Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg

Reisezeit: Juni - August 2009  |  von Timo Eckhardt

Game in the Kruger

Bislang habe ich die Grenzen Gautengs nicht überschritten. Auckland Park, Sandton, Melville und ein paar andere Ecken Jozis als meine Haupt-Aufenthaltsorte, kaum "Natur", kein Wald, keine Wiese, nur urbane Unendlichkeiten. Nun soll es an der Zeit sein, das Afrika der Mythen und Legenden kennen zu lernen - im famosen Kruger National Park. Offizieller Anlass ist Shaatunas Geburtstag. Peter und Tau komplettieren die Gruppe.

Johannesburg bzw. Gauteng liegt am östlichen Teil des großen südafrikanischen Hochplateaus "Highveld" auf ungefähr 1700 Metern. Das Klima ist mild und trocken und die Niederschläge entsprechend gering. Das hat entsprechende Auswirkungen auf die Vegetation. Der Kruger Park liegt am nordöstlichen Rand Südafrikas, in der Provinz Mpumalanga, etwa 450 Kilometer entfernt von Joburg. Vielleicht 200 Kilometer hinter Johannesburg geht es plötzlich merklich bergab, um uns herum tun sich eindrucksvolle, steile und tiefe Felswände auf - mir wird die Hochlage Joburgs das erste Mal wirklich bewusst. Waren wir in Jozi in Pullover losgefahren, lässt sich hier Sommerkleidung tragen. Auch die Vegetation ändert sich - mit jedem Höhenmeter, den wir abwärts zurücklegen, wird es grüner, sehen wir mehr Bäume. Bald ist der Raum zwischen Highway und den Felswänden fast vollständig mit Gestrüpp und Bäumen und anderem "Grünzeug" bedeckt, was man "daheim" eher weniger sieht (was natürlich auch an der großen Bebauungsdichte liegt). Am Straßenrand gelb leuchtende Zitronenbäume. Irgendwo auf einem brach liegenden Acker plötzlich ein Vogelstrauß, der aufmerksam und irritiert drein schaut. In der Ferne drei Antilopen.

Nach fünf Stunden Fahrt erreichen wir den Marloth Park, ein Nature Reserve am Rande des Kruger Parks, in dem wir untergebracht sind. Die Unterkunft, "Dubois Lodge" genannt und von Freunden von Bev (das Organisationstalent aus dem Department, die mich auch am Flughafen empfing) geführt, ist mitten im Busch gelegen, fünf Minuten vom Zaun zum Kruger Park und einem breiten Flusstal entfernt. Im Hof der Lodge heißt uns Nick willkommen, ein euphorischer, stets barfüßiger und zuvorkommender Safariliebhaber, der draußen zu Hause ist und mit eigenen Händen innerhalb eines Jahres die gesamte Lodge gebaut hat. Die ist recht luxuriös, mit hohen, geräumigen und gemütlichen Räumen, in denen man sich schnell zu Hause fühlt. Dazu trägt auch die familiäre Atmosphäre bei, die Nick und Bernadette mit ihrer warmen und persönlichen Art erzeugen. Bernadette, von zierlicher Statur und Mitte Ende 30, ist für den eher "bürokratischen" Teil des Lodgebetriebs zuständig. Wie uns Nick stolz berichtet, hat sie Abschlüsse in drei Fächern, unter anderem in Recht, die sie in Joburg "gesammelt" hat. Trotzdem hat sie sich entschieden, hier draußen im Busch zu leben, eine Lodge aufzubauen und tagtäglich neue Menschen aus aller Welt zumindest für kurze Zeit kennen zu lernen. Genau wie Nick, der hier den abenteuerlichen Part übernimmt und neben seinen Safaritouren jeden Abend damit beschäftigt ist, ein Feuer zu machen und darauf irgendein Mahl zuzubereiten. An einem Abend teile ich ihm meine Faszination für sein Leben mit. Er sagt, in vielen Besuchern, die ein geschäftiges Leben lebten, errege er eine gewisse Sehnsucht nach einem ruhigeren Lebensstil, viele sagten ihm, wie gut er es doch habe und bedauerten sich selbst. Jedem dieser Leute mache er immer wieder deutlich, dass es seine Entscheidung war, dieses Leben zu leben, und dass es in der Hand eines Jeden liege, diesen Weg zu wählen.

Peter und Tau, die ich das erste Mal ganz am Anfang beim "Socializing" traf und dann neugierig wurde, näher kennen zu lernen, sind zwei interessante Menscher und können mit ihren 25 Jahren ein durchaus gewaltiges Volumen an Lebenserfahrung vorweisen: Peter lebt mehr oder weniger seit sechs Jahren im südlichen Afrika, machte seinen Zivildienst in Namibia, wo er mit seiner damaligen kurzfristigen Freundin einen Sohn bekam. Der lebt heute mit seiner Mutter in Windhoek und wächst dreisprachig auf (Englisch, Afrikaans, Deutsch). Peters Wunsch ist, dass er in zwei Jahren eine (Waldorf-)Schule in Deutschland besucht, um ihm das zu ermöglichen, was seiner Meinung nach vielen Kindern in Namibia bzw. Südafrika eher verwehrt bleibt: eine gute und umfassende Schulausbildung und gleichzeitig mehr Sicherheit und die Möglichkeit, frei und unbesorgt auf der Straße zu spielen und im Wald zu tollen. Peter, ein selbsternannter Sozialist, sieht seine Zukunft in der angewandten Forschung für Gewerkschaften, die sich in Zeiten der Globalisierung mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen. Tau, seine Freundin, kommt aus Botswana, lebte in den vergangenen Jahren in verschiedenen Ländern des südlichen Afrikas, arbeitete als Lehrerin und macht jetzt ihren Master in Recht. Das heißt natürlich nicht automatisch etwas, aber die Art, wie sie spricht, mit welcher Überzeugung, Eloquenz und Leidenschaft sie ihren Standpunkt und ihre Wahrnehmungen vertritt, beeindruckt doch irgendwie und lässt erahnen, dass sie einiges erlebt hat. Wenn ich ihr zuhöre, weiß ich, dass ich es hier mit der jungen afrikanischen Bildungselite zu tun habe, die ihre Fähigkeiten für Afrika einsetzt.

Zurück zur Natur: Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, gegen halb 5 - vor allem "Papa", wie der majestätische König der Tiere in Kenia genannt wird, sucht Wasserlöcher, die zu dieser Jahreszeit sehr rar sind, nur am frühen Morgen auf. Auf einer Schotterstraße fahren wir der Sonne entgegen, bald stehen wir vor den Türen des Kruger. Am Straßenrand Warthogs (Warzenschweine) mit mächtigen Hauern. Impalas, eine Antilopenart, die Rehen ähneln und die es hier zu Hauf gibt (150.000 Exemplare). Blau schimmernde Kap-Stare. Nach ein paar Minuten ist er da, bahnt sich langsam seinen Weg durch das Gestrüpp: ein Elefant in freier Wildbahn. Wohl am faszinierendsten ist die fast unwirkliche Gemächlichkeit, mit der sich dieses Geschöpf an frischem Geäst zu schaffen macht und die ihn uralt und weise erscheinen lässt. Er scheint hinter seiner dicken Haut etwas zu verbergen, etwas zu wissen, was wir noch nicht wissen oder niemals wissen werden. Und doch so bescheiden und zurückhaltend. Ein leichtes, stetes Lächeln. Der Dalai Lama der Tierwelt.

Bald auch die erste Giraffe, die uns an dem Tag noch öfter begegnen soll. In einem Fluss, nahe einer Brücke, dann ein paar aus dem Wasser ragende Augenbrauen - Hippos oder auch Nilpferde. Krokodile, Gnus, ein sich am Baum kratzender Büffel. In einem Baum ein großes Nest, darin ein weißköpfiger Fischadler, darauf wartend, dass seinE PartnerIn zurück kommt, die/der gerade vor blauem Himmel große Ellipsen dreht und Beute wettert. Bei einem Picknick in einem der Camps werden die Pausierenden plötzlich von kleinen frechen Affen überfallen, die hinterhältig umher laufen und nur Unruhe stiften zu wollen scheinen. An ihrer Ähnlichkeit zu menschlichen Bewegungen, Gesten, ihrem ganzen Pathos kann ich mich kaum satt sehen.

Das volle Programm am mythischen und legendären Afrika mit Hinblick auf Tiere also. Zumindest fast. Einer, der beeindruckt und die vielen Autos am Straßenrand halten lässt, aus denen dann Dutzende Ferngläser herausgeschossen kommen, hat sich noch nicht blicken lassen: Papa, der Löwe. Die aneinander vorbeifahrenden Touris beraten sich - wer hat ihn wo gesehen? Dann, dort hinten, hinter der Flussbank, ein Rudel. Nur mit der Brille kann ich einige sich bewegende beige Flecken sehen. Unser Vehikel ist leider nicht mit Ferngläsern gesegnet. Ein wenig unbefriedigend. Doch kurz danach schwächt mein jagdinstinktähnliches Ausschauhalten ab, ich werde müde. 3einhalb der großen 5 sahen wir. Und natürlich viele andere spannende und unbekannte, kleine und große Wesen, die in der "The big five"-Hysterie nicht vergessen werden sollen.

Am Abend kommen unsere kanadischen Mitbewohner von ihrer professionell geleiteten Tour zurück. Sie hatten viel Glück und haben noch einiges mehr erlebt. Auf dem Laptop wird stolz ein Bild präsentiert - zwischen den Besuchern scheint ein gewisser Konkurrenzkampf bzgl. der Anzahl der beobachteten Tiere üblich zu sein; mit Geparden und Löwen punktet man besonders. Es zeigt einen kompakten und kräftigen Leoparden, der gerade ein gerissenes Impala davon schleppt. Das erlebt man nicht alle Tage. Nicht einmal Bernadette, die einst Tierphotographin zu sein pflegte, bekam das bisher zu Gesicht.

Kurz vor Sonnenuntergang mache ich einen Spaziergang zum Fluss bzw. zum Zaun und nehme auf einer Bank Platz. In die Stille gesellt sich neben den Grillen der Klang des rauschenden Wassers, das sich durch das wilde und archaische Tal seinen Weg bahnt. Meine durch den Johannesburger Smog geschändeten Lungen saugen die frische Luft begierig auf. Der Moment ist absolut, das einzige, was jetzt zählt. Ein letzter Zug, dann gehe ich wieder zu den Zebras und Impalas, die sich von Shaatuna, Peter und Tau und im Hof füttern lassen.

In der Nacht macht sich dann noch einmal jemand lautstark bemerkbar. Ein dumpfes Bellen durchfährt in regelmäßigen Abständen die Nachtruhe, unidentifizierbar. Nick erklärt uns am Morgen, es seien Löwen gewesen.

© Timo Eckhardt, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eindrücke, Erzählungen, Stimmungen und Begegnungen aus Johannesburg, die etwas vom Alltag in Südafrika und seiner Kultur, Geschichte und Politik erzählen. Der Reisebericht basiert auf einem 11-wöchigen Forschungsaufenthalt in Gauteng, Südafrika und dokumentiert, was mir außerhalb der Recherche begegnet ist.
Details:
Aufbruch: 10.06.2009
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 29.08.2009
Reiseziele: Südafrika
Der Autor
 
Timo Eckhardt berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.