Peloponnes 2006

Reisezeit: Juni - August 2006  |  von Achim Baehrend

3. Etappe: Imola - Patras

Highlight der Etappe: Halbfinale Deutschland - Italien


Auch Ancona, wie Genua, Marseille, Toulon oder Patras, hat übrigens wenig Hafenromantik zu bieten. Es sind eher Industriegebiete, durch die man seinen Weg zum Schiff sucht (und auch findet). Allerdings überwiegt doch die Vorfreude auf die Überfahrt, so dass die fehlende Romantik nicht weiter stört.

Die Abfahrt war für 17:00 angesetzt, nun war es ca. 16:00, also alles gut! Da wir mittlerweile eine gewisse Routine hatten, war das "einchecken" auch kein Problem und die für die Überfahrt benötigten Sachen lagen bereit.
Wir stellten uns neben das Schiff in die Reihe der wartenden Fahrzeuge, in der ein weiterer Landy und ein unglaublicher Wüstentruck bereits standen, ein Mitarbeiter der Reederei kam zu uns und regelte alles.
Dann setzte sich die Familie, beladen wie bei einem Umzug, in Bewegung. Voraus die Fußtruppen (Frau und Kinder), die schon mal einen netten Platz an Deck als Schlafstelle aussuchen und belegen konnten.
Oben angekommen winkten sie zu mir herunter und ich stellte (einmal mehr) fest: Toller Anblick, meine Mädels!
Aber viel Zeit zum Genießen gab es nicht, denn etwas später setzte sich dann auch der Fahrer mit Fahrzeug in Bewegung. Wie im letzten Jahr hat es auch diesmal geklappt: Traveling Wilburys in den CD-Spieler und dann langsam und entspannt mit dem coolsten aller Autos (zur schönsten aller Familien) ins Schiff rollen, unbeschreiblich gut war das!
Im Bauch des Schiffes allerdings war es dann mit der coolen Stimmung zunächst mal vorbei, denn außer mir fuhren ja noch mehrere tausend weitere Fahrzeuge an Bord. Und als sei das für die Mitarbeiter des Schiffes eine völlig unerwartete Situation brach Hektik aus. Wie unbeholfene Cowboys ritten sie zwischen Urlaubern und Heimkehrern, zwischen Fußgängern und Fahrzeugen, orientierungslos hin und her, versuchten LKW, PKW und Motorräder zu bändigen und in die dafür vorgesehenen Abstellflächen zu lotsen, was nur unter Aufbietung aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel menschlicher Kommunikation möglich war. Hände, Arme, Füße, die Stimme und die Gesichtsausdrücke sprachen Bände, wenn mal wieder ein Ausreißer eingefangen, und auf den rechten Weg gebracht werden musste!

Gut, der Landy stand. Zum Vordermann passte keine Briefmarke mehr dazwischen. Und da in kürzester Zeit damit zu rechnen war, das auch die Fahrertür ähnlich eng zugeparkt werden würde, war es besser, möglichst schnell das Fahrzeug zu verlassen (durchs Dachfenster wollte ich ja auch nicht).
Als Treffpunkt hatten wir den Pool ausgemacht und dort traf sich dann auch die Familie. Ein Schlafplatz an Deck war bereits ausgeguckt und das Schiff legte ab!
Kurz nach Verlassen des Hafens wurde der Pool gefüllt und geöffnet. Und weil wir das schon wussten, standen die Kinder in Badezeug bereit (die kleineren mit Schwimmflügeln!!) und stürmten quasi als erste das (Salz-)Wasser, gefolgt von den Eltern.
So erfrischt gönnten wir uns ein Abendessen im Schiffsrestaurant mit griechischen Spaghetti Bolognese (die sind dann mit Zimt, sehr lecker!) und bereiteten uns seelisch und körperlich auf das Highlight des Abends vor: Halbfinale Deutschland - Italien bei der Fußball WM in Deutschland!!!
Natürlich gab es an Bord mehrere Bereiche, in denen Fernsehgeräte standen. Wir hatten uns eine Bar ausgesucht in der es eine kleine, etwas erhobene, Bühne und Bier gab. Auf der Bühne stand eine Leinwand.
Nun muss man vielleicht wissen, das es als Einwohner von Gelsenkirchen (so wie wir) fast unmöglich ist, Fußball zu ignorieren, da selbst Banken, Metzgereien und Bestattungsinstitute ihre Schaufenster mit den entsprechenden Devotionalien (Mannschaftsbilder, vorzugsweise mit allen Unterschriften, Fahnen, Schals, usw.) dekorieren. Darüber hinaus wird man schnell mit dem Fußballvirus infiziert. Dies geschah bei uns schon kurz nach der Übersiedlung nach Gelsenkirchen und hält bis heute an.

Dann war unsere Stadt auch noch WM Spielort! Mexikaner, Engländer, Polen, Tschechen und andere waren zu Gast, die Stadt hatte sich mächtig heraus geputzt und die Gäste brachten eine tolle Stimmung mit. Kristallisationspunkte waren die "public viewing points", in unserem Fall das alte Schalker Stadion, die "Glück auf Kampfbahn", mit einer riesigen Projektionswand, einer kleinen Tribüne und vielen, vielen Gästen. Dort hatten wir bereits jedes Spiel der deutschen Mannschaft verfolgt und viel WM Stimmung mitbekommen.
Kurz gesagt, wir waren begeistert von der tollen WM und wollten das auch - mit ein bisschen Stolz - auf dem Schiff zeigen. Darum hatten wir das amtliche, schwarz-weiße Shirt der "Helden von Bern" im Gepäck und zusätzlich WM Schals. Dies zogen wir also an und sicherten uns Plätze in der ersten Reihe der Bar vor der Leinwand (die Kinder wollten lieber am Schlafplatz bleiben). Außer uns gab es nur noch ein weiteres Pärchen, das sich als Deutsch outete, die anderen Gäste zeigten ihre Symphathien zunächst nicht.
Die Eltern bekamen ein Bier und die Vorberichte gingen los. Kurz nach dem Beginn der Übertragung (übrigens alles in griechischer Sprache mit albanischen Untertiteln!!) setzte sich direkt links neben mich ein Mann, daneben seine Frau. Und sofort war klar: Wir würden heute abend keine Freunde werden, ja mehr als das, unsere Beziehung war der Prüfstein für die deutsch - italienische Freundschaft! Obwohl er fließend Italienisch sprach, ich Deutsch, wussten wir beide: Diese Bar war zu klein für uns beide! Einer musste als Verlierer das Feld räumen, je eher, je besser!

Und dann ging das Spiel los. Sehr siegessicher waren wir nicht, Italien war ein schwerer Gegner, aber wir hatten ein gutes Turnier gespielt und wir spielten zu Hause!! OK, es war nur Dortmund (darf man ja als Schalker eigentlich nicht sagen), aber immerhin.
Schnell stellte sich heraus, das die deutsche Mannschaft 13 Gegner hatte (11 Spieler, den Schiedsrichter und meinen Nachbarn), und es würde ein hartes Stück Arbeit werden, auf dem Platz für die Spieler und in der Bar für mich.
Ich gab alles: Jede Chance unterstütze ich lauthals, ich sprang vom Stuhl, sprang auf die Bühne, ich jubelte, heulte und zeigte meinen italienischen Nachbarn damit ganz klar, wer heute abend als Sieger vom Platz und aus der Bar gehen würde.
Und er? Was machte er? Jede Chance unterstützte er lauthals, er sprang vom Stuhl, sprang auf die Bühne, jubelte, heulte und zeigte seinem deutschen Nachbarn damit ganz klar, wer heute abend als Sieger vom Platz und aus der Bar gehen würde.
In der Halbzeitpause (Spielstand 0 : 0) ging jeder zum Klo, holte frisches Bier und machte sich für die 2. Halbzeit bereit.
Nach der 2. Halbzeit (Spielstand 0 : 0) ging jeder, gestützt von einem Zivildienstleistenden, für einige Minuten unter das Sauerstoffzelt und machte sich für die Verlängerung bereit.
Als auch die torlos zu Ende zu gehen drohte, wurden Blutkonserven bereit gestellt.
Und dann!! Und dann? Habt ihr das nicht auch gesehen? 2 Minuten vor Schluss, Ecke Del Piero, Grosso bekam den Ball links im Strafraum, Ballack stand davor, Grosso setzte zum Schuss an und Ballack: Der drehte sich doch weg! Drehte sich weg, um den Ball nicht abzukriegen! Ballack! Mensch Ballack!!

Und der Ball? Der ging rein, 1 : 0 für Italien. Die ob des Dramas zu erwartende Totenstille in der Bar wurde vom Jubel meines Nachbarn arg gestört. Überhaupt: Musste der jetzt seine Vorliebe so hemmungslos zeigen? Etwas Zurückhaltung wäre der Situation angemessen gewesen. Aber nein, er jubelte hemmungslos.
Doch die Deutsche Mannschaft gab nicht auf! Mit letzter Kraft versuchte sie den Anschlusstreffer zum Elfmeterschießen zu landen, aber stattdessen gelang Del Piero auch noch das 2 : 0. Aus, vorbei, Ende der WM (das Spiel um den dritten Platz ist eher ein Spiel um die goldene Annanas).
Und mein Nachbar: Freute sich, jubelte, triumphierte, als wenn er persönlich die Tore geschossen hätte. Völlig übertrieben. Schließlich war das doch nur ein Spiel.
Und die völkerverbíndende Freudschaft? Für den Abend war sie dahin! Uns ging es jetzt - es war nach Mitternacht - nur noch darum, einen guten Abgang hinzulegen. Hoch erhobenen Hauptes, mit Trikot und Schal, machten wir uns auf den langen Weg, quer durch die Bar, von der ersten Reihe aus, zum Ausgang.
Als wir von den Stühlen aufstanden wurde es ruhig, sehr ruhig, eine Stecknadel hätte man fallen hören können, aber sie fiel nicht.
Vor uns teilten sich die Menschenmassen, Mitgefühl lag in der Luft (nur bei einem nicht!), man lies uns passieren und teilte unsere Trauer. An der Bar saß das zweite deutsche Paar, sie mit Tränen in den Augen, er starr vor Fassungslosigkeit. Wir sahen uns nur an und verstanden. Worte waren nicht nötig.
Die Nacht verlief ruhig, obwohl wir in diesem Jahr die Schlafvariante mit 5 Leuten auf 2 Isomatten unter 1 Decke gewählt hatten. Aber die Nacht war warm, die Kinder klein, also konnten alle gut schlafen.

Der Morgen war schön und nach dem Frühstück sah die Welt (trotz Ballack) schon viel freundlicher aus. Als dann in Igoumenitsa noch viele Passagiere das Schiff verließen, hatten wir die Sonne und den Pool quasi für uns! So wurde es eine sehr angenehme Anreise nach Patras.
Zumindest für die Erwachsenen, die Kinder schienen etwas übernächtigt! Sie waren dann doch wohl etwas zu spät ins Bett gekommen.

Aber Griechenland erwartete uns, Patras war in Sicht, der Himmel blau und in kürzester Zeit sollten wir in Palouki unser Zelt aufbauen können. Nur noch das Schiff verlassen, ca. 1 Stunde Auto fahren und wir wären da!! Patras kannten wir ja schließlich, dachten wir zumindest.

© Achim Baehrend, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
5 Wochen mit der Familie, dem Zelt und dem Land Rover unterwegs. 4 Wochen davon auf dem Peloponnes.
Details:
Aufbruch: 29.06.2006
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.08.2006
Reiseziele: Italien
Griechenland
Der Autor
 
Achim Baehrend berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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