Sternstunden auf dem Watt

Reisezeit: Juli 2013  |  von Manfred Sürig

Sternstunden in der Außenelbe

Am nächsten Morgen stimmt einfach alles: Strahlende Sonne bei leicht diesigem Wetter, der Wetterbericht unverändert und Hochwasser unmittelbar nach unserem Frühstück.
Wir motoren hinaus in die Elbe, zunächst noch gegen einen schwachen Flutstrom, der nach 20 Minuten ganz wegbleibt, um nach weiteren 20 Minuten stramm elbabwärts zu fließen.
Die Luft steht und das Wasser fließt unter ihr hindurch, da können wir "am eigenen Fahrtwind kreuzen", immer zwischen dem nördlichen Tonnenstrich und den Flachwassergebieten am Nordrand der Fahrrinne.
Immer mit Blick aufs Echolot und unseren Plotter, und natürlich mit Peilungen auf den Schiffsverkehr auf der Elbe und anderen Seglern, die mit uns elbabwärts treiben.
Wir finden das gar nicht langweilig, und nördlich von Cuxhaven wird es richtig aufregend. Trotz der Flaute sehen wir Kabbelwasser nordwestlich von uns, auf das wir schnell zufahren.
Hier stößt der Strom der nördlich fließenden Medemrinne in einem immer stärker werdenen Bogen nach Süden in das Hauptfahrwasser der Elbe zurück. Am Rand dieses Bogens zeigt die Seekarte eine steile Fahrwasserkante, die bei Niedrigwasser trockenfällt.
Fast am südlichsten Zipfel dann bricht ein Teil des Medem-Stroms nach Nordwesten aus in eine Rinne, die es vor wenigen Jahren so noch gar nicht gab.
Die Seekarte warnt: "Unkundige werden dringend gewarnt, das sehr veränderliche Klotzenloch zu befahren." Weiter abwärts sehen wir in der Rinne des Klotzenlochs Krabbenfischer stromauf ihre Netze ausbringen, da muß es also tief genug sein. Aber dazwischen? Ist es nun dort so kabbelig, weil es plötzlich ganz flach wird oder weil der Ebbstrom sich durch eine schmale Öffnung zwängt ?

Wir treiben genau darauf zu, aber in den letzten Minuten packt uns der Medemstrom nach Süden und zwingt uns die Entscheidung auf, nicht die Einfahrt ins Klotzenloch mit Plotter und Echolot auszutasten.
Auf den Plotter ebenso wie auf die Seekarte wäre dort auch kein Verlaß gewesen.
Obwohl wir unsere Position im GPS genau ablesen und mit der Seekarte vergleichen: Laut Seekarte 2 bis 3 Meter Wassertiefe, das Echolot zeigt über 12 Meter an, der Plotter, dessen letzter Softwarenachtrag erst 6 Monate alt ist, sagt, wir bewegten uns im Sechsmeterbereich.
Gut, dass wir hier im Zeitlupentempo entlangtreiben und kein Wind gegen den Strom weht, sonst wäre hier die Hölle los.
Da kann man nachvollziehen, dass es viel zu riskant wäre, mit einem Kielboot im Klotzenloch zu segeln, denn statt Seekartenangabe 3 Meter, kann es anderswo auch 30 cm oder weniger sein. Da sieht man bei Wellengang dann nur noch Brandung, auf die einen der Ebbstrom zudrückt. Mit ausreichender Augenhöhe kann man an der Art der Kabbelung ahnen, wo es tiefer wird uns wo Flachwasserkanten sein können, aber wenn man 1,5 m über den Wellen auf dem Boot schaukelt....
Bei dem ruhigen Wetter heute hätte man es mit laufendem Motor mal wagen können, aber am Ende verkneifen wir uns das Abenteuer. Umso schneller drückt es uns nun in die Außenelbe nach Nordwesten. Spiegelglatt ist das Wasser, nur mit etwas Schwell vom Schiffsverkehr.

Die Schiffe drehen hier kräftig auf, eigentlich wollen wir ans Südufer nach Neuwerk.
Aber wie kommt man ohne Wind rüber ?
Inzwischen sieht man an den Ufern die Wattflächen trockenfallen, und dort, wo steile Kanten sind, sieht man viele kleine schwarze Punkte. Sind das nun watende Vögel oder Seehunde ?

Lautlos schiebt sich unser Boot so nahe wie möglich an der Sandbank entlang, fürs Tele sind wir nahe genug und stören die Tiere trotzdem nicht.

Lautlos schiebt sich unser Boot so nahe wie möglich an der Sandbank entlang, fürs Tele sind wir nahe genug und stören die Tiere trotzdem nicht.

Meine Theorie, dass es im Laufe des Tages, spätestens mit dem Umschlagen des Ebbstroms wieder zu thermischem Nordwestwind kommen muß, geht heute nicht ganz auf.
Ob es nun "Kreuzen am eigenen Fahrtwind" ist oder eine leichte Brise aus Westnordwest, können wir mitten auf der Außenelbe nicht genau feststellen.
Immerhin teilen sich die Fahrrinnen in ein nördliches Fahrwasser für auslaufende und ein südliches Fahrwasser für einlaufende Schiffe. Zwar halten sich nicht alle daran, aber zwischen diesen Rinnen können wir uns vom ersten Querungsstreß erholen und dann die Südrinne in Angriff nehmen.
Da sieht man einen Tanker gerade mal am Horizont auftauchen und muß einkalkulieren, dass der einem in weniger als 20 Minuten gefährlich nahekommen könnte.
Wir halten auf die nächste Fahrwassertonne zu, um möglichst kurz in der Hauptrrinne zu bleiben, und als wir weiter südlich auf die Sände zuhalten, da spüren wir schon den Flutstrom elbaufwärts !
Helgoland als Ziel wäre heute nix gewesen oder wir hätten den Motor den ganzen Tag quälen müssen!
So lassen wir uns in einen Priel nördlich von der Insel Neuwerk (Buchtloch) treiben. Das Tasten mit dem Echolot funktioniert, aber um nicht aufzubrummen, müssen wir das erste Mal den Motor anwerfen, um nicht vom Strom auf eine Barre gedrückt zu werden. Als uns Schiffswellen überholen, sehen wir, dass sie sich wenige Meter neben uns überschlagen - Schwein gehabt!
Doch dann zeigt das Echolot im Priel immer tiefer werdendes Wasser an, ganz vorsichtig halten wir uns westwärts Richtung Seehundsbänken, und erneut treffen wir eine große Kolonie an. Die scheinen uns zu riechen und watscheln ins Wasser.

Wenn erst der Erste die Flucht ergreift, gibt es für die andern kein Halten mehr!

Wenn erst der Erste die Flucht ergreift, gibt es für die andern kein Halten mehr!

Er hat die Nerven behalten und bleibt an Land, die andern schwimmen um uns herum und tauchen mit ihren Stupsnasen rund ums Boot aus dem Wasser auf.

Er hat die Nerven behalten und bleibt an Land, die andern schwimmen um uns herum und tauchen mit ihren Stupsnasen rund ums Boot aus dem Wasser auf.

An einer Stelle, an der die Sandbank fast 1,50 m aus dem Wasser ragt, ankern wir östlich davon im Windschatten. Hier bleiben wir den Rest des Tages liegen, auch als der thermische Nordwestwind dann doch noch kommt. Hinter der Sandbank liegen wir auch noch ruhig, nachdem sie etwa 30 cm hoch überflutet ist.
Die Sonne hat uns zugesetzt, nach dem Essen ist ein Schläfchen angesagt.
Gegen 18 Uhr ist klar, dass wir es mit der auflaufenden Flut heute nicht mehr zurück wenigstens bis Cuxhaven schaffen können.

Übernachten wir also hier und genießen wir eine Nacht "mitten in der Nordsee".

In den Abendstunden wimmelt es von Seehunden um uns herum. Sie scheinen sich an das ankernde Boot gewöhnt zu haben und kommen neugierig an uns herangeschwommen.
Spannend wird es bei Einsetzen des Ebbstroms. Der Wind bleibt ganz weg und wir können nur an Hand der Kabbelungen auf dem Wasser erkennen, wo starke Strömung fließen muß oder wo in wenigen Minuten das Watt trockenfallen wird.

Dabei staunen wir über die Stärke der Strömung. Direkt neben uns läuft des Wasser vom trockenfallenden Watt wie über ein Wehr ab und bildet gewaltige Strudel.

Dabei staunen wir über die Stärke der Strömung. Direkt neben uns läuft des Wasser vom trockenfallenden Watt wie über ein Wehr ab und bildet gewaltige Strudel.

Das erste Mal sehen wir, wie die Seehunde hier "an Land gehen". Sie steigen nicht aus dem Wasser und watscheln eine Sandbank herauf, sondern sie stemmen sich mit den Vorderflossen an den Stellen mit dem flachsten Wasser und dem stärksten Strom gegen den Strom in den Sand und harren so lange aus, bis das Wasser etwa 10 cm gefallen ist, um sich dann schon mit ihren schweren Körpern auf dem Sand niederzulassen und sich freispülen zu lassen.
Und so läßt sich in der späten Abenddämmerung die ganze Kolonie nur wenige Meter von unserem Boot trockenfallen, wir stören nicht.
Bernd will am Morgen mit dem ersten Tageslicht die ganze Szene fotografieren, aber wir verschlafen. Als wir aufwachen, ist die nächste Flut schon so hoch, dass die Sände überflutet sind und die ersten Schiffswellen von der Elbe uns aufwecken.
Wieder ist es zu spät, um mit dieser Flut wenigstens noch nach Cuxhaven zu kommen. So bleibt uns ein weiterer Sonnentag im Watt, den wir erneut nutzen wollen, um das Klotzenloch mit auflaufendem Wasser zu erkunden. Dazu haben wir viel Zeit.

Aber wir kommen zu früh. Trotz Plotter, Seekarte, Echolot und eigentlich bestem Überblick brummen wir an der Südostkante des Gelbsandes auf und sitzen gleich so fest, dass wir nicht mehr loskommen.
Dabei wäre die Seehundnavigation der sicherste Weg gewesen: Immer dort, wo die Seehunde auf den Sänden liegen, fällt es steil ab und wenn überhaupt, ist das Wasser dort ausreichend tief.
Sei es, weil wir sie nicht stören mochten, sei es, weil wir uns auf den Plotter mit 6 Monate alten Wassertiefenangaben verlassen hatten, wir kriegen des Klotzenloch wieder nicht zu fassen, denn jetzt sehen wir, dass wir über die flachste Stelle schon weggesegelt sind und erneut festsitzen können, wenn wir ein Stück zurückfahren würden, um die Zufahrtrinne ins Klotzenloch zu packen.

© Manfred Sürig, 2013
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf der Nordsee im Watt im Boot übernachten ? Da muß das Wetter und die Tide stimmen, man muß gerade freie Zeit haben und man muß absehen können, wie lange sich das beständige Wetter noch hält. Wann kommt das schon mal vor ? Und was erlebt man dann ?
Details:
Aufbruch: 14.07.2013
Dauer: 6 Tage
Heimkehr: 19.07.2013
Reiseziele: Deutschland
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.