OUT OF THE OFFICE - ON TOUR IN SOUTH AMERICA

Reisezeit: Oktober 2006 - April 2007  |  von Michael S.

BUENOS AIRES: Tango in der Milonga - Brotzeit zu Hause...

Dienstag, 27. Februar 2007 Palermo Soho 10:00

Mindestens 35 Grad am Sonntagnachmittag waren dann doch zu viel. Nachdem der Himmel gestern schon mit Wolken behangen war, zog heute Nacht ein kerniges Gewitter auf. Die Folge: Ein scheußlich nasser Vormittag...

Eigentlich hätte ich die Abkühlung gar nicht mehr gebraucht. Hatte ich doch an jenem Sonntagnachmittag im Fußballstadion, während der Halbzeitpause der Partie River Plate Buenos Aires - Racing Buenos Aires, eine ordentliche Gratis-Erfrischung erhalten, die mal so richtig "ins Auge ging"...

Doch bevor ich von der unglaublichen Stimmung, die bei solchen regulären Ligaspielen in Argentinien herrscht erzähle, berichte ich lieber über das Wesentliche das die letzte Woche geprägt hat.

Der liebe Alltag ist in Nicoles und mein Traveller-Leben eingezogen. Um kurz nach 09:00 Uhr aus dem Haus, erschöpft gegen 19:00 Uhr wieder zurück. Warum auch nicht, schließlich müssen wir uns allmählich wieder an einen geregelten Ablauf gewöhnen Während ich hier auf die Tasten klopfe kommt erneut der erschreckende "Rückkehr-Gedanke" in mir auf... 6 Monate auf Reisen, nun sind es noch weniger als 6 Wochen. Egal, der Verdrängungsmechanismus läuft schon

Der argentinische Kongress!

Der argentinische Kongress!

4 Stunden Sprachunterricht, anschließend 2 Stunden Tango-Einzeltraining! Ja, tatsächlich verbringe ich meine Zeit hier in einer Art "Tanzstudio". Wer hätte das gedacht. Zugegeben, ich komme mir manchmal schon selber etwas strange vor, wenn ich uns in dem riesigen Spiegel unseres Tanzsaales zu den modrigen Tangoklängen tippeln sehe. In dem altertümlichen Kolonialgebäude in der Avenida Callao 86 kann man sich wie in einem Stundenhotel Räume mieten. Das Etablissement wirkt jedoch eher wie eine Ballet Schule, als ein Freudenhaus. Wie wir schon letztens in der Milonga festgestellt haben, scheint Tango doch eher etwas für "reifere" Menschen zu sein. Wieder einmal drücken Nicole und ich den Altersdurchschnitt beträchtlich. Aber egal, schließlich haben wir mit unserem 72jährigen "Profesor del Tango" ohnehin Privatunterricht. Antonio ist gebürtiger Spanier, pendelt halbjährlich zwischen Barcelona und Buenos Aires und lebt eigentlich nur für den Tango. Sonntag verbringt er seine Zeit regelmäßig im "Salon Canning" und sitzt immer am gleichen Tisch. Manchmal setzen sich aber auch Touristen auf seinen Stammplatz, so wie wir letztes Mal . So kommt man zu seinem Tangolehrer... Ansonsten schreibt er Bücher über seine Leidenschaft und hat sichtlich seine Freude daran, diese an junge Leute zu vermitteln. Doch wehe man tanzt nicht so wie er es sich vorstellt... "No!" "Noooo!" "No, No, MIRAME!" (Schau mir zu!)". Dann schnappt er sich Nicole, zieht sie inbrünstig an seine Backe (Tango wird sehr eng getanzt) und demonstriert uns wie es sich gehört.

Zuckerbrot und Peitsche, dass ist es was Antonio uns gibt. Spärlich mit Lob, großzügig mit Kritik. Aber wenn wir eine Schrittfolge zu seiner Zufriedenheit ausgeführt haben, dann strahlt der sonst etwas autoritär wirkende Macho über beide Ohren. Seine überdimensional großen Augäpfel scheinen sich dabei fast zu verselbständigen. Irgendwie erinnert er mich an Jack Nicholson... Die nächste Gelegenheit werde ich nutzen, um einen Schnappschuss von ihm einzufangen. Vielleicht schon Morgen. Denn dann will er uns, fordernd wie er ist, zwischen all den Profis im Salon Canning auf der Tanzfläche sehen. Nicht nur das, sowohl Nicole als auch ich sollen mit anderen Leuten Tango tanzen. Ehrlich gesagt läuft es mir dabei kalt den Rücken runter, wenn ich z. B. an die ältere Französin denke, die mich beim letzten Besuch fast gierig auffordern wollte. Mit einem ganzen Schminktopf im Gesicht wirkte sie vielleicht 10 Jahre jünger, aber damit weckte sie nicht unbedingt den Wunsch in mir "auf Tuchfühlung zu gehen"

Genug darüber. Wir pflegen hier ja nicht nur den argentinischen Tanzstil sondern auch bayerische Traditionen... So genießen Nicole und ich vor allem die gute alte "Brotzeit"! Nachdem wir seit Monaten gezwungen sind in Restaurants zu verkehren (welch Jammer) ist es für uns echt das Höchste, ein frisches Brot, Käse, Wurst, Salat etc. auf dem Esstisch zu haben! Okay, aufregend hört sich anders an... Vor allem wenn man hier in Palermo abends durch die Straßen zieht und ein cooles Lokal neben dem Anderen entdeckt. Restaurants mit Dachterrassen, mit Ledersofas, Bücherläden mit integrierter Chillout-Ecke, eine Bar neben der Anderen am Plaza Serrano und einige spezielle Lokalitäten mehr. Hier gibt es scheinbar alles, nur kein Mainstream. In den unzähligen Boutiquen kann man ziemlich individuelle Klamotten erwerben, in einigen jedoch nur, wenn man vorher klingelt und um Einlass bittet. Die Preise liegen dann teilweise auf europäischem Niveau, aber wenn man ein bisschen sucht, dann bekommt man immer noch unvergleichbare Schnäppchen. Vermutlich werde ich mir noch einen zusätzlichen Koffer kaufen müssen, bevor es im April nach Hause geht.

Buntes Treiben am Plaza Serrano. Egal zu welcher Tageszeit, hier ist immer was los

Buntes Treiben am Plaza Serrano. Egal zu welcher Tageszeit, hier ist immer was los

Upps, schon wieder dieser "nach Hause Gedanke". So komme ich doch noch lieber einmal kurz auf den argentinischen Fußball zu sprechen. Das sich die Argentinier über das WM-Aus gegen Deutschland im vergangenen Juni sichtlich geärgert haben, dürfte den meisten nach dem legendären Elfmeterschießen ja noch in Erinnerung sein (welches wir übrigens nur wegen den genialen Instruktionen des weltbesten Torhüters Oliver K. an den unwürdigen Jens L. gewonnen haben...)

Jedenfalls fiebert der gemeine Fußballfan hier voll mit. Mit Sprechchören aber durchaus mit Fäusten. Aus diesem Grund wird im Lonley Planet der Besuch eines Fußballspiels in B.A. als unvergesslicher Eindruck angepriesen, aber auch als Sicherheitsrisiko. Deshalb soll man niemals alleine, sondern nur mit einem Guide die Stadien besuchen. So kam ich also letzten Sonntag zum Spiel River gegen Racing. Oder anders. Bayern München gegen den TSV 1860. River-Fans zieren sich in Rot-Weiß mit Schriftzügen wie "Los Millionarios", während Racing wie der Turn- und Sportverein 1860 München in Blau-Weiß aufläuft. Eine weitere Ähnlichkeit bestand in der Spielweise der Vereine, River technisch versiert, Racing mit "Hau-Drauf-Fußball". Klar wer am Ende gewonnen hat, River mit 4 zu 2 Toren. Als ehemaliger Jahreskarten-Besitzer des FC Bayern hätte ich eigentlich für die Rot-Weißen sein müssen. Aber ich muss zugeben, dass es mich sehr beeindruckt hat, dass die Fans von Racing ca. 3 Stunden lang eine derartige Stimmung erzeugt haben, wie ich es vorher noch nie in einem Fußballstadion erlebt habe. Nicht einmal bei der WM.

Volles Haus beim Heimspiel von River Plate  vs. Racing Club!

Volles Haus beim Heimspiel von River Plate vs. Racing Club!

Keine Sorge, ein Fan von einer Mannschaft im Blau-Weißen Trikot bin ich nun trotzdem nicht. Die Ähnlichkeit mit, na Ihr wisst schon mit wem, ist einfach zu signifikant.
Vielleicht finde ich "meinen Klub" ja beim Spiel am nächsten Wochenende zwischen den Boca Juniors und San Lorenzo, beide aus Buenos Aires. Nachdem es quasi unmöglich ist selber an freiverkäufliche Karten zu kommen, muss ich wohl wieder zusammen mit einem Guide dort hingehen, obwohl dieser einen nicht vor allem beschützen kann.

Bei 35 Grad Celsius ließen sich die "Bomberos", die Feuerwehrleute, in der Halbzeit zwischen River und Racing nämlich etwas ganz besonderes einfallen: Mit fest installierten Wasserpistolen, die sonst wahrscheinlich dazu dienen auf das Feld stürmende Fans zurückzuhalten, wurden für eine Gratiserfrischung verwendet. Eigentlich war das ein Heidenspaß und ich erinnerte mich kurzzeitig an die Bootsfahrt auf dem Iguazu-River, als ich patschnass auf der Tribüne stand. Als dann das Wasser von den oberen Rängen die Stufen herabfloss stellte ich mich auf meine Sitzschale um wenigstens diesmal trockene Schuhe zu behalten. Clever! Natürlich dachte ich auch kurz daran, dass mich der Wasserstrahl aus der ca. 15m entfernten Spritze treffen könnte. Das es allerdings dermaßen ungünstig ist, diesen Strahl ins linke Auge zu bekommen, hätte ich vielleicht auch in Erwägung ziehen sollen

--> WUFF, augenblicklich fand ich mich unter dem Plastiksitz meines Hintermanns wieder. Ziemlich verwirrt tapste ich nach meinem Hab und Gut, bevor ich bemerkte welche Wucht mich da gerade umgehauen hatte... Autsch, wo war eigentlich meine Kontaktlinse? Fühlt sich so ein Faustschlag an? Wo bin ich?

Kühl aber verhängnisvoll...

Kühl aber verhängnisvoll...

"Estas bien, estas bien?" Wer will das Wissen? Mein Guide war es jedenfalls nicht, er hat von meinem feuchten Erlebnis nichts mitbekommen. Mein freundlicher Sitznachbar half mir erstmal wieder auf. Okay, alles "Bien"... Benommen aber schön erfrischt konnte ich nach kurzer Bedenkzeit die 2te Halbzeit einäugig genießen

Alles nicht wild, diesen Bericht tippe ich schon wieder im Vollbesitz meiner Sehkraft. Der spanisch sprechende Arzt im "Hospital Aleman" meinte auch das alles "Bien" sei. Einen wahren Fußballfan wirft das zumindest sprichwörtlich nicht um. Und auch Nicole zeigt sich unbeeindruckt. Zum Spiel der Boca Juniors will sie diesmal auch mitgehen!!!

Und wenn ich dort nicht eine Faust statt Wasser ins Auge kriege, dann schreibe ich Euch vielleicht auch, wie es bei dem Club der ehemaligen Fußballikone "Diego Armando Maradonna" so war...

© Michael S., 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
In weniger als 9 Stunden sitzen Nicole und ich im Flieger in Richtung Bonaire. Bonaire? Kannte ich bis August auch noch nicht. Aber KLM hält auf dem Flug nach Lima zufällig auf den Niederländischen Antillen... Eine Woche Erholung, bevor es nach Peru über Chile in Richtung Argentinien geht :-) Der Plan: 6 Monate Südamerika entdecken, Spanisch lernen und Freiheit erleben! Wie heißt es so schön - Zahme Voegel traeumen von Freiheit. Wilde Voegel fliegen...
Details:
Aufbruch: 11.10.2006
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 08.04.2007
Reiseziele: Niederländische Antillen
Peru
Chile
Argentinien
Paraguay
Brasilien
Uruguay
Der Autor
 
Michael S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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