Mali: Email aus Timbuktu

Reisezeit: Oktober / November 2000  |  von EvaLea Baby

Dies war meine erste Reise nach Mali, drei weitere folgten, wovon eine in den Südosten. Die Dritte führte mich ein paar tausend Kilometer durchs Land nach Gao über Mopti, Djenné, Douentza und schliesslich zurück nach Koutiala übers Dogonland.
Im Januar 2005 machte ich ein 12-tägiges Wüstentrekking. Ich bin mit einem Malier aus Timbuktu verheiratet und reise ohne Reisebüro und lebe fast immer bei Einheimischen.
Um die Personen zu schützen, hab ich fast alle Namen, ausser meinem, abgeändert.

Eine total verrückte Geschichte

Targi Salem aus Timbuktu

Targi Salem aus Timbuktu

Bamako ist eine arme Stadt. Es hat seine Ursprünge Mitte des 17. Jhdt. Der Gründer der Stadt soll ein Sklave genannt "Bamba Kong" gewesen sein. Andere Quellen sagen, die Niarés seien die Gründer, welches damals an Gewässern voller Krokodile lag. Bamako soll "marigot des caimans" bedeuten (bamma kô = Tümpel der Krokodile). Die frz. Kolonialgeschichte beginnt am 1.2.1883, als die frz. Truppen unter Borgnis Desbordes in Bamako einfielen, welches 600 Einwohner gehabt hat. Einige Tage später wurde mit der Konstruktion eines Forts begonnen. Bamako ist 1920 die Hauptstadt der frz. Kolonie "Soudan français" geworden, und 1960 bei der Unabhängigkeit der Kolonie die Hauptstadt Malis. Der erste Bürgermeister der Stadt war Modibo Keita 1955. Heute leben über eine Million Einwohner in Bamako, Tendenz stark steigend.

Wir hörten aus der Gerüchteküche, dass unser Flug nach Timbuktu nicht stattfinden könne. Die Tickets müssten wir trotzdem bezahlen, weil wir sie bestellt hatten, und Air Mali nie Geld zurückgebe. Tungkara aus dem Hotel Maxim, sagt uns mit vielsagendem Lächeln, darum heisse "Air Mali" eben "Air Maybe".

Wir standen um 04.00 Uhr auf und fuhren per Taxi zum Flughafen, dort war alles leer. Es hätte gereicht, eine Stunde später zu fahren. Nach Oeffnung des Schalters nach ¾ Stunden bildete sich eine Schlange. Plötzlich kam eine Gruppe wichtig aussehender Männer in langen Boubous, sie schritten erhobenen Hauptes, überholten alle und gingen an den Kopf des Schalters. Es waren vielleicht 12 Männer. Es gab eine Diskussion, die Angestellte war überfordert und verschwand. Schliesslich kam sie zurück mit einem Vorgestzten. Die Herren vermehrten sich zu mindestens 20! Sie amüsierten sich und man hatte den Eindruck als würde ihnen der ganze Flughafen gehören. Uns wurde angst und bange, wir ahnten nichts Gutes. Eine Delegation von "Chefs" hatte die Maschine gechartert, und Air Mali hat uns "ausgeladen", obwohl wir die Reservation schon lange gehabt hatten und am Vorabend bestätigt hatten! Wir waren furchtbar enttäuscht, und das ist sehr untertrieben. Die Boubou-Herren füllten das ganze Flugzeug. Wir mussten unser Gepäck holen, ein Taxi suchen und zurück ins Hotel fahren! Ich war so wütend, dass ich am liebsten geschrien hätte! Doch auch dies ist Afrika - aller Widerstand nützt nichts! Geduld heisst das Zauberwort, will man hier überleben. Diese Geduld schien mir noch zu fehlen! Später habe ich mich gefragt, ob es Schicksal war. Doch will ich der Geschichte nicht vorgreifen. Im Hotel telefonierten wir nach einer "Wutvedauungspause" mit "Nomades Voyages". Wir beschlossen, die Reise nicht nochmals mit Air Mali, resp."Air Maybe", zu versuchen, sondern würden mit einem gemieteten Geländewagen nach Mopti fahren, dort übernachten und anderntags weiter nach Timbuktu.

Der Hafen von Mopti beim Eindämmern

Der Hafen von Mopti beim Eindämmern

Wir sind um 4.45 Uhr aufgestanden. Im Garten sassen drei Tuareg. Sie fuhren um 05.30 Uhr ab Richtung Gao. Ich setzte mich an den Swimming Pool, der Himmel war noch dunkel und voller Sterne, es zirpte und gurrte, und der Muezzin rief. Tungkara war aufgestanden und hat uns Kaffee gebracht. Ich staune, dass ich keine Mückenstiche habe und geniesse den ersten Kaffee dieses Morgens. Auch meiner Freundin geht es wieder gut - die Enttäuschung von gestern, ist weggesteckt. Wir freuen uns auf die Reise nach Timbuktu und sind voller Abenteuerlust. Dann - ein einschneidendes Ereignis, wie sich später zeigen wird - unser Chauffeur ist eingetroffen. Zwei Männer stehen beim Empfang, die ich nur von hinten sehe - gesichtslos, anonym. Ich nehme sie zur Kenntnis, weil dies heisst, dass wir bald abfahren werden. Kira kommt aus ihrem Zimmer, geht an den Schatten vorbei und sagt mir, der grössere Mann sei der Gepäckmann. Ich ging auf ihn zu und fragte. Nein, meinte er, er sei der Chauffeur - sein Name sei Seydou. Der andere, war der Chef Mohamed. Seydou war nett und ich fühle mich schlecht, dass ich ihn für einen Gepäckmann gehalten und so unfreundlich gewesen war! Er vermittelte mir Sicherheit, weil er grosse Ruhe ausstrahlte. Er hatte leicht mandelförmige Augen, die tief lagen, und gebogene Wimpern, und eine Stimme so tief wie ein Stollen in eine Edelsteinmine. Unser Gepäck wurde eingeladen, wir setzten uns in den Wagen und fuhren los. Auf der Strasse nach Segou hielten wir in einem Dorf an. Ein paar Frauen standen mit Kindern herum, sie trugen weisse Kleider und machten einen blitzsauberen Eindruck, einige hatte auf dem Rücken ein Baby mit einem Tuch umgebunden und Seydou fragte sie, ob wir uns auf dem Hof umsehen dürften. Wir durften. Es zeigte sich, dass die Frauen aus den Nüssen eines Baumes eine Melasse herstellten, die zur Produktion von Hautcrèmes und Seifen verwendet wird. Der Baum heisst "Karité", deutsch "Schibutter-Baum". Diese Karité-Nüsse werden geerntet, geschält, getrocknet und grilliert. Danach werden sie in Wasser gekocht. Diverse Bottiche wurden uns gezeigt, die Frauen waren sehr freundlich. Nach dem Kochen im Wasser wird die Masse in den Bottichen ruhen gelassen, das Oel teilt sich, schwimmt obenauf und kann zur weiteren Verarbeitung abgeschöpft werden, während das Wasser unten entsorgt wird.

Grosse Wäsche am Niger in Ségou

Grosse Wäsche am Niger in Ségou

Danach Weiterfahrt dem Niger entlang nach Ségou. Ich lehnte mich zurück und genoss die Aussicht. Ich erinnerte mich, vor langer Zeit einen Roman namens "Ségou" von Maryse Condé gelesen zu haben, der von einer Dynastie namens Coulibaly erzählte. Es war vom Fahrtwind durchs Fenster einigermassen "kühl". In der Stadt Mopti übernachteten wir im Hotel "Oasis Annex". Ich habe meine Kleider ausgewaschen und den Ventilator als Trockner benützt. Anschliessend fuhren wir mit Seydou ins Zentrum, leider todmüde. Kein Wunder, denn es war gemäss Reception 38°C! Ich war sehr froh, dass unsere Freunde aus Timbuktu, Mohamed und Oumar, uns nicht nach Mopti entgegengekommen waren, denn ich war neben meinen verwirrten Gefühlen noch erschöpft und schmutzig! Wir besuchten ein Restaurant, direkt am Niger, nachdem wir die berühmte Moschee bewundert hatten. Es war zauberhaft, aber ich war zu müde. Zudem schien die halbe Stadt Mopti dort zu sein - alles war voller Menschen und Tiere und drängte sich zwischen den Tischen. Es war gerade Markttag und die ganze Umgebung war nach Mopti gekommen - chaotisches Markttreiben sogar zwischen den Tischen des Restaurants.

Die Moschee von Mopti

Die Moschee von Mopti

Hotel Oasis Annex: Habe schlecht geschlafen, da auch 38°C im Zimmer! Der Ventilator an der Decke drehte unaufhörlich und erinnerte mich an alte Filme, allein es half nichts, es war stickig im Zimmer. Seydou kam kurz am abend, um zu sehen, ob alles ok sei, und riss die Fenster auf! So gab es Durchzug und ich konnte wieder atmen. Trotzdem schlief ich miserabel, ich erwachte alle paar Stunden. Um 5.00 h stand ich auf und fing an zu packen. Danach nahm ich eine Dusche. Ich genoss es unter dem Wasser, kämpfte aber mit dem verstopften Abfluss. Meine am Vorabend gewaschenen Sachen waren trocken, ich fühlte mich besser, weil alles sauber roch. Draussen im Hofe war es herrlich kühl, ca. 18°C. Um 06.00 schien es, als würde eine Lampe angeknipst - die Sonne ging auf und innerhalb einer Minute war es taghell! Ich ging in den Hof hinunter und fühlte mich dort sehr wohl - im Zimmer war es noch immer 38° Grad und stickig.

Aufbruch - über Pisten durchs Dogonland mit Sicht auf die Falaise von Bandiagara, wo das Volk der Tellem Häuser in die Felsen gebaut hat . Doch wir fahren weiter, Timbuktu ruft. Die Piste ist holprig - wir fahren über Stock und Stein, leicht aufwärts. Die Bodenwellen sind für den Rücken kein Vergnügen. Die Stösse des unebenen Geländes setzen sich vom Wagen fort in den Körper. Am besten übersteht man alles, in dem man sich fallen lässt, die Muskeln entspannt und sich nicht wehrt, sondern mitgeht - mit einem runden Rücken. Allerdings kann es trotzdem passieren, dass man bei einer kräftigen Bodenwelle mit dem Kopf ans Dach fliegt und einen Stoss abkriegt oder eine Beule. Der Fahrer klemmte sich ans Steuer und war voller Konzentration mit dem Fahren beschäftigt. Alles hing von ihm ab: mit den Naturgegebenheiten richtig umzugehen, schnell und richtig zu reagieren. Einfach war es nicht, das stellten wir schnell fest. "Wir sind in einem Schüttelbecher", sagt Kira treffend. Steine knallen von unten gegen das Chassis des Wagens und es tönte, als würde der auseinanderbrechen. Manchmal flog ein Stein aufs Autodach, geschleudert vom ungeheuren Druck, oder gegen die Scheibe. Schliesslich erreichten wir Bambara Maounde, nördlich des Douentza Elephanten-Reservates. Seydou hat unterwegs einen Passagier aufgelesen, der uns ein paar Stunden begleitete und Bambara sprach.

Wir waren halb in Savanne halb Wüste, mit Hügeln und Unebenheiten, von Strasse keine Spur. Irgendwann wechselte die Szene zu mehr Sand. Manchmal blieb der Wagen auch fast stecken - trotzdem ging es ohne Unterlegen von Sandblechen weiter! Seydou wusste genau, wann er viel Gas geben musste, und über den Sand hinwegfliegen konnte, und wann er ganz langsam fahren musste, um nicht einzusanden. Sand war nicht gleich Sand! Fast war's soweit: die Räder griffen nicht mehr, drehten sich leer, wirbelten den Sand in alle Richtungen und surrten bösartig dazu. Er versuchte mit viel Gas aus dem "Sandloch" zu kommen, und es gelang, wenn auch mit Lärm der Räder, die im Nirgendwo rotierten. Nach langer Fahrt, und durch-die-Luft-geworfen-werden, gelangten wir nach Koryoume am Niger, wo wir alles aus dem Auto auf zwei Pirogen umluden, die im seichten Wasser des Nigerufers bereitstanden. Wir mussten alles mitnehmen, da wir nicht mehr mit diesem Auto zurückfahren würden. Den Wagen schlossen wir ab und liessen ihn auf dem festen Ufer stehen. Ich war beruhigt, dass Seydou mit uns kam, ich hatte befürchtet, wir müssten ohne ihn, nur mit den zwei Piroguiers nach Timbuktu weiterreisen, welches sich hinter dem anderen Ufer befand. Unsere Reise neigte sich langsam dem Ende zu. Wir mussten zur Piroge durchs Wasser waten - bis über die Knie. Ich dachte an die Bilharziose. Doch was blieb uns übrig, zudem floss der Niger, obwohl gemächlich, er floss! - auch wenn am Ufer das Wasser stillzustehen schien. Ich strich meine Bedenken wegen Bilharziose schnell aus meinen Gedanken. Wir kletterten in die Piroge, nachdem Seydou und die Piroguiers, alle Sachen verstaut hatten. Man erzählte uns in der Piroge, dass, es Flusspferde gibt, die sehr aggressiv würden. Sie könnten sogar Menschen töten. Ich staunte.

Seydou band sich im Boot einen Turban um, die Sonne brannte heiss und verstärkte sich durch die Reflexion des Wassers. Er sah aus wie ein Tuareg - atemberaubend! Ich war nun total fasziniert- und photografierte ihn. Ich wünschte mir, die Fahrt würde ewig dauern! Er machte auf einem kleinen Stövchen Tee in der Piroge. Wir bekamen jede drei Gläser serviert: das erste, das starke. Danach das zweite, weniger starke. Und schliesslich das dritte, das süsse. Ich hörte, der grüne Tee aus der Wüste sei die "nationale Droge Malis". Die Sonne brannte unerbittlich und verlangte viel Toleranz, ich legte mir ein Halstuch über den Kopf, und steckte meine Arme in eine Jacke, da sie nach kurzer Zeit höllisch von der Sonne brannten.

Zwei Einheimische stachen die Piroge mit langen Stangen vorwärts. Der Niger ist dort sehr breit und hat viel Seegras auf der Oberfläche. Zeitweilig sah es aus, als wären wir nicht im Wasser, sondern auf einer grossen Wiese! Die ganze Oberfläche war grün von diesen Wasserrosen. Manchmal kämen Flusspferde, die könnten das Boot kentern. Schwimmen ist jedoch nicht die Rettung, es nützt wenig, wird man von wütenden Flusspferden angegriffen. Ich wusste nicht, dass die "Hippopotames" so aggressiv sind. Trotz dieser Gefahr, war es eine schöne, entspannte Atmosphäre und am Ufer sahen wir Gehöfte vorbeiziehen, und Menschen, die arbeiteten, oder Esel antrieben, und hie und da kleine Moscheen. Ich hatte nach Krokodilen Ausschau gehalten, da mir die Krokodile weit gefährlicher schienen. Hätte ein solches den Kopf aus dem Wasser gehalten, ich wäre nicht überrascht gewesen!! Allein, ausser Vögeln sah ich keine Tiere. Es war, als wäre ich in einem Traum - wie ich in dieser Piroge auf dem Niger dahinglitt, die Lehmbauten am Ufer vorbeizogen. Es schien alles so unwirklich, wie ein impressionistisches Bild, verwischt, verwoben, aber zauberhaft. Das ruhig dahingleitende Wasser des Niger spiegelte den dunklen Schatten des Bootes und in den sich kräuselnden Wellen tanzten kleine Juwelen - Sonnentropfen! Das Binnendelta des Niger ist ungefähr 350 km lang und wird auf dem Höhepunkt der Regenzeit ein ca. 24'000 km2 grosser See. Von den Regenfällen im April und September hängt es ab, ob die Felder genügend Wasser haben, damit genügend Nahrung wachsen kann. Die Sonne glitzerte im grünlich schimmernden Flusslauf - ich hätte noch stundenlang so weiter dahinfloaten können - allerdings mit Hut, einer Sonnencrème und einer langärmeligen Bluse, sowie Socken! Zeitweise kam ich mir vor wie in einem Märchen, so unwirklich erschien mir alles und ich fragte mich mehrmals: "Ist es wahr - erlebe ich dies alles, oder ist es nur ein Traum?".
Am anderen Ufer warteten viele Menschen mit einem Auto, um uns nach Timbuktu zu fahren. Das war von Seydou organisiert worden. Wir mussten uns reinquetschen, da so viele Leute mitfahren wollten! Es war zwar "unser" Wagen, wir haben ihn ja gemietet für uns allein und auch bezahlt, aber was soll's - so ist eben Afrika!

Auf dem Niger in einer Piroge

Auf dem Niger in einer Piroge

© EvaLea Baby, 2005
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 20.10.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 18.11.2000
Reiseziele: Mali
Der Autor
 
EvaLea Baby berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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