Auf dem Landweg nach Tibet und zurück

Reisezeit: Februar - Oktober 2009  |  von Daniel S.

Sikkim-Kalkutta

Herr Apu schaute etwas unglaubwuerdig, als der beflissenen Verkaeufer ihm versichterte, dass sein Produkt garantiert 10 Jahre problemlos funktionstuechtig sei. "Well, I doubt it", bemerkte Herr Apu abermals und fragte in indischer, lakonischer Art:"How much?" "Only 500 Rupees" die knappe Antwort des Verkaeufers. Es folgten lange Verhandlungen, wahrscheinlich ueber Preise, Qualitaet und womoeglich wurde auch Privates diskutiert. Letztendlich einigte man sich und ein Haendeschuetteln und Zufriedenheit im Gesicht von Herrn Apu und des Verkaeufers konnte wahrgenommen werden. Als Herr Apu schliesslich den Laden verliess, hatte er jedoch abermals das gleiche misstrauische Gesicht wie zu Anfang des Verkaufsgespraechs - man weiss ja nie, wird er sich in diesem Moment gedacht haben.
Etwa zeitgleich zu den Einkaeufen des Herrn Apu befand ich mich noch fruehstueckend in einem der vielen Cafes in Gangtok Sikkim und genoss ein vegetarisches Sandwich. Meine Zeit in Sikkim war vorueber. Noch am Vortag bin ich etwas in den Bergen gewandert und genoss das angenehme Klima und die Sauberkeit der Kleinstadt. Die Menschen hier sind rein aeusserlich gar nicht indisch, und wuesste man nicht, dass man in Indien ist so wuerde man sie wohl fuer Ostasiaten halten. Aeusserst hoeflich habe ich sie empfunden und auch gespraechig. Die Fussgaengerzone von Gangtok ist Muell- und Spuckfreie Zone und daher genoss ich es, diese bei leichtem Nieselregen auf und ab zu laufen. Das Sandwich war gegessen, es folgte eine rosarote Zuckerwatte von der Northern Sikkim Expo, die war wohl vom Vortag, aber immerhin suess. Mit dem Bus ging es um rund 11.30 Uhr nach Siliguri. Die Fahrt verlief problemlos, der Sitz war relativ bequem und abgesehen von einigen Stauungen im Verkehr passierte nichts besonderes. Vorbei ging es dabei an steilen Abhaengen, in Europa als riskant bewertete Ueberholmanoever schaetzt man hier ganz anders ein, und dreiviertel der Busfahrgaeste verschlafen diese sowieso, so auch ich. Man gewoehnt sich nach vielen Reisen ausserhalb von Europas an einen anderen Fahrstil und man denkt nicht mehr drueber nach. In Siliguri angekommen kaufte ich mir ein Ticket nach Kalkutta (12 h). Ich hatte 2 h Aufenthalt in der Kleinstadt, und nutzte diese, um in ein von mir bereits bekanntes Restaurant zu gehen. Ein kleiner Junge, kaum 13 Jahre als schrubbte, am Boden knieend die Fliessen waehrend andere Bedienstete den Ordern des koeniglich hinter seiner Bar thronenden Chefs folgten. Es ist ein interessantes Spektakel, diesem Treiben in indischen Restaurants zuzusehen. Der Chef ist nur zum kassieren da und zugleich denkt er fuer seine Angestellten mit:"Bring dies, mach mal das, ein Kunde will ein Eis, schnell ein Curry ... usw", da kommt der glaeubigste Sik beim quasi Nichtstun ins Schwitzen, daher erklaert sich der kleine, stets ratternde Ventilator ueber dem Haupt des Maharadjas von selbst. Ich genoss ein nicht scharfes vegetarisches Curry, ein Eis und eine Sprite. Der kleine Junge ist nun unter meinem Tisch, schrubbt vor sich hin und als ich nach der Toilette frage reagiert der Maharadja in Windeseile, der kleine Junge schlaegt sich fast den Kopf an der Tischkannte an als er erschreckt aufsteht und deutet mir den Weg um die einzige Ecke im Lokal. In meiner Schilderung steckt keine Uebertreibung, es handelt sich um eine Geschichte, die das Leben schrieb, wirklich sehr interessant selbst einmal partizipieren zu koennen. Vor der Eistruhe stehen frage ich mich, wozu ein Maharadja wohl Augen hat, dienen sie ihm doch nur die leeren Winkel seines Lokals zu erkunden. Vielleicht will er auch jene schmuecken, wer weiss. Nach einem Eis bittend ruft der Mahardja fast simultan nach einem weiteren Angestellten, weist den Jungen an, das Putzen zu beenden und den Tisch zu wischen und im selben Moment bringt ein dritter Angestellter eine Rechnung, die der Maharadja in Blitzesschnelle im Kopf addiert und den Kunden um die Hoehe des zu zahlenden Betrags informiert. So, nun ist der Leser verwirrt, worum ging es denn eigentlich? Ich wollte doch ein Eis kaufen ? Richtig ! Dieses wurde mir dann auch vom erstgenannten Angestellten ausgehaendigt, und als haette er nichts anderes zu tun war der Maharadja schon mit Zettel und Bleistift da, um die Rechnung fuer meine Kost zu erstellen. Aber natuerlich nicht, ohne den Rat seines Vertrauten einzuholen, welcher ihm genau und praezise meine Zeche aufzaehlte. Dafuer benoetigt ein Mahradja keine Augen, daher wanderten diese wieder in die leeren Winkel des Lokals und nur im Moment der Gelduebergabe fanden sie Fokus im eigentlichen Geschehen. Ja, Maharadja muesste man sein, allerdings dann mit geschlossenen Augen und Klimaanlage, und vielleicht faende man noch einen Angestellten fuer die Kasse und das Delegieren - was fuer ein Leben.

Herr Apu war etwas nervoes, als er kurz vor mir in den Bus stieg. Seine Nervositaet machte sich in seiner lauten Stimme und dem hektischen Verhalten bemerkbar. Mein Sitz war bequem, die Rueckenlehne ging weit nach hinten, allerdings waere es in solchen Situationen vorteilhaft bestimmte perzeptionistische bzw. sinnbezogene Faehigkeiten nicht zu besitzen - ich beneidete mich nicht um meinen scharfen und gut ausgepraegten Geruchssinn - wie gesagt, Maharadja muesste man sein, denn dann saehe man nur die leeren Winkel, in meinem Fall riechte ich nur den Schweiss meiner Mitfahrer und nicht den der Generationen, die vor mit in meinem Sitz sassen. Tuuut tuuuuut tuuuut, und die Fahrt ging los. Es waren keine 2 h vergangen, da hielt der Bus an - Strassenblokade. Die kostete wohl extra 1,5 h, aber wer zaehlt schon Minuten und Stunden wenn man weiss, egal wo es hingeht, egal wie weit die Strecke, es dauert mindestens einen ganzen Tag. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Herrn Apu noch gar nicht, ich sollte ihn aber im Gedaechtnis behalten. Herr Apu, der Herr ueber den ich anfangs berichtete, ist naemlich der Busfahrer. Und als guter Busfahrer soll man seinen Kunden so viel Komfort bieten wie nur irgendwie moeglich. Herr Apu dachte sich wohl, dass ein jeder Kunde Komfort nur verspueren und erleben koenne, wenn er wach sei. Daher hat er alles darangesetzt die gesamte Busbelegschaft am Schlafen zu hindern. Lange habe ich ueberlegt, was er wohl an diesem Morgen gekauft hat, bis es mir wie Schuppen aus den Haaren fiel: Herr Apu war stolzer Besitzer einer neuen Hupe ! Diese neue Hupe ist nicht nur Hupe, nein sie ist zugleich Blinker, Licht, Bremse und Radio in einem. Nun verstehe ich auch seinen Skepsis beim Kauf des Geraetes, wer kann sich schon vorstellen, dass eine Hupe all diese Funktionen problemlos erfuellt. So muss es wohl auch Herrn Apu gegangen sein, denn im 10 Sekundentakt musste er sich jedesmal erneut davon ueberzeugen, dass seine Hupe mindestens eine dieser Funktionen erfuellt. Man ist ein skeptischer Kunde, und so ist diese Eigenschaft nicht nur Herrn Apu eigen, sondern auch einer Milliarde weiterer Inder. Man kann nun darueber streiten, ob die Skepsis der anspruchsvollen indischen Kunden, oder die 10 Jaheresgarantie der Verkaeufer zum pausenlosen Hupkonzert in indischen Strassen fuehrt - eines ist allerdings sicher, derjenige, der die Faehigkeit hat, gewisse Sinne auszublenden, also nur leere Ecken sieht oder die Sekunden zwischen dem Hupen wahrnimmt, dem ist in Indien geholfen - Maharadja muesste man sein !
Mein Bus kam nach rund 24 h Fahrt (von Sikkim aus) in Kalkutta an. Die Hitze hat mich regelrecht erschlagen und daher hab ich mich unmittelbar nach der Ankunft am Busbahnhof ins KFC gestuerzt. In den kommenden Tagen werde ich Kalkutta erkunden, und dann werde ich wieder berichten.

© Daniel S., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ich plane eine Reise die mich über den Landweg von Deutschland - Osteuropa - Naher/Mittlerer Osten - Indien bis nach Lhasa führt. Zurück will ich über die ehemaligen Sowjetstaaten reisen und schließlich in der Türkei entscheiden ob es über die Ex-Jugoslawienstaaten oder erneut Osteuropa zurückgehen soll.
Details:
Aufbruch: 14.02.2009
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 15.10.2009
Reiseziele: Deutschland
Tschechische Republik
Polen
Ungarn
Rumänien
Bulgarien
Türkei
Georgien
Armenien
Iran
Pakistan
China
Tibet
Nepal
Indien
Bangladesch
Kirgisistan
Usbekistan
Mazedonien
Albanien
Montenegro
Bosnien und Herzegowina
Der Autor
 
Daniel S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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