Frühjahrsreise durch Kalabrien und die Basilikata

Reisezeit: März / April 2014  |  von Thomas B.

Pizzo, Zungri und Serra San Bruno

Prozession in Pizzo

Prozession in Pizzo

Höhlenkirche bei Pizzo

Höhlenkirche bei Pizzo

Zu den Höhlen: Zungri und Pizzo und zu den Kartäusern in Serra San Bruno

Zungri und Pizzo: Höhlenhäuser und Höhlenkirche und zu den Kartäusern in Serra San Bruno

Am nächsten Tag fahren wir nach Zungri. Zungri ist ein wenig größer als Coccorino, ein wenig. Wir parken an der Kirche. Sie ist bedeutend besser in Schuss als die in Coccorino. Und: Es gibt einen Wanderweg und der ist, zumindest zu Beginn, hervorragend ausgeschildert. Unterhalb von Zungri liegt sozusagen "Alt Zungri", eine Höhlensiedlung aus dem 13. bis 14. Jahrhundert, Felsenwohnungen im Tuffstein, die wohl deshalb so gut erhalten sind, weil sie später von Hirten benutzt wurden, heute teilweise von den Ziegen, wie die Hinterlassenschaften zeigen.
Kleine, größere Räume, teilweise nach oben mit Abzug, auch ein "whirlpool", na ja, rund unter einer Kuppel mit Wasser gefüllt. Überhaupt Wasser, es gab wohl ein Wassersystem ähnlich dem der Südtiroler Wale. Faszinierend die ganze Anlage, kein Mensch außer uns, ein einsames Pferd, nicht angepflockt, nicht eingezäumt, grast auf einer Art Terrasse über den Höhlenwohnungen. Rund herum Olivenbäume, Blumen, weite Blicke ins Land. Und überall huschen Eidechsen. Wir wandern runter ins Tal. Kommen an einen rauschenden Wildbach, vespern dort. Wildromantisch diese Bachschlucht, außer, ja außer, sie ist auch eine (wilde) Müllkippe. Da wird die Höhlenstadt präpariert (mit Unterstützung der EU), es gibt Eisentreppen, es ist ausgeschildert, dann Müll im Wasserfall: von alten Mopeds bis zerschlagenen Waschbecken und ansonsten alles, was normalerweise in die Mülltonne gehört. Es ist schon seltsam, wie man die Möglichkeiten auf Tourismus hier im Landesinneren vermüllt.... aber die großen Touristenscharen kommen wohl eh nur nach Tropea und zum Capo Vaticano.

Schon während wir vespern fliegt ein Hubschrauber über die Schlucht. Als wir, nachdem wir noch einen Hügel und die vielen steil abfallenden Felsen umrundet haben, von Norden nach Zungri zurück kommen, wissen wir warum. Autoschlangen, Carabineri, Krankenwagen und auf einer Wiese der Hubschrauber. Ein toter Fuchs am Straßenrand, aber der hat wohl nichts mit dem Unfall zu tun. Dann sehen wir ein am Straßenrand liegendes Motorrad und viele Kreidemarkierungen. Der Hubschrauber hebt ab.
Hunderte von Zuschauern, betroffene Gesichter, Flüstern, diskrete Schneeball-Info per Mobiltelefon. Uns wird klar, die meisten Autos, die jetzt die Straße verstopfen, sind Anwohner, die, als sie den Hubschrauber sahen, heraufgefahren sind.... Endlich ist mal wieder was los in Zungri.... und "Padre Pio" auf dem nahen Sockel schaut in die Ferne....
Wir finden unser Auto wieder, die Hauptstraße ist jetzt abgesperrt, über landwirtschaftliche Wege werden wir umgeleitet zurück nach Coccorino.

Dann aber: Coccorino-Sonnenuntergang Nr.4 und es ist wieder anders. Ganz klare Sicht, im rosa Licht links qualmend der Etna und rechts der Stromboli, der sich zurückhält. Und wieder der Sternenhimmel und dazu steigt über dem Monte Poro langsam der Mond in die Höhe...

Wir wollen nach Pizzo. Den ersten Teil der Strecke kennen wir, über Tropea geht's weiter. Pizzo gefällt uns, es ähnelt ein wenig Tropea, auch auf einem Felsen über dem Meer aber es wirkt weniger touristisch, authentischer. Zuerst aber empfängt uns "Ave Maria" und Blasmusik, eine Prozession zu Ehren? Wer weiß.

Gleich am Ortseingang das Kastell mit dem Murat-Museum. Murat war der Schwager von Napolen, er war für den italienischen Süden zuständig und als Napoleon sein Waterloo erlebte, war es vorbei mit der Herrlichkeit. Murat versuchte noch zu fliehen, wurde aber in Pizzo standrechtlich erschossen. Ein hyper-realistisches Bild zeigt, wie er gerade unter den Gewehrkugeln wegkippt. Murat scheint man in Pizzo weiterhin zu verehren, deshalb gibt es im Kastell gleich zwei Trikoloren: "bleu-blanc-rouge" und "verde-bianco-rosso". Auf dem Hauptplatz, die Historie geht weiter, der piazza Garibaldi, genehmigen wir uns die Spezialität Pizzos "Il Tartuffo", ein Eis mit Schokolade überzogen und Schokoladekern.

Es gibt eine in Tuffstein geschlagene Felsenkirche nördlich von Pizzo am Meer gelegen. Wir suchen den Weg und kommen bei einem Einsiedler vorbei, Blechhütte, Hunde, Hühner, Gänse. Gans und Gänserich sind gerade dabei, den Tierpark zu vergößern. Der "Robinson" erklärt uns, dass wir alles wieder zurück müssen und dann 1 km die Straße entlang! Wir holen unser Auto, zumal wir inzwischen im Ort in einem interessanten Laden (unter anderem Likör, Besen, Pasta, Kosmetika, Honig und Marmelade) gefühlte 20 kg eben Honig und Marmelade gekauft hatten und mit uns rumschleppen. Dann nochmals durch Pizzo, dieses Mal per Auto. Wir parken direkt oberhalb der Tuffsteinkirche.
Treppen führen runter bis ans Meer. Die Kirche ist faszinierend, passt zu den Höhlenwohnungen von Zungri, die in den Tuffstein geschlagenen Figuren aus dem 19.Jhd. erreichen leicht die Kitschgrenze, aber es geht.
Wir fahren über das Gebirge zurück, denn auf der Hinfahrt hatten wir um zwei Erdrutschstellen manövrieren müssen (eigentlich war die Straße gesperrt). Wir kommen am Ort "Monte Poro" vorbei und sehen das "Santuario", das wir vor einigen Tagen nicht gefunden hatten, es wird gerade renoviert.

Serra San Bruno - Wandern beim Kapuzinerkloster

Wir beschließen bei Serra San Bruno zu wandern. Wir vertrauen uns dem Navi an, es findet die kürzeste Strecke, hat aber keine Ahnung, dass der Pass von Laureana die Borella nach Mongiano zwar durch einen Naturpark führt aber die Straße ein einziges Schlagloch ist. I. fährt Slalom, über den Pass geht es in engen, steilen Serpentinen, die so kurz hintereinander folgen, dass das Navi gelegentlich sogar zum umdrehen rät, weil es dem Straßenverlauf nicht mehr folgen kann. Oben sind riesige Buchenwälder, überhaupt ist Kalabrien eine der waldreichsten Regionen Italiens, die wir kennen. Leider sind die Bäume noch kahl, klar für diese Jahreszeit, wir sind ja hier in über 1000 m. Höhe. Irgendwie schaffen wir es ins Tal.

Serra San Bruno ist ein Kapuzinerkloster mit angeschlossenem Ort. Der Heilige Bruno stammt aus Köln, über Reims und Paris wurde er zu einem der Gründer der Chartreuse im französischen Departement Isere, wo die Mönche heute noch einen grünen Likör brauen. Dann kam er nach Rom, floh mit dem Papst im Rahmen des Investuturstreits (Heinrich II, Canossa usw.) und landete in Süditalien bei den Normannen und gründete in diesem unwirtlichen Bergland ein neues Kapuzinerkloster. Später besuchen wir das Klostermuseum und den Klosterladen, wo man Honig aus dem Kloster kaufen kann aber auch belgisches Bier von den Trappisten und natürlich den grünen Likör aus der Chartreuse. Ins eigentliche Kloster darf man nicht, die Mönche leben streng abgeschlossen und schweigen, nur einmal in der Woche gehen sie in die Umgebung wandern.

Der Wanderweg, von der EU gefördert, beginnt beschützt von leicht im Zerfall befindlichen Holzgattern rechts und links an einem Bach entlang. Zwei riesige Picknickplätze und leider auch die üblichen Hinterlassenschaften. Schautafeln zum Leben des Hl. Bruno, Brückchen über den Bach, dann die Wallfahrtskirche "Madonna in Bosco" und der "See der Wunder", wir sind im Wald (bosco), die behütenden Barrieren enden, es geht steil aufwärts, kleine Bergrutsche verwandeln einen canyonartigen Hohlweg in einen glitschigen Matschpfad, glücklicherweise habe ich meine Stöcke dabei. Dann sind wir auf der Hochebene, wandern noch eine halbe Stunde durch den Wald, sehen immer wieder tief unten die Schlucht, wo der Bach noch als Wildbach rauscht. Als wir den höchsten Punkt erreicht haben, kehren wir um.

An einem Kiosk vor dem ersten Picknickplatz genehmigen wir uns ein Eis und wandern im geschützten Bereich weiter. Als wir uns der nahen Straße nähern, hält plötzlich ein rotes Auto. Die Kioskbesitzerin stürzt auf uns zu, in der Hand hat sie ein Handy-Chip (ein "biglietto" wie wir erfahren), ob der uns gehöre. Aber wir haben unseren Chip im "telefonico". Vielleicht gehöre er dem "padre e figlio", die nach uns mit dem "bicicletto" angekommen sind. Die Signora verneint. Kurz vor dem Kloster holen uns Vater und Sohn ein und fragen ebenfalls nach dem "biglietto". Wir kommen ins Plaudern, er sei in der Schweiz geboren (erst Bern, dann Zug, dann Zürich...) aber in Kalabrien zur Schule gegangen. Und Coccorino kannte er auch. Lobte unseren Aufenthaltsort, dann läutete sein "telefonico". Ciao.
Biglieto, toller Begriff, die Eintrittskarte in die Welt der Kommunikation, hier in Italien oft noch nervtötender als bei uns.

Für den Rückweg suchen wir eine andere Strecke aus als auf dem Hinweg. Aber auch hier führen uns viele Serpentinen in immer neue Talschluchten und in interessante Orte wie Mileto und Rombiolo, ferner an einem römischen Aquädukt vorbei, ab dem Monte Poro sind wir fast schon zu Hause.

Dann zaubert I. Spaghetti mit Tintenfisch (pulpa) und Oliven. Den frischen Tintenfisch säubert sie perfekt, war sie doch einst bei Signora Tirnetta in Sizilien "in die Lehre" gegangen. "Zuerst den Popo säubern" hatte Frau Tirnetta gesagt, zuerst aber muss man mal wissen, wo bei einem Tintenfisch der Popo ist.

Coccorino: Roxy-Bar, Friedhof und Wochenmarkt und der Abschied

Dreh- und Angelpunkt in Coccorino ist nicht die Kirche sondern direkt an der Hauptstraße die Roxy-Bar. Wir hatten dort am ersten Tag nach dem Weg gefragt, später tranken wir hin und wieder je ein kleines Fläschchen "Dreher"-Bier zu 1€, wahrlich kein Touristenpreis. Hier ist das Leben, zumal nebendran auch ein kleiner Alimentari-Laden ist und auf der anderen Seite die Farmacia. Ferner hält morgends der Fischwagen, wo wir Orade und Tintenfisch kaufen und kurz darauf kommt der Bäckerwagen, um seine Brote im Alimentari abzuliefern.
Vor der Roxy-Bar sitzen zumeist Männer, aber nicht um sich "einen anzusaufen", denn die Roxy-Bar ist Arbeitsvermittlung und Informationsbörse in einem. Da sitzt der Installateur, wer einen braucht, holt ihn bei der Roxy-Bar ab. Dauernd halten Autos, Grüße, Infos, ein Espresso oder Cola, ständig wechselt das Publikum. Ein älterer Mann hat es sich in seinem Auto bequem gemacht, den Sitz nach hinten geklappt. Dann steigt er nach einige Zeit aus, wir kennen ihn schon, es ist der Mann mit einer Halskrause, der offensichlich nach einer Kehlkopfoperation nicht mehr sprechen kann und sich mit der Wirtin per Handzeichen verständigt. Ein anderer stellt sein Auto ab, steigt beim "Stummen" wieder ein, kurz darauf kehren sie um, er hat noch was in seinem Auto vergessen.

Heute wollen wir es ruhiger angehen lassen, denn morgen wird's weitergehen nach Potenza in die Basilicata. Frühstück mit Blick auf unsere Bucht Wir packen schon mal. Nach einer langen Siesta Spaziergang, schließlich wieder "due birre Dreher" bei der Roxy-Bar, wo man uns inzwischen kennt. Vorher aber beim Friedhof vorbei. Riesige Grabhäuser. Familienname: Coccolino. Schon toll: Coccolino aus Coccorino oder gar Coccorinello.

Das letzte Frühstück auf der Terrasse in Coccorino. Etna und Stromboli halten sich bedeckt, unser Fischer ist auf dem Meer. Wir lassen uns Zeit. Das Gepäck ins Auto packen, zum letzten Mal Geschirr spülen, ein wenig auskehren, dann adé Haus und vor allem adé Terrasse!

Wir fahren hoch in den Ort, vor der Kirche ist ein Markt. Und: an einem Markt kommen wir nicht vorbei. Wir kaufen Salami, Käse und Salat. Der Händler grinst, wir grinsen, es ist wieder der gleiche wie auf dem Markt in der Nähe von Tropea. Und wir kaufen fast das Gleiche. Nur Wein kaufen wir dieses Mal nicht. Dann machen wir noch zwei unfreiwillige Runden durch den Ort, weil wir noch den Müll entsorgen müssen und gleich zwei Mal bei unseren "amici" vor der Roxy-Bar vorbeifahren und zwei Mal an den Marktständen, aber dann sind wir unterwegs über Monte Poro in Richtung Vibo Valentina. Vibo Valentina ist vom Verkehr her ein Palermo im Kleinformat und heute ein recht großer Straßenmarkt, wir aber bleiben dieses Mal standhaft.

Höhlenwohnungen unterhalb von Zungri

Höhlenwohnungen unterhalb von Zungri

Serra San Bruno / Wallfahrtskirche

Serra San Bruno / Wallfahrtskirche

Kartäuserkloster bei Serra San Bruno: Ausgangspunkt für unsere Wanderung

Kartäuserkloster bei Serra San Bruno: Ausgangspunkt für unsere Wanderung

© Thomas B., 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir waren März / April 2014 5 Wochen in Kalabrien und der Basilikata (mit ein klein wenig Sizilien). Wir hatten 4 verschiedene Ferienwohnungen und haben von dort aus Wanderungen unternommen und Städte bzw. Landschaften besucht.
Details:
Aufbruch: 11.03.2014
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 18.04.2014
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Thomas B. berichtet seit 10 Jahren auf umdiewelt.
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