Fünf auf einen Streich

Reisezeit: Juli / August 2011  |  von Andrea Wechsler

Himmel oder Hölle - die Besteigung des Teide

Keiner weiß genau, wann es wieder passieren wird. Ein gewaltiger Magma-Pfropfen hat sich bereits in seinem Schlot gebildet... Nutzen wir also die Zeit, die er noch "schläft" und bezwingen per pedes den drittgrößten Inselvulkan der Erde, den 3718m hohen Teide.
Um 7.45 Uhr holt uns Angela von "Aventura-Wandern" mit ihrem bunten Auto ab. Und schon geht's los Richtung Orotava. Immer weiter, immer höher. Kehre um Kehre. In unseren Kraxen: 2 Liter Wasser pro Person, Nüsse, süße Brötchen, Bananen, eine Cola. Handschuhe und Wintermütze ergänzen das "Sturmgepäck". Schließlich wollen wir hoch hinaus. Wir fahren die von üppigen Kiefern gesäumte Straße in Richtung Las Cañadas hoch. Hinein in den "Parque Nacional de las Cañadas del Teide", der 2007 zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Bald erblicken wir jedoch auch verwüstetes Waldgebiet und erfahren, dass hier im letzten November ein Orkan gewütet hatte. Bei diesem Sturm wurden allerdings nur die kanadischen Kiefern, die man vor mehr als 40 Jahren gepflanzt hatte, entwurzelt, während die einheimischen Kiefern unbeschadet stehen blieben. Heimatverbundenheit im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir winden uns immer höher in die Cañadas und erreichen das letzte Dorf "Aguamansa", 1040 m hoch gelegen. Alsbald verwandelt sich das Landschaftsbild. Wir fühlen uns in eine einsame Wildnis versetzt.
"Habt ihr eure Pässe eingepackt?" fragt Angela. Es gäbe ansonsten kein Erbarmen. Nicht mal Bestechungen würden helfen, um die letzten 168 Höhenmeter erklimmen zu dürfen.
Vor uns taucht eine außerirdisch anmutende Landschaft auf: Die Caldera - ein gigantischer Krater mit einem Durchmesser von 17 km. Sind wir etwa schon auf dem Mond? Aber nein, der ist ja am Himmel zu sehen.

Wir halten am Parkplatz Montaña Blanca, am km 40, auf einer Höhe von 2300m. Angela klärt uns über mögliche Symptome der Höhenkrankheit auf. Wenn wir Kopfschmerzen oder sogar Übelkeit bemerken, sollen wir Bescheid sagen. Pausen würden bis zu einem gewissen Maße helfen. Wenn es aber nicht weiter geht, geht es eben nicht.
Er ist halt nicht auf "Teufel-komm-raus" zu bezwingen, der Teide - ein Berg, der schon den Guanchen heilig und zugleich unheimlich war und aufgrund seiner Ausbrüche "Echeide-die Hölle genannt wurde. Wird es für uns ein Aufstieg in den Himmel oder werden wir die "Hölle" erleben?
Auf geht's Richtung Montaña Blanca, einem hellen Buckel, den wir später auf unseren Inselflügen immer wieder gut erkennen werden. Ein Weg zum Einlaufen, zum langsamen Eingewöhnen. Und doch ergeben sich hier schon reizvolle Ausblicke, die zu kurzen, aber auch notwendigen Pausen einladen. Wolkenloser Himmel erstreckt sich über uns, denn wir sind weit über den Passatwolken. Nur der Mond schaut uns mit blassem Gesicht zu. Leise knackt der Bimsstein unter uns, die Stöcke klackern geruhsam. Soviel Kargheit in verschiedensten Varianten wirkt schon fast wieder lebendig. Dazwischen Mini-Oasen: die grün getupften Ginsterbüsche. Etwa 90 Minuten vergehen so. Noch eine Kehre und schon tauchen die riesigen Teide-Eier auf, teilweise so groß wie ein Auto. Schwarze Brocken, die bei Vulkanausbrüchen aus dem Schlot geschleudert wurden. Spielbälle des Vulkanismus.
Die letzte große Rast, bevor der Aufstieg so richtig los geht. Ab hier ist dann "Schluss mit lustig." Angela zeigt ganz weit über uns auf einen Punkt, eine Art Antenne. Dort sei das Refugio Altavista. Ein Läufer zieht an uns vorbei, so geht's also auch. Folgen wir ihm, die Ostflanke des Teide hinauf. Immer wieder vergewissert sich Angela, wie es uns geht. Wasser trinken ist das A und O. Tief durchatmen, kleine Schritte machen. Beruhigend für uns ist auch, dass sie das Zeitfenster für die Passage der letzten 168 Höhenmeter für den Zeitraum zwischen 15 und 17 Uhr gebucht hat.

In regelmäßigen Abständen halten wir auf den Serpentinen über teilweise rutschigem Bimsgrus an. Der Boden unter unseren Füßen verändert sich allmählich. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld: rötlich-schwarze umgepflügte Erde und bizarre Lavabrocken. Ein Blick nach unten: Gran Canaria im Südosten zeigt sich halb von Wolken bedeckt.
Gegen 13 Uhr erreichen wir das Refugio Altavista auf 3260m. Diese Rast haben wir uns wohl verdient. Und damit auch den grandiosen Ausblick auf ein ungewöhnliches Panorama, auf die Vulkanlandschaft der Cañadas.
"Laufen wir erst mal bis zur Seilbahn, dann sehen wir weiter", schlägt Angela vor. Bis dahin seien es 45 Minuten. Nun verschwinden allmählich die letzten Pflanzen zwischen dem Gestein. Die Welt über den Wolken zeigt sich kantig und karg. Rostbraune Brocken, zerrissene Steine, Lavageröll.
Der steile Aufstieg nach dem Refugio dauert nun doch länger. Doch inzwischen lugt der Gipfel als gelb-orangene Pyramide hervor und lockt uns natürlich immer mehr an.
Kaum zu glauben: auf etwa 3550m Höhe kommen uns auf dem Weg von der Seilbahn zum "Mirador de la Fortaleza" Touristen in Badelatschen und Sandalen entgegen. Na gut, jedem sein Schuhwerk.
"Merkt ihr auch, dass das Herz schneller klopft?" fragt Angela. Eine Weile konnte ich dem nicht zustimmen, aber zumindest auf den letzten Metern, spüre ich es auch.
Gegen 15 Uhr erreichen wir einen Ort der Superlative: die höchste Toilette und gleichzeitig das höchste Telefon Spaniens oder mit anderen Worten: die Seilbahnstation.
Wintermütze und Handschuhe an und los. Ein Ranger kontrolliert an einer Schranke die Genehmigungen und unsere Pässe. Noch 168 hm. Die letzten Meter umsäumen schwefelhaltige Dämpfe. Und - autsch: die Steine sind heiß. Fumarolen und Solfatare zeigen, wie lebendig bzw. wie wach der Vulkan ist. Angela zeigt auf den Krater - wir sind gleich da. Nur noch ein kleines Stück, gesichert durch Ketten. Unter uns sehen wir La Palma, El Hierro, Gran Canaria, jeweils zur Hälfte von der Passat-Glocke bedeckt. Gipfelumarmung. Gipfelfoto. Gipfel-Cola. 1400 Höhenmeter sind schon ein mächtiger Ritt. Es geschafft zu haben, ist überwältigend. Also, auf jeden Fall fühlen wir uns auch nach den 6 1/2 Stunden, die wir unterwegs sind, dem Himmel näher als der Hölle.
Die Seilbahn tutet schon und ruft zur letzten Talfahrt auf. Angela winkt nach einer Weile zum Abstieg.
Etwas später, nachdem wir die Seilbahngondel bestiegen haben, schweben wir innerhalb von 7 Minuten wieder nach unten und lassen den Aufstieg dabei noch mal Revue passieren.

© Andrea Wechsler, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fast gleichmäßig verstreut liegen die sieben Kanarischen Inseln im Atlantik. Fünf von ihnen wollten wir innerhalb von drei Wochen mit dem Rucksack erkunden. Dies sollte wahrhaftig eine logistische Herausforderung werden. Da sich Teneriffa als Drehkreuz des Flug- und Fährverkehrs herausstellte, strickten wir nach langem Überlegen unser Erkundungsmuster: Dresden - Teneriffa - Gomera - El Hierro - La Palma - Gran Canaria - Dresden.
Details:
Aufbruch: 16.07.2011
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 06.08.2011
Reiseziele: Spanien
Der Autor
 
Andrea Wechsler berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.