Eine Radreise allein durch Kuba 1994

Reisezeit: Januar / Februar 1994  |  von Manfred Sürig

Auf Ostkurs ins Gebirge

Am nächsten Morgen entdecke ich einen Wegweiser.
Er weist doch tatsächlich den Weg nach Santiago auf der Straße, auf der ich gestern gekommen bin (178 km), aber in die andere Richtung gibt er mir mein Etappenziel für heute: Bayamo 163 km. Schon an der nächsten Steigung wird mir klar, daß Bayamo heute nicht zu schaffen ist. In der Mittagshitze weiterzufahren, vor allem der prallen Sonne wegen, ist auf die Dauer nicht durchzuhalten.
So lasse ich die Dinge an mich herankommen und bereite mich geistig auf eine Übernachtung im Busch vor. Dabei denke ich an die Mückenschwärme von gestern, die jetzt noch die Augen tränen lassen.

Nach Überwindung des Passes geht es sanft bergab in die Ebene von Manzanillo. Kilometerweit Zuckerrohrplantagen, Blick aufs Meer, emsige Transporte von Zuckerrohr zur nächsten Fabrik, auf uralten Fahrzeugen.

Gegenwind kommt auf, der bekannte Nordostpassat. Er sorgt zunächst für ständige Kühlung, aber meine Augen schmerzen immer mehr, und die dicken Laster, die mich häufiger überholen, hüllen mich in schwarze Dieselwolken ein, aus denen ich erst Minuten später wieder auftauche.

Als ich am späten Nachmittag in Manzanillo eintreffe, bin ich ziemlich am Ende.
Hier m u ß es einfach ein Hotel geben.
Es gibt auch eins.
" Casa blanca", Einheimische weisen mir den Weg dorthin. Ich bin offenbar der erste ausländische Tourist, den man dort je empfangen hat. Daß ein Zimmer frei ist, erfahre ich sofort, aber ob man es mir geben darf, das muß wohl erst höheren Orts geklärt werden. Nach 10 Minuten Palaver werde ich gefragt, ob ich mit Dollars bezahle. Als ich bejahe, sind alle Formalitäten schnell abgewickelt: 6,10 US $ für die Übernachtung gegen Quittung, 2 US $ für ein Bier ohne Quittung. Man führt mich in den vierten Stock in einen total verdunkelten Raum mit Duschnische, bringt das spärliche Abendbrot (1 US $) sogar aufs Zimmer.

Doch aus dem Duschen wird nichts, der Wasserdruck reicht nicht so hoch hinauf, die Gäste holen sich das Wasser eimerweise aus einem großen Faß, das im Flur steht und gießen es sich im Duschbad über den Körper. Nachdem ich eine Kakerlake ins Klo befördert habe, begieße ich mich ebenso. Danach ist mir alles ganz egal und ich schlafe durch bis zum nächsten Morgen.

Der nächste Morgen beginnt mit einer karibischen Seltenheit: Nebel. Zum Radfahren ideal, weil die Sonne dann nicht so sticht. Heute soll ein Tag der Erholung werden.
Nur knapp 70 km bis Bayamo, ich wähle den etwas längeren Weg durch die Ebene, kein Wind, die Augen werden es danken. 39 km geht die Straße schnurgeradeaus in eine Richtung. In den Karten ist diese Straße zwar aufgeführt, aber in jeder Karte anders.
Unverdrossen trete ich in die Pedalen und zähle die Kilometer, rechts und links nur Landwirtschaft mit künstlicher Bewässerung, die Sonne steigt höher. An der Abzweigung nach Bayamo bietet mir jemand eine Apfelsine für einen Dollar an.
Als ich ablehne, folgt ein besseres Angebot: 32 Stück für einen Dollar. Da bin ich dabei.
Er hat ein Messer zur Hand, und so verspeisen wir sie gemeinsam und trennen uns wie alte Bekannte, adios!
Siesta an einer Wegegabelung, an der ab und zu ein Lastwagen hält und Leute ablädt, von hier aus gehen sie zu Fuß riesige Entfernungen zu ihren Hütten, die man nur entfernt in der flimmernden Hitze am Horizont erkennen kann.
Und sie schleppen dabei Lasten, die ich nicht auf dem Rad transportieren möchte.
Noch anstrengendere Arbeiten haben die Macheteros, die mit großen Macheten das Zuckerrohr ernten, und die trotzdem immer noch eine Hand frei behalten, um den vorbeifahrenden Radfahrer zu grüßen.

Und die ihm auch die Siesta im Schatten des einzigen Baumes gönnen.

Bayamo muß einst eine reiche Stadt gewesen sein, oder zumindet muß es hier einst sehr reiche Leute gegeben haben. Prunkvolle Häuser im Kolonialstil mit bröckelndem Glanz zeugen noch heute davon. Das Zentrum ist blitzsauber und quirlig von Leben, das Hotel Sierra Maestra bietet vom Zimmerfenster aus ein großartiges Panorama auf das Gebirge, in das ich morgen hinein will.

Inzwischen meine ich, mir schon einiges an Kondition angestrampelt zu haben, um ins Gebirge vordringen zu können. Schließlich ist es in größeren Höhen auch ein wenig kühler.
Bis Beire geht es auf der Magistrale, der Hauptstraße von Havanna nach Santiago.
Da die Kraftstoffversorgung zur Zeit in Kuba klappt, bin ich der Leidtragende, mindestens alle 5 Minuten begegnen mir schwere Lastwagen mit einem Schwall von Auspuffruß, auf Steigungen so dick, daß ich durch die Wolken nicht durchsehen kann und im Blindflug hinein muß.
Schlaglöcher und Flickstellen auf der Straße spüre ich dabei immer erst, wenn es schon zu spät ist. Erstaunlich, was so ein ganz gewöhnliches Rad alles aushält.
Dann geht es auf Nebenstraßen, meine Karte kann ich vergessen, und die Ortsnamen auf den Wegweisern sagen mir nichts.
Fragt man Einheimische nach meinem Tagesziel, dem Hotel El Salton, ist die Antwort Achselzucken.
Es soll hier Leute geben, die ihr Leben lang noch nicht aus ihren Dörfern gekommen sind und noch niemals die See gesehen haben. Sie leben in strohgedeckten Hütten von Ackerbau und Viehzucht.
3 Ernten im Jahr, dazu bei jedem Haus eine schattige Kaffeepflanzung mit ausgezeichneten Sorten. Jeder Bauer soll seine eigenen Röstrezepte haben. Das kann stimmen, denn die Düfte, die durch die Gegend streifen, reichen von Schweinemist über Kartoffelfeuer bis Jacobs Krönung.

Reich werden sie nicht damit, und doch sind sie stolz auf das, was sie der Erde abtrotzen. An den steilen Hängen muß der Boden von Hand bearbeitet werden, dafür kommt die nötige Feuchte nachts durch Tau, der in den Schattenlagen den ganzen Tag nicht trocknet.
Unter der Brücke über den Contramaestre lege ich meine Siesta ein, rundum ländliche Idylle: Reiter führen ihre Pferde zur Tränke, einer wäscht und striegelt sein Tier im Fluß, Insekten summen, das Wasser plätschert, Kinder angeln oder baden. Und das mitten im Winter, am 27.Januar. Nirgends eine Spur von Hektik.

Das Hotel finde ich ganz von selbst, denn dort endet die Straße an einem Wasserfall. Ich bekomme ein stilvolles schattiges Appartement, das von sehr kreativen Designern entworfen sein muß.

Das Haus ist kaum belegt, man hat viel Zeit für die Gäste. So hilft mir jemand, mein ausgerissenes Ventil zu flicken, ein anderer macht (barfuß) eine Bergwanderung oberhalb des Wasserfalls mit mir, auf der wir in Englisch über viele Sorgen der Kubaner diskutieren.

Daß die Einheimischen jetzt auch Dollars besitzen dürften, sei im Prinzip gut. Aber nun werde es bald wieder Arme und Reiche geben, es gäbe schon eine Rauschgiftmafia in Havanna, die ganz ungeniert mit Dollars um sich werfe.
Selbst Rassenprobleme, die es eigentlich in Kuba nie gegeben habe, schon gar nicht im Zeitalter des Sozialismus, seien erkennbar, jedenfalls in den Großstädten, weil dort die Ärmsten der Armen meist auch die Farbigen seien.
Nicht die Großmacht USA fürchte er, Carlos, sondern die schleichende Macht der Dollars der Exilkubaner in Miami. Sicher herrsche in Kuba jetzt überall Mangel, aber verhungernde Kinder gäbe es hier nicht. Er kenne das Elend in den Nachbarstaaten Kubas aus dem Fernsehen, von Touristen und den Radiostationen aus Jamaika und Haiti um zu wissen, daß Kuba unter den gegebenen Umständen die einzig mögliche Politik betreibe.

Marktwirtschaft führe in Mittelamerika immer zu schonungsloser Ausbeutung der Ärmsten, die sich nicht wehren könnten. Er hoffe nur, daß sich Kuba niemals solche Errungenschaften wie kostenlose ärztliche Versorgung in jedem Ort und Abschaffung des Analphabetentums wieder nehmen lassen müsse.
Carlos hat Pädagogik und Englisch studiert, aber da der Staat den Tourismus als Deviseneinnahme brauche, hat er sich zum Fremdenführer umschulen lassen, aus Patriotismus und nun auch -aber das erwähnt er nicht - um gelegentlich ein Trinkgeld in Devisen zu bekommen. über die fünf Dollar Anerkennung für die Begleitung freut er sich überschwenglich.

Abends begrüßen mich vier Gäste auf heimische Art: Sie bieten mir je ein volles Glas Rum pur an, das ich höflichkeitshalber leere, womit sie offenbar zufrieden sind. Wenn 12 Gäste dagewesen wären, weiß ich nicht, was ich gemacht hätte, so aber bestätigt mir der Kellner, daß ich mich den kubanischen Gästen gegenüber richtig verhalten hätte.

Eine so freundliche Geste mache man in Kuba nur gegenüber Freunden, zurückweisen dürfe man sie keinesfalls. Nachdem ich mir dann noch einige kulinarische Delikatessen habe verabreichen lassen, schreibe ich auf deutsch ein höchstes Lob ins Gästebuch.
Als ich früh am übernächsten Morgen aufbreche, gibt es einen Abschied wie von langjährigen Freunden, ich verspreche, bestimmt einmal wiederzukommen, was sicher auch meine ernsthafte Absicht ist.

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es gab damals noch keine Digitalkameras, Fotografieren war sowieso nur selten erlaubt, darum keine Bilder. Aber was hat sich in 18 Jahren bis heute in Kuba geändert ? So ist selbst der Nostalgiebericht noch auf aktuellem Stand......
Details:
Aufbruch: 18.01.1994
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 03.02.1994
Reiseziele: Kuba
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.