmen der Umgebung den letzten - wenn auch niederträchtigen - Hauch von Menschlichkeit. Downtown L.A. ist nur für den Tag gebaut. Die südkalifornische Metropole ist eine schwierige Stadt für Touristen und liegt eingebettet in ein Siedlungszentrum, das von der Struktur her mit dem Ruhrgebiet vergleichbar ist. Entfernungen werden nicht in Meilen, sondern in Minuten gemessen, die angeben, wie lange man mit dem Auto über das Netz der Freeways fährt. Los Angeles, das sind 50 Vororte auf der Suche nach einer Stadt. Früh morgens ist er der Erste am Bus für die "Stadtrundfahrt", die hauptsächlich nach HOLLYWOOD führt. Als sich der Bus nur langsam den Verknotungen der City entwindet, sieht er im Vorbeifahren auf den Linienbussen die Schriftzüge der Zielorte, die sich am nahegelegenen Pazifik wie Perlen einer Kette aufreihen. Die Namen klingen ihm als Melodie in den Ohren und ihm wird bewusst, dass er auf dieser Reise eine weitere "Endstation seine^ Wünsche " erreicht hat. Da ist die Gemeinde SANTA MONICA von dessen Hügeln aus man an herrlichen wolkenfreien Tagen das Meer sehen kann; VENICE, mit seinem bohemischen Touch, wo sich auf dem "Ocean Front Walk" die Künstlerschickeria, Greise, Etablierte, Schauspieler, Musikanten, Akrobaten und Schaulustige - meist auf Rollschuhen - treffen und sich braungebrannte, blondgelockte California-boys und -girls im Disco-rhythmus durch die Menge wiegen; MALIBU mit dem J. Paul Getty-Museum, seinem berühmten Surfer-Beach und den Traumvillen der "ganz Grossen" aus Film und Showbusiness; LONG BEACH, wo am Pier die "Queen Mary" als Seefahrtsmuseum vor Anker liegt; PASADENA mit seinem mexikanischen Flair.

Los Angeles ist ein Schmelztiegel der Nationen, in dem ethnische Minderheiten und diverse Nationalitäten versuchen, ihr kulturelles Erbe zu bewahren. Der hispaniole Einfluss wjrd besonders deutlich als der Bus am "Pueblo" hält, das mit seinen Häusern und mexikanischen Marktständen seine Geschichte aus der Gründungszeit der Stadt erzählt. Etwas aufdringlich, aber dennoch beeindruckend ist für ihn der südamerikanisch-katholische Gottesdienst in der kleinen Kirche nebenan. Ihm wird deutlich, wie sehr hier Armut zur Triebfeder der Gläubigkeit wird. Er denkt an Thailand, als er in einem buddhistischen Tempel die bisher angenehmste Form der Gottesehrfurcht kennen gelernt hat und er kommt ins Grübeln, und fragt sich, was ihn eigentlich als Angehöriger der christlich-reformierten Kirche gelegentlich zum Gebet treibt. Sind es Unsicherheit, Gewohnheit, Absicherung, Pflichterfüllung oder Überzeugung und Bedürfnis? Eigentlich ist er froh, dass er im Elternhaus eine gesunde Hinführung zur Eigenverantwortung genoss und nicht unter den Zwangsneurosen zu leiden hat, die vielen Menschen ihr Blickfeld einschränken. Er hat sie schon kennen gelernt, die in kirchlicher Regie ihre Kindheit gesteuert bekamen und heutzutage auf den Klerus scheißen, die den Kruzifix in die Ecke schmissen, weil die Logik nicht mehr stimmte. Die Fahrt geht weiter nach Chinatown, das zweifelsohne nicht so malerisch ist wie in San Francisko, denn in L.A. konnten sich die Chinesen mehr mit anderen Bevölkerungsgruppen mischen. Im "Little Tokyo" sorgen Restaurants, Bars und Boutiquen im japanischen Dekor für den fernöstlichen Rahmen. Die größte Minderheit - mit 25 % der Bevölkerung - sind die "Chicanos", Amerikaner mexikanischer Abstammung, die sich in East-L.A, niedergelassen haben. Auf der Fahrt nach HOLLYWOOD passiert der Bus das Krankenhaus, in dem der US-Senator Robert Kennedy nach dem Attentat starb ; einen Park, in dem Muhammad All oft seine Kondition im Lauftraining stärkte und das Hinweisschild GREEK THEATER weckt seine Aufmerksamkeit, denn hier fand das legendäre Konzert von NEIL DIAMOND "A Hot August Night" statt. Erste Station ist dann die HOLLYWOOD BOWL, eine Freilichtbühne, in der die BEATLES früher ihr "Twist and Shout" sangen und die heutzutage in der sommerlichen Konzertsaison die Bühne der L.A.- Philharmonie ist. Danach geht es über den HOLLYWOOD BOULEVARD und den SUNSET STRIP direkt ins Zentrum der Film- und Fernsehmetropole HOLLYWOOD. Natürlich erwartete er nicht, JR., alias Larry Hagman oder Jane Fonda auf der Strasse zu begegnen, doch hatte er vom Ort selbst ganz andere Vorstellungen. Außer den Stars im "Hollywood-Walk-of-Fame" ( in den Buergersteig eingelassene Zementplatten mit den Unterschriften der Künstler) sieht man Filmstars hier nur anlässlich großer Premieren. Der "Hollywood Boulevard" ähnelt eher einer Art "Red Light District", auf dem sich Drogensüchtige, Landstreicher und Prostituierte herumtreiben. Auf dem SUNSET BOULEVARD drängen sich jedoch Prominentenwohnungen, Restaurants und Aufnahmestudios in dichter Folge. Der sog. "Farmers Market" liegt direkt hinter den CBS-Studios, wo das vornehme Volk beim Einkauf zusammenkommt. Glanz und Glamour der Filmwelt konzentriert sich in den exklusiven Enklaven der Reichen und Superreichen von BEVERLY HILLS und BEL AIR. Am RODEO DRIVE, den die Anglinos (Einwohner von L.A.) die teuerste Einkaufsstraße der Welt nennen, hat sich die Uniformität exklusiver Geschmäcker ein Denkmal gesetzt. Mit Gucci, Celine, Hermes, Yves St. Laurent, Ted Lapides und Kollegen sind hier die teuersten Designer aus den Branchen Mode und Accessoires vertreten.

Gelangweilt fahren dort die Rolls Royce, Countachs und Lamborghinis auf und ab. Auf der Rückfahrt geht es dann noch vorbei am Studio von "Fleet Wood Mac",' einer Ex-Absteige der Rolling Stones und an "Cookies" 77 Sunset Strip. Als der Guide dann das Ende der Tour ankündigt hat er eine weitere Pflichterfüllung hinter sich und freut sich auf einen entspannten Flug, der ihn guer durch die Vereinigten Staaten an die Ostküste nach Florida bringen soll.
Noch vor dem Morgengrauen muss er sein Haus verlassen, um den ersten Bus, 5.20 Uhr Richtung Airport zu bekommen. An der Haltestelle nimmt ihn jedoch ein Taxifahrer für den Preis von 2 Dollar auf seiner Leerfahrt zum Flughafen mit. Noch vor Verlassen des Stadtgebietes steigen 2 weitere Passagiere zu. Eine ältere Dame aus New York und ein Exil-Ungar, der seit 10 Jahren in Amerika lebt. Das Gespräch am frühen Morgen wird lebhafter als erwartet, ja steigert sich fast zu einer Auseinandersetzung. Das Thema ist belanglos, die Argumente werden jedoch innerhalb kürzester Zeit spitzzüngig, bissig, und persönlich. Eigenartig, wie man sich so motivationslos in einen rechthaberischen Narzissmus hineinsteigern kann. Das Gespräch entwickelt sich in seiner Dramaturgie zu einer bühnenreifen Inszenierung. Während die Frau verstört ist und schweigt, versucht er die hauptsächlich zwischen Fahrer und dem dritten Mann ausgetragene Emotionsentladung zu schlichten, den Argumenten und Beschuldigungen ( es geht im weitesten Sinne um Politik und Nationalstolz) ihre Verletzbarkeit und Schärfe zu nehmen und einseitige Behauptungen zu relativieren. Der Ungar ist ein unangenehmer Zeitgenosse, einer von denen, die Schmeißfliegen gleich ihren emotionalen Unrat in alle Richtungen werfen, die ganz bewusst beschmutzen und beleidigen wollen, denen beim Blick in fröhliche Gesichter ihre eigene Unzulänglichkeit bewusst wird, die im Leben am kürzeren Hebel sitzen. Schon äußerlich war er eine abstoßende Erscheinung, Hager und spindeldürr, ein blasses ausgemergeltes Gesicht mit vorstehendem Kinn, langer magerer Hals, dünne Lippen, ein kleiner sandfarbener Schnurrbart, gelbliche Gesichtsfarbe, tiefliegende Augen, vorspringender Adamsapfel, nervöse Hände mit rastlosen Fingern, leicht hängende Schultern. Sein Haar war schon weit zurückgewichen und er schwitzte auffällig.

Als das Taxi in die Zufahrt zu den Abflugterminals einfädelte war er froh, diese aufgezwungene Engstirnigkeit wieder eintauschen zu können gegen das unglaubliche Gefühl von Freiheit, das eine Reise um die Welt vermittelt. Er passiert die Abfertigungshallen von PAN AM, EASTERN, UNITED, NORTHWEST ORIENT, DELTA, und AMERICAN AIRLINES, bevor der Fahrer ihn am TWA-Schalter absetzt. Es ist kurz vor Sonnenaufgang und in der Dämmerung erkennt er, dass der Himmel wolkenlos ist. Ideales Wetter also für seinen Trans-Amerika Flug.
Die rotweiße LOCKHEED 1011 TRISTAR hat schon am Boarding-Dock, Gate 51 angenabelt. Ein unendlicher Stom von Koffern kriecht auf dem Förderband empor und verschwindet in den Ladeluken unterhalb der Fensterreihe. Die scharfkantigen Turbinen--Lamellen in den Triebwerksöffnungen bewegen sich leicht und noch hat die Maschine durch die
Versorgungsschläuche zur Treibstoffaufnahme, Elektroleitungen der Stromgeneratoren, Zuleitungssysteme für den Druckausgleich und die Sauerstoff-Notversorgung der Kabine, sowie Telefonkabel zum Cockpit, Verbindung mit der Bodenversorgung. Bald jedoch, wenn die Triebwerksschaufeln die Luft gierig ansaugen, sie über mehrere Verdichtungsstufen zur Brennkammer führen und den tonnenschweren Schub flirrend und bebend nach hinten ausspucken, hebt das Flugzeug in eine neue selbständige Existenz ab.
Noch im Steigflug überquert die Maschine LONG BEACH und die Küstenlinie, ehe sie in einer weitgespannten Schleife aufs Meer hinauszieht und dann wieder der Morgensonne in Richtung Festland entgegenfliegt. Ein Bilderbuch-Flugwetter und an den Fingern kann er nun die Staaten abzählen, die tief unter ihm dahinziehen. Noch einmal sieht er den weiten Kessel von Los Angeles, Hollywood und die angrenzenden Berge. Als die Maschine dann den Sunshine-State Kalifornien verlässt, geht's über die Wüstengebiete Arizonas hinweg zu den tiefverschneiten Ausläufern der Rocky Mountains und wie Mosaikformationen erkennt er die Umrisse von "Salt Lake City" und "Denver" im Staate Colorado. Nach Kansas geht es im Luftraum über Missouri in den Sinkflug zur Zwischenlandung nach ST. LOUIS. Kurzaufenthalt mit Umsteigen in eine DC-9 und weiter führt die Route nach Südosten über Kentucky, Tennessee, Alabama, den Golf von Mexico nach Florida. Ein wunderbarer Flugtag endet just mit dem hereinbrechenden Abend und einer längeren Busfahrt ins YMCA-Hostel von Miami Beach.

© Wolfgang Baum, 2005
Du bist hier : Startseite Amerika USA USA - SFO / LA
Die Reise
 
Worum geht's?:
In 17 Tagen um die Welt. Saudi Araben, Bahrain, Taiwan, Hawaii, San Francisco, Miami, New York, Amsterdam. Versuch einer literarischen Betrachtung. Autor: Wolfgang Baum
Details:
Aufbruch: November 1986
Dauer: circa 4 Wochen
Heimkehr: Dezember 1986
Reiseziele: Singapur
Taiwan
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Wolfgang Baum berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors