Mali: Email aus Timbuktu

Reisezeit: Oktober / November 2000  |  von EvaLea Baby

Endlich Timbuktu!

Die Djingareyber in Timbuktu

Die Djingareyber in Timbuktu

So fuhren wir nach 35 Minuten mit vollbesetztem Auto (hier heisst "vollbesetzt", dass doppelt so viele Leute darin sitzen wie Sitze vorhanden und dass nochmals so viele an den Türen "hängen"! und dies bei intensiver Hitze) in Timbuktu ein und erreichten das Telecenter, auf einem grossen Platz, wo ich Oumar, einen Targi, den ich per Brief kannte, persönlich kennenlernen sollte. Es wäre mir tausendmal lieber gewesen, mit Seydou unsere Adressen zu tauschen, und mit ihm ein Wiedersehen zu vereinbaren. Aber irgendwie hoffte ich, dass wir dies noch machen könnten - nein, ich war mir dessen sicher. Ich hatte keine Ahnung, wie die nächsten Stunden sein würden, sonst hätte ich vielleicht die Courage gehabt, und ihn darauf angesprochen.

Das Treffen mit Oumar war eine Enttäuschung. Seine unfreundlichen Worte zur Begrüssung machten das letzte Fünkchen Hoffnung, er sei vielleicht nett, zunichte, nachdem er mir optisch nicht gefiel. Er erschien mir als ein kleines, mageres, weissgesichtiges Männchen, das, wie ich später erfuhr, ein Alkoholproblem hatte. Doch das erfuhr ich erst Jahre später. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Film und spielte eine wichtige Rolle darin, und all diese Menschen um mich, würden ebenfalls in dem Film mitspielen. Ich sah irgendwie von oben wie ein Zuschauer auf mich selbst und die anderen Akteure hinunter - es war eine total wunderliche Situation, die irgendwie absurd war. Ich war zwar im Mittelpunkt des Geschehens, aber zugleich auch ausserhalb allen Geschehens - ein stiller, sprachloser Zuschauer. Ich fragte mich selber, von oben heruntersehend, was ich da machte? Und ich blickte gespannt auf die Szene und wunderte mich, was als nächstes passieren würde. War ich etwa in einem Theater und blickte ich auf eine Bühne? Eine bizarre Vorstellung!

Typische Haustüre in Timbuktu, nach alter marokkanischer Art beschlagen (aus der Zeit, als Timbuktu von den Marokkanern besetzt war)

Typische Haustüre in Timbuktu, nach alter marokkanischer Art beschlagen (aus der Zeit, als Timbuktu von den Marokkanern besetzt war)

Kira sandte im Telecenter Emails ab. Danach fuhr Seydou mit uns weg, zum Hotel Amanar. Ich war geknickt, weil das Ende unserer Reise gekommen war. Danach würde ich ihn kaum wiedersehen, ausser es gäbe eine plötzliche Aenderung der Pläne - entweder durch mich selbst oder durch ihn. Er kam vorerst auch in mein Hotel-Zimmer und schaute sich alles an. Auch Kira und Oumar kamen mit und Boujouma, der sich im Telecenter zu uns gesellte. Boujouma ist ein alter Freund von Kira und Mohamed. Es war ein ziemliches Gedränge in meinem kleinen Hotelzimmer - und es schien unmöglich, mit Seydou ein paar private Worte zu wechseln. Ich hatte ständig das Gefühl, dass er mir etwas sagen wollte, er stand zögernd herum, unschlüssig, irgendwie auf eine Gelegenheit wartend und schaute mich stumm an und ging als letzter aus dem Raum. Auch ich schaute ihn flehend an, wortlos, verzweifelt. Aber ich war zu durcheinander, wollte mit ihm reden - getraute mich aber nicht. Ich brachte nichts heraus. Es war eine jener Situationen, die man im Nachhinein nicht mehr begreift. Warum nur sagte ich nichts! Warum nur fehlte mir der Mut? Warum sagte er nichts? Er stand noch eine Weile herum und wartete - worauf? Es wäre ganz einfach und absolut nichts dabei, mit oder ohne Oumar, Boujouma und Kira im Zimmer, ihn zu fragen! Doch ich war wie zur Salzsäule erstarrt. Die Gelegenheit - ich verpasste sie! Ich war total überfordert. Alles, was ich herausbrachte, war ein sehr schwaches, geflüstertes, praktisch unhörbares "Merci", den Tränen nahe, hoffend, er würde doch noch etwas sagen und wir könnten etwas abmachen, oder unsere Adressen austauschen. Ich glaubte bis zur letzten Sekunde, dass wir noch miteinander reden würden, dass er oder ich noch etwas sagen würde. Allein, so unglaublich es tönen mag, die Chance verstrich ungenützt.

Plötzlich waren alle gegangen und ich befand mich allein im Hotelzimmer. Nach all den vielen Menschen im Zimmer diese Leere - eine Katastrophe! Ich konnte es nicht fassen, dass ich allein war, und ich weder seinen Nachnamen noch seine Adresse wusste. Schliesslich flossen meine Tränen immer mehr, und endeten in einem verzweifelten Sturzbach.. Ich befand mich in einem Wirbel der Gefühle, der mich nach innen sog und nach unten, immer weiter nach unten, in einer schwarzen, verrückten, nie-endenden Spirale. Die Wände stürzten sich über mir zusammen, und ich lag da - in dieser Spirale, wortlos, unfähig, mich zu bewegen oder zu denken - gelähmt und sprachlos - in einem schwarzen Schlund.

Salem ag Ahmed, ein Targi aus Timbuktu

Salem ag Ahmed, ein Targi aus Timbuktu

Später: Ich sitze auf der Terrasse vom Hotel "Amanar" und habe mit Mohamed geredet. Viele heissen hier Mohamed, so bedarf es einer Erklärung, WELCHER Mohamed gemeint ist. Dieser ist ein Tuaregschmied und kann auch Kameltouren organisieren (jeder hier scheint Kameltouren organisieren zu können!). Ich soll seine Werkstatt im Marché des Artisans im Zentrum von Timbuktu besichtigen. Er würde mir auch Geld wechseln - ohne Provision - und sagt, in Timbuktu sei es absolut sicher. Ich könne nachts mit all meinem Geld in der Strasse schlafen, es würde mir nichts passieren. Er stellt Timbuktu-Kreuze aus Metall und Ebenholz her und erklärt mir deren Bedeutung: Tin = Brunnen; Bouctou = Name der Tuareg-Frau die vor langer Zeit an diesen Ort kam und hier blieb. Die Dreiecke auf dem Timbuktu-Kreuz sind Symbole für die Zelte der Tuareg, die Kreuze sind Symbole für die Sterne, der Kreis ist ein Symbol für den Ziehbrunnen. Dieses Kreuz sei der "Ausweis" für die Einwohner, sodass man an jedem Brunnen trinken dürfe. Man reinigt das hölzerne mit einer Art Schmirgelpapier und ölt es danach ein. Das Tuareg-goldene reinigt man mit Zitronensaft, sagte er mir! Tuareggold ist eine Legierung und enthält kein Gold. Ich will die ganze Oumar-Sache abschliessen und vergessen! Ich will die Uhr, die ich Oumar schenken wollte, Seydou geben. Ich bereite einen Umschlag vor, schreibe einen Brief an ihn, lege die Uhr dazu, klebe alles zu und übergebe es Boujouma, der verspricht, ihn zu finden. Danach fühle ich mich etwas besser und habe wieder etwas Hoffnung.

Timbuktu ist auf Sand gebaut Bei vielen Wohnhäusern, vor allem im Quartier Abaradjou, wo wir wohnten, gibt es keinen Boden, man wohnt direkt im Sand, d.h. ein Haus besteht zwar aus Mauern und Dach, aber in den Zimmern lebt man auf Sand! Das hat auch Vorteile! Man braucht so nie den Sand aus dem Haus zu wischen! Wenn Wasser ausleert, muss man es nicht auftrocknen! Boujouma brachte mich um 21.30 Uhr ins Hotel Amanar zurück. Die Strassen waren stockdunkel - ausser den Sternen. Ich hätte mich verlaufen - alles sieht einander zum Verwechseln ähnlich. Strassenschilder gibt es keine. Wie soll man sich da zurechtfinden? Selbst eine Taschenlampe hilft wenig, wenn man sich nicht auskennt! Am besten hilft ein selbstgezeichneter Lageplan, mit den nächsten Strassen und Häusern. Ich habe mir später einen solchen angefertigt, damit ich mich nicht mehr in dem Wirrwarr der Quartierstrassen verlor! Abends um 22.30 Uhr bin ich mit dem Tuaregschmid Mohamed aufs Dach vom Hotel Amanar geklettert, um die Sterne anzusehen. Endlich konnte ich es erkennen und ich staunte voller Ehrfurcht: Das berühmte Kreuz des Südens! An diesem Abend habe ich neben den Sternen mehrere Sternschnuppen gesehen, wie sie in die Dunkelheit schlittelten und verglühten. Da habe ich mir heimlich gewünscht, dass ich Seydou wiedersähe. Man sagt, Sternschnuppen würden Wünsche erfüllen.

Tombouctou, la mystérieuse, ist in der ganzen Welt bekannt als Ort am "Ende der Welt". Diese Stadt hat Europäer seit ewigen Zeiten fasziniert. Viele Entdecker haben versucht, Timbuktu zu finden. Der Franzose René Caillé war der erste, der nach Timbuktu gelangen konnte, und aus ihr lebend wieder herauskam. René Caillé beschreibt die Stadt als eine Enttäuschung, die seine Erwartungen nicht erfüllte. Er hatte eine grosse, wunderbare Stadt erwartet, träumte von ihrem legendären Reichtum, von ihrer Grösse - und fand schlecht gebaute Häuser aus Lehm. Nur Lehmhäuser, und immense Sandvorkommen, die sich von weiss bis gelb färbten, und alles mit feinen Körnchen überzogen. Die Wüste war allgegenwärtig, auch mitten in Timbuktu. Der Horizont zeigte ein schwaches Blau oder ein schwaches Rot am Abend - eine grosse Stille herrschte. Er hörte nicht mal einen Vogel pfeifen (aber ich! Die Vögel - wohnen in den Häusern von Abaradjou und sind ganz klein, und kommen immer als Pärchen und heissen Atta und Kiria).

So wohnte ich damals (Eva mit Einheimischen in einem Haus in Timbuktu). Ich schlief auf diesem Bett.

So wohnte ich damals (Eva mit Einheimischen in einem Haus in Timbuktu). Ich schlief auf diesem Bett.

Timbuktu wurde Ende des 11. Jhdts oder im 12. Jhdt. durch die Tuareg Imakeharen gegründet. Ihre Karawanen zwischen dem Niger und dem Azawad wurden durch schwere Gepäckstücke verlangsamt. Also lagerten sie alles, was sie nicht mitnehmen mussten, in dieser Gegend. Eine alte Frau namens Bouctou hütete die Sachen. Wenn die Nomaden sich treffen wollten, fragte man sie. "Wohin zieht Ihr?", nach "Tin-Bouctou", antworteten sie, zum Brunnen der Bouctou. Der Name "Tinbouctou" hat sich durch die Jahre verändert und ist zu Timbuktu geworden. Gemäss den Angaben eines alten Marabouts aus dem Quartier Bella Farandi, namens Khamaye Ag Mohamed Almoubarek, waren die ersten Einwohner von Timbuktu schwarze Menschen. Die berühmte "Bouctou" soll "Gaichatou Tin-Atouboutoute" geheissen haben (was in Tamashek "die Frau mit dem grossen Bauchnabel" heissen soll). Diese Bouctou war eine Songrai oder Bella, die aus Khairache gekommen sei, welches sich östlich der Stadt Rharous befindet. Nach vielen Jahrhunderten ist aus dem Gepäcklager der Tuareg ein Ort der Sesshaften geworden. Tor zur Wüste und zugleich am Rande zur fruchtbaren Zone, wurde Timbuktu im Königreich Mali zu einem grossen Ort, mit Märkten für Stoffe, Seide, Gewürze, Kupfer, Gold, Elfenbein, Straussenfedern, und Sklaven. Parallel dazu entwickelte sich der Salzhandel mit den Karawanen, d.h. die Azalai. Timbuktu wurde zu einem grossen Zentrum der islamischen Kultur - im 16. Jahrhundert. Weise und Poeten kamen, und machten die Stadt zu einem Ort der Philosophie und Wissenschaften. In dieser Epoche zählte sie 180 Koranschulen, 25'000 Studierende und zahlreiche Bibliotheken. Die zwei Moscheen Djingareyber und Sidi Yahia wurden zu spirituellen und intellektuellen Zentren. Die letztere wurde vom Freund des "Tombouctoukoi Mohammed Naddi", dem Shérif Sidi Yéhiya El Tadiarri im Jahre 1441 nicht weit von dessen Palast erbaut. Allerdings behauptet die mündliche Ueberlieferung, die Moschee wurde 1400 vom Marabout Cheick El-Mokhtar Hamalla gebaut, in Erwartung eines Heiligen, eines Chérifs namens Sidi Yahiya El-Tadilissi. Auf jeden Fall wurden beide, Moschee und Sidi Yahiya sehr berühmt und zogen viele Muslime an. Bis heute gilt Sidi Yahiya als heiliger Patron der Stadt. Die Sankoré Moschee ist ca. Mitte des 14. Jh.erbaut worden, gestiftet von einer Berberfrau. Die Frau wollte anonym bleiben, ihr Name ist nie bekannt gewor-den. Der eigentliche Stadtheilige heisst aber El Farouj und eine Statue von ihm steht auf dem Hauptplatz.

Die marokkanische Eroberung läutete den Zerfall des blühenden Timbuktu ein. Nachdem die Songhai - Truppen bei Tondibi von den Marokkanern besiegt waren, die Stadt Gao im Nordosten besetzt, trafen spanische Söldner unter den Marokkanern am 30. Mai 1591 in Timbuktu ein. Viele Häuser wurden zerstört, die Intellektuellen massakriert oder deportiert. Die Stadt verfiel, und wurde von Peuls, Toukolor und Franzosen bewohnt. Heute ist Timbuktu die Hauptstadt der 7. Region von Mali. Viele alte Häuser haben dicke Holztüren, die mit Eisen beschlagen sind. Die Besatzungstruppen des Sultans von Marrakech haben ihre Haustüren im Mittelalter nach maghrebinischer Art mit Eisenblechen beschlagen lassen - dies hat sich bis heute erhalten.

Die Djingareyber in Timbuktu (djinger= Moschee, ber= gross in der Sprache der Sonrai)

Die Djingareyber in Timbuktu (djinger= Moschee, ber= gross in der Sprache der Sonrai)

Entladen der Azalaï-Salzkarawane aus Taeoudeni, resp. eines Teils davon,im Quartier Abaradjou von Timbuktu.

Entladen der Azalaï-Salzkarawane aus Taeoudeni, resp. eines Teils davon,im Quartier Abaradjou von Timbuktu.

© EvaLea Baby, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Dies war meine erste Reise nach Mali, drei weitere folgten, wovon eine in den Südosten. Die Dritte führte mich ein paar tausend Kilometer durchs Land nach Gao über Mopti, Djenné, Douentza und schliesslich zurück nach Koutiala übers Dogonland. Im Januar 2005 machte ich ein 12-tägiges Wüstentrekking. Ich bin mit einem Malier aus Timbuktu verheiratet und reise ohne Reisebüro und lebe fast immer bei Einheimischen. Um die Personen zu schützen, hab ich fast alle Namen, ausser meinem, abgeändert.
Details:
Aufbruch: 20.10.2000
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 18.11.2000
Reiseziele: Mali
Der Autor
 
EvaLea Baby berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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