Über alle Berge - mit dem Rad durch die Anden

Reisezeit: September / Oktober 2012  |  von Jörn Tietje

Runter kann ja jeder

Von Peru nach Bolivien

Von Puno bin ich in zwei Tagen auf guter, ebener Strecke nach Copacabana in Bolivien geradelt. Eine Uebernachtung in einer grausigen Hospedaje der Gemeinde Pomata und zwei Reisebusse vor mir an der Ausreiseabfertigung in Kasani waren die einzigen Hindernisse auf dieser Tour immer am Ufer des Titicacasees entlang.

Das Letzte aus Peru...

Das Letzte aus Peru...

Copacabana und Isla del Sol

Die Isla del Sol und die Isla de la Luna sind wohl neben den schwimmenden Inseln der Uros die Hauptattraktionen im Titicacasee, weil sie die wichtigsten Orte der Inka-Kultur eine Heimat gaben. Ausgangspunkt fuer die Fahrten auf diese Inseln ist der kleine und total vom Tourismus dominierte Ort Copacabana kurz hinter der Grenze zwischen Peru und Bolivien. Die Auswahl an Hostales ist gross und auch sonst findet sich hier alles, was der internationale Touristentross so sucht. Fuer kleines Geld (20 Bolivianos = ca. 2,30 Euro) buche ich die Fahrt auf die Isla del Sol - Nordspitze, von dort eine Wanderung ueber die Insel von ca. 3 Stunden zur Suedspitze und mit einem anderen Boot zurueck auf das Festland. Eins ist mir im Nachhinein sehr klar geworden: Das Marketing mit dem Inka-Hintergrund ist um Einiges besser als das, was die Insel zu bieten hat. Landschaftlich ganz nett, aber was die Ruinen angeht, gerade wenn man aus Peru kommt, eine Enttaeuschung. Ich nehme den Tag als Enspannung. Auf der Insel selbst ist auch noch ganz nett, dass man dreimal Wegezoll entrichten muss, weil sich die Inselgemeinden untereinander nicht auf eine einheitliche Gebuehr einigen koennen.

Isla del Sol - wenn man kein ganz grosses Interesse an der Mythologie der Inka hat, braucht man wegen der Ruinen nicht hinzufahren.

Isla del Sol - wenn man kein ganz grosses Interesse an der Mythologie der Inka hat, braucht man wegen der Ruinen nicht hinzufahren.

Aber man kann sich ja auch an anderen Dingen erfreuen...

Aber man kann sich ja auch an anderen Dingen erfreuen...

Auf dem Weg nach La Paz

Copacabana macht einem den Abschied recht schwer - mit einem 400m Anstieg auf die umliegenden Berge. Auf halbem Weg zur Faehre, die mich ueber den schmalen Sund bringen soll, der den Titicacasee mit dem Lago de Huinaimarca verbindet, treffe ich auf ein franzoesisches Paar, dass mit seinem Tandem auf einjaehriger Weltreise ist und mir fuer La Paz ein paar gute Tipps mit auf den Weg gibt. Dann die "Faehren" von San Pedro de Tiquina nach San Pablo! Ca. 20 Stueck dieser motorisierten Wasserfahrzeuge, die eher als Pontons zu bezeichnen sind, liegen an beiden Ufern.

Es ist unglaublich, dass diese schwimmenden Bruecken mehr Bewegung in sich haben als die Wasseroberflaeche...

Es ist unglaublich, dass diese schwimmenden Bruecken mehr Bewegung in sich haben als die Wasseroberflaeche...

...aber dieses Bild gibt ein bisschen Vertrauen.

...aber dieses Bild gibt ein bisschen Vertrauen.

Es ist Mittagszeit und sehr wenig Verkehr und nur fuer mich allein setzt der Faehrmann nicht ueber. Also lasse ich mein Fahrrad auf dem Boot und gehe erst einmal etwas Essen. Als ich zurueckkomme, naehert sich dann auch bald ein zweites Fahrzeug und mit der Kraft eines der beiden Aussenborder geht es in sehr gemuetlichem Tempo auf die vielleicht 400m lange Ueberfahrt. Schwimmen geht schneller.
Gute 150 km sind es von Copacabana nach La Paz. Eigentlich ist es mir zu weit, um an einem Tag zu fahren. Aber der Wind ist recht guenstig und die Strecke eben, sodass ich zuegig voran kommen. Ich habe ohnehin die Absicht, beim Erreichen der ersten Vororte ein Taxi zu nehmen und mich in die Innenstadt bringen zu lassen. Der Grossstadtverkehr und die Vororte - nein danke! Dann kommt mir aber erst einmal ein Hindernis in die Quere, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Landesweit streiken die Minenarbeiter und haben alle Strassen rund um La Paz abgeriegelt. Die Sperren sind ueberzeugend!

Ueber etliche Kilometer ist die Strasse voller Steine, sodass Fahrzeuge nicht mehr durch kommen. Im Hintergrund ist eine von mehreren Blockaden der Minenarbeiter zu erkennnen.

Ueber etliche Kilometer ist die Strasse voller Steine, sodass Fahrzeuge nicht mehr durch kommen. Im Hintergrund ist eine von mehreren Blockaden der Minenarbeiter zu erkennnen.

Die Sperren sind nicht richtig konsequent, denn der Verkehr waelzt sich ueberstaubige Feldwege um den Ort herum. Zuerst folge ich auch dieser Piste, da ein Ende aber nicht abzusehen ist, kehre ich in der Ortschaft auf die Hauptstrasse zurueck und fahre mit einem mulmigen Gefuehl und freundlich gruessend durch die Mengen der Protestierenden. Nichts passiert, ausser einigen Rufen "Hello Mister" oder "Gringo", an die ich mich inzwischen gewoehnt habe und so komme ich bei einbrechender Dunkelheit in die weniger schoenen Voroerte von El Alto, frueher einem Teil von La Paz, heute eine eigenstaendige Stadt. Mit etwas Muehe finde ich fuer 150 BS ein Taxi - ein recht ueppiger Preis fuer hiesige Verhaeltnisse, aber Verhandeln ist nicht moeglich und eine Alternative bei inzwischen vollstaendiger Dunkelheit habe ich auch nicht. Ich hatte dem Fahrer das Ziel genannt, ein Hotel im Zentrum von La Paz, dass mir die Franzosen empfohlen hatten. Der Fahrer hat mich trotz eindeutiger Angabe des Ziels falsch verstanden und landet erst einmal im Zentrum von El Alto - voellig falsch! Und so dauert die Fahrt ins Zentrum von La Paz, wo er sich nicht auskennt, noch einmal gut 45 Minuten laenger. Bei Erreichen des Hotels verlangt er 200 BS - jetzt bin es ich, der nicht zum Verhandeln bereit ist - mal verliert man und mal gewinnen die anderen. Der Preis war auch fuer diese Strecke noch immer ueberzogen.

Blick aus em Hotelzimmer auf einen Teil von La Paz

Blick aus em Hotelzimmer auf einen Teil von La Paz

La Paz

La Paz ist eine grausige Stadt. Sie liegt in einem riesigen Talkessel ueber mit ca. 1000m Hoehenunterschied und die Wohngebiete wuchern die steilen Haenge hinauf. Eine Struktur ist fuer mich nicht erkennbar. Waehrend andere suedamerikanische Grossstaedte meistens schachbrettartig angelegt sind, gibt es hier ausser der Autopista keine richtig erkennbaren Hauptverkehrsrouten und so verliert sich der Verkehr in einem unuebersichtlichen Gewirr von Gassen, in dem ich bei Fahrten mit Taxis jedesmal die Orientierung voellig verliere und mich nach einer halben bis einer Stunde Fahrt wundere, dass wir doch dort angekommen sind, wo die Fahrt hin gehen sollte.
Aber einmal abgesehen von den Verkehrsverhaeltnisssen hat diese Stadt fuer mich nichts Attraktives zu bieten, was es lohnen wuerde deswegen hierher zu kommen.

Dafuer hat die Stadt andere Dinge zu bieten, die man so auch nicht ueberall findet, so z. B. der so genannte Hexenmarkt. Zu den schraegsten Dingen, die hier verkauft werden, gehoeren fuer mich die getrockneten Lamafoeten als Gluecksbringer, die hier von der Decke haengen und in dem gruenen Korb stecken. Aber auch sonst gibt es allerlei Wunderliches. Und um die Ecke wird die Zukunft aus einer Handvoll Kokablaetter gelesen, die auf ein Tuch geworfen werden.

Dafuer hat die Stadt andere Dinge zu bieten, die man so auch nicht ueberall findet, so z. B. der so genannte Hexenmarkt. Zu den schraegsten Dingen, die hier verkauft werden, gehoeren fuer mich die getrockneten Lamafoeten als Gluecksbringer, die hier von der Decke haengen und in dem gruenen Korb stecken. Aber auch sonst gibt es allerlei Wunderliches. Und um die Ecke wird die Zukunft aus einer Handvoll Kokablaetter gelesen, die auf ein Tuch geworfen werden.

Waehrend ich durch die Stadt streife, wird hier im Parlament mit den Minenarbeitern verhandelt. Vom Ergebnis haengt auch ab, ob ich am naechsten Tag die Stadt verlassen kann.

Waehrend ich durch die Stadt streife, wird hier im Parlament mit den Minenarbeitern verhandelt. Vom Ergebnis haengt auch ab, ob ich am naechsten Tag die Stadt verlassen kann.

Szenen wie auf vielen Plazas grosser Staedte

Szenen wie auf vielen Plazas grosser Staedte

Der Grund, warum ich hierher gekommen bin, ist ausschliesslich meine Absicht, den Camino de la Muerte oder die Death Road zu fahren. Von hier moechte ich mich und mein Fahrrad von einem der vielen Tourenveranstalter mit aus der Stadt hinaus nehmen lassen und dann mit dem eigenen Fahrrad diese spektakulaere Strecke auf eigene Faust fahren. Aber wegen des unklaren Verhandlungsausgang zwischen Regierung und den Streikenden bekomme ich keine Zusage, da auch die Strecke zum Startpunkt blockiert ist.
So bestelle ich mir fuer den naechsten Tag wieder ein Taxi zum Hotel, das mich bis zu den Strassensperren bringen soll und vertraue darauf, dass ich wieder durchgelassen werde.

Die Death Road

Diese Strasse hat es in sich. Vor Jahren war sie die einzige Verbindung von La Paz in die Yungas, den tropischen Regenwald im Amzonasgebiet. Auf einer Strecke von ca. 60 km geht es dabei von ca. 4700 m bei La Cumbre fast ohne Unterbrechung runter auf 1200 m bei Yolosa. Weil auf dieser einspurigen Strecke in der Vergangenheit jaehrlich ca. 100 Menschen ums Leben kamen, bekam sie den zweifelhaften Titel "Gefaehrlichste Strasse der Welt" oder etwas werbewirksamer "Death Road". Mit Hilfe der Weltbank wurde eine neue Strasse gebaut und seitdem werden die spektakulaersten 30 km der alten Strecke fast nur noch von Mountainbikern befahren, obwohl auch noch immer Kleinbusse, Lkw und Pkw dort unterwegs sind.

Die Verhandlungen mit den Minenarbeitern waren in den Abendstunden erfolgreich und so kann mich der Taxifahrer bis auf den hoechsten Punkt der Strecke bringen und auch einige Tourenanbietern aus La Paz sind wieder unterwegs.

Start bei 4700 m - Schneefall, Nebel, lausige Kaelte

Start bei 4700 m - Schneefall, Nebel, lausige Kaelte

Es ist nasskalt und leichter Schneeregen laesst die Brillenglaeser beschlagen. Ich vertraue darauf, dass es in den tieferen Lagen schnell waermer wird - Irrtum voellig durchgefroren muss ich mir nach kurzer Zeit mehr Zeug anziehen. Rasend schnell geht es auf der neuen Asphaltpiste bergab. Unterwegs ist eine grosse Drogenkontrollstelle eingerichtet, die ich aber ohne anzuhalten passieren kann, ein Stueck weiter muss ich das erste Mal mit dem Fahrrad Maut bezahlen.
Nach ca. 35 km kommt dann ein unscheinbarer Abzweiger, der auf die alte Schotterpiste, die eigentliche Death Road fuehrt. Ab hier gilt Linksverkehr - damit die Autofahrer beim Ausweichen besser den Abgrund sehen koennen.

30 km Schotterpiste, 30 km ohne Unterbrechung bergab - insgesamt auf diesem Stueck 1900 Hoehemeter. Durchschnittliches Gefaelle 6%, maximal 17%! Immer an der Wand entlang.

30 km Schotterpiste, 30 km ohne Unterbrechung bergab - insgesamt auf diesem Stueck 1900 Hoehemeter. Durchschnittliches Gefaelle 6%, maximal 17%! Immer an der Wand entlang.

Technisch nicht schwierig, man kann sich auf dem groben, ausgewaschenen Schotter gemuetlich runterrollen lassen - man darf nur nicht von der Strasse abkommen

Technisch nicht schwierig, man kann sich auf dem groben, ausgewaschenen Schotter gemuetlich runterrollen lassen - man darf nur nicht von der Strasse abkommen

Zahlreiche Kreuze saeumen die Strecke. Wenn man von der Strasse abkommt, braucht man sich keine Gedanken mehr zu machen... Und wie eine frische Unfallstelle zeigt, bleibt der Schrott auch in der Schlucht liegen - eine Bergung ist ziemlich unmoeglich.

Zahlreiche Kreuze saeumen die Strecke. Wenn man von der Strasse abkommt, braucht man sich keine Gedanken mehr zu machen... Und wie eine frische Unfallstelle zeigt, bleibt der Schrott auch in der Schlucht liegen - eine Bergung ist ziemlich unmoeglich.

Mehr Kreuze zum Gedenken an die Verunglueckten stehen wohl nur in den Alleen Brandenburgs

Mehr Kreuze zum Gedenken an die Verunglueckten stehen wohl nur in den Alleen Brandenburgs

Ja, da oben auf der Kante, das bin ich an der wohl spektakulaersten und meist fotografierten Stelle der Piste - wie tief es da wirklich runter geht, gibt das Bild allerdings nicht wieder!

Ja, da oben auf der Kante, das bin ich an der wohl spektakulaersten und meist fotografierten Stelle der Piste - wie tief es da wirklich runter geht, gibt das Bild allerdings nicht wieder!

Immer wieder faehrt man in toller Landschaft unter kleinen Wasserfaellen hindurch. Und das Beste: Nach Wochen ausschliesslich in den Farbtoenen braun und ocker kommt man hier im ueppigen, saftig-gruenen tropischen Regenwald an, mit tausenden Schmetterlingen und bunten Voegeln um einen herum.

Immer wieder faehrt man in toller Landschaft unter kleinen Wasserfaellen hindurch. Und das Beste: Nach Wochen ausschliesslich in den Farbtoenen braun und ocker kommt man hier im ueppigen, saftig-gruenen tropischen Regenwald an, mit tausenden Schmetterlingen und bunten Voegeln um einen herum.

Runter kann doch jeder

In Yolosa angekommen stehen mir noch die 8 km bis Coroico bevor. 500m steil nach oben auf grobem Naturkopftsteinpflaster. Das ist weder rauf noch runter ein Spass! Hier uebernachte ich.
Wegen der vielen Wolken war die Sicht bei der Abfahrt sehr schlecht und ausserdem habe ich auch keine grosse Lust, mit Bus oder Taxi die gesamte Strecke nach La Paz zurueck zu fahren, denn von dort geht meine geplante Route in eine andere Richtung weiter. Also wieder zurueck. Wieder die alte Strecke, nur diesmal bergauf - mit Gepaeck! Zugegeben, ein etwas verruecktes Unterfangen. Aber die sportliche Herausforderung reizt denn doch. Runter kann ja schliesslich wirklich jeder, selbst die Dicken oder Aengstlichen, die ich mit den Tourenanbietern getroffen haben, ziehen sich hinterher stolz das schwarze T-Shirt mit dem Aufdruck "Death Road Bolivia - Survivor" ueber, was nichts anderes bedeutet als: Ich habe mir ein vollgefedertes Mountainbike mit zwei Guides und Begleitfahrzeug gemietet und habe es geschafft, mich 30 km den Berg runterrollen zu lassen, ohne von der Strasse abzukommen.
Ich muss zugeben, ich habe die Tour nach oben unterschatzt. Hatte ich anfangs noch die Hoffung, es in 5 - 6 Stunden zu schaffen, musste aber immer laengere Pausen einlegen und kam nach 8 Stunden voellig ausgepumpt, schweissnass und bei 12 Grad trotzdem frierend an der Einmuendung zur neuen Strecke um 17.00 Uhr an. Immerhin, waehrend der meisten Zeit waren das Wetter und die Sicht deutlich besser als am Vortag, aber irgendwann konnte ich es nicht mehr geniessen und auch die Lust, die Kamera zu zuecken, liess im Laufe des Tages deutlich nach.
Wie fuer mich gemacht hielt oben gerade ein klapperiger Linienbus an und brachte mich - wieder bei Schneefall auf der Passhoehe bei La Cumbre - mit meinem Fahrrad im Mittelgang fuer 30 BS nach La Paz. Und wieder im Hotel Nuevo Sol - das ich nur jedem, der Nach La Paz kommt, empfehlen kann - gab es erstmal eine endlos lange, heisse Dusche und anschliessend ein grosses Steak. Beides wohl verdient!!!!!!!
Und jetzt geht es wieder auf den Altiplano und vermutlich melde ich mich in einigen Tagen wieder aus Uyuni.

© Jörn Tietje, 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wieder Südamerika - dieser faszinierende Kontinent lässt mich nicht los. Nach 1 1/2 Jahren ohne Urlaub packe ich endlich wieder mein Fahrrad in einen Karton und mache mich für acht Wochen aus dem (Büro)Staub. Eine Reise von Peru über Bolivien nach Nordchile mit vielen Unbekannten und noch mehr interessanten Perspektiven. Mal sehen, wie ich mit der Höhe, Hitze, Kälte und Einsamkeit zurecht komme. Ihr seid herzlich eingeladen, mich hier auf meiner Reise zu begleiten. Jörn
Details:
Aufbruch: 02.09.2012
Dauer: 8 Wochen
Heimkehr: 27.10.2012
Reiseziele: Peru
Bolivien
Chile
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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