Frühjahrsreise durch Kalabrien und die Basilikata

Reisezeit: März / April 2014  |  von Thomas B.

Gerace: ans Jonische Meer

Gerace  die byzantinische Kirche in der Unterstadt

Gerace die byzantinische Kirche in der Unterstadt

Gerace auf dem Dach des Palazzo  Blick Richtung Jonisches Meer

Gerace auf dem Dach des Palazzo Blick Richtung Jonisches Meer

Ins historische Gerace

Ans jonische Meer - ins historische Gerace

Morgens bedeckt, unsere Sachen sind im Wesentlichen gepackt. Heute geht es nach dem Frühstück weiter Richtung Gerace. Wir wehseln vom tyrhennischen zum jonischen Meer.
Aber zuerst fahren wir noch an der tyrrhenischen Küste entlang bis Falerna und wir stellen fest, dass unser zumeist so ruhiges Meer jetzt plötzlich mit hohen Wellen und weißer Gischt schäumt. Dann geht es quer übers Land, dort wo Kalabrien recht schmal wird und zwischen Apeninn im Norden und Aspromonte im Süden eine Lücke ist.
Valeria hatte gesagt, die jonische Küste sei im Gegensatz zur tyrrhenischen trocken ("non humido"). Diese "Trockenheit" holt uns kurz hinter Catanzaro ein. Es gießt wie aus Kübeln, die Flüsse und Bäche sind angeschwollen und führen braunes, lehmiges Wasser, die Straßen sind überflutet. Das also ist die "Trockenheit" der Ostküste. Dann aber bei Sta.Catarina ein Lichtblick, es regnet nicht mehr, die Sonne kommt raus. Wir gehen am Meer spazieren, am Sandstrand entlang. Die jonische Küste ist ein langer Sandstrand, die tyrrhenische war zumeist grauer Kiesel vulkanischen Ursprungs. Eine ganze Gruppe Autos kommt an. Männer springen heraus, schnell werden Surfbretter und Segel herausgeholt, Thermoanzüge übergestreift und dann geht es in die tosenden Wellen, ein überraschendes buntes Schauspiel, nachdem wir wenige Kilometer zuvor noch von Wolkenbruch zu Wolkenbruch gefahren waren. Höhepunkt sind zwei Drachensurfer, die mit unglaublicher Geschwindigkei über die Wellen rasen. Dann aber fängt es an zu tröpfeln und wir gehen zurück zum Auto, bevor uns der nächste Wolkenbruch ereilt. Wieder schüttet es.

In Gioia Jonia sieht I. ein Lokal mit einer Art Wintergarten und wir beschließen zu Mittag zu essen. Es ist allerdings schon ½ 3 Uhr und wir hatten an einer Autobahnraststätte nur ein Mini-Cornettino zu uns genommen. Es lohnt sich! Hervorragend: Salat bzw. Salat mit Thunfisch, Fischplatte (opulent!) bzw. Spaghetti mit Seppia und einer Kartoffelsauce (!!). Dann ein kleines Eis mit Espresso.

Im Dauerregen erreichen wir Locri. Das alte griechische Locri, woher Mario Adorfs "halbe Wurzel" nämlich sein Vater herstammt, wie ich seiner Biografie "Mäusetöter" entnommen habe. Und ganz hoch droben, 420 m.ü.M. Gerace, auf einen riesigen Kalksteinblock gelegen. Wir fahren hoch, umrunden die Stadt auf steilen Wegen, gleiten durch die engen, steilen Straßen der Altstadt wieder nach unten und finden die "Piazza del Tocco", finden den Tabacchi, bei dem wir uns einzufinden haben aber der ist zu. Wir telefonieren, keine Verbindung, bis wir kapieren, bzw. wir kapieren es nicht, dass wir keine italienische Vorwahl brauchen. Kurz und bündig meldet sich Signore Mario Zavaglia. Kurz und bündig wird die Kommunikation vorerst bleiben. Der Signore steigt zu uns ins Auto, wir fahren ganz nach unten durch die "Porta del sole", nochmals rund um die Citta, dann parken wir am Ende des "Largo de tre chiese".Wir packen einen Teil unseres Gepäcks und es geht drei- viermal in ein immer wieder anderes Gässchen und wir stehen vor dem großen Holztor des Palazzo. Mit einem riesigen Schlüssel wird ein kleines Tor innerhalb des großen geöffnet, so klein, dass ich mir, wenn ich nicht aufpasse, fürchterlich den Schädel anschlage. Und ich werde nicht immer aufpassen. 1,83 haben halt auch ihre Nachteile.

Dann durchs Portal, eine steile Treppe hoch, Putten überall, Pflanzen, eine grüne Türe, wir sind im Palazzo. Eine Dame kommt. Mia moglie" erkärt uns der Signore, dann noch einige Besonderheiten (Gas, Aufgänge, Garten) und sie sind verschwunden. Im Palazzo herrscht eine skurrile Ansammlung von Bildern und Gegenständen. Marmortischchen à la 19.Jahrhundert und Einbauküche à la 50er Jahre des 20.Jahrhunderts. Wassermühle "handgeschnitzt und handgemalt", Original Black Forest, Stoffdruck aus Massachusetts, schmachtende Dame am Ertrinken (vielleicht), kitschige Gemälde aller Qualitätsstufen und Padre Pio nebst Madonna über dem Bett, fast blinde Spiegel und, und, und......
Schon der Treppenaufgang: Eintritt in eine verborgene Welt. Und der Garten: Zinien, Palmen, Mandarinenbäume, Putten.... Grandios aber die Ausblicke über die Dächer von Gerace, diese dunkelroten, historischen Dachziegel, vemoost und von Blumen bewachsen. Aus dem Bad durch ein ovales Fenster Blick nach Locri und zum Meer.

Getopt wird aber alles durch die Dachterrasse, eine halsbrecherische Wendeltreppe hinauf, dann steht man über der Stadt, im Osten das jonische Meer in allen Farben schimmernd sowie Locri, die Stadt der Griechen und Mario Adorfs. Im Westen der Normannendom, der größte Dom Kalabriens. Dahinter das Aspromonte-Gebirge.
Oder aber Nebel. Von den Bergen herziehend, ein paar Löcher noch, die am Abend einige Sterne zeigen, dann Regen, erst sanft, dann platschend, schneller Rückzug ist angesagt. I. hat, wie auch immer, 2 Stühle und ein Tischchen die enge Wendeltreppe hoch bugsiert und wir trinken am nächsten Morgen unseren ersten Morgenkaffee über den Dächern, bis der Regen uns vertreibt.

Aber noch sind wir nicht soweit. Nachdem die Zavaglias gegangen sind, wollen wir unser restliches Gepäck holen. Mit Rollkoffer und allem was wir tragen können, scheppern wir übers Katzenkopf-Pflaster. Erst links, dann ... ja, wie? Wir sind an drei plaudernden alten Damen vorbei gekommen und sind jetzt wohl einmal ums Carré marschiert. Da stehen wir wieder. "Via Politi", frage ich schüchtern die kommunikative Runde. Freundlich erkären sie "destro, sinistro, destro...." - wieder stehen wir da, sie kichern und eine der Damen läuft kurz vor uns her, wir waren zwei Mal fast an der Haustüre vorbei marschiert.... Später stellen wir fest, dass die Via Politi recht verwinkelt ohne einen nachvollziehbaren Verlauf sich durch die Altstadt schlängelt. Noch später entdecken wir, dass man von fast jedem Punkt aus unsere Dachterrasse sehen kann.

Am Sanstagabend und am Sonntagmorgen erkunden wir Gerace, die Oberstadt und auch die etwas tiefer gelegene Unterstadt. Es gibt mehr als ein Dutzend Kirchen, teils in gutem Zustand, teils renoviert, teils in Renovierung begriffen, teils mehr oder weniger zerfallen. Das Prachtstück natürlich der Normannendom, riesig, dreischiffig aber schlicht, nur in zwei Seitenkapellen hat man etwas Barock zugelassen. Riesige Säulen, jede anders, sie sollen von den Bauwerken des alten griechischen Locri stammen. Interessant auch die Krypta, ebenfalls riesig mit einem kleinen Museum verbunden. Genauso bewundernswert San Francesco, oben am Platz der drei Kirchen, nahe unserem Palazzo. Frisch renoviert aber fast völlig leer bis auf einen kleinen westlichen und einen großen östlichen Altar, byzantinische Wunderwerke aus weissem und buntem Marmor. Weltweit einmalig, erklärt uns der Custos, bevor er uns um einen kleinen Obulus bittet.

Unten in der Unterstadt ist eine runde byzantinische Kirche, der Madonna geweiht, der Altar über und über mit Blumen vollgestellt. Ganz oben, auf dem höchsten Punkt der Stadt, der Spitze des Felsens, die Normannenburg, zerstört durch ein Erdbeben, aber man kann noch die ehemalige Größe ahnen.

Als es wieder zu regnen beginnt, huschen wir schnell in eine Bar, bekommen zu Bier und Wein ein Tablett voll kleiner Schmankerln oder wir trinken in einer anderen Bar Capuccino und bewundern die Patisserieartikel, ganze Pakete werden hier gerichtet und abgeholt.
Am Sonntagnachmittag regnet es sich ein, wir werden lesen, Spiele machen. Offensichtlich haben wir vom Wetter her einen Wochenrhythmus: Sonne pur in Cocorino, (Schnee-) Regen in Potenza, Sonne (aber auch Sturm) in Cetraro und jetzt Regen in Gerace. Hoffentlich geht es nicht die ganze Woche so weiter, wir wollen ja noch ins Aspromonte-Gebirge und zumindest auch nach Reggio.

Während wir gerade wieder einmal bei einsetzendem Regen von der Aussichtsterrasse an der Porta del Sol (!) aufbrechen, erhalten wir ein SMS von unseren Töchtern: "Sitzen oben im Sonnenschein bei der Burg Rötteln (bei Lörrach an der Schweizer Grenze)". Na ja, der Süden halt (Deutschlands).
Am Abend schauen wir auf Regen und Nebelwolken, sitzen im Erkerchen vor dem Fenster Richtung Meer (das wir nicht sehen), spielen Scrabble und Kniffel bei laufendem Elektroheizer und wärmen uns mit einem Grappa.

Ins raue Gebirge / Irfahrt im Aspromonte

In der Nacht habe ich Sterne gesehen, am Morgen ist es hell, leichter Nebel noch über den Bergen. Einzelne Wolken noch, aber über dem Meer geht die Sonne auf. Von der Dachterrasse aus ist der Anblick einfach atemberaubend und zwar in jede Richtung. Das Meer in seinen Farbnuancen, die umwölkten Berge, die rot-ocker-grauen Ziegeldächer. Wir trinken unseren Kaffee auf der Dachterrasse, wo es zuerst windig ist, später lässt der Wind nach. Eine große schwarze Wolke schiebt sich vor die Sonne, die nur noch als goldener Widerschein auf dem Meer zu sehen ist.

Wir frühstücken in unserer Ecke, wo uns jetzt statt des Heizstrahlers die Sonne wärmt. Käse und Feigenmarmelade, gerade wie im Herbst in Korsika.
Wir beschließen ins Aspromonte-Gebirge zu fahren, zu den "rauen Bergen".

Die Strecke westlich von Gerace führt direkt ins Gebirge: Schluchten, Felsen, Ginster, eine tolle Landschaft. Auf der Straße die Souvenirs des Unwetters: kleine Felsrutsche, Äste, kleine Bäche, die über die Straße laufen. Es geht hoch über einen Pass, dann ins Tal Richtung Cittanova. Es ist plötzlich vorbei mit der Sonne, Nebel quillt. Rund um Taurianova riesige Olivenwälder mit großen, alten aber sehr gepflegten Bäumen, teilweise fast parkartig. Dann geht es wieder in die Höhe, die Straße wird enger, steiler, Serpentinen. Oppido Mammertina (später lese ich in "Wikipedia", der Ort sei Unterschlupf der `Ndrangheta), dann hoch nach Sta.Cristina. Aber die Straße ist gesperrt, aus unserer Wanderung zu den Wasserfällen des Amandolea wird wohl nichts, vermutlich ein Erdrutsch nach den vielen starken Regenfällen. Wir beschließen über Plati zum jonischen Meer zurück zu fahren, das tyrrhennische sehen wir als schmalen Streifen von der Höhe aus. Wieder eine Straße gesperrt aber wohl schon seit Herbst letzten Jahres. Wir versuchen es trotzdem. Aber dann beginnt die Katastrophe, riesige Felsbrocken liegen da, die Straße wird plötzlich so schmal, dass wir gerade noch durchkommen, links fehlt die Begrenzung und es geht direkt in die Tiefe..... Dann eine kurze Galerie, Moniereisen schauen aus der Fahrbahn, riesige Schlaglöcher. Wir kehren um, "fliehen" aus den rauen Bergen, suchen die Schnellstraße Rosarno - Gioiosa Jonica und sind in Kürze wieder am jonischen Meer.

Zu Plati: Das Dorf gilt als Hochburg der `Ndrangheta. Hier soll es unterirdische Gänge und Kammern mit getarnten oder versteckten Türen geben, welche den Mitgliedern der Verbrecherorganisation ein Verschwinden bei Gefahr ermöglichen. Trotzdem versucht der italienische Staat immer wieder, Herr der Lage zu werden. Beispielsweise stürmten am 13. November 2003 insgesamt über 1000 Carabinieri nachts das Dorf, wobei 131 Verdächtige festgenommen wurden. (Quellen: Wikipedia / Süddeutsche Zeitung)
Bei Locri legen wir uns an den Strand. Sonne ohne Ende. Zumindest mit den Füssen wate ich durchs Meer.

Bummeln in Locri und um Locri herum

Sonnenaufgang auf der Dachterrasse, fast windstill. Das Meer wieder in allen Farben von hellblau bis dunkelblau und von der Sonne von gelb bis dunkel-orange gefärbt. Heute gibt es ein reines Locri-Frühstück auf der Küchenterrasse, seit es warm ist unser bevorzugter Essplatz. Eine hübsche Siamkatze besucht uns, bettelt diskret mit ihren blauen Augen....

Gegen 10 Uhr fahren wir runter nach Locri. Die Hauptstraße rauf und runter, Kaffee und süße Stückchen im "Corso". Erstaunlich die Anzahl der Läden aber oft seltsam die Auswahl, eine Buchhandlung hat keine einzige Landkarte der Region, ein Tabacchi bietet Postkarten an, die wohl schon die Zeit der Griechen, na ja, sagen wir mal Normannen erlebt haben dürften.... Dann aber edle Damenmode, gleich drei teuere Geschäfte. Wer kauft hier ein? Die Leute mit den auffällig häufigen Mercedes, BMW oder Audi? Oder die Touristen? Wobei die Touristen hier wohl eher aus Napoli oder Roma kommen als aus dem restlichen Europa. Oder sind auch schon die Russen da wie in Baden-Baden?

Ich brauche einen neuen Geldbeutel ("portofolio"), mein alter verliert das Kleingeld und er ist noch nicht einmal ein halbes Jahr alt. Im Lederwarengeschäft gibt es nur wenig Auswahl. Bedauernd verlassen wir den Laden. Später stellen wir fest, dass Mario Zavaglia in seinem "Tabacchi" auch eine kleine Auswahl an Lederwaren hat, für "trenta" €, nein sogar 28,50 erhalte ich einen wunderschönen neuen Geldbeutel und Mario ist plötzlich wesentlich gesprächiger.

In einem witzigen Second-Hand-Shop finden wir zwischen unglaublichem Kitsch ein hübsches Kristall-Seepferdchen für unsere Enkelin. Die Verkäuferin packt es uns "überseefest" ein.... Dann gehen wir uns zum Strand und legen uns mit Lektüre einfach für eine Stunde in die Sonne.... Später fahren wir südwärts, um das antike Locri zu sehen aber das Museum und das griechische Theater haben geschlossen. Dafür fahren wir kurz vor Gerace ein schmales Seitensträßchen ins Tal hinunter, enge Serpentinen und Hügel voller Blumen, rote nelkenartige, riesiger gelbblühender Fenchel, Margeriten und dazwischen Olivenbäume und eine kleiner Bach als Entschädigung für das altgriechische Theater. Wir fahren das Sträßchen weiter, es wird felsig, einige Häuser, dann stellen wir fest, dass wir rund um Gerace fahren können und kommen so in unser Städtchen und parken wieder am "Largo delle tre Chiese".
Wir wandern noch einmal in die Unterstadt, dieses Mal ganz bis auf den vordersten Sporn, finden einen schön angelegten Pinienwald, in der Mitte ein Denkmal zur Erinnerung an 4 Erschossene, 1847.... 1847/48/49 die Jahre der Revolutionen, als es überall in Europa brodelte....

Gleich neben dem Pinienwald der Friedhof, wieder diese riesigen Grabkammern, eine fast unheimlich, dunkel, sehr tief, doppelstöckig, einige Lichter funzeln... Zurück zur Unterstadt, an der byzantinischen Kirche vorbei, dann den steilen Weg hoch.

Wir sitzen dann auf einer Bank und schauen aus der Vogelperspektive auf das Serpentinensträßchen unserer Mittagstour runter, wo wir mehrfach gesagt hatten "Hoffentlich kommt keiner entgegen". Nicht nur die Enge der Straße, kaum Ausweichmöglichkeiten, auf einer Seite ist ein ca. 30 cm tiefer gemauerter Graben, wenn man da mit den Rädern rein kommt.... Da biegt ein Traktor mit Anhänger ein, der die Kurven immer im vollen Radius nehmen muss. Langsam zuckelt er Kurve um Kurve runter. Da kommt von unten ein PKW, die beiden können sich natürlich nicht sehen, der PKW-Fahrer hupt vorsichtshalber vor jeder Kurve, aber, wir sehen es kommen, an der engsten Schleife treffen sie sich, der PKW muss zurückfahren, der Fahrer wirkt da nicht ganz so geübt, zumal er ja schon eingangs der Kurve steht, irgendwie schaffen sie es und kommen aneinander vorbei. Wir beobachten das Ganze natürlich ohne jegliche Schadenfreude. An den nächsten Tagen sitzen wir wieder da, aber nichts Vergleichbares geschieht, ein kleinerer Traktor zuckelt einmal runter, aber bevor es zu einer Begegnung kommen kann, biegt er in seinen Acker ab....

Auf der Dachterrasse gibt es einen Grappa, wir genießen die Meer-Berge-Dächer-Aussicht. Drei schwarze Katzen, wohl zwei Kater und eine Katzendame, maunzen und schreien auf einem Dach. Eine alte Frau droht ihnen mit dem Besen, was die drei überhaupt nicht interessiert. Wie in Starre verfallen mustern sie sich, bis einer der Kater einsieht, dass seine Stunde als "Lover" nicht geschlagen hat und das Pärchen sich auf ein niedriger gelegenes Dach zurückzieht. Die alte Frau droht noch immer mit dem Besen.

Wieder ein prachtvoller Sonnenaufgang auf der Dachterrasse. Wir fahren nach Ciminà. Wir haben einen Prospekt, der drei Wanderwege ankündigt, einen zu den "drei Zinnen". Die Felsen sehen wir, kommen auch das enge Sträßchen hoch. Seltsam der Ort. Die Hauptwege akkurat neu gepflastert (EU-Programm!), die Kirche neu verputzt, sonst tote Hose! Eine Bar (bzw. ist es überhaupt eine?), wir bekommen 2 Capuccini, ansonsten sind die Regale fast leer. Wir sollen in einen dunklen, seltsam möbilierten Nebenraum sitzen, aber wir wollen lieber draußen sitzen. Da gibt es zwar zwei kleine Tischchen und auch zwei Stühle, auf die sich, aufeinander gestapelt, ein ständig grinsender Kerl stützt, einige Männer sitzen wie er auf Bänken und glotzen uns an. Wir lassen uns auf einer Holzbank nieder. Nach einer Weile rückt der Wirt (?) eines der Tischchen zu uns. Die Wirtin redet mit einem Kind laut und seltsam, die alten Männer unterhalten sich und fixieren uns ununterbrochen. Was sprechen sie? Italienisch oder das alte Griechisch, das Grekanisch? Neben dem Alberesch, dem Albanischen wird das hier in den Bergen noch gesprochen.

Ein Kerl in einem Bundeswehrhemd (mit Deutschland-Abzeichen) kommt mit einem Jeep. Zwei folgen ihm gleich in die Gaststube. Wir zahlen und machen einen Rundgang über die edel gepflasterten Gassen. Irgendwelche Hinweise zu den Wanderwegen finden wir nicht. Als wir zurück kommen, stehen einige, die vorher vor dem Café (?) saßen um unser Auto rum, drehen sich dann aber weg und bewundern die schöne Landschaft.... Wir steigen ein und verlassen den seltsamen Ort.... Nachbarort von Ciminá ist übrigens Plati (siehe oben).

Auf der anderen Talseite besuchen wir die Kirche "Madonna della Grotta", bewundern aber hauptsächlich die Schwalben an der Außenmauer, mindestens 20 Schwalbennester sind da oben. Man ist eifrig am Einrichten und wohl auch Werben. Nach einer Serpentine lassen wir uns auf 2 Steinen nieder,genießen die Aussicht auf das Tal, die Olivenbäume und die riesigen gelbblühenden Mimosenakazien.

Reggio di Calabria und die Krieger aus Bronce

Wir wollen nach Reggio, speziell ins "museo archeologico". Vorher lassen wir noch eine Waschmaschine laufen. Denken wir. Plötzlich fällt der Strom aus, wir finden dank der Unterstützung eines älteren Herrn, der in der Parallelwohnung übernachtet (ein Augenarzt, wie wir später erfahren), den Sicherungsschalter. Kurz funktioniert wieder alles, dann Stillstand. Nach dem dritten Versuch holen wir die Wäsche aus der Maschine, spülen sie im Handwaschbecken, wringen sie dann jedes Stück einzeln über der Dusche aus, hängen dann notdürftig alles auf dem Balkon und in den Zimmern auf. Dann los Richtung Süden.

Schon seit Tagen stellen wir fest, dass, wenn der Wagen niedertourig läuft, plötzlich das rote Öllämpchen leuchtet. Dann kommt noch ein weitere Signal dazu: "Schlechte Motorleistung". An einer Tankstelle prüfen wir den Ölstand, der Tankwart bestätigt: "zu wenig Öl". Gemeinsam versuchen wir (drei Mann) den Öldeckel abzuschrauben, es klickt nur, er geht nicht auf. Wir fahren weiter, fragen nach einer FIAT-Werkstatt (manche Italiener sind verwundert, dass Deutsche FIAT fahren) und finden schließlich eine, wo wir äußerst zuvorkommend bedient werden und das zur Mittagszeit. Der Mechaniker bekommt sogar ganz "tricky" den Deckel auf (was er stolz vermerkt), man hängt unseren Wagen an das Diagnosegerät, füllt Öl nach und alles ist ok. 60 € kostet der ganze Spaß und wir sind zufrieden, kein Lämpchen leuchtet mehr im falschen Moment.

Dann leitet uns das Navi durch Reggio, Verkehrschaos höchstens 3 Punkte in der nach oben offenen Chaosskala (Palermo 20 Punkte). Wir parken unmittelbar in der Nähe des archäologischen Museums. Doch zuerst ins Café Vittorio Emmanuele, wo wir einen Pistazienkuchen essen, dessen Kalorien wohl für den Rest der Woche reichen, der aber wunderbar schmeckt. Fürs Parken müssen wir übrigens beim Tabacchi 3 Biglietti kaufen (1 € je Stunde), auf denen man dann Jahr, Monat und Tag jeweils freirubbeln muss. Da die Italiener sowieso laufend irgendwelche Lose rubbeln, macht ihnen das sicherlich Spaß.

Dann ins Museum, wo man unsere 50 € nicht wechseln kann, zurück ins Café, wo man das gerne tut. Man kennt uns ja. Dann in die Ausstellung. Zuerst das Besondere. Ein Freizeit-Taucher hat hier ganz in der Nähe, bei Riace, im Meer einen Arm aus dem Wasser ragen gesehen, war erst fürchterlich erschrocken aber es waren keine Mafia-Leichen sondern zwei überlebensgroße Broncekrieger. Wirkliche Prachtexemplare, Höhepunkte der griechischen Bildhauerkunst, perfekt im Ausdruck mit perfekt gestalteten Körpern. Eine Führerin, die gerade eine Schulklasse herumführt, weist die halbwüchsigen Damen extra auf die ideal modellierten Hinterteile hin.
Außer den Kriegern gibt es noch den Kopf eines Mannes, den "Basile". Kurz nach der Bergung aus einem Schiff bei Villa San Giovanni war er in dunklen Kanälen verschwunden und bei einem Antiquar in Basel wieder aufgetaucht. Er wurde vom italienischen Staat zurück gefordert. Ein zweiter (und von unserem Reiseführer besonders gelobter) Kopf, der "Philosoph" ist zur Zeit nach Rom ausgeliehen.

Um zu den Broncen zu gelangen muss man übrigens durch eine Akklimatisierungsschleuse, nach drei Minuten öffnet sich die Türe und man darf zu den gut gestalteten Kriegern.

Im Vorraum sind noch zwei Terrakotta- und zwei Marmorplastiken, der Rest des Museums wird gerade renoviert, sagt man uns, dabei handelt es sich um ein nagelneues Gebäude mit 6 Stockwerken. Im zweiten Flügel ist eine seltsame Ausstellung zum Verdi-Jahr (war das nicht 2013?) mit alten Schallplattenhüllen, Filmplakaten (Sophia Loren hat mal die Aida gespielt, hoffentlich nicht gesungen!) und bedeutungslosem weiteren Schnickschnack. Der Ton der Videos mit alten Opernaufnahmen kann man übrigens so gut wie nicht hören, weil im Nebenraum mit stark hallender Akustik ein Jazz-Quartett wohl für eine Abendveranstaltung übt.
Schon ein seltsames Museum, natürlich die Broncekrieger, aber wir kommen uns doch vor, als hätte man in den Uffizien in Florenz gerade mal zwei Boticellis und noch einen Bellini gezeigt, die restlichen Säle würde man gerade renovieren....

Ein kleiner Lidobummel noch, der Blick aufs nahe Sizilien, der Etna in Wolken. Reggio bietet sonst wenig, war es doch, wie auch Messina gegenüber, anfang des 20.Jahrhunderts von einem Erdbeben fast völlig zerstört worden. Interessant die Bäume parallel zur Uferpromenade, darunter riesige Magnolien-Feigenbäume. Die Feigen sind allerdings winzig und nicht essbar.

Zurück fahren wir über Cittanova über den Pass, den wir vor einigen Tagen im Nebel gefahren waren und genießen bei Sonnenschein die tolle Aussicht. Und: Wir kommen direkt in Gerace an. Mario kommt wegen des Strom-Malheurs, wir kommen ins Plaudern, stellen fest, dass wir beide gleich alt sind und beide Töchter haben, die Rechtsanwältinnen sind...

Abschied vom Palazzo, "Sperberbesuch" und mit Umwegen nach Hause

Wolkenloser Himmel. Ich bin dick eingemummt um ½ 6 schon oben auf der Dachterrasse, es ist zwar fast windstill aber doch noch recht kühl. Ein orangefarbener Streifen am Horizont, über Locri steht noch die Venus. Dann steigt die Sonne aus dem Meer, jedes Mal wieder ein aufregender Moment, alles wird rosa / orange / gelb....

Frühstück auf dem Küchenbalkon, unsere blauäugige Freundin, das Siamkätzchen, fühlt sich schon recht zur Familie gehörig.
Heute wollen wir ins Museo in Locri, um die alten griechischen Stätten zu sehen und dann ein wenig am Meer entlang wandern. Dann gegen Mittag ins Restaurant Sparviero. Dann heißt es schon wieder packen, denn wir wollen am Samstag früh los Richtung Sizilien / Palermo, wo unser Schiff nach Genua hoffentlich schon auf uns wartet,.

Das Museo Locri fällt aus, wir haben keine Lust. Genug Kultur, genug Magna graecia. Dafür fahren wir ans Meer, halten aber voher am Ortseingang von Locri bei "prodotti tipici", was wir schon lange tun wollten. Ein junges Ehepaar verkauft (größtenteils) eigene Produkte: Wein, Käse, Salami usw. Die Frau spricht gut englisch, es stellt sich heraus, dass sie aus Rumänien stammt. Wir plaudern ein wenig, sie füllt uns noch 2 Liter Olivenöl "von den Großeltern" in Wasserflaschen ab und wir dürfen den Wein probieren. Zum Schluss bekommen wir noch einige Hände voll Bohnen geschenkt. Dann fahren wir zum Strand. Decke ausgepackt und hingelegt, Sonne pur genießen....

Sparviero heißt Sperber, und ein Sperber soll den vertriebenen Einwohnern Locris nach Piratenüberfällen den Weg auf den Berg gewiesen haben, wo sie die Stadt Gerace gründeten. Und: Sparviero heißt die urige Osteria: Opa, Sohn, Enkel, außer uns noch ein Paar. Derbe Tische, wenig Auswahl aber alles hervorragend und original kalabresisch.

Bei der Frau, die am Nachbartisch munter Italienisch spricht, stellt sich heraus, dass sie Schweiz-Österreicherin ist, seit 20 Jahren in Kalabrien als Wanderführerin lebt, natürlich alle Orte kennt, an denen wir gewesen sind. Ins Gespräch kommen wir, weil an der Wand Fotos von 1948 hängen, die das karge Aspromonte-Leben darstellen.
Nach dem Essen werden wir von den drei Wirtegenerationen per Handschlag verabschiedet. Ob das im August, wenn alles voll ist, auch geschieht?

Am nächsten Morgen aufstehen und noch ein Sonnenuntergang von der Dachterrasse... Frühstück, zusammenpacken. Punkt neun Uhr verlassen wir unseren Palazzo mit Wehmut. Beim Tabacchi ist nur Marios Sohn. Wir geben den Schlüssel ab und verabschieden uns.

Noch einmal Locri, ein wenig noch am jonischen Meer entlang, dann auf die Schnellstraße Richtung Tyrhennisches Meer. Kurz vor Rosarno zweigen wir wieder gen Süden ab, in der Ferne sehen wir den dampfenden Stromboli aus dem Meer ragen. Dann sind wir bald in Villa San Giovanni mit Sizilien vor Augen.
Ein freundlicher Herr leitet uns zum Biglietti-Schalter, putzt dann fachgemäß unsere Vorderscheibe und erwartet natürlich einen Obulus. Den hat er sich verdient.

Dann sind wir wieder in der Fähre, überqueren die "Stretta di Messina" und kurz darauf sind wir auf sizilianischem Boden. Ein wenig durch Messina und wir sind auf der Autobahn Richtung Palermo. Bei einer Raststätte gibt's Capuccino mit Cornettini und einen fantastischen Ausblick auf die Eolischen Inseln. Die freundliche "barista" erklärt es uns ganz genau: Vulcano, Salina und Lipari und die kleinen Filicudi und Alicudi und ganz hinten der Stromboli, der bedenklich qualmt.

Gegen 14 Uhr sind wir bei Cefalu, das wir ja schon kennen, und erleben den ersten frühösterlichen Touri-Trubel. Überall Engländer, sind noch welche auf ihrer Insel? Ein älterer Herr am Nebentisch erzählt von seinen "beautiful country", er ist aus Neu Seeland. Eine Dame macht auf Sommer im tiefdekolletierten dünnen Sommerkleidchen, fröstelt aber missmutig durch die Gegend. Wieso Nebentisch? Wir sind ins erstbeste Ristorante gegangen und essen Meeresfrüchtesalat und jeder eine Portion Spaghetti, I. bleibt bei den Meeresfürchten, ich nehme "con sardo" also mit eingelegten Sardinen. Alles ganz hervorragend!

Durch die bunten Straßen hoch zum Normannendom vor dem gewaltigen Felsen, den wir vor vielen Jahren bestiegen hatten und uns noch erinnern, oben einen Kräutersammler getroffen zu haben, der uns stolz die einzelnen Kräuter erklärte.
Dann aber in den riesigen Normannendom, der allein schon eine Besichtigung wert ist, noch höher als der in Gerace und das Prunkstück, die goldfarbenen Mosaiken über dem Altar, der riesige Christus, die Engel. Der byzantinische Einfluss unverkennbar. Die Normannendome von Monreale, Palermo und Cefalu sind ohne Zweifel zu den Höhepunkten Siziliens zu zählen. Dann besuchen wir den Kreuzgang. Obwohl die Hälfte der Säulen derzeit restauriert werden, ist es dennoch eindrucksvoll genug, es gibt ein Blatt mit Erklärungen, was bei der uns oft unverständlichen Ikonografie sehr hilfreich ist.

Aber dann nähern wir uns der "Krake" Palermo, finden ohne Umweg den Hafen, natürlich wieder "Palermo as usual", Verkehr als Improvisation, zwei Spuren werden plötzlich zu vieren, Stopp-Schilder haben nur eine dekorative Bedeutung. Aber ich habe ja inzwischen Routine und weiß, wann man sanft (oder weniger sanft) drängeln muss, wann jemand vorlassen und komme ganz gut voran, immerhin ist es meine fünfte Palermo-Durchquerung.

Dann am Hafen wird unsere Reservierung schnell in Biglietti umgewandelt, alles scheint besser organisiert zu sein als in Genua. Wir stehen aber dann doch in der falschen Reihe, es ist die Warteschlange der nicht-reservierten LKW, aber wir sind schnell durch eine Lücke zwischen zwei LKW zur richtigen Seite vorgestoßen.

Wieder ruhige Überfahrt, eine Übernachtung in Genua und Rückfahrt über Aosta, wo wir in einem interessanten Steinhaus in den Bergen noch drei Nächte übernachten und dann nach einer internen "Gehirnwäsche" in Sachen Autofahren durch die Schweiz und zurück in Badische.

Fazit: Kalabrien und die Basilikata haben uns überrascht. Die äußerst abwechslungsreiche Landschaft, die Geschichte, die wie ein offenes Buch vor einem liegt (vor allem die der Griechen und Normannen) und die zumeist sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen. Dazu die vier Unterkünfte, völlig unterschiedlich aber jede mit eigenem Charakter. Nur mit dem Aspromonte-Gebirge haben wir uns nicht völlig angefreundet, vielleicht hätten wir uns der Wanderführerin Sabine Ment, die wir in Gerace angetroffen haben, anvertrauen sollen!

Gartenaufgang in den Palazzo in Cetraro

Gartenaufgang in den Palazzo in Cetraro

Sonnenaufgang über den Dächern von Gerace

Sonnenaufgang über den Dächern von Gerace

Blumenhügel zwischen Locri und Gerace

Blumenhügel zwischen Locri und Gerace

Cefalu - Kreuzgang "die Akrobaten"

Cefalu - Kreuzgang "die Akrobaten"

© Thomas B., 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir waren März / April 2014 5 Wochen in Kalabrien und der Basilikata (mit ein klein wenig Sizilien). Wir hatten 4 verschiedene Ferienwohnungen und haben von dort aus Wanderungen unternommen und Städte bzw. Landschaften besucht.
Details:
Aufbruch: 11.03.2014
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 18.04.2014
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Thomas B. berichtet seit 10 Jahren auf umdiewelt.
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