Eine Radreise allein durch Kuba 1994

Reisezeit: Januar / Februar 1994  |  von Manfred Sürig

Rund um Guantanamo

Leider hatte ich zum Frühstück von den hefehaltigen Toastbroten zu reichlich gegessen. Zusammen mit etlichen Litern frischen Fruchtsaftes ergibt das bald eine explosive Mischung in meinem Magen, die Hitze tut ein Übriges, und das, wo ich heute 100 km zurück bis zu meinem Standquartier Vila Daiquiri östlich von Santiago vor mir habe.

Das bunte Treiben in der Innenstadt von Santiago, wo allenthalben Straßenmusiker spontan darauflosmusizieren, bis sich eine Traube von Schaulustigen und Gruppen von tanzenden Menschen bildet, kann ich leider nur im Vorbeifahren ansehen, denn ich muß schleunigst in einsame Gegenden.
Auch die größte Kathedrale in Kuba, die Wallfahrtskirche Santa Maria El Cobre (einst erbaut für die Arbeiter einer Kupfermine) muß ich rechts liegen lassen.

Nachts bricht es dann voll über mich herein und macht mich am Sonntag kampfunfähig. Doch nach einer Überdosis klaren Wassers, das ich umgehend wieder loswerde und 2 Kohlekompretten kann ich mich am Montag schon wieder nach draußen wagen. Und auch wieder radeln.

Die Zeit bis zum Rückflug reicht nun leider nicht mehr für eine zweite Rundtour nach Osten. Baracoa wäre die Herausforderung gewesen: 250 km östlich von hier, vier Fünftel davon an der Südküste in immer trockenerem Steppenklima, ein Fünftel über einen 1100 m hohen Paß, auf dessen Nordhang man in tropischen Regenwald eintaucht. Den ältesten Ort in Kuba, an dem Kolumbus erstmals die Insel betrat, werde ich mir also für eine spätere Tour aufheben müssen.

Doch mich lockt noch ein Abenteuer. Vom Vorjahr her weiß ich, daß der Baconao Nationalpark 60 km östlich von Santiago an der Grenze zur Provinz Guantanamo ein geeigneter Ort wäre, einmal eine Tropennacht in der Wildnis unter freiem Himmel zu verbringen, ich kenne da einen Weg zu einer kleinen Bucht am Karibikmeer an der Mündung eines Baches, der mir ideal dafür erscheint.

Außerdem kannte ich eine Badestelle unterhalb einer Talsperre mit kühlem Wasser.
Zu meinem Erstaunen sieht die Gegend dort vollkommen verändert aus.
Der Baconao-Fluß hat keine Böschung mit Auenwald mehr, statt dessen hängt Treibgut bis zu 6 Meter über der Straße an Stromversorgungsleitungen, eine Hüttensiedlung ist vom Erdboden verschwunden. Was ist geschehen ?
Im November 1993 hatte es drei Tage ununterbrochen geregnet, 500 mm, soviel wie sonst im ganzen Jahr. Der Damm der Talsperre war gebrochen und eine riesige Flut- und Geröllwelle hatte talabwärts alles weggerissen. Nie hat die Welt von dieser Katastrophe erfahren, die Überlebenden nehmen ihr Schicksal scheinbar gelassen hin, und sie sprechen nur ungern darüber.

Meine Privatbucht hatte das Bächlein zu einer Geröllhalde umgewandelt, die schattenspendenden Bäume gab es nicht mehr. Die Schotterstraße war noch zerfurchter als im Jahr zuvor und an vielen Stellen halb weggeschwemmt.
Auf der Suche nach einem anderen Übernachtungsplatz gerate ich immer näher in die Sicherheitszone rund um den amerikanischen Marinestützpunkt Guantanamo Naval Base.
Von einem Marineboot der Kubaner wird rot geschossen, als ich eine Gefällestrecke herunterrolle und einer Patrouille in die Quere fahre.

Kontrolle mit angeschlagener MP, die Gästekarte des Hotels genügt als Ausweis. Tourist ? Bitte sehr, freie Fahrt. Ihr Ziel heute abend ? Mutig sage ich "Hotel Guantanamo", was den Herren wohl nicht ganz glaubhaft erscheint, immerhin sind es noch 54 km zwei Stunden vor Sonnenuntergang.
Nachdem ich mein T-Shirt noch einmal kräftig durch eine Wasserlache gezogen habe, ziehe ich es klatschnaß an und genieße ein erfrischendes Fahrgefühl.

Die Patrouille überholt mich wieder auf dem Motorrad, fragt mich erneut im Vorbeifahren nach meinem Ziel. Ein paar Kilometer weiter überhole ich die Patroulle, weil sie Panne hat. Kurz darauf überholt sie mich wieder - bis zu deren nächster Panne. Das Spielchen wiederholt sich, bis ich die Hoffnung aufgebe, heute nacht noch im Freien schlafen zu können.
Mein Erstaunen im Hotel Guantanamo ist groß, als mich ein riesengroßer schwarzer Portier mit den Worten empfängt:" Nu da sindse ja mit Ihrem Foarrd" Der muß sein Deutsch in Leipzig gelernt haben. "Nein, Gorl Morgs Sdodd" (Chemnitz) stellt er richtig. Da scheint mich doch das Militär hier schon avisiert zu haben.....

Am nächsten Tag könnten militärische Geheimnisse gelüftet werden. Der Portier kennt einen, der einen kennt, der mich bis an den Todesstreifen zur Marine Base führen würde, ich solle mich mit einem andern Gast im Zimmer 210 absprechen, der wisse Bescheid.
Der andere Gast ist ein Bildreporter aus Berlin, mit dessen Miet-Jeep es am nächsten Tag tatsächlich in den Sperrbezirk geht.
Man fühlt sich an Zeiten der DDR erinnert: Wachtürme, Stacheldraht, Fotografierverbot, Kontrollen, ein Stollengang führt tief in einen Berg hinein, überall sieht man (Lüftungs ?) Schächte. 46 Meter unter der Erde zeigt uns unser Guide ein Relief der Naval Base, so wie man es 46 Meter höher in Natur zu sehen bekäme.
Dann geht es aufwärts zum Gipfel des Berges Boqueron/Uvero direkt an der Grenze zum Klassenfeind USA.
Auf dem Gipfel steht eine luftige Bar mit flotter Musik und Drinks gegen harte Devisen.
Es darf fotografiert werden.
Lachend erzählt uns der Barkeeper, daß sein Arbeitsplatz gefährdet wäre, wenn die Amerikaner im Jahr 2001 die Base räumten. Aber realistischerweise wäre damit wohl nicht zu rechnen.
Wir beäugen jede Bewegung unter uns mit einem russischen Zielfernrohr. Nichts bleibt uns verborgen, es gibt auch nichts zu sehen außer einer Schlange auf einem 2000 Jahre alten Kaktusbaum.
Sie ist so gut getarnt, daß ich sie auf meinem Foto später nicht wiederfinden kann.

Sollten sich an diese Grenze besonders viele Deutsche hingezogen fühlen, um noch mal ein Gruseln vergangener Zeiten hautnah zu erleben ? Die Kubaner vermarkten ihre einzige Landgrenze geschickt. An keiner andern Stelle in Kuba waren die Drinks so teuer wie hier...

Die Rückfahrt noch am selben Tag würde ich auf dem Rad nicht mehr schaffen, deshalb stimme ich dem Vorschlag des Reporters gern zu, mit ihm im Jeep die Strecke zurückzufahren, die ich mit dem Rad gekommen bin und die er noch nicht kennt.
Seine Begeisterung für den Baconao Nationalpark ist riesig, es entstehen reihenweise Profifotos zur Erinnerung. Erst jetzt wird mir bewußt, welche landschaftlichen Schönheiten ich mir mit dem Fahrrad erschlossen habe, die der Normaltourist wohl selten zu sehen bekommt.

Und deshalb kommt im nächsten Kubaurlaub ein Fahrrad wieder mit!

Das ist bis heute noch meine Absicht, aber Segeln in der Karibik ist nicht so anstrengend, und deshalb bin ich immer wieder rückfällig geworden, mich lieber auf dem Wasser zuerholen.......

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es gab damals noch keine Digitalkameras, Fotografieren war sowieso nur selten erlaubt, darum keine Bilder. Aber was hat sich in 18 Jahren bis heute in Kuba geändert ? So ist selbst der Nostalgiebericht noch auf aktuellem Stand......
Details:
Aufbruch: 18.01.1994
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 03.02.1994
Reiseziele: Kuba
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.