From North to South - einmal durch die amerikanischen Kontinente

Reisezeit: August 2016 - März 2017  |  von silja B.

El Cocuy

Heute machten wir uns auf den Weg nach El Cocuy. Dort gibt es den schönsten Nationalpark Kolumbiens fürs Wandern. Allerdings ist dieser seit 2014 für den Tourismus geschlossen. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass es möglich ist, einen Nationalpark, außer aus Sicherheitsgründen, zu schließen. Die Sache mit dem NP Cocuy ist ziemlich kompliziert. Bis zur Schließung des Parks nahm der Tourismus dort fast überhand. Mehrere hundert Touristen, hauptsächlich Tagestouristen, besuchten den Park. Die Infrastruktur des Parks war jedoch sehr einfach und eigentlich für diese Massen nicht geschaffen, kolumbianisch Verhältnisse halt. Teile des Parks sind für die indigene Bevölkerung, die U’was heilig. Der Konflikt, der zur Schließung des Parks führte, ist zwischen den U’was und der Regierung aber auch andere Interessenparteien sind daran beteiligt. Die U’was stellen Besitzansprüche auf das Land. Die Regierung kann sich mit den U’was nicht einigen, irgendwie mischen sich auch noch die FARC und die dort lebende Bevölkerung und andere mit ein. Das Ganze ist sehr undurchsichtig. Zuerst wurde nur der nördliche Teil geschlossen, so dass zwar nicht die ganze 6 Tages Durchwanderung des Parks möglich war, jedoch eine kleinere 3 bis 4 Tageswanderung. Tagesausflüge im südlichen Teil waren auch noch möglich. Im Laufe dieses Jahres hat sich jedoch dass Ganze so zugespitzt, dass gar nichts mehr möglich ist. Was ziemlich hart für dir Region ist, da sie von der Landwirtschaft und vom Tourismus lebt. Zum Park gab es unterschiedliche Informationen von komplett geschlossen, bis wenn man fragt, kann es sein, dass man rein darf bzw. wenn man bei den Kontrollposten schiert.

Wir entschlossen uns, trotzdem hinzu fahren. Wir hatten in Sogamoso eine Nummer von einem Guide bekommen, der eine Hütte in den Bergen hat. Der Besitzer des letzten Hostels rief auch für uns dort an, wir können kommen, wandern ist möglich, jedoch nur außerhalb des Parks. Wir entschlossen uns, dies zu machen, vielleicht geht ja doch eine Tageswanderung in den Park. Wir sollten um 9 Uhr den Bus von Duitama nach Cocuy nehmen. Juan Carlos, der Besitzer der Hütte würde uns im Bus treffen, da er gerade in Bogota war. Beim Frühstück bekamen wir dann die Info, dass wir den Bus um 11 Uhr nehmen sollen. Auch gut, so konnte ich mich nochmal hinlegen. Mir ging es nicht so gut, zwei Wochen Erkältung sorgten für ein sehr angeschlagenes Immunsystem. Hinzu kam, dass die Tamales von gestern nicht gut gewesen zu sein schienen. Bei einem angeschlagenen Immunsystem hilft auch kein unempfindlicher Saumagen. So hatte ich Magendrücken, leichten Durchfall und bekam kaum etwas runter. Also gleich Kohletabletten nehmen und hoffen, dass der verdorbene Magen, bevor es richtig losgeht, behoben wird. Zur Sicherheit habe ich aber vor Abfahrt eine Imodium Akut genommen, damit sollte ich die lange Fahrt ohne Klomöglichkeit überstehen. Der Bus nach Duitama fuhr um 10.20 Uhr los, die Fahrt sollte eine halbe Stunde gehen. In den Bus stieg eine Dame ca. Mitte 50 ein und begrüßte uns überschwänglich und hieß uns in Kolumbien willkommen. Jedoch zog und zog sich die Fahrt und wir kamen erst um kurz nach 11 Uhr in Duitama an. Also durch den Busbahnhof gerannt zum nächsten Bus, in der Hoffnung, dass er später losfährt. Da keine Zeit war, meinen Rucksack aus der Schutztasche zu holen, habe ich ihn mir unter den Arm geklemmt. Bis jetzt war das für ein kurzes Stück kein Problem, heute jedoch merkte ich meinen geschwächten Körper, ich kam kaum hinter Ruth her. Nach 20 Metern konnte ich nicht mehr, doch kaum setzte ich schnaufend meinen Rucksack ab, war die freundliche Dame aus dem Bus da und half mir beim Tragen meines schweren Rucksacks. Zuerst fanden wir den Busschalter für unsere Agentur nicht, aber die Dame hatte beschlossen, ihre gute Tat für heute bei uns zur Geltung zur bringen. Wir stellten unser Gepäck ab, ich hielt Wache und die Dame lief los, fragte Sicherheitsbeamte und andere nach unserer Busagentur. Als wir sie endlich gefunden hatten, war es schon viertel nach 11. Der Mann am Schalter war etwas im Streß oder schlecht drauf und brüllte in sein Handy. Wir fragten nach unserem Bus, er antwortet unfreundlich, dass der 11 Uhr Bus schon weg sein und erst wieder um 7 Uhr abends einer fährt. Auf unsere Frage, ob es eine andere Möglichkeit gibt, früher nach El Cocuy zu kommen, reagierte er gar nicht, sondern brüllte uns nur das vorherige Gesagte nochmal entgegen. Doch die nette Dame gab nicht auf. Wir wussten auch, dass es eine Verbindung mit Umsteigen in Soata gibt. Sie hat dann für uns das Busunternehmen gesucht, dass dort hinfährt. Wir haben dann unser Ticket gekauft, Bus fährt in 20 Minuten. Die Dame ließ es sich nicht nehmen, mir beim Tragen des Rucksacks bis zum Bus zu helfen. Wir haben unsere Rucksäcke im Bus verstaut. Dann meinte die Dame, wir haben noch Zeit, schnell was zu trinken, sagte dem Busfahrer Bescheid und brachte uns in ein kleines Restaurant mit Blick auf die Busse. Wir wollten sie eigentlich für ihre Hilfe auf ein Getränk einladen, aber keine Chance, sie ließ es sich nicht nehmen, uns einzuladen. Wir bekamen dann noch als kleine Weihnachtsaufmerksamkeit eine Packung Taschentücher und Kaugummis. Die Frau war ein wahrer Engel der Selbstlosigkeit. Kurz vor Abfahrt des Busses, winkte uns der Busfahrer zu, wir verabschiedeten uns von der netten Dame und stiegen in den Bus ein. Nach uns stieg noch ein Vater mit seinem Sohn ein, setzte sich vor uns. Er drehte sich dann zu uns um (er trug ein T-Shirt, dass kennzeichnete, dass er sich für Aufklärung, Reduzierung, etc. von Alkohol und Drogenmissbrauch einsetzte, dies bitte für später merken!) und fragte uns nach unseren Namen. Wir waren etwas verwirrt darüber, aber antworteten. Er stellte sich dann als Juan Carlos, der Besitzer der Hütte vor. Da waren wir erstmal sprachlos. Wir erklärten ihm, warum wir nicht im anderen Bus sitzen. Er erklärte uns dann, dass sein Bus aus Bogota auch Verspätung hatte. Der andere Bus nach Cocuy jedoch ausgebucht war und wir eh nicht mit ihm hätten fahren können. Das Ganze war etwas abgefahren. Er drückte uns gleich eine Touristenkarte von Kolumbien in die Hand sowie einen Flyer zu den schönsten Sehenswürdigkeiten. Dann ging die Odyssee nach Cocuy los.

Der Bus holperte über schlecht ausgebaute Straßen, die Federung des Busses war schlecht und da wir ganz hinten saßen, wurden wir auch dementsprechend durchgeschüttelt. Hinzukam, dass es eine extrem kurvenreiche Straße, wenn nicht die kurvenreichste Straße überhaupt, war (ja sie hat die Strecke von Antigua nach Xela in Guatemala auf Platz 2 dieser Wertungskategorie verdrängt). Der Bus schlängelte sich entlang der Berge, eine 180 Grad Kurve nach der anderen entlang des Bergzuges, dann hinunter in Kurven ins Tal um auf der anderen Seite wieder in die Berge hoch zu gelangen und sich entlang des nächsten Bergzuges zu schlängeln. Landschaftlich war das Ganze toll. Ich konnte das Ganze halbwegs genießen, auch wenn ich durch den verdorbenen Magen Nierenschmerzen hatte und das Sitzen dadurch unangenehmer war. Ruth, die sich eh schwer mit kurvenreichen Strecken tut, ging es gar nicht gut, ihr war ziemlich übel. Um zwei Uhr Mittags waren wir dann in Soata, Halbzeit und bis der nächste Bus fährt zwei Stunden Verschnaufpause. Nach Essen war uns beide nicht, also haben wir nur was zum Trinken bestellt. Juan Carlos (hier in Kolumbien scheint jeder dritte Juan zu heißen!) erzählte uns in einem Tempo ohne Punkt und Komma über El Cucoy, den Problemen mit dem Nationalpark, seiner Leidenschaft für die Arbeit als Guide, etc. Es war ganz schön anstrengend, in unserem angeschlagenen Zustand ihm zu folgen. Ruth bat ihn irgendwann mal, doch bitte etwas langsamer zu sprechen, aber das ging bei ihm irgendwie unter. Meine Vermutung war, dass er an ADHS litt, irgendwie war er immer in Bewegung, sprang auch von einem Thema zum anderen, Fragen beantwortet er nicht wirklich, richtig zuhören schien nicht so seins zu sein. Später stellten wir fest, dass er sehr wohl mit uns langsam sprach, mit den Einheimischen sprach er noch schneller! Um vier Uhr ging dann der Bus nach El Cucoy los. Glücklicherweise hatten wir einen Sitzplatz, er war ganz schön voll, einige standen im Gang. Trotzdem fuhr der Bus noch einmal um den Block, es passen ja noch ein paar Leute rein. Juan Carlos erklärte uns dann, dass die Kolumbianer ganz schrecklich sind, die müssen immer so viel reden, wir mussten uns so, dass Lachen verkneifen, da er eindeutig der gesprächigste Kolumbianer war, den wir bis jetzt getroffen haben. Um acht Uhr abends waren wir endlich erlöst. Hatte auch mehr als genug von der Musik, die den ganzen Tag im Bus gespielt wurde. Eigentlich mag ich die Musikrichtung, nennt sich Cumbia, sehr gerne. Aber nach 8 Stunden leidenden Männern zu zuhören, die von Herzschmerz und irgendwelchen Körperteilen der Frauen singen, ist es dann auch gut, manche der Lieder hatten wir sicherlich vier bis fünf Mal gehört. Wir stiegen in einem kleinen Ort vor El Cucoy aus und wurden von den Eltern von Juan Carlos begrüßt. Der Vater, wie könnte es anders sein, hieß auch Juan und die Mutter Magarit. Wir wurden in deren Jeep verladen und dann brachten sie uns zu einem kleinen Hotel. Eigentlich wollten wir nur noch ins Bett ohne Essen, aber Juan Carlos hatte Abendessen für uns bestellt. Aus Höflichkeit haben wir dann zumindest die Suppe gegessen, kann bei einem verdorbenen Magen vielleicht nicht schaden. Die Gemüse-Hühnersuppe war nur leider sehr salzig und fettig, mehr wie ein halber Teller ging nicht in den Magen. Dann aber endlich hinlegen. Jedoch war mir kreuzübel nach der Suppe und keine viertel Stunde später hing ich über der Kloschüssel. Dann ging es mir wieder gut. Schlafen ging aber die nächste Stunde leider auch nicht, da der Durchfall losging. Irgendwann war mein Körper komplett leer und ich konnte schlafen. Irgendwann in der Nacht musste sich auch Ruth übergeben. Das fing ja gut an mit unserem Trip in die Berge.

Am nächsten Morgen wurden wir nach dem Frühstück von Juan Carlo und dem Rest der Familie mit dem Jeep abgeholt. Es ging nach El Cocuy. Im Ort sind alle Häuser weiß, nur die Türen und Fenster sind in Mint gestrichen. Eigentlich praktisch, wenn alle Häuser die gleiche Farbe haben, dann hat man an so einem abgelegenen Ort sicherlich keine Schwierigkeiten diese zu bekommen. Wenn es sie nicht mehr im Laden gibt, fragt man einfach den Nachbarn, ob er noch welche übrig hat!

El Cocuy

El Cocuy

Juan Carlos zeigte uns stolz sein Büro, redete wieder ununterbrochen. Wir entschlossen uns nicht auf eigne Faust in den National Park zu gehen, ich wäre körperlich auch gar nicht in der Lage gewesen eine mehrtägige Trekkingtour zu machen, Schnupfen und Magen-Darm schlauchten mich ganz schön. Stattdessen entschieden wir uns, drei Nächte in den Cabanas Guican von Juan Carlos bzw. seiner Familie zu bleiben. Juan Carlos meinte er müsste noch ein paar Dinge erledigen und Lebensmittel kaufen, aber in einer Stunde können wir dann zur Hütte hochfahren. Wir schlenderten durch den Ort und besorgten noch ein paar Lebensmittel. Irgendwie war nicht klar, ob wir selber Lebensmittel mitbringen müssen oder wir diese gestellt bekommen. Es war einfach zu wirr, was Juan Carlos manchmal von sich gab und unsere Fragen verstand er ja auch nicht immer bzw. beantwortete sie nicht. Da unsere Geldbeutel schon wieder leer waren, schlenderten wir noch zum einzigen Geldautomaten in El Cocuy. Doch der funktionierte nicht. Der Polizist, der gegenüber dem Automaten Wache hielt, sagte uns, wir sollen in 10 Minuten wieder kommen, dann sei es 12 Uhr, dann funktioniert er. Wir waren da ein bisschen skeptisch, aber wir verstehen ja auch noch nicht wirklich die kolumbianische Logik, wenn diese überhaupt zu verstehen ist, vermutlich ist hinnehmen wie die Dinge sind das Geheimnis des Ganzen. Die Skepsis war natürlich völlig unbegründet, denn der Automat spuckte tatsächlich 10 Minuten später Geld aus. Dann war wieder warten angesagt. Juan Carlos kam und kam nicht. So warteten wir mit seinen Eltern über eine Stunde auf ihn. Irgendwann kam er endlich, erklärte dass so viel los in den Läden war und er überall warten musste. So ein Schmarrn, wir sind ja auch durch den Ort gelaufen und waren in den Läden, El Cocuy ist ein verschlafenes Bergdorf, wo nichts los ist! Seine zweite Erklärung war, dann doch etwas plausibler, alle Leute wollten mit ihm reden und er musste mit allen ein Bier trinken! Und wenn er mit Leuten redet, dass das dann etwas länger dauert, wunderte uns nicht. Der Kofferraum war nun übervoll, auf die Rückbank quetschten sich Ruth, der Vater, ein Freund der Familie, Santiago (der Sohn von Juan Carlos) und ich. Die Mutter setzte sich nach vorne. Irgendwann war es dem armen Santiago dann doch zu eng und er setzte sich nach vorne zu seiner Oma. Die Fahrt bis zur Hütte ging eine Stunde. Juan Carlos redete die komplette Fahrt auf seine Mutter ein, diese hat kein einziges Wort gesagt! Die Cabanas Guican liegen sehr idylisch auf 3800 Metern mit Blick auf den Parque National El Cocuy.

Ruth mit der Hütte im Hintergrund

Ruth mit der Hütte im Hintergrund

Oben war es deutlich kälter, daher bekamen wir erstmal einen dicken Wollponcho übergeworfen und einen Aromatica, ein heißer gesüßter Kräutertee, in die Hand gedrückt. Dann zogen wir uns Gummistiefel an und erkundeten ein bisschen die Gegend.

Unterhalb der Hütte lag ein kleiner Teich, auf den Wiesen hier wuchsen auch Frailejonés und die drei Pferde der Familie rannten über die Wiesen.

Teich mit Blick auf die Hütte

Teich mit Blick auf die Hütte

Idylle pur

Idylle pur

Abends wurde in der Küche ein Feuer im Kamin angemacht, das aber nur bedingt wärmte, da man die Tür offen lassen musste, damit der Rauch vom Feuer abziehen konnte. Zum Aufwärmen gab es wieder Aromatica, diesmal aber mit „Mundwasser“ angereichert. Ja, die trinken hier tatsächlich Mundwasser! Nein nicht wirklich, es hört sich nur nach Mundwasser an. In Kolumbien ist, abgesehen von den Küstenregionen, wo der Rum beliebter ist, das Aguardiente, das nationale, hochprozentige Getränk. Auch wenn es sich nach Zahnwasser anhört, setzt sich das Wort aus Agua für Wasser und ardiente für brennen zusammen. Es ist ein Anisschnaps. Santiago, der 12jährige Sohn bekam auch eine Tasse. Da muss ich mal wieder meine Sozialpädagogen Augen zudrücken. Den Abend verbrachten wir damit, mit Santiago und dem Freund der Familie die kolumbianische Variante von Mensch Ärgere dich nicht zu spielen. Juan Carlos konnte nicht stillsitzen, telefonierte mit irgendwelchen Leuten und lief wie ein Duracelmännchen durch die Gegend, definitiv ADHS! Über Nacht hatten sich die Wolken verzogen und als ich nachts auf Klo musste, hierfür musste man über den Balkon zum hinteren Bereich der Hütte, konnte ich den unglaublichen Nachthimmel bewundern. Es gab keinerlei Lichtverschmutzung, der Himmel war pechschwarz und die Sterne leuchteten unglaublich hell, vor allem gibt es viel viel mehr Sterne wie bei uns! Ich liebe den Sternenhimmel in den Anden!

Am nächsten Morgen war auch die Sicht auf den Nationalpark frei und in der Sonne war es auch gar nicht so kalt. Also haben wir unser Frühstück draußen auf einer Bank mit Blick auf Berge zu uns genommen.

Traumhafter Blick auf die Berge

Traumhafter Blick auf die Berge

Und perfekt zur Idylle grasten zwei Schafe mit ihren zwei Lämmern auf der Wiese. Das Kuriose war, dass das weiße Mamaschaf ein braunes Lamm hatte und das braune Mamaschaf ein weißes Lamm.

Die Lämmer sind doch eindeutig bei der Geburt vertauscht worden!

Die Lämmer sind doch eindeutig bei der Geburt vertauscht worden!

Nach dem Frühstück ging es mit Juan Senior zum Wandern. Wir wollten zu einem Wasserfall, der an der Grenze zum Nationalpark lag. Der Kontrollposten des Parks ist deutlich vor dem eigentlichen Park. Und wie wir es uns schon gedacht hatten, war keiner dort, wir hätten also sicherlich einfach den Park betreten können ohne, dass es einer bemerkt hätte, geschweige denn interessiert. Beim Wandern habe ich mir sehr schwer getan. Die Höhe habe ich deutlich gespürt, krank bzw. körperlich geschwächt sein und Höhe vertragen sich einfach nicht. Ich konnte nur ganz langsam gehe, hatte auch das Gefühl, langsam Fieber zu bekommen. Juan Senior war ein toller Guide, er hat sehr langsam für uns gesprochen, so dass wir alles verstanden haben, hat alles unsere Fragen beantwortet und viel erklärt, über die Pflanzen und Bergwelt der Region und viel aus seinem interessanten Leben erzählt. Ich habe mir auch gleich ein paar Kräuter für meine Magenprobleme mitgenommen.

Den Rückweg nahmen wir über eine kleine Marienkapelle. Es ist eine schwarze Madonna, angeblich ist sie früher jemanden hier erschienen. Bis vor vier Jahren hatte sie auch noch eine echte Goldkrone. Jemand hat aber diese geklaut, der Dieb wurde erwischt. Hier auf dem Lande gab es bis vor ein paar Jahren noch Selbstjustiz und so wurden dem Dieb die Hände und der Kopf abgehackt. Kolumbien ist echt eine andere Welt. Während Ruth ein kühles Bad im Fluß genommen hat, haben Juan Senior und ich eine Kerze für seinen Ziehsohn, einer der besten Paragleitern Kolumbiens, der vor drei Monaten hier in den Bergen tödlich verunglückt ist, angezündet.

Madonnenkapelle

Madonnenkapelle

Dann sind wir noch in eine kleine Schlucht gestiegen, dort war die Madonnenerscheinung. Die Menschen basteln aus Ästen kleine Kreuze und bitten die Madonna um etwas.

Holzkreuze

Holzkreuze

Dann ging es zurück. In der Hütte begrüßte uns Magarit und machte uns erst Mal eine heiße Schokolade. So langsam taute auch sie auf und unterhielt sich mit uns. Dann brauchte ich aber einen kleinen Mittagsschlaf. Dann nach ging’s mir besser und wir machten uns ans Kochen unseres Weihnachtsessen, war ja der 24. Dezember. Es sollte eine Gemüse-Tomatensoße mit Nuddeln geben. Die Soße war auch sehr lecker. Leider hatte ich vergessen, dass es fast unmöglich ist, Nudeln ab einer gewissen Höhe zu kochen, es wird immer eine Pampe. Die Nudeln sahen eigentlich gut aus, doch als wir sie mit der Soße mixten, war klar, dass sie eine Stärkepampe wird. Das Essen hat auch dementsprechend geschmeckt, kein weihnachtliches Festessen. Ehrlich gesagt, dass schlimmste Weihnachtsessen, dass ich je hatte, wenn man davon einen Darmverschluss bekommt, würde es mich nicht wundern!

Kaum war es dunkel, kam Juan Carlos mit Böllern. Aber erstmal gab es wieder eine Runde Aguardiente, diesmal pur. Die Feuerwerkskörper waren selber gemacht: Schießpulver oder was auch immer in Zeitungspapier gewickelt und an einem Schilfrohr befestigt. Das Ganze wurde auch auf eine sehr abenteuerlicher Art angezündet: man hielt das Schilfrohr nahe dem Zeitungspapier fest, zündete eine Schnur, die daraus herausragte an und sobald das Feuerwerkspulver erreicht war und das Ding Funken sprühte, ließ man los und das Ding schoß zum Himmel und explodierte da. Eine kam aber postwendend wieder zurück und explodierte am Boden, Juan Carlos und sein Freund konnten sich gerade noch in die Küche retten. Dann fragte uns Juan Carlos, ob wir nach El Cocuy runter zur Weihnachtsfeier möchten. Wir waren etwas unschlüssig, es war klar in meinem Zustand kann ich nicht so lange. Juan Carlos versicherte uns, dass sobald wir gehen möchten, wir gehen. Wir würden unten im Tal bleiben und dort im Haus der Familie übernachten und morgen wieder in die Berge fahren. Länger als ein paar Stunden kann man eh nicht auf der Weihnachtsfeier bleiben, da es ab Mitternacht sehr wild wird und man besser vorher geht, meinte Juan Carlos und so entschieden wir uns mal anzuschauen, wie in einem kolumbianischen Dorf Weihnachten gefeiert wird. Geschenke gab es für Ruth und mich dieses Jahr nicht, ganz nach kolumbianischer Art. In Kolumbien bekommen nur die ganz kleinen Kinder Geschenke. Ansonsten wird in Kolumbien jeder Ort sehr weihnachtlich dekoriert, es gibt überall große Krippen, die aus allem möglichen hergestellt werden (Autoreifen, Kartoffelsäcke, Müll, Plastik, Holz, etc.) und ganz viele bunte Lichter!

Die Krippe von Juan Senior und Margarit

Die Krippe von Juan Senior und Margarit

Wir haben uns also wieder alle in den Jeep gequetscht. Dann fing Juan Carlos an Musik über den USB Stick zu suchen. Abspielen kann man dass nicht wirklich nennen, es war eher ein Suchen. Jedes Lied wurde 10 Sekunden angespielt, gefiel ihm aber nicht, also weitergedrückt, Musikzapping also. Ab und zu war das Lied schnulzig genug, dann wurde es komplett abgespielt. Während der einstündigen Fahrt kamen wir in den Genuss von drei komplett abgespielten Liedern! ADHSler können so anstrengend sein!
In El Cocuy ging es auf den Hauptplatz, dort war eine Bühne aufgebaut und der ganze Ort war dort versammelt. Erstmal gab es natürlich wieder ein Aquardiente. Von der Bühne ging ein Laufsteg weg und darauf standen sechs kolumbianische Schönheiten in Abendkleidern! An Heilig Abend wird nämlich die Schönheitskönigin von El Cocuy gewählt. Jeder Ortsteil stellt eine und in den Wochen vor Weihnachten gibt es in den verschiedenen Ortsteilen verschiedene Feiern, die für die Entscheidung für die Wahl wichtig sind. Die Kolumbianer lieben es zu feiern! Nach welchen Prinzipien wird die Schönheitskönigin gewählt? Wir haben Magarit gefragt und die meinte nur, dass die, die am meisten Geld für soziale Projekte zahlt, gewählt wird. War ja eigentlich klar, dass das so in Kolumbien abläuft. In Kolumbien sieht man unglaublich viele Frauen mit Schönheitsoperationen und die Frauen tragen leidenschaftlich gerne sehr hochhackige Schuhe! So ein Schöhnheitswettbewerb ist meines Erachtens sehr langweilig, aber es war sehr spannend, die Dorfbevölkerung zu beobachten.

Ein sehr wichtiges Accessoire der Kolumbianer ist sein Ruana, der Poncho, nach dem Motto: „Jeder Kolumbianer liebt seinen Ruana!“ Hier in den Bergen aus dicker Schurwolle. Und die Männer, zumindest die älteren, haben alle einen Hut auf. Als endlich die Schönheitskönigin gewählt war, wurde die Bühne abgebaut, Musik aufgelegt und Salsa getanzt. Ich habe immer erfolgreich abgelehnt und nur zugeschaut, Ruth hat sich erbarmt und ein bisschen mit Juan Carlos getanzt. Zwischendurch stupste mich Margarit immer mal wieder an und sagte, wenn wir gehen möchten, müssen wir es nur Juan Carlos sagen und dann gehen wir. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sie gerne selber gehen möchte, sich aber nicht getraut, es zu sagen. Nach drei Stunden hatte ich aber auch genug, wollte nicht mehr stehen und so langsam ging es mir auch wieder schlechter. Ruth sagte, dann Juan Carlos bescheid, ja wir gehen gleich, er trinkt noch sein Bier aus. Ob wir nicht noch ein Bier wollen, nein danke. Nach über einer viertel Stunde standen wir immer noch da, ja wir gehen gleich. Der Kumpel von Juan Carlos legte dann noch ein Tänzchen mit Ruth ein. Margarit fragte mich dann, ob wir nicht Juan Carlos bescheid gesagt hätten, doch haben wir, er trinkt noch sein Bier aus. Die Mutter sah schon sehr müde aus. Santiago sah noch fertiger aus, der Ärmste konnte kaum mehr seine Augen aufhalten. Juan Senior redete dann mit seinem Sohn, er solle ihm die Schlüssel geben, er würde dann uns ins nächste Dorf zum Familienhaus fahren. Santiago sah seinen Vater flehentlich an, es war herzergreifend. Doch Juan Carlos schien das, nicht zu interessieren. Er weigerte sich den Schlüssel auszuhändigen. Die Diskussion verlief kurz hitzig, dann dackelten Großeltern mit Enkel davon. Ich konnte das Ganze gar nicht glauben. Ab dem Zeitpunkt war Juan Carlos für mich absolut unten durch. Seine Aufgabe als Guide bzw. Gastgeber der Hütte machte er sehr schlecht, diese Aufgabe übernahmen seine Eltern und zwar sehr toll!, als Sohn war er auch eine Katastrophe, so wenig Rücksicht auf die Mutter, die eindeutig müde war zu nehmen und der Jeep gehörte eigentlich dem Vater, dreist sich zu weigern, den Schlüssel nicht auszuhändigen. Aber was mich am meisten Erschüttert hat, war sein Umgang mit dem Sohn, diesen und seine Bedürfnisse so zu ignorieren, geht gar nicht. Juan Carlos versicherte uns, wir gehen gleich, er muss noch das Bier bezahlen. Was für ein Schmarrn, man muss immer sofort, wenn man das Bier bestellt, bezahlen. Und was machte er, er kaufte zwei neue Bier für sich und seinen Kumpel. Ich war sprachlos. An dieser Stelle möchte ich an das T-Shirt, dass er am ersten Tag getragen hat erinnern, wie er zu dem gekommen ist, ist mir echt ein Rätsel! Nach einer viertel Stunde kamen Großeltern und Enkel wieder. Ich hatte jetzt echt genug, merkte auch langsam, dass es meinem Magen gar nicht gut ging. Ich habe dann Juan Carlos gesagt, dass wir jetzt gehen möchten, er sagte gleich, ich darauf hin jetzt. Für einen kurzen Moment war ich erstaunt, dass wir dann auch wirklich losgingen. Aber anscheinend funktioniert auch mein bestimmender, sozialpädagogischer Tonfall in Spanisch. Juan Carlos wankte leicht und seine Artikulation war auch nicht mehr die Beste, fahren wollte ich mit dem eigentlich nicht. Als wir am Auto waren, war aber klar, er fährt nicht, er händigte die Schlüssel seinem Vater aus und wankte wieder zur Party zurück. Das Theater, warum er ewig nicht gegangen ist bzw. nicht schon früher den Schlüssel einfach abgegeben hat, war völlig sinnlos! Kaum waren wir im Haus der Familie, ging auch mein Durchfall wieder los. Leider hatte ich keine Medikamente mit dabei, das war alles oben in der Hütte. Die Nacht schlief ich kaum. Am nächsten Morgen war ich fertig. So hatte ich mir Weihnachten nicht vorgestellt, ich wollte eigentlich nur noch heulen. Aber das konnte ich den lieben Eltern nicht antun, die sich unglaublich um Ruth und mich bemühten. Ruth frühstückte mit ihnen, Aromatica und Gemüsesuppe, das typische Frühstück hier. Ich wollte eigentlich nichts, aber sie bestanden drauf, dass ich auch den Kräutertee trinke und ein bisschen von dem Kartoffelsaft. Letztendlich hat es sogar ganz gut getan. Dann habe ich mich hingelegt und zwei Stunden geschlafen. Ruth ist mit der Familie in die Kirche. Hier in den Bergen ist das eine pragmatische Sache. Die Messe ging eine Stunde, es wurde ein Kind getauft, es gab eine 1. Kommunion und ein Ehegelöbnis, der in ein einem sozusagen! Nach meinem kleinen Schlaf ging es mir schon deutlich besser und wir machten uns auf den Weg in die Berge. Aber erst nach El Cocuy, Juan Carlos aufladen. Santiago rief bei seinem Vater an, dass wir uns jetzt auf den Weg machen. Aber in El Cocuy war er weit und breit nicht zu sehen. Die Großeltern luden Ruth dann zum Mittagessen ein, für mich gab es nur eine Cola. Dann stiegen wir in den Jeep und drehten zwei Runden durch den Ort bis wir endlich Juan Carlos fanden, der immer noch oder schon wieder beim Feiern war. Er kam mit einer Bierflasche zu uns, konnte noch schlechter wie gestern Abend laufen und artikulieren. Er kommt gleich, er muss noch sein Bier austrinken und zahlen. Irgendwie kam dieser Satz mir bekannt vor! Er kam jedoch nicht und nach einer viertel Stunde fuhren wir ohne ihn los. In der Hütte beschloss ich, nach drei Wochen Schnupfen und fast einer Woche Magen-Darm ein Antibiotikum zu nehmen. Ruth und ich machten noch einen kleinen Spaziergang durch die Hügel und dann legten wir uns aber auch schon wieder hin.

Am nächsten Morgen ging es mir deutlich besser, wir frühstückten und dann hieß es Abschied nehmen. Juan Senior, Margarit und Santiago hatten wir mit ihrer Herzlichkeit sehr ins Herz geschlossen!

Juan Senior fragte uns dann noch, ob wir Juan Carlos bezahlt hätten, alles auch für die geführte Wanderung? Ja haben wir. Das Kommentar des Vater darauf hin war, oh je, dann hat er vermutlich jetzt alles versoffen. Es wurde deutlich, dass die Großeltern nichts von dem Geld zu sehen bekommen, obwohl die Hütte ihnen gehört und sie eigentlich die Arbeit mit uns hatten. Es wurde auch wieder deutlich, dass die Beziehung zwischen ihnen nicht wirklich gut ist. Wir gaben Juan Senior dann ca. 20 Euro, damit er wenigstens Benzin für den Jeep kaufen kann. Dann fuhr er uns mit Santiago runter nach El Cocuy. Die vier Tage in den Bergen war sicherlich ein besonderes, und dank Juan Carlos, auch ein spezielles Erlebnis. Wir bekamen ihn sogar nochmal zu Gesicht. Als wir mit dem Bus aus El Cocuy rausfuhren, kam er aus einem Haus raus, ich war aber froh ihn nicht mehr persönlich zu Gesicht zu bekommen!

© silja B., 2017
Du bist hier : Startseite Amerika Kolumbien El Cocuy
Die Reise
 
Worum geht's?:
Von Kanada nach Feuerland
Details:
Aufbruch: 09.08.2016
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 09.03.2017
Reiseziele: Kanada
Mexiko
Guatemala
Belize
Panama
Kolumbien
Ecuador
Peru
Chile
Argentinien
Der Autor
 
silja B. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.