Komm! Draussen wartet die Welt ...

Reisezeit: September 2007 - September 2008  |  von Nicola Stratmann

"Scary-Nasi" - die ersten Eindruecke: Kultur"geschockt"

So, da bin ich wieder!

Ich konnte heute Nacht nicht schlafen und habe diese Chance ergriffen, frueh morgens um 5 Uhr zu den Ghats zu gehen und mir den Sonnenaufgang anzusehen...

wenn ich nicht so ein verdammtes Murmeltier waere, dann haette ich DAS schon viel eher erleben koennen - eine beinahe mystische Atmopshaere, der Ganges ganz ruhig und das Wasser schimmert in den ersten Sonnenstrahlen ... die Menschen machen sich bereit fuer den kommenden Tag, viele singen und beten zum Ganges, putzen sich die Zaehne (mit Holzstaebchen), schwimmen, waschen sich, bereiten ihre Verkaufsstaende vor.
Ein emsiges Treiben, aber ganz ohne Stress, ohne Zeitdruck, ohne muerrische Gesichter. Ich habe mich auf die Treppen zu einer Chai-Frau gesetzt und diese Stimmung einfach nur genossen! Das ist tatsaechlich noch moeglich um diese Zeit, denn die Geschaeftswuetigkeit der Inder scheint so frueh morgens noch nicht geweckt zu sein ...

Auf dem Ganges schippern viele kleine Holzboote, die den Fruehaufsteher-Touristen die Morgendstimmmung vom Wasser aus darbieten. Die Luft ist noch ein wenig feucht, die Sonne waermt die Haut nur ganz sachte, bevor sie einige Zeit spaeter wieder unerbittlich "brennt".
Alles wirkt so sanft, sogar die "aggressiven" kleinen Strassenracker, die einem ihre Postkarten andrehen wollen und das Wort "No" gekonnt zu ignorieren wissen ...

Jetzt ist es gleich 10 Uhr. Mittlerweile habe ich gefruestueckt und bin ueber den Markt gestreift. Das erste Geschaeft des Tages ist fuer die Inder sehr, sehr wichtig - sie glauben, wenn der erste Kunde zufrieden ist, dann wird es ein guter Tag! Natuerlich habe ich hier und da etwas gekauft, ohne gross zu handeln ...auch wenn ich eigentlich keine ganze Bananenstaude brauchte

Die Kinder essen zwar lieber Chips, aber dennoch bin ich die restlichen Bananen an sie losgeworden ... endlich muss ich mal kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich den Kids was zu essen gebe - denn Bananen sind ausnahmsweise mal gesund!

Jetzt bin ich doch wieder leicht "abgeschweift" - ich wollte doch eigentlich zuerst von meinem ersten Tag hier in Varanasi berichten. Also:

Auch in dieser Nacht konnte ich nicht besonders gut schlafen, denn eine Frau im Zimmer nebenan erbrach sich fast ununterbrochen. Sie hatte wohl den typischen "Delhi-Belly", wie man hier die "Kotzeritis" auch gern nennt. Unser "westlicher" Organsimus, so habe ich es mal gehoert, muss sich halt erst an die fremden Bakterien gewoehnen... da ist ein solcher "Reinigungsprozess" ganz normal. Dazu kommt dann noch der Dreck, den "wir" ja komplett aus unserer Nahrung verbannen, der hier aber tatsaechlich ueberall dazu gehoert.
Lange Rede, kurzer Sinn - auf jeden Fall konnte ich deswegen nicht gut schlafen, obwohl ich ja so muede war von dem Trip am Vortag (und dem Tag davor )

Bin dann trotzdem recht gut gelaunt losgezogen, um mir ein neues Zimmer zu suchen. Ich wollte damit vor zwoelf durch sein, denn dann war Checkout und auf Rucksack hin-und herschleppen hatte ich nicht wirklich Lust.
Es ist auch viel entspannter ohne Gepaeck auf Zimmersuche zu gehen, denn dann sehen die Leute nicht, das man ein Zimmer sucht ... klingt gerade ein wenig paradox, macht aber Sinn. Denn es ist immer besser, sich sein Quartier selbst zu suchen - einerseits, weil man sich dann die vielen "yes,yes... very near"-Sprueche spart, die meist nicht stimmen und zweitens weil man dann keine Komission auf die Zimmerpreise aufgeschlagen bekommt. Also: vielleicht finden es andere Traveller angenehmer MIT "guide", ich bevorzuge Variante B.

Es war aber gar nicht so leicht ein freies, bezahlbares, annehmbares Zimmer an den Ghats zu finden. Es ist Hochsaison hier in Varanasi und da ist es immer besser, sich vorher zu kuemmern!

Um zwoelf hatte ich immer noch keins gefunden, musste also zum Hotel zurueck und doch erstmal ohne neue Bleibe auschecken.
Ich denke, das ich - was Zimmer angeht - doch ein wenig zu anspruchsvoll bin (fuer Indien). Aber ich beisse dann halt lieber die Zaehne zusammen und suche solange, bis ich mich wohl irgendwo fuehle. Hier dauerte es bis zum zweiten Tag, jetzt habe ich eins!

(MITTLERWEILE IST ES EINEN TAG SPAETER, WEGEN STROMAUSFALL ...)

So, warum aber war ich kultur"geschockt" ?!
Zuerst ist da der Dreck. Die Strassen von Varanasi sind, besonders an den Ghats, extrem eng und extrem dreckig. Man muss tatsaechlich immer auf den Boden sehen, damit man nicht - wie es mir haeufiger passiert ist - aus Versehen in einen grossen Flatschen Kuhscheisse tritt, oder auch aehnliches anderes.
Durch die Enge riecht es hier zudem ganz anders, als beispielsweise in Delhi... es stinkt wesentlich mehr, denn die Luft steht zwischen den Haeuserwaenden ... und sie hat mir in den ersten Tagen meine Luft abgeschnuert. Diese Gerueche, gepaart mit den vielen fremden Gewuerzen, Raeucherstaebchen, Garkuechen, etc. verbanden sich zu einem einzigen "wirrwarr", der mir im Hals stecken blieb. Ich musste oft wuergen und hatte absolut keinen Appetit. Es war nicht so sehr, weil ich mich ekelte, sondern tatsaechlich vielmehr, weil meine Nase ueberfordert war!
In diesem Sinne war also meine Nase kulturgeschockt, mein Gruchssinn konnte dieses "Neue" nicht einordnen, nicht als klare Ansage ans Gehirn weiterleiten.

Nun ist Varanasi auch der Platz in Indien, an dem die Toten dem Ganges uebergeben werden. Wer hier verbrannt wird, der kommt direkt in den Himmel, so glauben sie es. Wenn man durch die Strassen schlendert, dann passiert es sehr haeufig, dass ploetzlich die Toten an einem vorbeigetragen werden - auf Holzbahren, umhuellt mit bunten Stoffen. Dennoch riecht man den Tod und das Wissen, dass es sich um Tote handelt, laesst mich immer noch jedes Mal erschaudern. Ich bin nicht vorbereitet, es passiert wenn ich gerade einen Chai in der Strasse bestelle, oder mit einer Samosa (Teigtasche, gefuellt mit Kartoffeln und co)in der Hand auf einem Mauerchen sitze ... es passiert, wenn ich von hinten angerempelt werde (was hier staendig der Fall ist), mich umdrehe und auf einmal die Bahre vor meiner Nase habe ... es ist so unglaublich fremd so nah mit den Toten zu leben, dass ich nicht anders kann, als mich geschockt zu fuehlen. Jedes Mal wieder, jedes Mal gleich intensiv.

Mein erstes Zimmer lag beinahe direkt an dem Ghat, an dem die meisten Leichen verbrannt werden. Es ist eine 'krasse' Stimmung dort - die Feuer brennen Tag und Nacht (es werden dort jeden Tag ca 200 - 300 Leichen verbrannt), die Angehoerigen weinen und jammern lautstark, die Maenner zerschlagen das Holz fuer die naechsten Koerper... und dazu steigt der schwarze Rauch in die Luft und erfuellt sie wiederum mit einem Geruch, den ich ebenfalls nie zuvor wahrgenommen habe.

Ich gehe eher ungern zu den 'Burning Ghats', auch weil ich mich dort fehl am Platze fuehle. Was koennte denn weniger 'touristisch' sein, als die Zeremonie einer Beerdigung?! Ich verstehe wirklich nicht diejenigen, die sich noch nicht einmal schaemen, dort Photos zu machen! Ich moechte mich nicht in eine solch sensitive Gemeinschaft hinein begeben und mich vielleicht - ohne es zu wissen - 'daneben' benehmen... ich moechte ueberhaupt gar nicht in der Position sein, eine Beerdigung unter touristischen Gesichtspunkten zu betrachten. Ich bin nicht in Trauer um die Menschen, die dort verbrannt werden, also habe ich dort auch nichts zu suchen. Das ist meine Meinung.

Ich stelle mir die Beerdigung eines mir sehr vertrauten Menschen vor und kann es mir einfach nicht vorstellen, dass sich voellig fremde Menschen dazugesellen und Photos machen und nebenan noch einen Chai zu trinken bekommen.
Im Uebrigen - Das Photografieren ist schon verboten an diesen Ghats, aber daran halten tun sich nicht immer alle.
'Heimliche Photos' kann man sich ausserdem auch 'erkaufen' ... was tun sie noch alles fuer die Touristen?! Es sind zwei Seiten - die, die es anbieten und die, die es annehmen. Beide Seiten verstehe ich hier in Varanasi in so vielen Faellen nicht! Und das ist etwas, was ich ebenfalls als 'kultugeschockt' bezeichnen wuerde.

Es passiert mir hier so oft, dass ich auf einmal von etwas ueberrascht werde, was mich ueberfordert. Meistens ist es das 'Leben mit den Toten', das ich so nicht kenne und das mich zwar zutiefst beeindruckt (weil es doch so viel 'menschlicher' ist, als die 'westliche' Art mit Sterben und Tot umzugehen), mich aber zugleich in einer Weise beruehrt, die 'zuviel' ist. Ich sass beim Freuhstueck auf der Dachterasse meines Guest Houses, blickte auf den Ganges ... mein Blick fiel auf etwas im Wasser, was mich komplett aus der Fassung geworfen hat. Eine Leiche, offensichtlich schon sehr lange im Wasser treibend. Es ist wieder nicht mein Verstand, der hier ueberfordert ist, denn mir war bekannt, dass man hier auch so etwas sieht. Kleine Kinder und Bhabas (heilige Maenner)werden nicht verbrannt, sondern so dem Ganges uebergeben. Nein, es waren die urploetzlich aufsteigenden Emotionen, die dieser Anblick in mir ausloeste und auf die ich an diesem Morgen in dieser Situation einfach nicht 'vorbereitet' war. Mir wurde schlecht, ich musste auf mein Zimmer gehen und mich uebergeben.

Es sind aber auch die Verkaeufer an den Ghats und in den Strassen, die mich dazu bringen, mich zurueck ziehen zu wollen. Ich liebe es - wie gesagt - an den Ghats zu sitzen, aber meistens werde ich so 'zugebombt' mit alldem, dass ich aufstehe und weitergehe ... zur Not zurueck in mein Zimmer, wo ich die Tuere schliessen kann. Ich glaube, dass es alleinreisende Frauen (in meinem Alter) da ganz besonders schwer haben - sie werden als 'leichte Beute' angesehen, egal um was es geht. Sobald ein Mann dabei ist - so beobachte ich es immer wieder - ist es nur halb so schlimm.

Dennoch, diese Stadt weckt in mir Emotionen, die ich zuvor in Indien nicht gespuert habe und ich bin froh und dankbar, Varanasi kennen lernen zu duerfen. Es ist eine Stadt, die wirklich eine besondere 'Aura' besitzt!!

Aber ich muss auch sagen, dass es Zeit wird fuer mich weiter zu ziehen. Die Leute hier kennen mich nun schon (vom sehen) und vor allem die Maenner werden immer aufdringlicher. Ich 'rette' mich immer haeufiger in die 'Lotus Lounge', ein Restaurant im Lounge-Stil (mit tatsaechlich genialer Aussicht auf die Ghats) indem 'Westler' ungestoert sind, das es fuer die Einheimischen viel (!!) zu teuer ist. Ich weiss auch gar nicht, ob sie ueberhaupt Zutritt haetten ... ich mag solche Plaetze eigentlich gar nicht und ich habe es immer vermieden, mich auf diese Weise 'abzuschirmen' von der Umwelt, in der ich mich eigentlich gerade bewege. Aber hier geht es nicht anders fuer mich, ohne die Lotus Lounge waere ich sicherlich schon mehrmals ausgetickt!

An meinem zweiten Abend (nach der anstrengenden Zimmersuche) war sie fuer mich wie eine kleine Oase inmitten einer fremden Welt, die mir gerade viel zu viel geworden ist, die mich ueberfordert und herausfordert auf eine Weise, wie es mir nicht mehr gut tut.
Ich war beispielsweise noch nie zuvor so froh, ein 'Bless you' zu hoeren, wenn am Nebentisch jemand dezent geniesst hat! Ich erinnere an die Platzierung meiner Koye im Zug ...

So, ich werde jetzt aber mal aufhoeren mit dem 'mich von der Aussenwelt abschirmen'... heute ist 'Dala Chat' - das Fest des Ganges, der Sonne und des Mondes. Sie feiern heute den Sonnenuntergang und morgen den Aufgang ... ein schoener Grund fuer ne 'Party', wie ich finde!

Also: Namaste und bis bald ...

nico

© Nicola Stratmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine Reise nach Indien, Sri Lanka, Thailand ... und was mir sonst noch begegnen möchte.
Details:
Aufbruch: 15.09.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 03.09.2008
Reiseziele: Indien
Havelock Island
Thailand
Der Autor
 
Nicola Stratmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Nicola sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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