Wege zur Romanik - Dorfkirchen im Burgund

Reisezeit: Oktober 2013  |  von Herbert S.

Wege zur Romanik-Dorfkirchen im Brionnais II

Semur-en-Brionnais

Die Kirche von Semur-en-Brionnais, im 12. Jahrhundert errichtet, ist einer der spätromanischen Bauten des Brionnais. Sie ist dem heiligen Hilarius geweiht, einem Kirchendoktor der Kirche aus dem 4. Jahrhundert.
Semur (sinemurus: vorlateinische Bezeichnung; im Jahre 879 als ,,senmurus"erwähnt) ist ein sehr alter Name, dessen Herkunft ungewiß ist. "Senemurum" scheint eine Festung zu bezeichnen, die auf einem Bergsporn lag und zum Hauptort des Brionnais wurde.
Vor dem Jahr 1000 war Semur eine Herrschaft, die den Grafen von Chalon unterstand und die bald den Rang einer Freigrafschaft erlangte. Der berühmteste Vertreter des Geschlechts der Herren von Semur war der heilige Hugo, der bedeutende Abt von Cluny (1049-1109), Bauherr der größten Abteikirche der Christenheit. Gegen 1274 erhielt der Ort ein eigenes Pfarrecht, das durch ein Kanonikerstift ausgeübt wurde. Die Kirche selbst wurde 1364 durch die englischen Truppen des Prinzen de Gailes verwüstet, im Jahre 1576 steckten die Calvinisten das Gotteshaus in Brand. Dabei wurde die Mittelschiffswölbung zerstört und notdürftig durch eine Holzdecke ersetzt. Erst im 19. Jahrhundert errichtete man eine neue Tonne.

Die dreigeteilte Fassade besitzt einen leicht vorspringenden Mittelteil, der in seinem oberen Abschnitt von einem großen Rundfenster durchbrochen wird. Das reich geschmückte Westportal darunter hat mehrfach profilierte Archivolten, die seitlich eingestellten Säulen und auf Pilastern ruhen. Im Tympanon, dessen Stil etwas plump wirkt, ist eine Majestas Domini dargestellt, also Christus in der Mandorla, umgeben von zwei Engeln und den Evangelistensymbolen. Am Architrav ist eine Szene aus dem Leben des heiligen Hilarius dargestellt Sie zeigt diesen Bischof aus Tours beim Konziel im Jahre 359.
Hilarius, der gekommen war, um den Arianismus zu bekämpfen, ist am Boden sitzend dargestellt, umgeben von den Konzilianten, die auf erhöhten Sesseln Platz genommen haben. Rechts ist der Tod des Pseudo¬Papstes Leo gezeigt, der den Vorsitz des Konzils hatte und ein Parteigänger des Häretikers Arius war.

Zwei Seitenportale gewähren Zugang zu den Seitenschiffen. Das der Südseite besitzt nur ein schlichtes Kreuz, das der Nordseite dagegen ist reich geschmückt. Der Türsturz zeigt eine Folge von Rosetten, im Tympanon darüber ergeben vier kleine Blendbögen mit Pflanzenmotiven eine phantasievolle Komposition. Die Archivolten, die auf eingestellten Säule-bzw. seitlichen Pilastern ruhen, erzeugen mit ihren reichen Ornamenten einen wirkungsvollen Abschluss.

Die Ansicht der Chorpartie zeigt ein harmonisches Zusammenspiel: Die Seitenapsiden schmiegen sich an die Hauptapsis, die von zwei Streben flankiert wird. Der Giebel der Mauer, die das Chorjoch abschließt, wird von einem Okulus durchbrochen, den eine Zwillingsarkade umfängt.
Der oktogonale Turm, der sich über der Vierung erhebt, umfasst zwei reich gegliederte Stockwerke. Im unteren sind der Wand auf jeder Seite zwei Blendbögen aufgelegt, die mehrfach profiliert sind und auf Säulen bzw. einem Pilaster in der Mitte ruhen. Im Stockwerk darüber befinden sich die Klangarkaden. Eine dreifach profilierte Archivolte auf Säulen leiten von der vorderen Wandschicht nach innen, wobei sich die Form vom Spitzbogen zum Rundbogen verändert; Ein Biforium schließt die Wand ab.

Die Kirche von Semur besitzt ein dreischiffiges Langhaus zu vier Jochen, auf das ein ausladendes Querhaus und eine gestaffelte Dreiapsidenanlage mit vorgeschalteten Chorjochen folgen. Im Langhaus kommunizieren Mittelschiff und Seitenschiffe durch hohe Spitzbogenarkaden.
Der Spitzbogen kommt in allen Abschnitten des Baus vor, ähnlich wie in Paray, Cluny und Autun. Ein gewisser cluniazensischer Einfluß zeigt sich auch in dem dreigeschossigen Aufriß. Zwischen die Arkadenzone und den durchfensterten Obergaden ist ein Triforium gesetzt, das als rein schmuckvolle Galerie das ganze Langhaus umzieht, ohne den funktionalen Charakter eines Laufganges zu haben. Die Kreuzpfeiler des Baus besitzen vorgelegte, kannelierte Pilaster, auch dies ein cluniazensisches Motiv. Die Kreuzarme sind mit einer Spitztonne geschlossen, während die Vierung über den Trompen einen oktogonalen Tambour mit einer Blendarkade und darüber eine Kuppel besitzt.
Die drei ersten Joche des Langhauses werden von einer gestelzten Rundtonne überspannt, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Über dem Westportal sitzt eine wirkungsvolle Tribüne (Michaelskapelle), die eine Miniaturkopie der gleichen Kapelle in der Abteikirche von Cluny III darstellt.

Saint-Julien-de-Jonzy

Die Kirche von Saint-Julien-de-Jonzy wurde gegen Mitte des 12. Jahrhunderts errichtet. Von diesem Bau haben sich jedoch nur der Turm mit seinem Sockelgeschoß und das schöne Portal erhalten. Das jetzige Langhaus entstammt dem 19. Jahrhundert. Von dem romanischen Vorgängerbau, der sich auf der gegen-überliegenden Seite des Turmes erhob, hat sich nichts erhalten. Die Kirche ist dem heiligen Julian geweiht, einem römischen Soldaten, der im frühen 4. Jahrhundert sein Martyrium erlitt.
Die Kirche von Saint-Julien wird erstmals 1106 in einer Urkunde der Abtei Cluny erwähnt. Unter dem Ancien Régime gehörte sie als Pfarrei Saint-Julien-de-Cray zur Diözese Mâcon und unterstand dem Dekanat von Charlieu. Vor der Frz. Revolution war Graf Gaspard de Vichy Chamron der wichtigste Grundherr des Ortes. Dreimal jährlich hielt man in dem Ort um eine alte Halle herum Jahrmärkte ab.

Die interessantesten Teile der Kirche sind der Turm und das romanische Portal. Der Turm, der heute über der Fassade sitzt, wurde als einer der schönsten Türme der burgundischen Romanik bezeichnet. Er besitzt ein Pyramidendach, das wie das Langhaus im 19. Jahrhundert erneuert wurde. Die untere Etage wird durch kannelierte Pilaster mit abschließendem Rundbogenfries geschmückt. Das Klanggeschoß darüber besitzt auf allen Seiten Biforien. Ihre doppelten Archivolten ruhen auf dünnen Säulen mit Blattkapitellen.
Hauptschmuck dieser Kirche ist das romanische Portal. Das Tympanon zeigt Christus in der Glorie, in einer Mandorla, die von zwei geflügelten Engeln getragen wird. Im Architrav, der aus demselben Steinblock gearbeitet ist, ist das Letzte Abendmahl dargestellt. Die Köpfe von Christus und den Aposteln wurden während der Frz. Revolution abgeschlagen, nur der von Judas nicht. Dieses bemerkenswerte Kunstwerk, voller Leben und Bewegung, zeigt enge Analogien zu dem großen Tympanon im nahegelegenen Charlieu. Es bezeichnet das Ende der romanischen Plastik im Brionnais.

Beim Eintritt in die Kirche befindet man sich im romanischen Teil, das heißt in dem Joch, das unter dem Turm liegt. Es wird von einer oktogonalen Trompenkuppel überwölbt. Dieser Raumabschnitt wird von vier Spitzbogenarkaden begrenzt. Sie ruhen auf vorgelegten Halbsäulen, die Basen und skulptierte Kapitelle besitzen. Zwei schmale Fenster geben dem Raum von Norden und Süden Licht.
Der moderne Teil umfaßt ein dreischiffiges Langhaus zu fünf Jochen, ein eingezogenes Querhaus und eine halbrunde Apsis, der ein Chorjoch vorgelagert ist. Große Rundbogenarkaden, die auf runden Pfeilern und schweren Akanthuskapitellen ruhen, vermitteln zwischen dem Mittelschiff und den Seitenschiffen. Alle Joche werden von Kreuzgratgewölben überspannt und durch Spitzbögen voneinander getrennt.

Iguerande

Die gegen Ende des 11. Jahrhunderts errichtete Kirche von Iguerande ist eine der wichtigsten romanischen Bauten des Brionnais. Trotz mehrfacher Restaurierungen konnte sie ihre Klarheit bewahren. Heute trägt sie das Patrozinium des heiligen Marcel, eines Märtyrers des 2. Jahrhunderts.
Der Name Iguerande leitet sich aus dem gallischen Wort "Awaranda" ab, das einen Grenzort an einem Flußlauf bezeichnet. Möglicherweise markierte Iguerande die Grenze zwischen den gallischen Stammesgebieten der Häduer und der Arverner.
Im Jahre 1088 kam die Kirche von Iguerande unter cluniazensischen Einfluß und wurde dem Priorat von Marcigny unterstellt. Sie gehört zu einem kleinen Priorat, das bereits vor der Frz. Revolution verschwand.
Im Mittelalter war Iguerande, das als Grenzort zwischen dem Brionnais und der Grafschaft Forez lag, wiederholt das Ziel militärischer Unternehmungen. Unter dem Ancien Régime war die Pfarrei von Iguerande zwischen dem "Bailliage" von Semur und dem Gebiet von Lyon geteilt. Der Sprengel unterstand der Diözese von Mäcon.
Etwas später diente der Bau als Pfarrkirche und war dem heiligen Andreas, dem Bruder des Petrus geweiht. Sie übernahm damit die Pfarrfunktion der kleinen Kapelle Saint Marcel, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts zerstört wurde.

Da dem Mittelschiff ein Obergaden fehlt, wirkt die Kirche von Iguerande überaus robust und massiv.
Der quadratische Glockenturm besitzt zwei Geschosse, die durch ein Konsolgesims getrennt werden, das Obergeschoß ist reicher geschmückt, denn zwei Biforienfenster mit Überfangbögen gliedern die Seiten. Insgesamt bietet der Turm, den ein flaches Pyramidendach schließt eine massive Silhouette, die an die Kirche von Saint-Martin d'Ainay in Lyon erinnert.

Das Westportal mit seinem glatten Bogenfeld wird von einer einfachen Archivolte umschlossen, die auf zwei Säulen mit skulptierten Kapitellen und Basen ruht. Der Kapitellschmuck besitzt Pflanzenmotive, unter anderem Granatäpfel, die ein Symbol der Unsterblichkeit sind.

Es handelt sich bei der Kirche von Iguerande um eine Hallenkirche, da das Mittelschiff keine eigenen Fenster besitzt. Die gleiche Situation findet sich auch in den nahegelegenen Kirchen von Varenne-l'Arconce und Saint-Germain-en-Brionnais. Die Kirche von Iguerande hat ein dreischiffiges Langhaus zu drei Jochen, ein ausladendes Querhaus und ein gestaffelte Dreiapsidenanlage mit vorgeschalteten Jochen als Abschluß.
Die Mittelschiffsjoche werden von einer Rundtonne geschlossen, deren einzelne Joche von Gurten mit Unterzügen getrennt werden. Die Seitenschiffe hingegen sind kreuz-gratgewölbt und stehen mit dem Mittelschiff durch große Rundbogenarkaden in Verbindung.
Über der Vierung erhebt sich eine oktogonale Trompenkuppel, die das schwere Gewicht des Turms zu tragen hat.

Die Pfeiler sind kreuzförmig und haben vorgelegte Halbsäulen, ihren Abschluß bilden Kapitelle mit phantasiereichen Pflanzen- oder Figurenkompositionen. Diese Art des Dekors findet sich auch auf den Basen wieder und bezeugt den Reichtum der Skulptur im Brionnais.

© Herbert S., 2013
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Im Sommer haben wir die Idee geboren - bei Chantal und Gilbert in Chalon-sur-Soane das Häuschen mieten und noch einmal durchs Burgund streifen. Nach zehn Jahren erkennen wir vieles wieder, aber finden auch manches Neue.
Details:
Aufbruch: 05.10.2013
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 12.10.2013
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Herbert S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Herbert sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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