...lului - transsilvanische Verwirrungen

Reisezeit: Juli 2008  |  von Norbert Wallner

Tulipan

Pfarrer Kezdi hatte Recht. Das Kinderheim in Lunca Muresului war nicht zu verfehlen.

Großes grünes Haus. Katinka, die Tochter von Pfarrer Jozsef, erwartet uns schon. Der Pfarrer hat zu viel Sonne abbekommen und sich mit Kopfweh hingelegt. Da Katinka hervorragend Deutsch spricht und seit sie ihr Studium beendet hat für Organisation und Verwaltung zuständig ist, ist sie ohnehin die richtige Ansprechpartnerin für uns.
Sie führt uns durch den großen Wohnraum, wo reihum zwölf Schreibtische an den Wänden stehen und die Kinder in Badekleidung auf dem Boden sitzen, um unsere Ankunft zu erwarten.

Sie sind überglücklich als wir sie sofort in den Garten entlassen, wo das neue "Schwimmbad" auf sie wartet. Sie hatten schon mal ein kleines, dann längere Zeit gar keines, und jetzt ein großes.

Katinka hat sich gestern durchgesetzt und das Becken angefüllt, indem sie bestimmte, dass es nicht regnen wird. Mit einem Hallo laufen sie aus dem Haus. Das große "Schwimmbad" ist ein Aufblasbecken mit drei Meter Durchmesser, aber für die Kinder das Paradies.

Wir setzen uns in den Schatten und Katinka erzählt.

Pfarrer Jozsef von der Reformierten Kirche (Presbyterianer) hat seine Idee eines Kinderheimes gemeinsam mit seiner Frau im Jahr 2002 verwirklicht. Tulipan ist ein Teil der Czegei Wass-Stiftung und wird vor allem aber auch von einer deutschen Stiftung unterstützt, die die Personalkosten trägt.
Als Pfarrer Jozsef feststellte, wie viel er seinen adoptierten Kindern an Liebe und Unterstützung geben konnte, reifte sein Entschluss, mehr Kindern helfen zu können und zu wollen. Ursprünglich wollte er zwanzig Kinder aufnehmen und dementsprechend wurde auch das Haus geplant. Aufgrund der Anpassung an die EU-Gesetzgebung bekam er letztlich aber nur zwölf Kinder bewilligt. Nach Fertigstellung des Hauses fuhr Jozsef also mit seiner Frau und seiner Tochter ins staatliche Kinderheim im nahe gelegenen Targu Mures, wo sie in einen Saal mit ca. achtzig Babies und Kleinkindern geführt wurden, mit der Aufforderung, sich zwölf davon auszusuchen. Da sie weder finanziell noch personell in der Lage waren, kranke oder behinderte Kinder aufzunehmen, mussten diese also gesund sein, was die Entscheidung nicht wesentlich erleichterte. Es waren die schwersten Stunden von Pfarrer Jozsef und seiner Familie.

Jetzt, 6 Jahre später, sind also bis auf eines alle Kinder im Alter zwischen sechs und sieben Jahren, das zwölfte ist ein 11-jähriger Bub, den man nicht von seiner kleinen Schwester trennen wollte. Bezüglich der Sorgerechte ist vom Amt aus seit kurzem angeblich alles geregelt. Das ist natürlich eine ganz große Sorge von Jozsef und seiner Familie. Ursprünglich war man der Meinung, es sei leichter, wenn alle Kinder im selben Alter wären, inzwischen kämpft man mit den besonderen Problemen, die sich dadurch ergeben. So kamen beispielsweise sieben Kinder gleichzeitig in die Schule, und man musste sogar die Köchin heranziehen, um mit allen Kindern gleichzeitig Striche malen zu üben. Mit Schrecken male ich mir schon aus, wenn in einigen Jahren alle gleichzeitig in die Pubertät kommen werden.
Es ist geplant, dass die Kinder mindestens bis zum Ende ihrer Berufsausbildung im Heim bleiben sollen, und man würde gerne sehen, wenn sie überhaupt im Dorf blieben. Jozsef will sie mit seiner Frau auch weiterbetreuen, wenn sie später mal auf eigenen Beinen stehen, er denkt an den Ankauf eines weiteren Hauses. Ich bin mir nicht sicher, was einst stärker sein wird: seine Begeisterung oder die Realität.
Zur Zeit arbeiten neben Jozsef, seiner Frau als Hauptverantwortliche und seiner Tochter Katinka noch sechs Frauen, aufgeteilt auf zwei mal drei Schichten. Da von der Stiftung nur die Personalkosten getragen werden, kämpft das Heim permanent mit finanziellen Schwierigkeiten. Zwar ist eine kleine Landwirtschaft dabei mit Gemüsegarten, Kühen, Schweinen und einem Esel, offiziell dürfen die Kinder aber keine Produkte aus der eigenen Landwirtschaft bekommen. Damit die Behörden das nicht so genau überprüfen, übernimmt das Heim im Gegenzug bis zu vier Pflegekinder, die jedoch den geregelten Ablauf des Heimes gehörig stören. Man arrangiert sich halt. Mit 40 Lei (11 Euro) staatlicher Unterstützung pro Kind ist man gezwungen, kooperativ zu sein. Man muss eben jede Einnahmequelle nutzen, die man findet und die Behörden sind klug genug, die Vorgaben aus Bukarest und Brüssel nicht überzuerfüllen. Die größte Sorge bereiten zur Zeit die Heizkosten für den kommenden Winter.

Die Kinder sind zugegebenermaßen schon ein wenig gestört, wie Katinka beim Rundgang durchs Haus eingesteht. Nicht zu übersehen, da das Haus bereits ein wenig abgewohnt ist.
In den Zimmern haben die Kinder nur die Stockbetten stehen, sie sind ausschließlich als Schlafräume gedacht, obwohl jetzt schon Überlegungen angestellt werden, sie auch für den Aufenthalt tagsüber einzurichten. Die Kinder werden größer, und die Bedürfnisse ändern sich.

Vor einigen Jahren kam Jozsef auf die Idee, für jedes Kind zwei Pateneltern im Dorf zu suchen, die sich wöchentlich abwechseln. Die Kinder werden am Wochenende von ihren Pateneltern eingeladen und bekommen von ihnen auch regelmäßig kleine Geschenke.
Morgen dürfen alle mit ihren Pateneltern auf den Jahrmarkt.
Wir sehen noch Küche, Speisezimmer, Toiletten - und natürlich die Gästezimmer. Das Haus war schließlich für zwanzig Kinder geplant, was sich jetzt als unerwartet günstig erweist.
Während wir die letzten Informationen einholen, wird der Himmel draußen kohlenrabenschwarz. Schade, dass sich Katinka geirrt hat wegen des Regens, andererseits wächst im Gemüsegarten nichts mehr, weil es schon seit Wochen schon so trocken ist. Also in Interessensabwägung meine ich, dass das Gemüse vorgeht. Ich kann diese Gedankengänge nicht fertig spinnen, weil ich mich mit schnellem Winken gerade noch rechtzeitig in unseren roten Astra retten kann, bevor der Himmel seine Schleusen öffnet. Deutlicher hätte uns der Herrgott nicht darauf hinweisen können, dass wir bereits wieder spät dran sind, wenn wir zur vereinbarten Zeit bei Pfarrer Demeter sein wollen. Wir schwimmen mit unserem Auto also zurück nach Reghin.

© Norbert Wallner, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine zehntägige Reise durch Siebenbürgen. Ahnenforschung und Besuche von Kinderheimen wurden mit einem touristischen Programm verknüpft, das nicht nur die Highlights umfasste. Städte, Burgen, Menschen: Abenteuer am Rande Europas.
Details:
Aufbruch: 02.07.2008
Dauer: 10 Tage
Heimkehr: 11.07.2008
Reiseziele: Rumänien
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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