Buddha kichert leise

Reisezeit: Januar / Februar 2008  |  von Norbert Wallner

Ein Korb voll Sonne

Ker lässt uns in die Welt der H'Mong blicken

Sapa mussten wir uns schwer erkaufen. So viele Sünden können wir ein Leben lang nicht machen, wie wir hier abbüßen mussten. Sogar Buddha gefror das Lächeln auf den Lippen und er beschloss, sich vorübergehend abzumelden. Nicht mehr Buddhas eigenes Land, unser Karma lässt uns verzweifeln.
Ein weiser Entschluss ließ uns in Dien Bien Phu schon um 6 Uhr früh am Busbahnhof sein, was uns einen Sitzplatz in der letzten Reihe sicherte. Unsere Rucksäcke wurden wie fast alle anderen Gepäckstücke auf dem Dach verstaut. Nur bei uns hinten lagen Reissäcke auf dem Boden, die waren wohl zu schwer fürs Dach. Wir wussten also nicht, wohin mit unseren Füßen. Vor der Abfahrt hätte ich noch aufs Klo müssen, aber als ich die sanitären Einrichtungen sah, beschloss ich, es zehn Stunden ohne auszuhalten. Die Schlafstellen für die Busfahrer hatten vergleichbaren Standard.
Kurz vor sieben dachten wir, der Bus wäre voll, da klappten sie die Notsitze aus, so dass es nun keinen Gang mehr gab. Punkt sieben Uhr verteilte die Schaffnerin Speibsackerln. Für jeden eines, für Kinder zwei. Das versprach, eine angenehme Reise zu werden, gut, dass wir die letzte Reihe hatten. Nach einer halben Stunde sah Renate die ersten Blutspritzer auf den Seitenscheiben. Nach und nach wurden es immer mehr. Vom Dach tropfte Blut. Das Rätsel blieb ungeklärt bis zum Schluss, aber ich denke, irgendein armes Schwein wird dort oben ausgeblutet sein. Das war auch ungefähr die Zeit, als die ersten Sackerln gefüllt und über die Fenster entsorgt wurden. Wegen so etwas hält kein Bus in Vietnam, er hält nur, um noch weitere Leute einsteigen zu lassen. Bald saßen auf jedem Doppelsitz drei Leute, ich hörte auf zu zählen. Da immer mehr Leute einstiegen als ausstiegen, waren auch bald die Schoßplätze vergeben, die Schaffnerin knallte jedem Fahrgast ein Gepäckstück auf die Knie, der nicht schon jemanden drauf sitzen hatte. Nur uns verschonte sie. Vielen Dank an die strenge Schaffnerin im Bus Dien Bien Phu - Lao Cai! Vielleicht liest das wer und sie bekommt einen Orden. Renate bekam einen hübschen jungen Mann, der sich an ihre Knie lehnen durfte, weil die Rückenlehne seines Notsitzes kaputt war. Ein hübsches Paar.

Die Gegend, durch die wir fuhren, war sehr einsam, oft gab es viele Kilometer lang keine menschliche Siedlung. Wir fuhren bis knapp an die chinesische Grenze, die Gipfel waren bereits jenseits. Dann wieder Richtung Süden, Richtung Sapa auf den Berg hinauf, als es endlich zwölf Uhr wurde. Heiliges Gesetz in Vietnam: Von zwölf bis halb eins ist Mittagspause. Das Gasthaus, bei dem der Bus halt machte, war aller unterste Kategorie, hier wollten und konnten wir nichts essen.

Vielleicht dachte der Wirt, wir wären zu arm, jedenfalls wollte er uns mehrmals was zum Essen schenken, wir lehnten aber trotz Hungers dankend ab. Die Latrine hatte wie schon aus Laos bekannt kein Fließwasser, das heißt, man musste mit der Hand eine Schöpfkelle aus einem Bottich mit Wasser holen. Ich denke, das wird die Ursache gewesen sein, wie ich meine Puffertage in Sapa verbrauchte. Mit diesen meinen Händen aß ich dann das originalverpackte Studentenfutter, das Renate noch aus Österreich mit hatte.
Kurz nach Mittag wurde es immer finsterer, je höher wir auf den Berg kamen. Auf dem letzten Pass vor Sapa dann zuckten unsere vietnamesischen Mitreisenden völlig aus. Sie weckten einander auf und begannen wie kleine Kinder zu jubeln und jauchzen. Schon vorher hatte ich den Eindruck, als wäre draußen eine Schnee- und Eislandschaft, aber das war so unmerklich, dass es die unerfahrenen Vietnamesen nicht erkannten. Oben auf dem Pass allerdings waren die Bäume und Sträucher mehrere Zentimeter dick mit Eis bedeckt. Es war ein richtiger Besichtigungstourismus entstanden, die Leute waren mit Mopeds auf den Pass gefahren, um das Eis zu bestaunen. Um Hände und Füße hatten sie Plastiksackerln gewickelt und sie hüpften verzückt in der Eislandschaft herum. Wer dachte da schon an die erfrorenen Reispflänzchen, die ich im vietnamesischen Fernsehen gesehen hatte? Oder an die erfrorenen Wasserbüffel, von denen uns Ker später erzählte!
Schlagartig wurde uns ein Problem bewusst: Der Chauffeur fuhr wie eine gesengte Sau, der Bus neigte sich wegen der großen Dachlast in jeder Kurve bedenklich. Wie käme der Fahrer mit Glatteis zurecht? Ich sah uns schon in einer Schlucht unser Leben aushauchen, aber siehe da, Buddha war mit einem kurzen Gähnen wach und schenkte uns eine Baustelle bis Sapa hinunter. Kostet uns wahrscheinlich einige Punkte Abzug fürs Nirwana. Aber das ist es mir Wert.
Von Dien Bien Phu aus hatte ich im Mountain View Hotel zwei Zimmer mit Heizung gebucht.

Um diese Zimmer warm zu bekommen, hätte nicht einmal ein Flammenwerfer genügt. Das Mountain View versprüht kolonialen Charme. Die Besitzer werden sich denken, dass es besser ist, den ursprünglichen Zustand zu belassen, nur leider ist Holz einem gewissen Schrumpfungsprozess unterworfen, sodass der Wind kalt durch die Fensterfugen pfeift. Die Elektroradiatoren, die man als Heizung dazu bestellt, sind zwar süß, aber relativ wirkungslos. Renates Radiator schaltete sich ohnehin automatisch immer nach zwei Minuten ab. Jetzt hat sie das Zimmer bereits zwei Mal gewechselt und den Heater drei Mal getauscht. Unser Radiator ist zwar in Ordnung, aber da jedes Mal bei Einbruch der Dunkelheit Stromausfall ist, macht er auch nur bedingt Freude.
Nur hier in der Halle ist es noch etwas kälter, ich stehe mit Haube und Handschuhen hier und versuche einige Mails zwischen den Stromausfällen durch den Äther zu schicken. Ich fürchte, da wird heute nichts mehr, um acht holt uns Ker ab. Eigentlich warte ich auf Johnny, der versprochen hat, in einer Stunde mit den gewaschenen und getrockneten Schuhen zurück zu sein. Seit kurz vor sieben warte ich. Aber wie soll er eigentlich ohne Strom die Schuhe trockenen?
Ker wollte uns schon am Ankunftstag treffen, hatte sich extra die ganzen Tage Urlaub genommen. Leider erkannte sie uns in unserer Vermummung nicht, wie wir in der Hotelhalle um den Holzkohlengrill saßen.

Fast in jedem Lokal stehen verschiedene Holzkohlengriller, die zwar heimelig ausschauen, aber nicht die geringste Wärme abgeben. Außer, es versuchte es jemand mit besser brennbaren Materialien, was am zweiten Tag die Bäckerei neben unserem Hotel in Flammen setzte.

Das war bitter, erstens, weil in Vietnam Versicherungen praktisch unbekannt sind, und zweitens, weil wir nunmehr kein richtiges Frühstück mehr bekommen.
Da ich nicht wusste, dass Ker schon am Nachmittag kommen würde, schaute ich natürlich auch nicht nach ihr aus. Der Portier kannte keinen Norbert, sie keinen Wallner, also trafen wir sie erst am Morgen darauf. Pünktlich um acht Uhr wie vereinbart stand sie vorm Mountain View. Die Freude war groß auf beiden Seiten. Wir gingen in die benachbarte Bäckerei (die, die dann abbrannte), um die nächsten Tage zu besprechen.

Ich war mit meinem Fieber außer Gefecht, Renate hatte es auch wieder erwischt, wenn auch nicht so arg wie mich, also vereinbarte ich mit Ker, dass sie sich um Elfi kümmern sollte, erst einmal eine kleine Trekkingtour machen. Morgen würden wir weiterschauen. Nach Schüttelfrost und mehreren Schweißausbrüchen in der Nacht hatte ich nun 39,5 Fieber.

Nach dem ersten Trekking mit Elfi kam Ker Renate und mich am Zimmer besuchen. Schön, einen Krankenbesuch zu bekommen, daheim geht es mir nie so gut. Renate interessierte sich für Kers Tracht. Nach und nach musste das arme Mädchen sich auswickeln und vorführen, welche Schichten sie noch darunter hatte. Schaute sie in voller Montur relativ stämmig aus, wurde Ker mit jeder abgelegten Schicht immer dünner und dünner, bis ich meinte stopp, hört auf! Ich hatte Angst, das Mädchen würde sonst mit der letzten Schicht Kleidung verschwunden sein.
Meine Krankheit behandelten wir zuerst auf Grippe. Die einzige Zustandsveränderung war, dass ich am zweiten Tag fürchterlichen Durchfall bekam. Daraus schlossen wir messerscharf: Grippe nein, Darminfektion ja, und Elfi änderte die Behandlung. Unsere Expeditionsärztin bewährte sich wieder einmal. Nach mehrmaligem Schüttelfrost und ebenso häufigen Schweißausbrüchen konnte ich am dritten Tag, also gestern, ans Aufstehen denken.
Ich streifte einen halben Tag durch Sapa, während Elfi und Ker auf Trekking waren.

Als ich vom Markt zurück zum Mountain View wollte, lief mir Ker über den Weg, die gerade die Tour mit Elfi und Renate beendet hatte. Sie hat schon die von mir bestellten Handytascherln, meinte sie. Ob ich die sehen will? Ja, klar, wo? Sie kann sie mir ins Mountain View bringen oder ich komme gleich mit ihr mit in ihre Wohnung.
Ich platzte vor Neugier, also in ihre Wohnung. Wir gingen ein Stück den Berg hinunter, der Blick öffnete sich über das Tal, herrlicher Ausblick auf die Berge. Ker führte mich in einen Hof, von da in einen Hinterhof, und wir betraten ein Ding, das bei uns gerade noch als Saukobel durchginge. So wie viele Behausungen hat auch die hier kein Fenster. Wenn man Licht will, lässt man die Tür offen. Ker bewohnt dieses Zimmer gemeinsam mit ihrer Freundin Lan, und sie teilen sich ein Bett.

Letzte Nacht waren sie sogar zu Dritt, erzählte Ker. Schon eng. Nicht so schlimm, lachte sie, sie sind ja nicht so groß. Das Zimmer ist abgesehen vom nackten Beton sehr sauber und die beiden haben alle Wände mit Postern tapeziert. Sie wollen aber heute umziehen. Sie nehmen alle Poster mit? Ja klar. Viel Arbeit, meinte ich. Der Vater kommt helfen.
Ker zeigte mir die Handytascherln und wir einigten uns auf einen Preis, der für uns beide fair war. Ker begleitete mich noch bis zum Mountain View, ich merkte, dass ich noch vollkommen parterre war, schaffte die kurze Steigung beinahe nicht. Besorgt und nachdenklich schaute mich Ker an. Geht schon, beruhigte ich sie, morgen bin ich gesund. Und sie soll einen Jeep für morgen besorgen. Ich zeigte ihr einen Russenjeep, den ich meinte. Was er kosten soll? Ich sagte ihr, was ich letztes Jahr gezahlt hatte, und mehr dürfte er nicht kosten. Sie wird sich umhören. Und heute Abend geht sie mit uns tanzen. Was für Tanzen? Volkstanz. H'Mong-Disco sozusagen. Sie holt uns um acht ab. Ich musste mich also fit fühlen.
Ker führte uns dann natürlich nicht gleich zur Tanzveranstaltung, sondern wir mussten zuerst zu den H'Mong Sisters, ein erstaunlich nettes, gemütliches Lokal.

Spielelokal. Billardtisch, der entsprechend gemischt frequentiert war. Einheimische Mädchen, ausländische Burschen, wie sonst. Verschiedene Brettspiele. Und ein PC mit Internet. Von da schreibt Ker immer ihre E-Mails.

Lan ist da, Kers Freundin. Elfi hat sie schon am ersten Tag beim Trekking mit Ker kennen gelernt.

Lan hat einen australischen Freund, 39 Jahre alt, der mehrmals pro Jahr kommt und ihr alle möglichen Versprechungen macht. Uns kommt der Typ ein wenig suspekt vor. Er versucht, auch die anderen Mädchen immer zu berühren. Wir fragten Ker, was sie von ihm hält. "I don't know." Da Ker nicht dumm ist, sagt das alles.
Die Tanzveranstaltung war in einer eiskalten Hotel Kellerbar. Da ich mich noch nicht gesund fühlte, bestellte ich Tee für mich, worauf der Kellner Tee für alle brachte. Auch die nächste Bestellung ging schief, wir gaben auf.
Es war entsetzlich kalt und uns fror beim Anblick der nackten Zehen der männlichen Tänzer. Sonst war es wirklich nett, die Musik klang nicht so asiatisch wie bei den Vietnamesen, fast europäisch. Der Hit zum Schluss war der Tanz mit den Bambusstangen, auf den die wenigen, vor allem einheimischen Besucher nur gewartet hatten. Ker wollte uns auch motivieren, aber wir sahen unserm Mädchen lieber zu, wie sie glücklich mitmachte, statt uns zu blamieren.

Wie vereinbart stand heute um acht Uhr in der Früh der Jeep mit Fahrer bereit. Es war nass und es war kalt. Schade, dass Little Chi ausgerechnet erst heute Früh nach Sapa herauf gekommen war, um mir Hello zu sagen. Nach den Tagen mit Fieber und Durchfall schaute ich offenbar wie der Tod persönlich aus, Little Chi war ziemlich wortkarg und fremdelte. Nur sehr zögerlich nahm sie meine Geschenke entgegen.

Später in Ta Van ließ sie sich über Vu entschuldigen, dass sie mich nicht erkannt hatte, ich hätte so alt ausgesehen. Das glaube ich. Das blühende Leben schaut anders aus. Ich sagte zur kleinen Chi, wir würden Nachmittag nach Ta Van kommen und ob wir uns da sehen würden. Sie nickte. Okay.
Der Fahrer unseres Jeeps war noch ziemlich jung und sehr lieb und freundlich. Wir hätten es gar nicht besser treffen können. Der Preis war mehr als okay. Dank Ker bekamen wir den Einheimischenpreis. Ker führte uns heute offiziell als Guide, das heißt, sie trug ihren Guide-Ausweis sichtbar umgehängt.

Wir hatten da schon eine Geschichte gehört an der Grenze, scheint so, als würde man den Mädchen hin und wieder Schwierigkeiten machen. Unserer Ker denke ich eher nicht, das schaffte sicher niemand, sie zu bestrafen, wenn er ihr ins Gesicht schaute.
Wir fuhren also den Berg hinunter nach Ban Ho, in das Dzay-Dorf mit den heißen Quellen. Badezeug nahmen wir mit, vielleicht würde das Wetter passen. Also am Wetter wäre es wirklich nicht gescheitert. Auf dem Weg hinunter hörte der Regen auf und die Wolken lichteten sich.

Bei einem Fotostopp warf sich ein alter Mann vor mir auf die Knie und bettelte mich mit erhobenen Händen an. Wie von Yen gelernt gab ich ihm einen kleinen Schein, um kurz darauf zu bereuen, dass ich ihm nicht aufgeholfen und einen größeren Schein gegeben hatte. Niemand sollte jemals vor mir knien, vor allem in Asien kann ich mir vorstellen, was das für einen Menschen bedeutet.
In einem der Homestay-Häuser, das ich letztes Jahr schon besichtigt hatte, setzten wir uns in der Rauchküche am Feuer zusammen und warteten den Regenschauer ab, der uns als Nachzügler heimsuchte.

Ich lauschte dem Gespräch zwischen Ker und einem anderen Guide. Ob sie ein Lied singt, fragte ich Ker. Nein, antwortete sie, sie erzählen sich nur die Neuigkeiten. Eine richtige Singsprache, klingt zwischendurch auch mal wie Rap.
Und dann standen wir am Weg zu den heißen Quellen. Absolut unpassierbar, selbst für H'Mong-Guides. Wir wären bis zu den Waden im Lehm versunken.

Gibt es nicht einen anderen Weg? Ja, doch, meinte Ker, ist aber ein Umweg, und sie ist nicht sicher, ob der passierbar ist. Wir können es ja versuchen, schlug wir gleichzeitig vor. Wir lachten und marschierten los.

Bis zur Brücke über den Fluss sind die Wege betoniert, aber jenseits des Flusses gab es nur mehr Gatsch. Solange es eben zwischen den Reisterrassen dahin geht, noch kein großes Problem.

Aber recht bald beginnt der Weg zu steigen, und da hatte vor allem Renate Schwierigkeiten, weil ihre Sportschuhe kein Profil hatten. Die mit der Profilsohle hatte sie daheim gelassen, weil sie löchrig waren, was bei diesem nassen Wetter unlustig wäre. Also zog die kleine Ker sie den Berg hinauf, bis zu dem Felsen, wo man über das ganze Tal blicken kann und auf die heißen Quellen schauen kann.

Nein, teilte ich meinen Beschluss mit, wir gehen nicht mehr weiter, wir sehen die Quellen eh von hier. Die anderen betrachteten den Weg und waren meiner Meinung. Hätten wir sicher nicht geschafft, ohne im Gatsch zu landen, zwischendrin auch die Gefahr, abzustürzen. Wir drehten also um. Die ersten paar Hundert Meter geleitete Ker Renate an der Hand hinunter, aber bergab hatten auch Elfi und ich kein leichtes Spiel.

Also erfanden wir das Reisterrassenhüpfen. Hier waren die Terrassen noch ohne Wasser, sodass wir Stufe um Stufe hinunter springen konnten. Die Terrassen waren jeweils so ein bis eineinhalb Meter hoch und wir mussten nur darauf achten, mit beiden Beinen gleichzeitig zu landen, damit wir uns nicht die Knöchel verstauchten. Der Boden war nämlich schon sehr uneben, so wie ihn halt die Wasserbüffel hinterlassen hatten. Auch Ker fand Gefallen an der Hopserei und von einem Ohr zum anderen lachend sprang sie uns voraus. Als nächstes versuchten wir den Weg zum Wasserfall zu erkunden, aber auch der war uns zu schlammig. Von der Brücke über den Nebenfluss hatten wir allerdings ausreichend Sicht auf diesen schönen Wasserfall.

Vielleicht schaffen wir es bei unserem nächsten Aufenthalt.

Also zurück ins Dorf, unterbrochen von einer kleinen Rast auf einer Bambusterrasse überm Fluss.

Hier wäre es länger auszuhalten gewesen, aber Ker drängte zum Aufbruch, wir hatten noch ein großes Programm vor uns. Sie wollte uns bei ihren Eltern vorbei bringen, und nach Ta Van wollten wir schließlich auch noch. Unser Fahrer bot all sein Können die Straße zurück hinauf, bis wir unterhalb von Kers Elternhaus anhielten. Da oben ist ihr Haus, zeigte sie. Wir sahen außer Reisterrassen nichts. Ker begann, hinauf zu steigen. Uns war nicht klar, wo sie gehen wollte, es war kein Weg zu erkennen, nur Reisterrassen, Schlamm und ein paar Steine. Wir turnten Ker nach, Elfi, ich, Renate.

Als wir uns nach Renate umdrehten, konnten wir gerade sehen, wie sie in Zeitlupe mit ihren Ballettschuhen den Berg verkehrt hinunter rutschte, von einem Stein gestoppt wurde und langsam, den Hintern voran, in ein Schlammloch kippte, die Hände mit der Filmkamera hoch erhoben. Die Szene war zum Brüllen komisch, aber im ersten Augenblick überwog die Sorge, ihr könnte etwas passiert sein. Elfi funktionierte für Renate eines der ungebrauchten Badetücher in einen Rock um, sah fast wie eine einheimische Tracht aus, sodass wir uns formvollendet bei Kers Eltern vorstellen konnten. Die saßen in der Rauchkuchl mit Kers kleiner Nichte und Hund und Katz am Feuer.

Kers Mutter kann leidlich Englisch, sodass wir eine ruhige, bedächtige Unterhaltung in Gang halten konnten, unterbrochen von kräftigen Zügen aus der gigantischen Bambusrohrpfeife. Ich möchte lieber nichts über den Inhalt wissen.

Zwischendurch rannte Ker hin und her, bereitete Essen zu und richtete ihre Sachen für die nächsten Tage.
Ob wir eine Decke kaufen wollen, fragte die Mutter. Ja, wollten wir sowieso. Hübsche Frau, die Mutter. 49 Jahre alt, schaut aber 10 Jahre jünger aus. Ich kenne dort Zwanzigjährige, die älter aussehen als sie. Sie ist Schamanin, erzählte uns Ker beim Essen. Es gab Reis, Erdäpfel und gebratenen Bauernspeck. Schmeckte eigentlich gleich wie bei uns in den Alpen. Bergvolk ist Bergvolk, kann man sagen was man will. Ker schaut uns beim Essen auf die Finger. Ob Elfi beim Heiraten weit weg zu den Schwiegereltern gezogen ist? Daran wie jemand die Stäbchen hält, kann man das nämlich feststellen. Je weiter hinten ein Mädchen die Stäbchen hält, umso weiter wird sie von zu Hause wegziehen. Es bedeutete einigen Erklärungsaufwand, dass es bei uns nicht üblich ist, dass die Mädchen zu den Schwiegereltern ziehen. H'Mong-Mädchen können heute heiraten, wen sie wollen, erzählte uns Ker. Früher wurden sie von den Eltern verkuppelt, aber das ist heute nur mehr selten der Fall. Aber da die Mädchen mit ca. 12 Jahren beginnen, nächtelang an ihren schönen Trachten zu nähen, bis sie so zwischen 8 und 12 beieinander haben, werden sie wohl nicht all zu oft in ein anderes Volk einheiraten. Sie müssen nämlich die Tracht des Volkes tragen, dem der Ehemann angehört, und da wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen. Vor allem heißt Heiraten Kinder kriegen, und dann ist kaum mehr Zeit zum Nähen.
Ker zeigte uns die Gegenstände, die ihre Mutter als Schamanin verwendet. Trommeln, Schälchen, Fähnchen. Sie träumt, wie sie helfen kann, sie träumt auch die Zukunft. Ihren Sohn heilte sie von einer Magenkrankheit, indem sie träumte, was das Gegenmittel war und wo es zu finden wäre. Es war ein Bambusrohr, das wie ein Büffelhorn aussah und es war 100 km entfernt zu finden. Sie schickte Kers Vater los, und wirklich fand er solchen Bambus am beschriebenen Ort. Die Mutter brauchte also nur noch das Bambusrohr längs auseinander schneiden und auf eine Schale mit Wasser legen. Nach einiger Zeit wurde Heilwasser daraus. Jetzt braucht's nur noch Weihrauch und ein paar Gebete. Buddha stellt sich schlafend, damit man sein Grinsen nicht sieht. Aber es hilft trotzdem. Mit Buddha und ohne.

Drei Familien mit drei Generationen wohnen unter einem Dach. Das Kabinett hinter der Küche bewohnen die Eltern, hier drinnen hat Ker auch ihre Sachen. Im Zimmer rechts vom Wohnraum wohnt der ältere Bruder mit Frau und zwei Kleinkindern, im linken Zimmer der jüngere Bruder mit Frau. Kers Schwester hat den Jollyjoker erwischt und wohnt auf dem Dachboden.
Wo ist die Toilette, wollte Renate wissen. Draußen, meinte Ker. Renate blickte vor die Tür, wo gerade der Hund ein Ferkel verjagte, das ins Haus wollte. Ein so genannter Schweinehund also. Wo, fragte Renate. "Where you want" Renate blickte auf die Reisterrassen. Kein Baum weit und breit, kein Strauch, und von allen Bauernhäusern ringsum blickten die Leute neugierig her. Die arme Renate musste sich mit ihrer Blase arrangieren.

Den Weg hinunter schaffen meine Damen nur mit tatkräftiger Hilfe der kleinen, aber zähen Frauen.

Mit dem Jeep ging es weiter nach Ta Van. Es gab wieder einige Gästehäuser mehr gegenüber dem Vorjahr, ansonsten wie bekannt. Wir waren sofort von ganzen Trauben von Frauen und Mädchen umringt, die uns unverhohlen neugierig ausfragten. Hello! What's your name? Where are you from? How old are you? Do you have children? Buy for me! Hello, how are you? Where you from? Please buy from me. Buy for me! How old are you? What's your name? Where you go now? You children? What's your name?.... Hundert mal dieselben Fragen, mal besseres Englisch, mal schlechteres.

Die Anzahl der Begleiterinnen wuchs permanent. Wir waren für heute die letzten und einzigen Besucher, sodass sich alle Wegelagerinnen von Ta Van auf uns Drei stürzten. Nicht alle wollen etwas verkaufen, manche sich wirklich nur unterhalten, aber das waren Ausnahmen. Wie Vu. Wir erkannten einander sofort. Little Chi hatte sie geschickt. Da wir so lange nicht gekommen waren, hatte sie heim müssen, schließlich ein weiter Weg zu Fuß. Schade!

Am Ende unseres Rundganges erbarmte ich mich der Mädchen und wollte jedem etwas abkaufen. Ich bestimmte die Reihenfolge, in der ich verhandeln wollte, aber nach einer Viertelstunde hatte ich gerade mal drei Geschäfte abgewickelt, bevor ich aufgab. Die anderen hielten mir dauernd ihre Handarbeiten vor die Augen und redeten auf mich ein, es war ein beängstigendes Gedränge, sodass ich die Verhandlungen einstellte. Eine Frau, der ich ein Geschäft versprochen hatte, fragte enttäuscht, warum nicht. Ich meinte, ich könnte nicht handeln in dem Gedränge, ich verstünde mein eigenes Wort nicht. Und sie würde unter diesen Umständen auch nichts kaufen. Sie blickte mich traurig mit großen Augen an. "Yes I understand you."

Unsere Sportschuhe waren mittlerweile restlos in Lehm gebacken, ich war mit dem rechten noch schnell in eines der allerletzten Löcher gerutscht, nachdem ich bis zum Schluss das Ärgste hatte vermeiden können.
Zurück in Sapa war beim Aussteigen Johnny auf uns zugestürzt. "I wash your shoes and dry them. Only one hour. Only two Dollars." Engel sind teuer und wir hätten jeden Preis gezahlt. Der Junge war zur rechten Zeit am rechten Ort, also stand ihm was zu.

So, und nun stehe ich in der Kälte am finsteren PC in der finsteren Halle, mit leicht verknackstem Knöchel und schmerzendem Meniskus, weil ich in der Finsternis die letzte Stufe übersehen habe. Johnny be good! Langsam frieren mir die Zehen ab. Wie Du das machst mit dem Trocknen ist mir Wurscht, aber mach es und komm mit unseren Schuhen! Bitte!
Schließlich wollen wir mit Ker auf einen Farewell-Drink. Ker heißt eigentlich Co, und Co heißt Korb. Und bei allem Regen und aller Kälte brachte Ker Sonne in unser Leben. Ein Korb voll Sonne. Wir haben sie inzwischen alle tief in unser Herz geschlossen. Heute Abend heißt es, schweren Herzens Abschied zu nehmen. Vorausgesetzt, Johnny versetzt uns nicht mit unseren Schuhen.

© Norbert Wallner, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Paten- und Erlebnisreise, die knapp 4 Wochen durch Vietnam und Laos geführt hat, teils abseits der Touristenströme. Im Zentrum des Interesses stand der Kontakt zu den Menschen und Völkern dieser Region.
Details:
Aufbruch: 31.01.2008
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 26.02.2008
Reiseziele: Vietnam
Laos
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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