Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg

Reisezeit: Juni - August 2009  |  von Timo Eckhardt

Prisons of freedom

Am ersten Morgen ein Klopfen an der Tür. It's Brian. "Could you do me a favour?" Seine Freundin bzw. Verlobte, ebenfalls Bev, ist im Krankenhaus, sie hat seit einigen Tagen Schmerzen im Rücken. Er möchte sie dort abholen, ohne Auto geht das allerdings nicht. Also komme ich mit. So kommt es, dass ich zusammen mit Brian und Bev den halben Tag in einem Krankenhaus verbringe. Den halben Tag deshalb, weil Bev noch verschiedenste Untersuchungen über sich ergehen lassen muss. Und mit einem Arzt spricht. Während sie das tut (zusammen mit Brian, der auch dazugebeten wurde), ahne ich schon, dass ein Arztbesuch in Südafrika nicht mit einem in Deutschland vergleichbar ist: Ich warte gestandene 35 Minuten. Brian bestätigt mir meinen Eindruck, indem er erzählt, dass der Arzt ihnen alle möglichen Optionen offen gelegt hat, mit ihnen diskutiert hat, die verschiedenen Varianten abgewogen und ihre Ängste (vor einer möglichen Operation) berücksichtigt und ernst genommen hat. Dass sich die Ärzte hier tatsächlich Zeit für die Person nehmen, und nicht wie ihre deutschen Kollegen nur die Diagnose und das dazu passende Mittelchen sehen, sei hier durchaus die Regel. Überhaupt herrscht in diesem Krankenhaus eine lockere, entspannte und lebhafte, fast ausgelassene Stimmung, viele Menschen laufen auf den Fluren umher. Niemand scheint hier ein Problem damit zu haben, in einem Krankenhaus zu sein. Inklusive mir, wo ich diese Siechenstimmung in (deutschen) Krankenhäusern eigentlich hasse. Alles geht recht langsam vonstatten, kein Arzt hier, der gehetzt von Zimmer zu Zimmer rennt.

Der Abend hält zwei durchaus aufregende und interessante Erfahrungen bereit: wir fahren Bev in der Dunkelheit nach Hause - eine Tat, von der in jedem hysterischen Reiseführer strikt abgeraten wird und aufgrund ihrer erlebten Harmlosigkeit (bei der richtigen Streckenwahl) durchaus zu einiger Relativierung solcher Warnungen meinerseits beiträgt. Und: ich finde mich bei unserer Ankunft in Bevs Viertel plötzlich in einer Lübecker Neubausiedlung wieder - zumindest sieht es hier so aus. Denn gleich am zweiten Tag in Südafrika werde ich mich mit einem wichtigen und bekannten Phänomen der südafrikanischen Siedlungspolitik/-entwicklung konfrontiert: einer "gated community" - umzäunt, genauer ummauert, mit einem extra engagierten Sicherheitsdienst, der die Eingangsschranke erst nach Eingabe eines Codes und der Unterschrift des Fahrers öffnet. Bev wohnt in einer solchen, in der sich Backstein-Reihenhäuser aneinanderreihen, vor denen deutsche Autos parken und die so schön friedlich wirken. Hier ist die Welt noch bzw. schon wieder heil! Ganz wertfrei ist diese Beschreibung zwar nicht und mein Einschätzungsvermögen der südafrikanischen Sicherheitslage sicherlich noch begrenzt. Aber die Atmosphäre in diesen Gefängnissen der Freiheit ist schon irgendwie grotesk und pervers.

Die hohe Kriminalität bzw. das Risiko, ihr Opfer zu werden, ist in Johannesburg definitiv omnipräsent. In den Straßen von Auckland Park, der Stadtteil, in dem auch der Kingsway Campus liegt, ist jedes Haus von einer Mauer und einem darauf befindlichen Stachel- oder Natodraht umgeben. Wie die UJ. Eintritt erhält man hier nur bei Vorlage einer entsprechenden Karte, erst dann öffnet sich die Schranke. Insofern wohne auch ich in einer gated community. Auf dem Campus selbst kann man sich dafür natürlich umso freier bewegen - man schließt sich ein, um freier zu sein. Sicherheitsleute sind in jedem Geschäft, in jeder Bank, auf jedem Parkplatz zu finden. Jede Autofahrt, die ich mit Brian unternehme, beginnt damit, die Knöpfe runterzudrücken (ich habe mir das noch nicht so recht angewöhnt). Rucksäcke mit Wertsachen sollten in den Kofferraum geschlossen werden. Aber es kommt - zumindest was mich betrifft - bislang nicht soweit, dass all das zu einer Belastung wird oder zu einem ständigen Gefühl der Bedrohung führt. Eher merke ich schon, wie schnell man sich daran gewöhnen kann und die Kriminalität lediglich zu einer Bedingung neben vielen anderen wird, die das Leben hier beeinflusst.

© Timo Eckhardt, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eindrücke, Erzählungen, Stimmungen und Begegnungen aus Johannesburg, die etwas vom Alltag in Südafrika und seiner Kultur, Geschichte und Politik erzählen. Der Reisebericht basiert auf einem 11-wöchigen Forschungsaufenthalt in Gauteng, Südafrika und dokumentiert, was mir außerhalb der Recherche begegnet ist.
Details:
Aufbruch: 10.06.2009
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 29.08.2009
Reiseziele: Südafrika
Der Autor
 
Timo Eckhardt berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.