TÜRKEI - Durchs wilde Kurdistan

Reisezeit: August 2006  |  von Thomas K.

Hakkâri

9.08

Um halb acht kommt ein einziges Mal am Tag ein Dolmus bis in Dorf gefahren. Einige Bauern warten schon. Ich will heute nach Hakkâri. Es gibt dort zwar keine besonderen Sehenswürdigkeiten, aber die geografische Lage im äußersten Südosten und die landschaftliche Umgebung der Stadt und auf dem Weg dorthin interessieren mich. In Van muß ich wieder in ein ganz anderes Stadtteil, wo die Busse Richtung Hakkâri abfahren. Start ist um neun, Fahrzeit rund drei Stunden. Rückfahrt um 14 Uhr 30, demnach muß ich um halb sechs wieder in Van sein und kann mühelos den letzten Dolmus um 18Uhr erwischen.
Ein Baby schreit auf dem Schoß seiner Mutter und zerrt an den Nerven der Fahrgäste. An einer Tankstelle halten wir kurz an und der Fahrer füllt wenige Liter nach. Kommt jetzt wirklich so lange keine Tankstelle, dass der Tank ganz voll sein muß? Das ist doch fast gar nicht möglich. Wir verlassen die Stadt und nehmen diesmal die Abzweigung Richtung Iran. Die Straße führt in die Berge, vorbei an einem türkis-grünen Stausee. Steil ragen die ockerfarbenen Hänge an seinen Ufern empor. In Hosap trotzt die Hosap-Burg hoch auf einem Felsen. Eine überdimensionale türkische Fahne, die so schwer ist, dass sich der Mast biegt, weht im Wind. Ein junger Kerl kommt und füllt uns einen Kanister Benzin in den Tank. Was hat das den jetzt zu bedeuten? In langen Serpentinen führt die Straße in die kahlen Berge auf den 2730 Meter hohen Güzelsu gecidi. Hier ist wieder eine Militärkontrolle. Wachsam äugt ein Soldat in einem tarnfarbenen Kampfjeep und dreht das Maschinengewehr, was auf dem Dach befestigt ist, langsam hin und her, während ein anderer unsere Ausweise kontrolliert. Kurz vor Baskale biegen wir nach rechts auf eine schmale Schotterpiste ab. Nach ein, zwei Kilometern unangenehm holpriger Fahrt erreichen wir ein kleines Dorf mit nicht einmal zehn Häusern. Der Fahrer hupt, ein Jugendlicher kommt aus einem der Häuser und beginnt kanisterweise Benzin in den Tank zu füllen. Einige steigen bei dieser Gelegenheit aus, um sich kurz die Füße zu vertreten. In einer Hütte mit simplem Strohdach befinden sich zwei große Tanks, zahlreiche Regentonnen, Kanister, Schläuche und einige Trichter. Wir sind in einem Schmugglerdorf gelandet! Benzin ist in der Türkei sehr teuer. Teurer als in Deutschland. Hier im hinteren Osten hat man sich die Nähe zum Iran zu Nutze gemacht, wo ein Liter Benzin acht, ein Liter Diesel drei Cent kostet. Der Schmuggel blüht. Reihenweise füllen LKW-Fahrer auf der Iranischen Seite ihren Tank bis aufs Letzte, pumpen es in der Türkei ab und verkaufen den Sprit billig weiter. Alle Einheimischen wissen genau, wo sie an günstigen Treibstoff kommen können. Bis Hakkâri müssen wir mindestens vier weitere Militärcheckpoints passieren. Es ist jedes Mal das Selbe. Ein Panzer mit Gummireifen, ein oder mehrere Kampfjeeps und ein Soldat, der die Ausweise kontrolliert. Überall, wo genug Wasser im Boden ist, wachsen schlanke, hohe Bäume und meist befidet sich ein kleines Dorf in der Nähe. Die Gegend wird immer bergiger. Wir fahren in eine enge Schlucht. Steil ragen die Felsen empor. Wie grüne Tupfen wachsen hier und da kleine Büsche an den Hängen und verschönern so das Landschaftsbild. Am letzten Checkpoint vor Hakkâri sieht der Soldat meinen Ausweis genau an.

"Iran?" fragt er.
"Alman." gebe ich zurück.
"Iran?" wiederholt er noch mal.
"Alman." Er weiß nicht so ganz, was er tun soll, nimmt meinen Ausweis, verschwindet in einer schäbigen Steinhütte und kommt zwei Minuten später wieder zurück. Wir können weiter fahren.

Hakkâri ist eine Provinzhauptstadt im äußersten Südosten der Türkei. Sie hat etwa 70000 Einwohner und ist von Iran und Irak rund 30 Kilometer entfernt. Die vielleicht fünf, sechs oder siebenstöckigen Häuser der Innenstadt wirken fast wie Spielzeug vor dem gewaltigen Sümbüldagi, dessen Gipfel graubraun und drohend hinter der Stadt in den blauen Himmel ragt. Auf der anderen Seite ziehen sich niedere, einfache Häuser den Hang hinauf, dazwischen reichlich Grün von Bäumen und weiter oben sitzen die kahlen Gipfel. Die silberne Kuppel einer kleinen Moschee glänzt im grellen Sonnenlicht. Der Ruf des Muezzin ertönt und hallt schaurig, tausendfach an den nahen Bergen wieder. Zwei Soldaten stehen mit Gewehr an einer Straßenecke und halten Wache. Graue, unsansehnliche Fasaden verbergen sich in den engen Straßen außerhalb des Zentrums. Ein Draht- und Kabelgewirr verbindet Straßenlaternen oder Sat-Schüsseln vor den Fenstern miteinander. Vier türkische Fahnen wehen auf dem Hauptplatz der Stadt, darunter Atatürk als stolzer Reiter hoch zu Roß. Bunte Reklameschilder zieren die Fronten der Häuser im Zentrum, reges Treiben herrscht in den zahlreichen, engen Gassen.

Ich habe keine Lust mich zwischen fünf Kurden zu quetschen und setze mich auf den Vordersitz. Da ist mehr Platz, außerdem hat man eine bessere Aussicht. Der gleiche Fahrer, wie auf dem Hinweg sitzt am Steuer. Am ersten Checkpoint fragt ein Soldat, diesmal ein anderer, wieder:

"Iran?", und nimmt meinen Ausweis mit in die Hütte.
"Das haben wir doch heut schon mal gehabt." ruft ihm der Chauffeur gelangweilt nach.
Bald holen wir einen Militärkonvoi ein. Große tarngrüne Transporter fahren langsam vor uns her. Wir sind raus aus dem engen, kurvigen Tal und die Straße ist jetzt längere Abschnitte grade, sodaß wir hin und wieder ein paar LKWs überholen können. Doch kaum haben wir das geschafft, hält uns die nächste Kontrolle an und die Laster rauschen wieder an uns vorbei. In Baskale biegen die Transporter endlich in ein Kasernengelände ein. Wahrscheinlich haben sie schweres Gefährt hier in den Südosten gebracht. Etwas später machen wir an einer Raststätte Pause. Einer der Fahrgäste lädt mich zum Tee ein, er heißt Cengiz. Wir hocken auf kleinen Schemeln an niedrigen Tischen mit einer tollen Aussicht auf die umliegenden Berge und reden Belangloses. Güzelsu-Pass, Hosap, Stausee, Van.

Es ist nach halb sieben, der letzte Dolmus ist weg. Cengiz hat zufällig das selbe Problem wie ich. Er muß sogar noch weiter, nach Ahlat, genau auf der anderen Seite des Vansees. Es ist bereits dunkel, die Zeitverschiebung von einer Stunde passt vielleicht für Istanbul, nicht aber für Van. Cengiz hält einen großen roten LKW an. Der Fahrer, ein kugelköpfiger mit kurzen, schwarzen Stoppelhaaren, ist so nett uns mitzunehmen.
"Ich mache das aus Freundlichkeit, nicht für Geld."
Zufällig kommt er gerade aus Hakkâri und ist auf dem Weg nach Erzurum. Das heißt für Cengiz, daß er sich in Ercis eine neue Mitfahrgelegeinheit suchen muß. Der Tacho ist kaputt. Erst bleibt der Zeiger bei Null stehen, klettert dann langsam zur 40 und pendelt später, als wir schon auf freiem Land sind, wie verrückt zwischen 80 und 120.

"Natürlich kenn ich Colpan, da hab ich bis vor kurzem jeden Morgen Brot hingeliefert." erzählt der Fahrer.
Beim Aussteigen merke ich erst, wie weit es von der Fahrerkabine bis zum Boden ist.

10.08

Robert und Johanna wollen heute zusammen mit einem Bergführer ihre Kondition für den Ararat prüfen und stärken. Dazu fahren sie in die Berge und wollen einen Überdreitausender besteigen. Ich bleib am See. Nachmittags, als ich von einem Streifzug in die Umgebung zurückkomme, ist ein kleines Schiff da. Frau Koch ruft mich, ich soll doch mit kommen. Wir machen eine kleine Rundfahrt auf dem See. Ein Stück weiter südlich, nicht weit von Colpan, ist ein kleines Dorf mit schönen sauberen Seehäusern, wo reiche Leute aus Van ihr Wochenenddomizil haben. Johanna und Robert sind von ihrem Ausflug zurück. Sie sind verärgert. Die Wanderung ist jäh beendet worden. Auf dem Weg traf der Bergführer einen Freund, den er von einer seiner letzten Touren kennt. Er war mit seinem 16-jährigen Sohn auf dem Weg ins Nachbardorf, der Junge hatte ein Gewehr geschultert.
"Warum tragt ihr ein Gewehr mit Euch?"
"Nur zur Sicherheit. Im Nachbardorf haben zwei Familien eine Fehde miteinander."
Sie gingen ein stückweit miteinander, als plötzlich drei Soldaten von einem Berghügel hinunter gerannt kamen und sagten, daß heute Nacht eine Frau mit zwei Männern und Gewehr in den Bergen gesichtet worden sein sollen. In solchen Fällen geht das Militär vom Schlimmsten aus: Es könnte sich um PKK-Mitglieder handeln, die sich in den Bergen verschanzen und einen Plan aushäcken. Ein Soldat tastete die fünf ab und durchsuchte sie gründlichst nach Waffen während die beiden anderen mit gezogener Kalaschnikov sicherstellten, dass niemand stiften ging. Dann untersagten sie den Wanderern ihren Weg fortzusetzen und schickten sie streng zurück. Ziel nicht erreicht.

Hosap kalesi

Hosap kalesi

Hakkâri

Sümbül dagi

Sümbül dagi

auf dem Vansee

© Thomas K., 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Adana - Diyarbakir - Van - Hakkari - Dogubayazit Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten kontrollieren die Straßen im Grenzgebiet zum Iraq und Iran
Details:
Aufbruch: 03.08.2006
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 24.08.2006
Reiseziele: Türkei
Der Autor
 
Thomas K. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.