Polnische Wirtschaft privat

Reisezeit: Juli / August 2002  |  von Manfred Sürig

Neuer Anlauf - gut Arbeit ?

Sonnabend, 3.August 2002

Der Wetterbericht sagt erst für heute nachmittag wieder Gewitter an. Als Marek gegen 10 Uhr endlich erscheint, ziehen schon schwarze Wolken auf. Ich bin heilfroh, als er von selbst sagt, dass er noch nicht laminieren will. Bleibt noch weiter Zeit zum Trockenpusten und abschleifen.
Doch Marek hat eine Idee: Da das Bier alle sei, sollte ich doch eine Butterfahrt machen, als Deutscher hätte ich die doppelte Freimenge wie die Polen, und dann sollte ich doch auch gleich Schnaps mitbringen. Keinen einfachen Zubrowka, nein, da gäbe es 96%igen Alkohol in Literflaschen, verdünnen könne man ja später. Gesagt, getan, ich erhole mich 4 Stunden über Mittag auf dem Butterdampfer und komme schwer bepackt zurück. Nun kommt auch der angesagte Regen und es geht am Boot gar nichts mehr. Wir lassen das Gebläse an und Marek lädt spontan zum Grillen bei sich zu Haus ein.

Angesichts des mitgebrachten Schnapses paßt mir das gar nicht, aber noch einen Tag mir das Gebläse an Bord anzuhören ist eine noch schlechtere Alternative. Mit Hingabe kauft Mareks Schwager frische Hühnchen am Markt, schleppt eine Kiste Bier an und Marek baut aus den Resten eines defekten Kühlschrankes einen Grillrost. Seine Frau bereitet die Kartoffeln vor, eine Suppe steht schon auf dem Herd. Die Luft in der Wohnküche ist zum Durchschneiden. Wie will er bei dem Regen den Grill nur anheizen ? Aber Marek schafft auch das, nur dauert es etwas länger, bis die Hähnchenschenkel gar sind. Inzwischen muß das Bier herhalten, und aus dem 96%igen Alkohol hat Marek in Windeseile ein paar Flaschen irgendeines farbigen Gesöffs zuammengemixt. Stolz gibt er mir zu kosten. Über 30 % hat das Zeugs, das er Likör nennt, bestimmt noch. Ich spüle mit Bier nach, da hat er mir schon den nächsten eingegossen. Den lasse ich aber lange stehen, und er nimmt es mir nicht übel. Den ganzen Nachmittag wird gegrillt, gegessen und getrunken, Gott sei Dank hat seine Frau auch eine Flasche Wasser für mich bereit. Die Hähnchenschenkel von freilaufenden Hühnern schmecken sogar ausgezeichnet, aber wann wird die Arbeit am Boot wohl weitergehen ? Eine dreiviertel Flasche Zubrowka und alle Mixgetränke sind verkonsumiert und Marek ist recht laut, als endlich der Regen aufhört.

Nun gehen wir zum Boot, mit einer Flasche Bier in der Hand. Es ist bald 20 Uhr, da packt Marek noch die Arbeitswut. Jetzt könnte er laminieren und heute noch alles fertigmachen! Du meine Güte, wie soll das gehen, in zwei Stunden ist es doch dunkel. Für ihn kein Problem. Sein Schwager wird angewiesen, Harz anzusetzen und Glasmattenstücke zuzuschneiden. Ich schlage ihm vor, erst einmal die Innenseite des Bootes zu laminieren, denn die sei sicher knochentrocken. Die Idee findet er gut, und los geht es. Zu dritt sitzen wir in Binkys Kajüte, das Bier ist ausgetrunken und der Meister geht mit sicherer Hand an die Arbeit. Tatsächlich legt er die Matten sauber auf und tupft alle Kanten so geschickt ab, dass keine scharfen Ecken entstehen und auch kein Harz ausläuft. Dabei geht so viel Zeit hin, dass er von selbst seine Absicht aufgibt, auch noch heute die Außenseite zu laminieren. Ich bin heilfroh, als er mit einer weiteren Flasche Bier davonzieht.

Nur darf ich heute nacht entweder unter freiem Himmel schlafen oder im Dunst frischen Styrols. Ich ziehe den freien Himmel im Cockpit vor und habe das Glück, dass es nachts nicht mehr regnet. Aber das Autan vergesse ich, und das werde ich später bereuen müssen.

Sonntag, 4.August 2002

Ich bin nicht gerade gut ausgeschlafen, als Marek kommt und mir den Vorschlag macht, wieder eine Schnapseinkauffahrt zu machen. Er werde inzwischen die Kiellinie von außen laminieren. Also gut, same procedure, wenigstens kann ich an Deck des Musikdampfers etwas dösen. Und Marek fühlt sich unbeobachtet während seiner Arbeit. Wieviel Pfusch mir dadurch verborgen bleibt, weiß ich nicht, auch nicht hinterher. Immerhin bleibt es trocken und nachmittags sieht sein Werk ganz ordentlich aus. Auf jeden Fall ist sichergestellt, dass BINKY allenfalls noch durch die Kielbolzen lecken könnte, denn alle Rißstellen neben der Kiellinie sind mit bis zu 6 Schichten Glasharz abgedichtet. Ob sein Mischungsverhältnis beim Härter richtig gewählt ist, bezweifle ich, als abends das Laminat sich immer noch feucht anfühlt. Aber er beruhigt mich - was soll er sonst auch machen ?

Montag, 5.August 2002

Schon um 8.30 Uhr ist Marek wieder da. Es gibt kein großes Palaver, sondern es wird fast verbissen gearbeitet. Dieses Mal wird zunächst das Boot vorsichtig auf den Kiel gesetzt, ohne einen Kubikmillimeter Dichtungsmittel. Es müssen nämlich die Löcher für die Kielbolzen durch die gestrige Laminierung neu gebohrt werden. Dabei wird mir bestätigt, dass das Laminat über Nacht tatsächlich ausgehärtet ist. Zugleich sehe ich, dass die neuen Löcher paßgenau sind und die früheren Löcher um mehrere Millimeter größer waren. Diese Differenz werde mit Polyurethan ausgeglichen und mit Anpressen von verzinkten Stahlplatten von innen, auf die noch extra große Unterlegscheiben vor die Muttern gelegt werden. So besteht die Chance, dass der einzusetzende Kiel auch bei Beanspruchungen bei Schräglage oder Wellengang nicht wackle und Wasser einsickere. Da die Idee mit den extragroßen Unterlegscheiben von mir stammt, gefällt mir nun das Gesamtkonzept, jetzt kann die Dichtungsmasse aufgetragen werden. 4 Kartuschen habe ich mitgebracht, und Marek preßt Unmengen davon zwischen Kiel und Boot. Mit dem hydraulischen Wagenheber drücken wir den Kiel stückweise ins Boot, und alle 8 Bolzen finden ihre Löcher. Als Marek dann innen im Boot die Muttern über den Blechplatten anzieht, trieft unten die Dichtungsmasse an allen Stellen heraus und tropft in langen Fladen auf die Erde unterm Boot.

Soll man die überquellenden Dichtungsmassen nun wegschieben, solange sie plastisch sind oder später, wenn sie ausgehärtet sind, mit einem scharfen Messer wegschneiden ? Ich werfe die Frage auf, anschließend wird sie von den umstehenden auf polnisch sehr heftig durchdiskutiert mit dem Ergebnis, dass heute nur noch Bier getrunken wird. Die Dichtungsmasse wird also aushärten.

Heute abend gönne ich mir beim Chinesen in der Stadt ein Abendessen. Argwöhnisch serviert mir die Kellnerin das erste Bier. Sicher, meine Hände sehen nicht sehr gut aus. Dass aber auch Spuren der Kielabdichtung mein Gesicht zieren, sehe ich erst im Spiegel beim Duschen in der Marina. Aber da ist die Dichtungsmasse schon gut ausgehärtet....

Dienstag, 6.August 2002

Marek und sein Schwager zeichnen sich durch wachsende Arbeitswut aus. Ich liege noch in der Koje, als ich schon ein Kratzen am Kiel höre. Ich klettere hinaus und will mal sehen, was da läuft. Das herausgequollene Dichtungsmittel müsse so glatt wie die übrige Außenhaut werden, sagt der Kranführer, der mit einem Bier in der Hand dabei steht. Marek und sein Schwager versuchen mit einem Messer, die Tropfen aus Dichtungsmittel abzuschneiden. Das gelingt aber nur teilweise, weil das Zeugs gerade mal 2 Millimeter tief ausgehärtet ist, darunter ist es noch flüssig. An manchen Stellen zieht man deshalb unfreiwillig Dichtungsmasse aus der Naht zwischen Kiel und Boot, an anderen Stellen platzen Blasen von halbausgehärteter Dichtungsmasse und man verschmiert alles. Die heruntergefallene Dichtungsmasse auf der Erde ist auch noch nicht ausgehärtet. Tritt man da rein, dann verteilt man den Dreck überall hin, Marek und sein Schwager haben ihre Arbeitskleidung schon voll davon. Mit Pril auf der Hand versuchen sie, das restliche flüssige Dichtungsmittel zu verteilen, dadurch entstehen zwar glatte Flächen, aber auch Flächen, auf denen nichts mehr haften kann. So kommt der perfekte Pfusch zustande. Ich kann beide davon überzeugen, dass weiteres Arbeiten nichts mehr bringt und erkläre mich mit der bisherigen Arbeit zufrieden.

Nur um Himmels Willen darf darauf jetzt nicht oben im Boot angestoßen werden, jeder Tritt würde einen Dreckfleck hinterlassen. So arrangiere ich einen Stehkonvent mit viel Bier rund ums Boot, in dem man sich nach dem dritten Fläschchen darauf verständigt, dass erst heute nachmittag geslipt werden kann, wenn die Dichtungsmasse besser ausgehärtet ist. Und ich hoffe, dass bis dahin alle Beteiligten hinreichend ausgenüchtert sind.
Inzwischen müssen Marek und ich das Finanzielle besprechen. Da wäre zunächst einmal anzurechnen, was ich reklamieren mußte, nämlich der total mißlungene erste Abdichtungsversuch. Dem hält Marek die wesentlich bessere, aber auch weitaus aufwendigere zweite Flickrunde entgegen. Schließlich bezweifle ich lautstark, dass das Boot dieses Mal dicht sei. Und das schlechte Finish bei der Dichtungsmasse heute morgen. Wir einigen uns schließlich auf weitere 1200 Zloty plus Bierversorgung, wenn das Boot nachher wirklich dicht sei und auch der Mast wieder steht.

Als BINKY gegen 15 Uhr wieder in sein Element gehievt wird, kommt sogar die Sonne heraus. Bevor der Mast aufgesetzt wird, krieche ich erst einmal in alle Winkel innen und komme mit zufriedener Miene wieder heraus. Alle freuen sich mit mir und helfen beim Mastaufsetzen, so dass ich schon um 16 Uhr segelfertig bin. Marek bekommt sein Geld, der Jachtklub Cztery Wiatry 200 Zloty Liegegeld und Krangebühren, aber dann hält mich nichts mehr hier.
Sofort werfe ich den Motor an und motore über die Oder, um gegenüber bei der Grenzkontrolle auszuklarieren. Dort ist man besonders zuvorkommend, fertigt mich gleich am Anleger ab und wünscht mir eine gute Heimreise. Ein leichter Nordostwind treibt BINKY flott an Usedom vorbei, die Steuerung kann ich dem Autohelm überlassen, das GPS sagt mir, dass ich um 21 Uhr in Ruden eintreffen werde, so gut hat mir ein Bier an Bord lange nicht geschmeckt. Und weil ich an Bord sonst nichts anderes zu tun habe, kann ich schon alle Vorbereitungen für ein opulentes Abendessen aus frischen Gemüsen aus Swinemünde vorbereiten, nur den Kocher kann ich erst in Ruden im Hafen anwerfen, und zwar punkt 21.04 Uhr.

Bleibt noch hinzuzufügen, dass das Boot noch heute (2006)dicht ist, Marek kann stolz sein auf gute Arbeit. Das wollte ich ihm 2002 aber noch nicht bestätigen.

Als ich im Sommer 2005 von Ahlbeck mit meinem Seesack durch die Straße zum Fähranleger in Swinemünde gehe, spricht mich jemand an."Gut Arbeit an Boot ?" Es ist Marek, der mich wiedererkannt hat und der auf dem Sonntagspaziergang mit Familie ist. Ich danke noch einmal und spreche ihm nachträglich mein Lob aus. Dann habe ich es eilig zur Fähre zu kommen. Plötzlich überholt mich ein Auto. "Bitte einsteigen". Marek läßt es sich nicht nehmen, mich schnell zur Fähre zu bringen. Auch er dankt auf seine Weise, also war er mit der Bezahlung seiner Arbeit wohl zufrieden, wir bleiben gute Bekannte, bis vielleicht mal wieder.....

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mindestens 6000 Euro plus MWSt würde eine Reparatur des lecken Kiels des Bootes kosten, fast so viel wie das Boot noch wert sein mag. Da kann man auch mit dem Leck weiterfahren oder eine Bootseparatur mitten im Urlaub in Polen arrangieren. Vorausgesetzt, man ist unbedarft oder hat blindes Vertrauen und ist unbegrenzt leidensfähig mehr..
Details:
Aufbruch: 28.07.2002
Dauer: 9 Tage
Heimkehr: 05.08.2002
Reiseziele: Polen
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.