TÜRKEI - Durchs wilde Kurdistan

Reisezeit: August 2006  |  von Thomas K.

ans Mittelmeer

12.8

Heute ist Abreisetag. Die Araratrückkehrer werden zum Flughafen gebracht und ich fahre mit Frau Koch und einem Hotelangestellten nach Van. Bevor sie mich zum Busbahnhof bringen gehen wir noch in einem großen Supermarkt in Van einkaufen. Ich will nach Silifke fahren, wo noch zwei entspannende Wochen am Meer anstehen. Der Bus geht um eins. Eine sechzehnstündige Fahrt steht mir bevor. Ich esse noch einen Döner. Die türkischen Döner sind nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. Das Fleisch wird einfach mit Tomaten, Zwiebeln und Kräutern in ein dünnes Fladenbrot eigerollt. Fertig.

Der Bus ist fast voll. Am Stadtrand halten wir kurz an, ein Mann steigt ein, gibt einer Frau schnell einen Kuss aufs Kopftuch und setzt sich dann auf einen freien Platz. Wir fahren den gleichen Weg, wie ich vor einer Woche gekommen bin zurück. Bei Tatvan wird der Blick auf den Vulkan Nemrut frei, der einst den Abfluß des Vansees versperrte und ihn somit aufstaute. Das enge, schöne Bitlistal liegt hinter uns und die endlosen Weiten Ostanatoliens ziehen gemächlich an den Fenstern vorbei. Mitten in der Wildnis, noch weit östlich von Diyarbakir, fünfzig oder hundert Meter von der Straße entfernt, steht ein hundeähnliches Tier auf einer der ausgedörrten Wiesen, im Abendlicht. Vielleicht ist es ein Wolf. Bei Sonnenuntergang erreichen wir Silvan, wo eine halbstündige Pause eingelegt wird. Ich nutze das, um einen kleinen Spaziergang zu machen, denn ich werde noch weitere zehn bis zwölf Stunden im Bus verbringen. Reges Treiben herrscht auf den Straßen. Ein paar Jugendliche albern herum, ein Kampfjeep fährt Patroullie, zwei Frauen im Tschador keuchen mühsam eine steile Seitengasse herauf. Die Sonne geht unter. Dunkel und kontrastreich hebt sich die Skyline, nur aus ein paar Häusern, Bäumen und einem spitzen, schlanken Minarett vom rötlichen Abendhimmel ab.

In Siverek, auf halbem Weg zwischen Urfa und Diyarbakir, staut sich der Verkehr. Weit vorne blinkt ein Blaulicht im Dunkel. Die Polizei führt eine Razzia durch. Gott sei Dank interessieren sie sich heute nur für PKWs und nicht für Reisebusse. Fahl und ohne Hof schiebt sich der abnehmende Mond über den Horizont. Es ist schon nach Mitternacht, als wir Birecik erreichen, wo die nächste Pause fällig wird. Ich habe mittlerweile einen Bärenhunger und hol mir einn der leckeren Adanaspieße. Ich schlafe nur wenig oder gar nicht und gegen Morgen zieht sich die Fahrt wie Kaugummi. In Mersin verlassen wir die Autobahn und kommen jetzt langsamer voran. Die Gegend wird immer dichter besiedelt. Die Dämmerung erwacht und taucht die mediterrane Landschaft in ein freundliches Morgenlicht. Wir durchfahren einige Ferienorte. Hier machen die Türken Urlaub. Rot leuchtet die Mädchenburg Kizkalesi in der Morgensonne. Ein König träumte, daß seine Tochter einen tödlichen Schlangenbiss erlitt. Er baute für sie die Burg im Meer, um sie zu schützen. Per Obstkorb kam die Schlange auf die Burg.

Um Halb acht erreichen wir endlich Tasucu, eine kleine Stadt unweit von Silifke. Zehn Kilometer weiter liegt das kleine Dorf Bogsak, wo Ali ein nettes, kleines Hotel betreibt. Ich kenne ihn schon von letztem Jahr. Er begrüßt mich freundlich, als ich den Hof betrete und gibt mir ein schönes Zimmer mit Terrasse und Gartenblick. Ich ruhe mich etwas aus und gehe um neun zum Frühstück. Vier Jugendliche, zwei Jungs, zwei Mädchen, alle Anfang zwanzig, sitzen schon am Tisch. Sie kommen aus dem Badischen und sind ornithologisch interessiert. Die meiste Zeit verbringen sie im Göksu-Delta, wo sie sich in einem Versteck auf die Lauer legen, um seltene Vögel zu beobachten und vor die Kamera zu bekommen. Ich fahre mit einem der hellgrünen Dolmus ins nahegelegene Tasucu. Es gibt dort einige Geschäfte und einen schönen Sandstrand. Eine Kopftuchfrau in weiten Kleidern entet ins Wasser und planscht im flachen Uferbereich. Kinder nehmen immer wieder von weiter oben Anlauf und springen in die Wogen. Eine moderne Fähre biegt langsam aus der Hafenmole aus, nimmt Kurs auf Zypern und gibt dann tüchtig Gas. Eine mächtige schwarze Ruswolke steigt in den Himmel und verliert sich dann nach und nach im Blau. Gegen Mittag wird es heiß, fast unangenehm schwül. Das Meer hat die Temperatur einer Badewanne und ist kaum mehr eine Erfrischung. Ich esse in einem kleinen Straßenlokal zu Mittag und gehe dann ein bischen in der Stadt spazieren. Im Park setzte ich mich unter einen schattigen Baum. Später gehe ich zurück ans Wasser. Eine Gruppe Jugendlicher spielt Fußball, ein paar Kopftücher schauen aus dem Wasser, zwei hübsche, junge Mädels, westlich in Bikini und Badeanzug, laufen gemächlich am Strand entlang. Ein großer, weißer Hund kommt zum Schrecken aller Badegäste an den Strand. Mit einem Zischlaut versuchen sie ihn zu vertreiben. Viele Türken haben Angst vor Hunden, da sie in den kleinen Dörfern oft als bissig und gefährlich gelten. Ein Polizist in hellblauer Uniform und Schiebermütze fragt, wem er gehört und verjagt ihn dann schließlich.

Es ist immernoch sehr heiß, als ich aufbreche. In einem angenehm klimatisierten Supermarkt kaufe ich noch ein paar Flaschen Efes und zu knabbern für den Abend, bevor ich zur Hauptstraße gehe, wo die Dolmus vorbeifahren. Man kann sie eigentlich überall auf ihrer Route anhalten und zu- oder aussteigen. Der Muezzin ruft zum Nachmittagsgebet, reger Nachmittagsverkehr rauscht vorbei. Ein alter Mann plagt sich mit seinem einfachen Fahrrad einen steilen Berg hinauf. Frauen bringen Säcke duftender Minze mit in den Dolmus. Auch sie steigen in Bogsak aus und ein Junge mit Handkarren wartet schon auf sie.

Tobi, einer der Jungs aus Baden, hat das Zimmer neben mir. Wir sitzen auf der Terrasse und spielen mit einem der Mädchen Kniffel. Beim Abendessen warten schon die Filmproduzenten Jan und Kai auf mich. Ich kenne sie von letztem Jahr. Sie drehen einen Dokumentarfilm über die Türkei und waren heilfroh, daß ich ihnen in Sachen Übersetzen weiterhelfen konnte. Sie bieten mir an, daß ich gerne mitkommen kann, wenn sie auf Tour gehen.

Ich fahre nach Silifke in die Stadt, streife ziellos durch die Straßen, hoch zur Burg. Der Weg nach oben ist etwas beschwerlich, da es schon wieder recht heiß und heute noch dazu sehr schwül ist. Aber die Mühe lohnt sich, denn von dort hat man eine tolle Aussicht über die ganze Stadt bis hin zum Meer. Am Nachmittag bleibe ich in Tasucu am Strand. Es ist so heiß und schwül, daß man es fast nur im Wasser aushalten kann. Die Abende verbringe ich mit den Badensern und den Filmern natürlich zusammen. Wir bleiben nach dem Essen noch lange sitzen, trinken ein, zwei kühle Efes und unterhalten uns. Ein heißer Wind weht und Ali misst abends um zehn noch eine Temperatur von 36 Grad. Die Anderen gehen bald schlafen. Ich sitze noch etwas auf der Terrasse vor meinem Zimmer und sehe in den flirrenden Nachthimmel. In der Ferne tuckert ein schwer überladener Lastwagen und quält sich einen Berg hoch. Der trockene Landwind hat die Schwüle fortgetragen. Die Luft ist jetzt warm und wunderbar klar. Hier sind viel mehr Sterne zu sehen als in Deutschlands klarsten Nächten. Es ist fast, als sehe man die Sternbilder vor lauter Sternen nicht. Blinkende Flugzeuge und Satelliten ziehen ihre Bahnen. Ein paar Sternschnuppen fallen. Plötzlich, mit einem Schlag, als habe jemand, wie im Planetarium einen Schalter betätigt, sind noch mehr Sterne am Himmel. Abermillionen flimmernder kleiner Sterne, die eine unvorstellbare Entfernung haben müssen. Der Strom ist ausgefallen und hat sämtliche Lichtquellen in der Umgebung ausgelöscht. Jetzt erst merkt man, wie störend eine, auch noch so dezente Beleuchtung sein kann, welch eine Lichtverschmutzung, vor allem in dichtbesiedelten Gegenden und großen Städten herrscht.

Eines späten Nachmittags, als ich aus Tasucu zurück komme sind Jan und Kai gerade dabei, ihre Ausrüstung bereitzustellen. Ali hat ein Fischerboot und sie wollen filmen, wie er die Netze auswirft und am nächsten Morgen wieder einholt. Das Boot ist groß genug, daß Jan, Kai, Ali, sein Sohn Ümit und ich Platz haben. Mit tuckerndem Motor verlassen wir langsam die kleine Hafenbucht und schippern ein Stück aufs Meer hinaus. Während die beiden Filmer Ali beim Netze auswerfen drehen, schwimme ich mit Ümit eine Runde, sodaß wir nich störend mit im Bild sind. Am Abend kommt wieder ein warmer Wind auf, stärker als die letzten Tage, fast stürmisch. Ali hat Besuch von einem Freund und sitzt mit ihm und einer Flasche Raki am Nachbartisch. Jan will wissen, ob es morgen früh windig sein wird, oder ob wir die Netze einholen können. Ich frage Ali und er mein: "Es wird windig sein, das ist zu geährlich." Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählt Jan genüsslich:" Um fünf bin ich auf dem Balkon gestanden, die Sonne ist grad aufgegangen und es hat sich kein Lüftchen gerührt. Naja, wenn ich mit dem Typen fast ne ganze Flasche Raki getrunken hätte, hätt ich auch keine Lust gehabt, um fünf aufzustehen.

Jeden Tag am Strand wird auf die Dauer langweilig. Ich mache einen Ausflug ins zentralanatolische Konya. Die Busse von Adana halten in Silifke. Kurvenreich geht es am Göksu-Fluß entlang. Barbarossa ertrank hier auf dem Weg nach Israel beim Bad. Durch niedrige, mediterrane Nadelwälder zieht sich die Straße langsam in den Taurus. Später erinnert die Landschaft daran, wenn sie im Fernsehen Bilder von Afghanistan zeigen. Hinter Mut geht es weiter in die Berge und wieder durchfahren wir die weiten, anatolischen Hochebenen, durch langgezogene, blaugraue Bergrücken begrenzt.

Das Mevlânâ-Mausoleum zieht Jahr für Jahr Besucher und Pilger nach Konya. Mevlânâ Celâleddîn Rûmî (1207-1273), war ein Islamischer Philosoph, der sein Leben lang in Konya wirkte. Er hat sehr viel für den Glauben getan und ist einer der erfolgreichsten Vertreter des Suffismus. Die Türkisgrüne Türbe strahlt im warmen Sonnenlicht. Männer mit Häkelmützen und Frauen in langen Mänteln mit Kopftüchern tummeln sich auf dem Vorplatz. Ein junger Mann mit sonnengerötetem Gesich und prallgefültem Rucksack gibt sich mit einem Buch mit der Aufschrift "Turkey" deutlich als Tourist zu erkennen. Auch hier auf über tausend Meter hat es wieder über dreißig Grad, aber die Luft ist angenehm trocken. In einem modernen Einkaufszentrum stehen vor einem Laden Schaufensterpuppen mit schönen Kleidern und farblich dazu abgestimmten Kopftüchern. Ein bunter, orientalischer Bazar mit geschäftigem Treiben fügt sich in die engen Gassen der Altstadt. Zurück in Silifke gibt es keinen Dolmus mehr und ein Busfahrer, der auf seinem Weg nach Antalya unweigerlich in Bogsak vorbeikommt nimmt mich kostenlos mit.

Ich fahre mit Jan und Kai nach Tisan, ein kleiner Badeort für die Reichen aus Ankara und Istanbul. Nur Mitglieder haben hier Zutritt, aber Ali hat Beziehungen und hat uns eine Lizenz verschafft. Kleine, saubere, weiße Häuschen reihen sich an den Straßen. Hier in einer Bucht sind die Chancen, die großen Meeresschildkröten zu sehen besonders hoch. Mit Schnorchel und Unterwasserkamera ausgerüstet, geht es ab ins Wasser. Jan regt sich über den Scooterfahrer auf, der die ganze Zeit in der Bucht herumdüst und zeigen muß, was für ein toller Hecht er ist. Das vertreibt natürlich die Schildkröten. "Wahnsinn!" ruft er plötzlich gerührt aus," Ein Erdbeerbaumzipfelfalter! Ja, die wirklich heißen so. Wenn wir das vor die Kamera bekommen, das wäre die Sensation." Den Erdbeerbaumzipfelfalter bekommen wir zwar nicht mehr vor die Kamera, dafür aber muß Niyasi, unser Fahrer, auf dem Heimweg eine Vollbremsung hinlegen. Eilig klettert Jan durchs Fenster und geht dabei das Risiko ein, überfahren zu werden. Mit einem Chameleon in den Händen kommt er zurück in den Kleinbus. Auf der Terrasse bringt uns Ali Tee und das Chameleon läuft etwas beirrt auf dem Tisch herum. Immerwieder müssen wir es einfangen, damit es nicht herunter fällt. Später lassen wir es im Garten wieder in die Freiheit.

Die Badenser sind schon vor ein paar Tagen abgeflogen. Jan und Kai fliegen für eine Woche noch nach Istanbul, wo sie ihre Dreharbeiten fortsetzen. Ich genieße die letzten warmen Sommertage bei Sonne und Meer. Jedesmal, wenn ich in die kleine Telefonzelle vor dem Campingplatz gegangen bin, um nach Hause zu telefonieren, war es in Deutschland regnerisch kühl.

Tasucu

Strand

Strand

Zwischen Silifke und Konya

Göksu

Göksu

Konya

Mevlânâ-Mausoleum

Mevlânâ-Mausoleum

Markt

Markt

Silifke

© Thomas K., 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Adana - Diyarbakir - Van - Hakkari - Dogubayazit Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten kontrollieren die Straßen im Grenzgebiet zum Iraq und Iran
Details:
Aufbruch: 03.08.2006
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 24.08.2006
Reiseziele: Türkei
Der Autor
 
Thomas K. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.