Madagaskar - Jenseits von Afrika

Reisezeit: Oktober 2008  |  von Sarah Paulus

Von Ile aux Nattes nach Mahambo

Tag 19
23.10.2008, Donnerstag, 95km

Der Wecker weckt pünktlich. Nach seiner Zeitrechnung. Er hat sich in den letzten Tagen irgendwie verstellt. So ist es bereits 04:15 Uhr. Und stockfinster. Kein Strom. Der Hotelgenerator liefert landestypisch ja nur von 18:00 Uhr bis 23:00 Uhr. In unserer Hektik können wir die bereitgelegten Kerzen nicht finden, wuseln aufgeregt durch den Bungalow und öffnen nur wenige Minuten später die Tür. Regen und Wind. Schon mal Ausschau halten nach dem Begleiter. Vorerst ist niemand zu sehen. Okay, dann schnell noch die letzten Sachen zusammensuchen. Ich trete ein zweites Mal vorsichtig hinaus und erschrecke fürchterlich.

Neben unserem Bungalow steht eine dunkle Gestalt. Er spricht kein Wort, muß ja aber die versprochene Begleitung sein. Wir hängen ihm meinen Rucksack um und brechen um 04:25 Uhr auf.

Unsicher stiefeln wir drei durch die dunkle Nacht, den Strand entlang. In Richtung Piroggenstation, ohne genau zu wissen wo der Fährmann denn auf uns wartet. Rolfi hat immer so komische Vorahnungen. Auch jetzt. Daher fragt er während des Herumrennens unseren Mitläufer nach dem Ziel. Keine Antwort. Wo denn der Piroggenmann zu finden sei? Wieder keine Antwort. Weiterlaufen und erste Ansätze von Hysterie. Keine Pirogue = keine Überfahrt = kein Taxi = unpünktlich am Hafen und keine Tropicanafahrt. Der schweigende Begleiter bleibt unbeeindruckt. So geht das nicht weiter. Rolfi redet beherzter auf ihn ein und wir stellen fest, daß er kaum französich versteht. Er sei nur der Nachtwächter.

Herumgehetze im Dunkeln

Herumgehetze im Dunkeln

Ach du Scheiße. Den falschen Mann gegriffen. Kurze Blicke. Dann scheuche ich ihn zum Hotel zurück. Rolfi bleibt bei den Rucksäcken. Ich muß zum Patrone. Der soll helfen. Nur keine Ahnung, wie ich den im dunklen Bungalowdorf finden soll. Also hilft die beste aller weiblichen Eigenschaften: Herumschreien. 'Monsieur le Patron, Monsieur le Patron?!' rufend, haste ich durch die Anlage. Wie peinlich, aber erfolgreich. So steht er plötzlich vor mir. Verschlafen die Hose hochziehend. Hinter einem Baum erscheint eine weitere dunkle Gestalt. Freddy? Jason? Das malegassiche Kettensägenmassaker? Ganz klar, ich drehe langsam durch. Es folgen aufgeregte Erläuterungen. Der eigentliche Begleiter sei nur 2 Minuten zu spät gewesen. Ach so. Also rase ich, nunmehr zwei Begleiter hinter mir herziehend, zurück zu Rolfi. Auf Anweisung des Patrons nehmen wir eine Abkürzung. Mir rinnt mittlerweile der Schweiß in Strömen den Körper herunter. Es ist 04:45 Uhr. Immer noch auf Ile aux Nattes. Eigentlich schon viel zu spät. Aber Rolfi behütet sicherlich noch brav unsere Sachen.

Der hatte die Zeit auch nicht nutzlos verstreichen lassen. Auf der Sainte Marie-Seite waren kurz nach meinem Verschwinden Autoscheinwerfer aufgetaucht. Also wildes Herumfuchteln mit einer Taschenlampe. Ohne Erfolg. Nach kurzem Halt verschwindet das Auto wieder. Nur 10 Piroggenminuten entfernt, doch unerreichbar für uns. Das Taxi, kein Zweifel, ist unwiederbringlich verloren. Dafür keimt neue Hoffnung. Denn keine 100m entfernt erschallen Rufe, die schnell näher kommen. Es ist der Fährmann, der nur etwas weiter den Strand entlang gewartet hat. Er will die Rücksäcke nehmen und losstürzen, doch Rolfi möchte auf mich nicht verzichten. Also hetzt nun der Schiffer hinter mir her und läßt Rolfi ein zweites Mal in dieser Nacht allein.

Aber nur kurz. Denn kurz darauf stürzen meine beiden Jungs und ich aus dem Dickicht strauchelnd auf ihn zu. Super. Endlich. Nun schnell zur Pirogue. Doch die beiden Begleiter lehnen kategorisch ab, uns rüberzustaken. Das Wetter sei zu schlecht. Zu hohe Wellen. Wir versuchen es mit netten Worten, doch dann ist Rolf nicht mehr Herr seines Geschehens und will das Ruder höchstpersönlich in die Hand nehmen. Auf allen Seiten größere Irritation. Bis, Gott sei Dank, der einzig wahre Piroggenmann wieder auftaucht. Rübergestakst und welch' ein Glück. Das Taxi ist noch da und setzt uns pünktlich 05:30 Uhr am Hafen ab.

Jede Menge Menschen warten schon auf die Abfahrt der Boote. Bei unserem Boot warten überwiegend Einheimische, beim anderen werden bereits die Schwimmwesten verteilt. Das andere Boot legt zuerst ab. Wir zwar später, überholen dann aber ganz mächtig und haben übrigens auch Schwimmwesten bekommen.

Ankunft, right in time

Ankunft, right in time

Ankunft in Soanierana Ivongo gegen 07:30 Uhr. Noch so früh und schon so viel erlebt. Weiterhin Regen.

Der Hafen von Soanierana Ivongo

Der Hafen von Soanierana Ivongo

Wir überqueren glitschige Holzstege und stampfen mutig durch Matsch. Rolf wünscht sich eine Runde Schlammcatchen und stürzt beinahe über ein dürres Huhn. Das Dorf ist an diesem Tag sicher kein Hingucker. Dennoch entsteht gerade hier eines meiner Lieblingsfotos der Reise. Was mich sonst in tiefste Depression stürzt, bewirkt heute absolute Ruhe und Gelassenheit. Der gebuchte Bus ist ein simpler Überlandbus - Taxi Brousse. In den werden mindestens 14 Reisende gedrängt plus einiger Hühner sowie Gepäck, das traditionell auf dem Dach mitfahren muß. Rolf ist überglücklich. Die ganze Reise hatte er sich gewünscht, mit einem Taxi Brousse reisen zu dürfen und nun geht sein großer Wunsch in Erfüllung. Und ohne daß wir ahnen können, wie schrecklich sich sein Wunsch noch auswirken sollte. Wir würden bald mehr Zeit als gewünscht im Taxi Brousse verbringen müssen. Aber der Reihe nach.

Im Taxi Brousse

Im Taxi Brousse

So rumpeln wir im Wagen eng zusammengequetscht in Richtung Süden los. Fahrten im Taxi Brousse sind in Madagaskar immer ein Abenteuer. Niemand weiß, was als nächstes passiert. Aus dem Lautsprecher sprudelt die Lieblingscompilation des Fahrers. So fragt sich Ronan Keating prophetisch, was wäre 'If tomorrow never comes'. Rolfi singt laut mit. Wir Mitreisenden verstehen sofort.

Bis Mahambo sind es rund 60km, ca. eine Stunde Fahrzeit. An einer Dorfstraße werden wir abgesetzt.

Straßenbau auf malegassisch

Straßenbau auf malegassisch

Kurz vor dem Hotel

Kurz vor dem Hotel

Wo ist das Hotel La Pirogue? Irgendwo da hinten. Direkt am Strand. Etwa 20 Minuten Laufzeit. Aha. Es regnet. Durch den Monsum. Willkommen im Tokio Hotel. Wir beziehen einen schönen Bungalow direkt am Strand für AIR 72.500. Es folgt ein spätes Frühstück mit Omelette, Baguette, Marmelade und viel Kaffee.

Wir hatten über dieses Hotel auch einen Chauffeur für die Rückkehr nach Tana organisiert. Kein Problem, hatte die letzte Mail-Antwort nach Deutschland signalisiert. Wir fragen bei den Hoteldamen nach, ob neben der Zimmerreservierung auch das geklappt hat. Leichte Unsicherheit. Aber wir sollten uns keine Sorgen machen.

Gegen 19:00 Uhr stellt sich heraus, daß kein Chauffeur organisiert wurde. Der Patron empfindet weder Reue noch die Pflicht, sich zu kümmern. Hilfsweise bietet er uns einen Chauffeur an. Der habe aber den doppelten Preis. Wir lehnen selbstverständlich ab. Wir sind zwar nicht mehr jung, brauchen aber immer noch das Geld. Sein letzter Vorschlag sieht dann so aus: Er fährt uns 20km zurück nach Fenerive. Dort würden wir problemlos ein Taxi Brousse finden, nach Tamatave gelangen und dort dann schnell in ein anderes Taxi Brousse nach Tana umsteigen können. Das Flugzeug starte erst gegen Mitternacht, also überhaupt kein Problem. Er kenne schließlich den Weg und sei letztens sogar erst um 15:00 Uhr aufgebrochen und dennoch pünktlich angekommen. So weit, so gut.

Wir haben böse Vorahnungen...

© Sarah Paulus, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
20 Tage auf der viertgrößten Insel der Welt.
Details:
Aufbruch: 04.10.2008
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 24.10.2008
Reiseziele: Madagaskar
Der Autor
 
Sarah Paulus berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.